Woran erkennt man den Heiligen Geist?
Pfingsten und der Heilige Geist, die verbindende Kraft
Am Himmel braust und stürmt es an einem Vormittag auf einmal so gewaltig, dass es ein ganzes Haus und die dort versammelten Frauen und Männer durchschüttelt. Flammen senken sich auf alle herab und erfüllen sie mit dem, was in der Apostelgeschichte Heiliger Geist genannt wird. Die unmittelbare Folge: Die Frauen und Männer können auf einmal in anderen Sprachen sprechen. Menschen „aus allen Völkern unter dem Himmel“ können sie fortan verstehen. Beobachter der Szene sind über die Vorgänge bestürzt (Apostelgeschichte, Kapitel 2).
Ein Sprachenwunder, sagen manche Theologen. Und tatsächlich ist seit diesen Pfingstereignissen eine Art der Sprachverwirrung überwunden, jene, die die Menschen seit dem Turmbau zu Babel gespalten hatte. Die ist im ersten Buch des Alten Testaments beschrieben, im 1. Buch Mose, der Genesis: Gott hatte die Turmbauer für ihre Überheblichkeit damit bestraft, dass fortan jeder seine eigene Sprache sprach und so die weiteren Bauarbeiten unmöglich wurden. Doch nun das Pfingstwunder: Ein neuer Geist, eine von Gott geschenkte Lebenskraft verbindet die Menschen sprach- und kulturübergreifend. Denkgeschichten, wie geschaffen für unsere Zeit.
Teil Gottes, der sich im Menschen auswirkt
Woran erkennt man den Heiligen Geist? Nicht jeder, der von sich und seinen Ideen angetan ist, ist schon vom Heiligen Geist erfüllt. Was in der Bibel über ihn steht und was die Theologinnen und Theologen über ihn sagen, ist zwar „markant uneinheitlich“, so der Heidelberger Theologieprofessor Dietrich Ritschl (1929–2018). Übereinstimmung herrscht aber in einem Punkt, den man vereinfacht so ausdrücken kann: Der Heilige Geist ist jener Teil Gottes, der sich im Menschen auswirkt.
Eine außergewöhnliche Liste an Gaben, die der Geist hervorbringt, findet sich im Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde von Galatien, heute mitten in der Türkei gelegen. Demzufolge zeigt sich der Geist in Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Keuschheit (5,22). Eine sympathische Liste an Tugenden.
Im Hebräischen ist der Geist weiblich
Aber der Geist ist weit mehr als ein Ansporn für soziales Wohlverhalten. Er ist eine enorme schöpferische Kraft. Das grammatikalische Geschlecht des Wortes Geist ist in dieser Hinsicht bezeichnend. Im Hebräischen ist es weiblich. Der Geist Gottes, von dem in der Schöpfungsgeschichte der Bibel die Rede ist, der über den Wassern schwebte und Leben spendet, ist die „ruach“. Da sie nach einem geflügelten Wort bis heute weht, wo sie will, sollte man mit Überraschungen rechnen.
In manchen Kirchen schweben zu Pfingsten als Symbol des Heiligen Geistes seit Jahrhunderten aus einer Öffnung im Kirchengewölbe hölzerne Tauben auf katholische Gemeinden hinab. Im Dom von Florenz startet mitten im Hauptgottesdienst sogar eine von kleinen Raketen angetriebene Taube, an einem Stahldraht hängend, am Hauptaltar und „fliegt“ durchs Hauptschiff bis zum Portal hinaus, wo sie Kracher und Böller entzündet. Das findet zwar an Ostern statt, aber die Symbolik des Heiligen Geistes ist eindeutig. Vom Pfingstwunder in der Apostelgeschichte ist da wenig geblieben: nicht viel mehr als die Bewegung von drinnen nach draußen. Aber das ist kirchliches Brauchtum.
Christi erste „Regierungsmaßnahme“
In der Bibel wird der Geist Gottes „heilig“ genannt. Warum? Der Geist, von dem in der Pfingstgeschichte die Rede ist, ist nicht nur ein seelischer Ausnahmezustand, eine Euphorie. Auch kein Alkoholrausch: „Diese sind nicht betrunken, wie ihr meint“, sagt der Apostel Petrus laut Apostelgeschichte 2,15. Die Begeisterung folgt der Erfahrung der Frauen und Männer, dass „Gott diesen Jesus zum Herrn und Christus gemacht hat“ (Vers 36). Die Flammen des Geistes, die sich auf die Menschen herabsenken, seien die erste und entscheidende „Regierungsmaßnahme“ des jetzt inthronisierten Christus, heißt es in einer Randnotiz der Stuttgarter Erklärungsbibel. Pfingsten ist das Gründungsfest der weltweiten Kirche. Die Begeisterung der Menschen ist Ausdruck dessen, dass Gott nun in den Herzen der Gläubigen regiert.
Eduard Kopp (chrismon)