Kompetenzen und Standards für den evangelischen Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen

Ein Orientierungsrahmen

7. Der evangelische Religionsunterricht in der berufsbildenden Schule – Konkretionen und Kontexte

In diesem Kapitel wird das Nachdenken über Kompetenzen und Standards fortgeführt in Bezug auf die konkret gewachsenen methodisch-didaktischen Strukturen des BRU, auf seine Organisationsformen sowie die Einbettung des BRU in die Schulkultur und das Schulleben.

Didaktik und Methodik

In der pädagogischen Diskussion zur Berufsbildung in Deutschland besteht bis in den DQR hinein ein Konsens darüber, dass die berufliche Bildung mehr umfasst als die qualifikatorische Einübung in Berufstechniken. Das schlägt sich zum einen im Verständnis und in den Zielen des berufsfachlichen Unterrichts nieder und zum anderen darin, dass die Stundentafeln allgemeinbildende Fächer wie Deutsch, Politik, Fremdsprachen, Sport sowie Katholischen/Evangelischen Religionsunterricht (und dessen Alternativ-/Ersatzfach) vorsehen. Der Religionsunterricht ist insofern konstitutiver Bestandteil beruflicher Bildung.

Das didaktische Profil des BRU ist vor allem durch schüler-, problem- und handlungsorientierte Ansätze geprägt. Das entspricht der Berufspädagogik und deren berufsfachlicher Schwerpunktsetzung. Der BRU ist konstitutiv handlungsorientiert und auf eine gelungene Analyse der beruflichen Handlungsfelder angewiesen, um seine berufliche Relevanz aufzeigen zu können. Nur durch einen spezifisch berufsorientierten Beitrag kann der BRU zur Erlangung beruflicher Handlungsfähigkeit beitragen. Im Blick auf die Unterrichtspraxis des BRU ist bei den einzelnen Lehrpersonen eine große Vielfalt didaktischer Ansätze zu entdecken, da sich jede Lehrkraft ihre didaktischen Zugänge zu den je spezifischen Lebenswelten und beruflichen Herausforderungen ihrer Lerngruppen sucht.

Gegenüber einer Religionsdidaktik für den allgemeinbildenden schulischen Bereich sollte hier eine berufsorientierte Didaktik des Religionsunterrichts folgende Faktoren konstitutiv mit bedenken:

  • der Beruf als Bezugsrahmen der zu erwerbenden Handlungskompetenz;
  • der Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife als Teil der umfassenden Handlungsfähigkeit (KMK);[1]
  • der Beruf als ein identitätsstiftender Faktor;
  • der Beruf als Dimension der Wirklichkeit, in der sich Theologie als relevant erweisen muss;
  • die Kriterien und Ansätze der Berufspädagogik;
  • das Verständnis von Kompetenzen in der Berufspädagogik;
  • die Ansprüche der dualen Partner;
  • die bundesweite Orientierung auf Grund des Berufsbildungsgesetzes (BBiG).[2]

Es gibt keine spezifischen bzw. exklusiven Methoden und Arbeitsweisen des BRU. Entsprechend der für den BRU didaktisch konstitutiven Begriffe der Handlungs-, Problem- und Schülerorientierung gestaltet sich auch die konkrete methodische Arbeit. Prägend sind hier jene Zugänge, Methoden und Verfahrensweisen, die den Berufsschülerinnen und -schülern als jungen Erwachsenen gerecht werden. Von daher wird häufig der Anschluss an eine erwachsenenpädagogisch orientierte Didaktik gesucht.

So wird besonderer Wert gelegt auf eine demokratische Struktur des Unterrichts, auf Beziehungsorientierung, auf eine prozessorientierte Gestaltung des Unterrichts sowie auf Raum für die individuelle Entfaltungsmöglichkeit der Schülerinnen und Schüler. Besonders wichtig ist für den BRU, dass im Unterricht die Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler zur Selbstreflexion gestärkt wird. Sie denken im BRU über ihre Biographie und ihre Religiosität nach und entdecken dabei Ressourcen, die für die Entwicklung von Resilienz grundlegend sind. Der BRU ist somit am Erwerb berufsübergreifender – hier konkret persönlichkeitsbildender – Kompetenzen beteiligt. Von daher ist zu beachten, dass es bei der Auswahl, der Formulierung sowie der Überprüfung der im BRU zu erwerbenden Kompetenzen zu keiner allein kognitiven Ausrichtung kommt. Dem entspricht im BRU eine große Methodenvielfalt, die auch durch die notwendige Differenzierung gefördert wird, die sich aus den sehr unterschiedlichen Bildungsgängen und der entsprechenden Heterogenität unter den Schülerinnen und Schülern ergibt.

 

Konfessionelle und interreligiöse Kooperation

Wie in der Einleitung ausgeführt (vgl. Kap. 1), wird der BRU häufig im Klassenverband konfessionell-kooperativ erteilt. Im Blick auf die evangelisch-katholische Kooperation kamen dabei bisher die von der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland bereits im Jahr 1998 aufgezeigten Formen und Möglichkeiten von der Lehrplanarbeit über das Zusammenwirken in der Lehrerbildung bis hin zum gemeinsamen Unterricht vielfältig zur Anwendung. Mit den aktuellen Texten „Konfessionell-kooperativ erteilter Religionsunterricht. Grundlagen, Standards und Zielsetzungen“ (EKD-Texte 128, 2018) und „Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts. Empfehlungen für die Kooperation des katholischen mit dem evangelischen Religionsunterricht“ (DBK 2016) wird die evangelisch-katholische Kooperation im Religionsunterricht auf neue Grundlagen gestellt. Damit kann auch der BRU auf dem Hintergrund der bestehenden Herausforderungen programmatisch weiterentwickelt werden.

Am BRU nehmen ferner oft auch Schülerinnen und Schüler teil, die einer anderen oder keiner Religion angehören (vgl. Kap. 3). Entsprechend werden im BRU vielfältige interreligiöse und interkulturelle Lehr- und Lernarrangements entwickelt, in denen „die besonderen Erfordernisse […] im beruflichen Bildungswesen Berücksichtigung finden“.[3] Insofern ist in die Weiterentwicklung der rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen des BRU auch die Kooperation mit dem Religionsunterricht anderer Religionsgemeinschaften und dem Ethikunterricht einzuschließen, wie es die Denkschrift „Religiöse Orientierung gewinnen“ im Einzelnen beschreibt.[4]

 

Bezüge zu Schulgottesdienst und -seelsorge

Die Gottesdienstkultur ist an berufsbildenden Schulen sehr unterschiedlich ausgeprägt und variiert lokal deutlich. Insgesamt ist die Anzahl von Gottesdiensten (z. B. Einschulung, christliche Feste, Schulentlassung) an berufsbildenden Schulen im Vergleich zu allgemeinbildenden Schulformen geringer. Religiöse und spirituelle Erfahrungsräume ergeben sich von daher eher (1.) im Kontext des Unterrichts einer Lerngruppe selbst (z. B. bei meditativen Formen der Unterrichtsgestaltung anlässlich religiöser Feste wie Weihnachten oder Ostern), bei (2.) interreligiösen Begegnungen und Exkursionen an außerschulische Lernorte (z. B. bei Besuchen in Kirchen, Synagogen, Moscheen oder Gedenkstätten) und (3.) bei der Bewältigung kontingenter Erfahrungen (wie z. B. Trauerriten bei Tod und Unfall).

Häufig sind BRU-Lehrkräfte an der Schule auch als Beraterinnen und Berater oder Seelsorgerinnen und Seelsorger gefragt.[5] Grundvoraussetzung dafür ist auf Seiten der Auszubildenden ein konsequent subjektorientierter BRU einerseits und das Bemühen der Lehrkräfte um eine vertrauensvoll-authentische Beziehung zu den Auszubildenden andererseits. Beratungsanlässe sind meist konkrete Fragen aus dem Unterricht selbst, gesellschaftliche Themen oder aktuelle persönliche Fragen der Auszubildenden im privaten wie auch beruflichen Umfeld, die zum Teil auch krisenhafte Erfahrungen spiegeln. Das Angebot evangelischer Schulseelsorge wird neben dem allgemeinen Beratungsangebot der Schulen – und zum Teil in dieses integriert – rege wahrgenommen. Unabhängig von der religiösen oder weltanschaulichen Sozialisation der Auszubildenden bilden seelsorglich beratende BRU-Lehrkräfte auf diese Weise für viele junge Erwachsene einen nachhaltigbleibenden Bezugspunkt zur Kirche.

 

[1] Bundesagentur für Arbeit (Hg.): Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs – Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife. URL: http://www.ib-sh.de/fileadmin/user_upload/downloads/Arbeit_Bildung/ZP_Arbeit/b5/Kriterienkatalog_ausbildungsreife_b5.pdf, Zugriff am 21.01.2016.

[2] Berufsbildungsgesetz BBiG. URL: http://www.bmbf.de/pub/berufsbildungsgesetz.pdf, Zugriff am 21.01.2016.

[3] Vgl. Religiöse Orientierung gewinnen. S. 99.

[4] Ebd. S. 95ff.

[5] Vgl. Evangelische Schulseelsorge in der EKD. Ein Orientierungsrahmen. EKD-Texte 123. Hannover 2015.

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