Gedanken zur Epistel für den Sonntag Reminiszere
von Sabine Dreßler
Retten, woran das Herz hängt
„…Wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“ Römer 5,3-5
So würde er vermutlich nicht über sich selbst sprechen, aber andere könnten dies über ihn sagen: Najeeb Moussa Mikhaeel, chaldäischer Erzbischof von Mossul. Und so ist es auch, als er z.B. 2020 für den Sacharow-Preis, den Menschenrechtspreis des Europäischen Parlaments, nominiert wird. Mit dem Preis werden Einzelpersonen und Organisationen geehrt, die in besonderer Weise die Menschenrechte verteidigen.
Seit langer Zeit hat er dazu beigetragen, tausend und abertausende Schriften, Manuskripte und andere Dokumente in aramäischer, arabischer und in weiteren Sprachen zu konservieren und zu digitalisieren und damit ein besonderes Erbe unter besonderen Umständen zu bewahren. Ein multireligiöses Erbe noch dazu, denn er hat nicht nur christliche Bücher sicher aufgehoben, sondern auch islamische Literatur. Wird dies schon zuvor schwierig genug gewesen sein, so ist die spektakulärste Rettungsaktion kaum vorstellbar mit dem Blick von außen.
Im August 2014 fallen die Truppen des sog. Islamischen Staates in Mossul ein. Die kurdischen Streitkräfte haben sich aus der Stadt zurückgezogen, es gibt keinen Schutz mehr für die Bewohner, vor allem für die am meisten gefährdeten Minderheiten.
„Bewährung aber bringt Hoffnung...“
Aber es gibt sie, die Menschen, die auch angesichts höchster Gefährdung nicht aufgeben. Die schützen, was sie lieben, und retten, woran ihr Herz hängt. Der damalige Pater Moussa sucht und findet einheimische Mitarbeiter und Unterstützer. Zwei Pickups werden mit unscheinbaren Pappkartons beladen. Sie bergen 1300 sehr wertvolle und sehr fragile historische Manuskripte.
„Damals bat ich Gott um zehn Füße und zehn Hände, um Bücher und Menschen zu retten, und er antwortete mir, indem er mir viele junge Menschen schickte, die mir bei dieser Mission halfen.“ Sagt Najeeb Moussa Mikhaeel später. Es gelingt ihnen, nach Erbil, der Hauptstadt der kurdischen Region des Irak, zu fliehen. Und nicht nur die Bücher werden vor der Vernichtung bewahrt. Um die Evakuierung von Christen, Syrern und Chaldäern nach Kurdistan ist Pater Moussa genauso bemüht.
Seit 2019 leitet er die Erzdiözese Mossul und steht weiterhin für das bedrohte irakische Erbe ein, denn ein Volk ohne ein Erbe sei ein totes Volk. Zu den nach wie vor Bedrohten gehört auch die Minderheit der Jesiden, mit der er sich in besonderer Weise verbunden fühlt.
„…Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden.“
Nur wenige christliche Familien sind bisher zurückgekehrt; zu groß ist die Angst vor erneuter Gewalt, zu unsicher insgesamt die Lebenssituation. Und doch gibt es die kleine Gemeinschaft, die sich ihre angestammte Heimat zurückholt, ihre zerstörten Glaubensorte wieder herrichtet, und die in der Stadt wieder sichtbar wird. „Es wärmt unsere Herzen, zu sehen, wie Mossul wieder auflebt. Wir arbeiten dafür Hand in Hand mit Muslimen, Jesiden und anderen“ sagt der Erzbischof. Und: „Wir leben. Christen sind hier“ – darauf kommt es an.
Vielleicht ist Najeeb Moussa Mikhaeel für die Menschen so etwas wie ein lebendiges Buch, eine wertvolle Schrift, die nicht nur von der Kostbarkeit des Ursprungs und vom Reichtum der Vergangenheit zeugt, sondern die in die Zukunft begleitet. Auf jeden Fall ist er ein geduldiger Zeuge der Hoffnung, für Menschen in Mossul, für Menschen an so vielen Orten, die, zerstört und zerschlagen, kaum die Augen heben können, um den nächsten Tag zu erkennen. Für uns mag er auch die Erinnerung an Orte unseres Ursprungs sein und zugleich ein ausdrückliches Zeichen von Glaubensstärke inmitten von Zerstörung und Gefahr.
Sabine Dreßler