Stellungnahme der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Entwurf des Reformstaatsvertrags
1. Zukunftsfest und relevant
- Der gesellschaftliche und mediale Wandel verlangt vom Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk (ÖRR) Anpassung, Gestaltung und Weiterentwicklung. Die EKD begrüßt den im Entwurf des Reformstaatsvertrags und durch erste Reformschritte der Sender bereits dokumentierten Willen, die öffentlich-rechtliche Sender- und Programmlandschaft zukunftsfest zu machen. Sie unterstützt das Ansinnen, auf diesem Wege auch die Relevanz des ÖRR zu stärken.
- Der ÖRR sieht sich, wie viele andere gesellschaftliche Player auch, vor der Notwendigkeit, in Zeiten knapper werdender Ressourcen das eigene Profil zu schärfen und sich auf die wesentlich mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag verbundenen Aufgaben zu konzentrieren. Die EKD sieht, wie in den folgenden Punkten dargelegt, hierzu noch weiteren Diskussionsbedarf. Denn in welche Richtung eine Profilschärfung erfolgen soll, welche Aufgaben intrinsisch zu erfüllen sind und wie am Ende die meist immer noch zu knapp erscheinenden Ressourcen gerecht und klug verteilt werden sollen, lässt sich stets auch unterschiedlich beantworten.
2. Dialog mit und Haltung in der Gesellschaft
- Der Entwurf des neuen Medienstaatsvertrags fordert einen intensiveren Dialog des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks mit der Gesellschaft als Ganzer wie mit den Nutzer:innen. Zur Bewältigung der Herausforderung, das Vertrauen der Gesellschaft in den ÖRR zu stärken oder insbesondere in manchen Teilen der Gesellschaft zurückzugewinnen, wird mehr Dialog notwendig sein.
- Die EKD unterstützt die Vorhaben, die Breite der Gesellschaft einzubeziehen und ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. Mit dieser wichtigen Tendenz zu Dialog und Partizipation wächst umgekehrt die mediale Aufgabe, Wissen zu vermitteln, Meinungen einzuordnen und als sinnvolle wie notwendige Grenzen jeden Dialogs die Grundpfeiler der freiheitlichen Demokratie zu markieren. Aus christlichem Verständnis sollte der ÖRR besonders dort sensibel sein und offenlegen, wo Meinungskorridore sich – gerade in Krisenzeiten – zu Ungunsten von gesellschaftlich benachteiligten Gruppen verschieben.
3. Bedarfsorientierung und Bildungsauftrag
- Der schrittweise Übergang zur Digitalisierung der Programme ist sinnvoll und notwendig, da dieser Weg dem Nutzungsverhalten von immer mehr und gerade den jüngeren Zielgruppen entspricht. Besonders für die Übergangsphasen sollten auch noch jene gesellschaftlichen Gruppen im Blick bleiben, die aus unterschiedlichen Gründen, wie Kindheit, Alter oder bestimmte Behinderungen, (noch) keine digital natives sind und dem Transformationsprozess möglicherweise etwas langsamer oder auf andere Weise folgen. Barrierefreiheit der Angebote ist stets mit zu bedenken.
- Nicht nur im Blick auf die genannten Zielgruppen sieht die EKD in der sich immer weiter ausdifferenzierenden Medienlandschaft eine immer stärkere Notwendigkeit, Medienkompetenzen zu vermitteln. Diese Vermittlung kann und sollte der ÖRR in besonderer Weise leisten.
- Die Fortentwicklung der Angebote „stetig entlang gesellschaftlicher Bedarfe und konkreter Bedürfnisse“ der Nutzer:innen erscheint als wichtig und sinnvoll, wenn sie, wie im Entwurf des Medienstaatsvertrags intoniert, durch die Hervorhebung des Bildungsauftrags des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks flankiert wird.
4. Verschlankung der Senderlandschaft und Stärkung von Schwerpunkten
- Durch die Intensivierung der Kooperation zwischen ARD, ZDF und Deutschlandradio können Ressourcen für zukunftsweisende Projekte frei werden. Auch eine Verschlankung der Senderlandschaft aus Kostengründen erscheint als je für sich betrachtet gewiss oft schmerzhafte, aber kaum zu umgehende Maßnahme. Dass vor allem die Informations-, Nachrichten- und Bildungskanäle in den Fokus geraten, ist aus protestantischer Sicht schwer nachzuvollziehen.
- Die EKD befürwortet den Erhalt von mehreren Sendern für die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen. Vor dem Hintergrund der Chancen, die Sozialisation von jungen Nutzer:innen begleiten zu können, lässt sich durchaus anfragen, warum der ÖRR bei der existierenden großen Anzahl deutschlandweit keine einzige Radiowelle für Kinder anbietet.
- 3sat und arte unter das „Verschlankungs“-Kriterium fallen zu lassen, erscheint zu kurzschlüssig. In Zeiten sich verflüssigender gesellschaftlicher Orientierung braucht es eher mehr, denn weniger Kultur. Aus evangelischer Sicht sollte die öffentlich-rechtliche Medienlandschaft gerade in Krisenzeiten der Kultur als gesellschaftlichem (Frei-)Raum für Resonanz, Kritik und Diskurs, eine starke Rolle einräumen.
5. Gestaltungsbedingungen und Aufsicht
- Reformen bedürfen einer gesicherten Finanzierung. Ohne die Umsetzung der aktuellen KEF-Empfehlung steht eine Unterfinanzierung des ÖRR in Aussicht. Die EKD bittet die Länder dringlich, ihren eigenen staatsvertraglichen Verfahren gemäß zu handeln und den Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag entsprechend der KEF-Empfehlung anzupassen.
- Aus Sicht der EKD erscheint die Zuordnung der Aufsichtszuständigkeiten für Gemeinschaftsangebote und -aufgaben an die jeweiligen Gremien der Federführer und des amtierenden ARD-Vorsitzes als fragwürdige Maßnahme. Es ist kein Fortschritt darin zu erkennen, die bisher fachlich kompetenten Aufsichten durch zweijährlich wechselnde, inhaltlich weniger spezifisch kompetente Aufsichten zu ersetzen.
- Die Diskussion um die Presseähnlichkeit muss berücksichtigen, dass die Sender im Zuge der Digitalisierung größere Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten benötigen. Ihre Informationskompetenz muss auch online in den sozialen Medien gestaltet werden können. Da aus protestantischer Sicht die qualitativ hochwertige Information der Gesellschaft im Zentrum stehen muss, wäre eine Verschärfung der Regelungen zur Presseähnlichkeit kontraproduktiv.
- Mit dem neuen Medienrat soll ein den Sendern übergeordnetes Gremium geschaffen werden, dass die Veränderungsprozesse begleitet und kontrolliert. Nicht hinreichend geklärt erscheint erstens die Verhältnisbestimmung zu den jeweiligen Rundfunkräten der Sender sowie eine konkrete Beschreibung der Befugnisse und Kompetenzen. Dringend zu vermeiden sind neue, ineffiziente Doppelstrukturen. Zweitens bräuchte es neben der verlangten nachgewiesenen Expertise der Mitglieder eines neuen Medienrates auch eine Präzisierung zur durchaus relevanten fachlichen Breite in der Besetzung.
Stefanie Schardien
Medienbeauftragte des Rates der EKD und der Vereinigung ev. Freikirchen