Mit Spannungen leben

Anmerkungen

1) Anders argumentieren Texte, die aus dem Angeborensein einer sexuellen Neigung deren Gottgewolltheit ableiten. Dazu tendieren nicht nur eine Reihe neuerer Stellungnahmen, sondern z.B. auch die Apologie zu CA 23 (BSLK 336,12 - 337,12).

2) Die generelle Rede von "homosexuell liebenden Menschen" (so z.B. in dem Arbeitspapier für rheinische Gemeinden und Kirchenkreise aus dem Jahr 1992, das den Titel "Homosexuelle Liebe" trägt) ist irreführend, weil sie suggeriert, homosexuell lebende Menschen seien eo ipso homosexuell liebende Menschen.

3) Allerdings ist zu bedenken, daß es in Röm 1,26 heißt, Gott habe die Menschen "dahingegeben in schändliche Leidenschaften". Es handelt sich also bei Paulus nicht um eine willentliche Entscheidung für die Homosexualität, sondern um eine nach Gottes Willen sich ergebende Konsequenz der ursprünglichen Vertauschung von Schöpfer und Geschöpf.

4) Darauf weisen unter den Kommentatoren vor allem R. Pesch (Römerbrief, Würzburg 1983, S. 29f.) und W. Schmithals (Der Römerbrief, Gütersloh 1988, S. 81) hin.

5) Eine Analogie zu dieser Spannung liegt vor in dem Jesus-Wort aus Mk 10,5-9, das sich auf die Ehescheidung und auf die Ausstellung eines Scheidebriefs bezieht. Danach läßt sich sagen: Ehescheidung entspricht nicht dem Willen Gottes, aber unter den Bedingungen der "Herzenshärtigkeit", aufgrund deren es zu Ehescheidungen kommt, entspricht es dem Willen Gottes, daß auch eine Scheidung ethisch verantwortlich gestaltet wird. Um mehr als eine Analogie handelt es sich freilich nicht; dazu sind Ehescheidung und Homosexualität zu sehr voneinander unterschieden.

6) Indirekte Bezüge gibt es aber einerseits in der Apologie zu CA 23, die von "der unordentlichen Brunst, die da sundlich ist" im Gegensatz zu der natürlichen, angeborenen Neigung zwischen Mann und Frau spricht (BSLK 336,18-30), und andererseits im Heidelberger Katechismus, der in der Antwort auf Frage 108 auf Lev 18,27ff. verweist, das sich seinerseits auch auf homosexuelle Praxis bezieht.

7) BSLK 612,23-31, ähnlich in der Apologie zu CA 13 (BSLK 294,14-21); wesentlich knapper in CA 16: "Ehestand ... als wahrhaftige Gottesordnung" (BSLK 71,15ff.).

8) BSLK 528,6f.

9) So auch in abgeschwächter Form BSLK 294,18-32.

10) BSLK 612,38-41.

11) BSLK 613,37-44. Ebenso nennt die Apologie zu CA 23 (unter Berufung auf Mt 19,11f.) die Befähigung zur dauerhaften sexuellen Enthaltsamkeit "ein besonder hohe Gottesgabe" (BSLK 337,28f.). Kritisch ist hierzu anzumerken, daß in der Qualifizierung der Enthaltsamkeit als einer "hohen" Gabe eine Höherwertung der zölibatären gegenüber der partnerschaftlichen Lebensform zum Ausdruck kommen könnte, die von der Reformation grundsätzlich in Frage gestellt und überwunden wurde. Eine "besondere", nämlich spezielle Gabe ist die Befähigung zur sexuellen Enthaltsamkeit aber gewiß.

12) S. dazu: "Frauen-Leben". Positionspapier der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland zu Lebensformen von Frauen im "Internationalen Jahr der Familie", Juni 1994, sowie: Diskussionspapier. Begleitende theologische Überlegungen zu "Frauen-Leben", August 1995; "ZUSAMMEN LEBEN". 15 Thesen zur Situation von Familie und familialen Lebensformen, vorgelegt von der Arbeitsgruppe "Familie" im Verbund Bildung und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Januar 1994; nordelbisches frauenwerk: Stellungnahme der Nordelbischen Arbeitsgemeinschaft für Frauenarbeit zum Thema Lebensformen, März 1995.

13) Denn nur mit Hilfe dieser Unterscheidung kann gesagt werden, daß nicht gute Werke oder ein geistlicher Stand einen Menschen gut oder fromm machen und daß Gott den Sünder liebt, aber die Sünde haßt. Das heißt, ohne die Unterscheidung zwischen der Beurteilung einer Form des Zusammenlebens (oder eines Werkes) und der Beurteilung eines Menschen, der in ihr lebt (oder es tut), läßt sich der entscheidende Inhalt des Evangeliums gar nicht aussprechen.

14) Generativität kann in einem engeren oder weiteren Sinne verstanden werden. Im engeren Sinn umfaßt sie nur die (biologische) Fortpflanzungsfähigkeit, im weiteren schließt sie auch Erziehung und Bildung mit ein. Dieser weitere Begriff, der beides umfaßt, ist im Blick auf die menschliche Generativität der angemessene.

15) Die durch Öffentlichkeit und bindende Rechtsbeziehungen bestimmte geltende Rechtsform der Ehe bietet geeignete Grundlagen für Verbindlichkeit und Verläßlichkeit.

16) Eine Ausnahme von dieser Regel bilden die Fälle, in denen der Partner vor der Eheschließung die Situation und dieses Motiv kannte und trotzdem seine Einwilligung zur Ehe gab. Hier handelt es sich dann wohl in der Regel "nur" um einen Mißbrauch der Ehe.

17) Mt 19,11f.; I Kor 7,7; der Große Katechismus (BSLK 613,42f.) und die Apologie zu CA 23 (BSLK 337,25-30). Vgl. dazu Abschn. 3.1.2.

18) Das Sich-Nicht-Enthalten-Können darf nach christlichem Verständnis freilich auch für heterosexuelle Menschen nicht der Grund sein, warum sie eine Ehe eingehen - obwohl Paulus und die Reformatoren dieser Begründung nahekommen.

19) Einen Beitrag zur Differenzierung könnte folgende Aussage von U. Eibach leisten: "Beachtet werden sollte auch - nicht zuletzt für die Erziehung -, daß selbst genetische Dispositionen von Gefühlen und Verhalten in der Pubertäts- und Jugendzeit eine hohe Plastizität zeigen, so daß es einerseits möglich ist, daß sich homosexuelle Neigungen durch homosexuelles Verhalten verfestigen, andererseits aber homosexuelle Neigungen auch so zu beeinflussen sind, daß eine Orientierung zum anderen Geschlecht hin möglich wird. Dennoch kann nicht ernsthaft behauptet werden, daß allen homosexuell geprägten Menschen die Tür zu einer Veränderung offen steht. Der Therapie wie erst recht der Seelsorge sind hier deutliche Grenzen gesetzt." (Homosexualität und Kirche, in: Theologische Beiträge 25/1994, S. 196).

20) In diese Richtung weist auch die Stellungnahme, die die Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Synode in Bayern 1993 mit großer Mehrheit verabschiedet hat. Dort heißt es: "Wir bitten die Glieder unserer Kirche, den homophilen Menschen in der christlichen Gemeinde unvoreingenommen, mit Verständnis und Offenheit zu begegnen ..."

21) Im Interesse einer gut lesbaren Form ist weitgehend auf "frauengerechte Sprache" verzichtet und die traditionelle Sprachform beibehalten worden.

22) Vgl. hierzu H. Ringeling, Homosexualität als Frage kirchlichen Handelns, in: ZEE 38/1994, S.163-167.

23) Die mehrfache Nennung der "offiziellen" Praxis ist zu verstehen als kritischer Hinweis auf all das, was inoffiziell zugelassen, geduldet oder auch empfohlen wurde und in Vergangenheit und Gegenwart oft zu unerträglichen Situationen geführt hat.

24) Hierzu sei verwiesen auf das Votum des Theologischen Ausschusses der Arnholdshainer Konferenz "Gottes Segen und die Segenshandlungen der Kirche", Neukirchen 1995, das in differenzierter Form zu den Grundfragen von Segen und Segenshandlungen sowie zu der aktuellen Frage der "Segnung bei einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft" (S.18 und 70ff.) Stellung nimmt. Ein Teil der folgenden Ausführungen ist wörtlich, anderes sinngemäß diesem Votum entnommen.

25) A.a.O. S.57. 26) Deswegen ist es ein schwerwiegender Vorwurf, wenn gesagt werden kann, die Kirche habe eigenmächtig und in Widerspruch zu dem aus der Bibel erkennbaren Willen Gottes Menschen, Dinge oder Vorhaben gesegnet. (zurück zum Text)

27) A.a.O. (s.o. Anmerkung 24), S. 27.