Sterbebegleitung statt aktiver Sterbehilfe
2.10 Kundgebung der 9. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland
Die Evangelische Kirche tritt ein für die Anerkennung und den Schutz der Würde jedes Menschen in der ganzen Spanne seines Lebens – vom Anfang bis zum Ende. Das schließt die nachdrückliche Bejahung medizinischer Forschung, ärztlicher Hilfe, technischer Weiterentwicklung und gesellschaftlicher Reformen ein, die der Minderung oder Vermeidung von unnötigem Leiden, der Suche nach neuen Heilungsmöglichkeiten und der Verbesserung der menschlichen Lebensqualität dienen. Abzulehnen sind aber alle Methoden der Forschung oder Therapie, durch die Menschen bloß als Mittel für die Heilungschancen anderer Menschen gebraucht werden. Jedes „Ethos des Heilens“ muss um seine Grenzen wissen, um menschlich zu bleiben. Das schließt die Einsicht ein, dass Krankheit, Sterblichkeit und Tod zum Menschsein gehören. Es ist ein wesentlicher Teil des dem Menschen aufgegebenen Reifungsprozesses, die eigene Endlichkeit anzunehmen, mit ihr zu leben – und zu sterben. Menschen haben einen Anspruch auf medizinische Hilfe und Beistand in der Situation der Krankheit und beim Sterben; ein Recht, von Krankheit oder vom Tod verschont zu bleiben oder befreit zu werden, gibt es freilich nicht.
Die dem Menschen von Gott zugesprochene Würde verschwindet nicht im Augenblick des Todes, aber sie wandelt sich. Sie wird zum Anspruch auf Respekt, der auch den Verstorbenen gebührt. Die sich verändernden Formen der Bestattungskultur müssen daraufhin geprüft werden, ob sie diesem Respekt und den Bedürfnissen der Trauernden Rechnung tragen. Aus kirchlicher Sicht ist in Erinnerung zu rufen, dass die Toten nicht aus dem Herrschaftsbereich Gottes herausfallen, sondern an ihm Anteil haben. Die kirchliche Bestattung und die Begleitung der Hinterbliebenen kann dem so Ausdruck geben, dass der Abschied eine rituelle Form erhält, die Trauer einen Ort findet, Lebende und Tote in der Hoffnung auf Gottes Ewigkeit miteinander verbunden bleiben.
Die Evangelische Kirche versteht die Diskussion über Sterbehilfe und Euthanasie als Herausforderung. Sie nimmt die Ängste vieler Menschen vor einem qualvollen, einsamen Sterben und vor einem wehrlosen Ausgeliefertsein an sinnlos gewordene Maßnahmen der Lebensverlängerung ernst. Die Hospizbewegung sowie die Intensivierung der schmerzlindernden und auf Versorgung konzentrierten Medizin (Palliativmedizin) müssen nachdrücklich unterstützt und gefördert werden, denn sie leisten einen wesentlichen Beitrag zur Ermöglichung menschenwürdigen Sterbens. Dazu gehört auch die ärztliche Weisheit, die erkennt, wann es geboten ist, im Einvernehmen mit Patienten und Angehörigen auf medizinisch noch mögliche Maßnahmen zur Lebensverlängerung zu verzichten oder solche Maßnahmen abzubrechen (passive Sterbehilfe). Voraussetzung hierfür ist stets, dass die Situation des Wartens auf den Tod gewahrt bleibt und nicht durch das eigenmächtige Verfügen über den Todeszeitpunkt ersetzt wird. Durch die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe und der Tötung auf Verlangen würde ein solches Verfügungsrecht in unserer Gesellschaft etabliert. Das würde unsere Gesellschaft und ihre Einstellung zu Leben und Tod in tiefgreifender, problematischer Weise verändern. Denn damit entstünde nicht nur der offenkundige Rechtsanspruch von Sterbenden auf vorzeitige Beendigung ihres Lebens durch fremde Hand, sondern es entstünde auch der verdeckte Anspruch an Sterbende, von diesem Recht Gebrauch zu machen, sobald sie den Eindruck bekommen, ihrer Umgebung zur Last zu fallen. Sterbende brauchen keinen „Gnadentod“, sondern geduldige, gütige, verlässliche Begleitung.