Studie zu Austrittsgründen

EKD veröffentlicht Mitgliederstatistik 2021 und Studie zu Austrittsgründen: Fehlende Mitgliederbindung wiegt schwerer als konkrete Anlässe

Das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD (SI) hat in einer bundesweiten Repräsentativbefragung Wege und Anlässe für Kirchenaustritte seit 2018 untersucht.

Kirchenaustritte seit 2018 – Wege und Anlässe
Ergebnisse einer bundesweiten Repräsentativbefragung

Bestandteile der Untersuchung

  1. Qualitative Teilstudie (Fokusgruppen)
     
  2. Bundesweite Repräsentativbefragung von insgesamt 1.500 Personen, die aus der evangelischen oder katholischen Kirche austreten sind
    • 1.000 Befragte mit Austritt seit 2018
    • 500 Befragte mit Austritt vor 2018
       

Thema: Vor dem Hintergrund der Austrittsspitze 2019 sollte u. a. die Bedeutung konkreter Anlässe für die Austrittsentscheidung eruiert werden.
 

Qualitative Teilstudie

In den Fokusgruppen mit vormals Evangelischen (Austritt seit 2018) zeigt das Gesamtbild, dass sich der „Kirchenaustritt als Prozess“ vollzieht. Bereits die Kindheit war durch ein eher kirchenfernes Elternhaus und sporadischen Kontakt zur Kirche geprägt; zumeist nachhaltig eingebrochen ist der Kontakt nach der Konfirmation. Austrittsanlässe werden kaum angeführt, sie dienen eher als Beispiele für eine zunehmende Distanzierung von der Kirche.

Repräsentativbefragung: Ergebnisse für die seit 2018 Ausgetretenen

Nur eine Minderheit benennt einen konkreten Anlass für den Kirchenaustritt (24 % vormals Evangelische, 37 % vormals Katholische). Dabei zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang mit dem Alter: Jüngere Befragte veranschlagen konkrete Anlässe seltener als Ältere, und sie geben häufiger an, diesen Schritt schon länger entschieden zu haben, fast ein Fünftel unter ihnen nutzt eine sich ergebende „gute Gelegenheit“. 

Grafik Anlass Kirchenaustritt

Konkrete Anlässe für Kirchenaustritte

Unter den konkreten Anlässen stehen die kirchlichen Skandale zur sexualisierten Gewalt an Kindern („Kindesmissbrauch“) und die Verschwendung finanzieller Mittel an vorderster Stelle;  bei den vormals Katholischen zählt auch die Ablehnung von Homosexuellen dazu. Zugleich lässt sich an der überaus hohen Zahl ihrer Nennungen – bis zu vier Fünftel derjenigen, die einen konkreten Anlass genannt haben – eine Aufgeregtheit über diese Skandale ablesen, die bei den vormals Evangelischen (max. zwei Fünftel) kaum zu erkennen ist. Unterstrichen wird dies dadurch, dass die Nennung von Skandalen bei den vormals Katholischen mit einer stärkeren kirchlichen Verbundenheit zur Zeit des Kirchenaustritts einhergeht, bei den vormals Evangelischen dienen Skandale den besonders ‚Kirchenfernen‘ offenbar eher zur Untermauerung der Austrittsentscheidung.

Grafik Anlässe Kirchenaustritte

„Versagen“ der Institution

Es ist davon auszugehen, dass die Skandale zur Austrittsspitze 2019 beigetragen haben, insbesondere bei den vormals Katholischen. Es zeigt sich aber auch ein anhaltender Trend zu einem höheren Niveau der Kirchenaustritte, bezogen auf die Zahl der Kirchenmitglieder.

Bei den weiterreichenden Gründen für den Kirchenaustritt kristallisiert sich die persönliche Irrelevanz von (christlicher) Religion und Kirche als eine offenbar überdauernde Dimension heraus. Sie trifft bei vormals Evangelischen und Katholischen gleichermaßen auf deutlich überwiegende Zustimmung. In besonderer Klarheit ist in dieser Dimension bei den vormals Evangelischen auch die Ersparnis der Kirchensteuer angesiedelt, die mit 71 % zustimmenden Voten die Rangfolge der Gründe anführt. Damit bestätigt sich die geläufige Figur der „Kosten-Nutzen-Abwägungen“ zur Kirchenmitgliedschaft, die bei fehlender religiös-kirchlicher (Ein-)Bindung die Kirchensteuer als Kostenseite bewusst werden lässt und den Austritt wahrscheinlich(er) macht. Auch in diesem Zusammenhang erweist sich das Alter als wichtiger Faktor: Jüngere stimmen den Aussagen dieser Dimension wesentlich häufiger zu als Ältere.

In einer weiteren Dimension sind Austrittsgründe miteinander verbunden, die sich als Versagen der Kirche kennzeichnen lassen, das sich sowohl auf ihren eigenen Anspruch als auch auf den Umgang mit den gesellschaftlichen Anforderungen bezieht. Bei dieser Kombination fallen die Zustimmungen bei den vormals Katholischen besonders hoch aus: die Unglaubwürdigkeit der Kirche (85 %), gefolgt von der mangelnden bzw. fehlenden Gleichstellung der Frauen sowie einer Ausrichtung an Werten, die an den Gegebenheiten in der modernen Gesellschaft vorbeiläuft.
 

Kosten-Nutzen-Abwägung und primäre Sozialisation

Bei den konkreteren Fragen zur Einordnung der Kirchensteuer zeigt sich, dass finanzielle Ausgangspunkte sehr weit hinter generalisierenden Einschätzungen zurückstehen, in denen die Kirchensteuer als Zwangsabgabe bezeichnet oder die fehlende Transparenz der Mittelverwendung kritisiert wird. Mit 55 % (vormals Evangelische) bzw.62 % (vormals Katholische) haben auch Kosten-Nutzen-Abwägungen einen hohen Stellenwert. Eine zeitweise Verminderung/Aussetzung der Kirchensteuer hätte ihren Austrittsentschluss jedoch kaum verhindern können.

Die primäre Sozialisation erweist sich als wichtiger Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung der persönlichen Beziehung zu Kirche und Glauben, insbesondere für die vormals Evangelischen, bei denen der zunehmende Bedeutungsverlust eines religiösen Selbstverständnisses über die Generationenfolge hinweg sichtbar wird. Zwar lässt sich dieser Trend bei den vormals Katholischen ebenfalls erkennen, doch scheint sich bei ihnen ein regelrechter Bruch vollzogen zu haben: Trotz religiöser Erziehung haben sie den Entschluss zum Kirchenaustritt umgesetzt und unterscheiden sich in ihrem aktuellen Selbstbild, in dem die Einstufung als kaum oder überhaupt nicht religiös dominiert, nur noch wenig von den vormals Evangelischen.

Grafik Generationsfolge
Petra-Angela Ahrens

Kirchenaustritte seit 2018: Wege und Anlässe Ergebnisse einer bundesweiten Repräsentativbefragung.
Petra-Angela Ahrens 

 

Über das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD (SI)

Das SI ist am 1. Oktober 2004 aus der Zusammenführung des Sozialwissenschaftlichen Instituts in Bochum mit dem Pastoralsoziologischen Institut der Landeskirche Hannovers hervorgegangen.

Das SI begleitet und kommentiert aktuelle Entwicklungen in Kirche und Gesellschaft und es forscht, publiziert und referiert über Gegenwart und Zukunft sozialer Gerechtigkeit, wobei Perspektiven von Kirche und Religion in der Gesellschaft beleuchtet werden. Weiteres unter https://www.siekd.de.

Kirchenaustritte seit 2018 – Wege und Anlässe
Ergebnisse einer bundesweiten Repräsentativbefragung

Cover der Si-Studie

Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD zu Austrittsgründen

Kirchenaustritte seit 2018 – Wege und Anlässe
Ergebnisse einer bundesweiten Repräsentativbefragung

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