Zur Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf
IV. Mitgeschöpfliches Verhalten konkret
(20) In den vorausgegangenen drei Teilen sind die Grundsätze und Ziele in der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf diskutiert worden. Die Schwierigkeiten, die sich bei der konkreten Umsetzung der Grundsätze und Ziele einstellen, wurden allenfalls angedeutet. Um diese Konkretisierung soll es im folgenden gehen. Dazu werden einige ausgewählte Konfliktfelder thematisiert.
(21) Von Anfang an ist bei der konkreten Umsetzung der Grundsätze und Ziele darauf zu achten, daß die Forderung nach Barmherzigkeit, Humanität und Gerechtigkeit gegenüber den Tieren nicht genau in dem Augenblick aufgegeben wird, wo sie Veränderungen im vorfindlichen Mensch-Tier-Verhältnis nach sich zieht. Es darf nicht sein, daß die Grundsätze und Ziele auf ein Podest von Denkschriften oder feiertäglichen Erklärungen gestellt werden, auf dem Boden des alltäglichen Handelns aber ein kompromißlerisches Sich-Arrangieren mit den gegenwärtigen Verhältnissen Platz greift. Minimierung von Gewalt ist als Leitlinie nur dann annehmbar, wenn dabei nicht untragbare Zustände in bedauerliche Notwendigkeiten umformuliert und Halbheiten, mit denen man bequem leben kann, schon als Lösungen ausgegeben werden. Es ist nicht Sache der Kirche, die christliche Ethik dahingehend zu prüfen und anzupassen, wie sie mit der menschlichen Schwäche und Bequemlichkeit verträglich ist.
(22) Quantifizierende Fragen sind legitim und wichtig: Wieviel Bewegungsraum ist für eine artgerechte Haltung erforderlich? Auch: Welche Kosten verursacht eine bestimmte Anforderung? Aber Tierschutz läßt sich, wenn er denn tatsächlich "aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden ... schützen" soll (Tierschutzgesetz § 1), nicht mit quantifizierenden Kategorien allein erreichen. Er erfordert vielmehr die Bereitschaft, sich der Infragestellung der Qualität des üblich gewordenen Umgangs mit den Tieren zu öffnen und, wo sie sich als unausweichlich aufdrängen, die nötigen, vielleicht schmerzlichen Konsequenzen zu ziehen.
(23) Barmherzigkeit, Humanität und Gerechtigkeit sind unteilbar. Wird eingeschärft, daß sie das Verhältnis zum Tier bestimmen sollen, so ist zugleich daran zu erinnern, daß sie auch gegenüber den Menschen gelten, die - aus welchen Gründen auch immer - die Nutzung von Tieren beruflich betreiben. Für das zum Teil skandalöse Ungenügen des Tierschutzes tragen im allgemeinen und in erster Linie nicht die Angehörigen der mit der Tiernutzung befaßten Berufe Verantwortung, sondern die Lebensweise der gesamten Gesellschaft. Sie verlangt, was in Barmherzigkeit, Humanität und Gerechtigkeit gegenüber den Tieren gar nicht erreicht werden kann. Ein bestimmtes Produkt möglichst billig haben zu wollen, aber die Erzeugungsweise zu verurteilen ist töricht und unfair. Überdies haben nur wenige Tierhalter oder Experimentatoren in ihrer Berufsausbildung Überlegungen zur moralischen Vertretbarkeit ihres Handelns anzustellen brauchen. Tierethische Fragen müssen aber ein integraler Bestandteil aller auf die Nutzung von Tieren abgestellten Ausbildungsgänge werden.
(24) Die Unteilbarkeit der Ethik verlangt im übrigen auch, im Eintreten für den verbesserten Schutz von Tieren alle Mittel und Wege auszuschließen, die unter ethischen Gesichtspunkten ihrerseits fragwürdig oder offenkundig unvertretbar sind. Wer einen weitergehenden Tierschutz will und sich dabei auf ethische Forderungen beruft, muß auch bei der Wahl seiner eigenen Mittel ethische Maßstäbe anlegen und gegenüber seinen Konfliktpartnern auf unfaire Methoden wie Unterstellungen, Pauschalverurteilungen oder militantes Vorgehen verzichten. Selbst das persönliche Versagen von Menschen, für die Mitgeschöpflichkeit ein Fremdwort ist, gibt Tierschützern nicht das Recht, nun ihrerseits die Mitmenschlichkeit aus ihrem Wortschatz zu streichen.
1. Schlachtung
(25) Die Schlachtung von Tieren zum Zwecke der menschlichen Ernährung ist der am meisten verbreitete Ausdruck des Gewaltverhältnisses zwischen Mensch und Tier und stellt darum für die Förderung mitgeschöpflichen Verhaltens das schärfste Problem dar. Jährlich werden in der alten Bundesrepublik Deutschland pro Kopf der Bevölkerung ca. 100 kg Fleisch, davon etwa 21 kg vom Rind, 60 kg vom Schwein und 7,5 kg Geflügel, verbraucht; dies bedeutet, daß im Jahr rund 45 Millionen Großtiere, insbesondere Schweine, Rinder, Kälber und Schafe, dazu 303 Millionen Hühner, Enten, Gänse und Puten für den menschlichen Verzehr produziert und geschlachtet werden. Prinzipiell läßt sich auf der Basis der in Teil II entfalteten Überlegungen gegen die Tötung von Tieren zum Zwecke der menschlichen Ernährung nichts einwenden, und die große Mehrzahl der Menschen tut dies auch nicht. Die in Teil III dargestellte radikalere Position lehnt das Töten von Tieren ohne zwingende rechtfertigende Gründe jedoch grundsätzlich ab. Da jedenfalls für den gesunden Erwachsenen Fleisch nach heutigen ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen - solange andere eiweißliefernde Lebensmittel ausreichend vorhanden sind - für eine gesunde und vollständige Ernährung nicht nötig ist, gebe es keine ausreichende Legitimation, Tiere für Ernährungszwecke zu schlachten.
(26) Der Dissens in der prinzipiellen Frage bleibt bestehen. Jedoch ist das Maß an praktischer Übereinstimmung breiter, als der prinzipielle Dissens zunächst vermuten läßt:
Der heutige Fleischkonsum in Deutschland ist im Vergleich zu früheren Zuständen exzessiv. Dies hängt wesentlich auch damit zusammen, daß Fleischnahrung über lange Zeit ein Privileg der oberen Stände war und in der sozialgeschichtlichen Entwicklung nun für breitere Bevölkerungskreise zum Statussymbol wurde: An der täglichen Fleischmahlzeit zeigte sich, was man sich inzwischen ebenfalls leisten konnte. Diese soziale Indikatorenfunktion der Fleischnahrung ist eigentlich hinfällig, wirkt aber im praktischen Verhalten noch nach. Der ernährungswissenschaftliche Befund besagt nicht nur, daß jedenfalls im Blick auf den gesunden Erwachsenen für eine gesunde und vollständige Ernährung Fleisch nicht nötig ist; eine fleischarme Ernährung kann sogar risikoärmer und daher gesünder sein. Schon dies spricht für eine nachhaltige Reduzierung des heutigen Fleischkonsums.
Hinzu kommen die problematischen Umstände bei der Haltung (s. dazu den folgenden Abschnitt IV 2), dem Tiertransport und der Schlachtung, die sich als Folgeerscheinungen des hohen Fleischkonsums einstellen. Es ist etwas anderes, ob eine Familie - wie es früher nicht selten geschah - einige Tiere zur eigenen Versorgung hält und schlachtet oder ob der übermäßige Fleischkonsum einer Bevölkerung von 80 Millionen Menschen durch eine entsprechende industrielle Produktion befriedigt wird.
(27) Dies gilt insbesondere im Blick auf die Praxis in den Schlachthäusern. Sicher geht es heute dort nicht mehr so brutal zu wie früher oder wie in einigen anderen Ländern. Doch immer noch sind die Qualifizierungsanforderungen für Mitarbeiter in den Schlachthäusern zu gering. Der Druck kostengünstiger Leistung diktiert das Tempo des "Durchlaufs", und zwar auch bei der Betäubung. Sie müßte eigentlich besonders schonend und sorgfältig vorgenommen werden und verlangt ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und Präzision. Über längere Zeitabschnitte ist dies aber nicht durchzuhalten. "Pannen" sind bei der Arbeit in den Schlachthäusern unvermeidbar und gehen zulasten der Tiere. Das gilt besonders häufig für die vollautomatisierte Geflügelschlachtung.
(28) Bei der rituellen Schlachtung sollte zugunsten der Tiere bedacht werden, daß der Kern der religiösen Vorschriften nur verlangt, den Blutentzug am noch lebenden Tier vorzunehmen. Genau diese Forderung wird durch die Betäubung beim weiter schlagenden Herzen nicht in Frage gestellt. Eine solche Betrachtung findet schrittweise auch bei Juden und Moslems Zustimmung.
(29) Freilich blieben, selbst wenn in Bezug auf die Schlachtung den Mißständen abgeholfen werden könnte, immer noch die trotz formaler Schutzvorschriften beschämenden Zustände beim Transport lebender Tiere oft über mehrere Tage. Die Versuchung, beim Transport möglichst viele Tiere pro Raumeinheit unterzubringen und an den Betreuungskosten zu sparen, ist immer noch groß; denn die Kontrolle ist wenig effektiv, und bei "Verlusten" springt die Versicherung ein. All dies geschieht nicht etwa aus Not, sondern weil es wesentlich billiger ist, "lebende Ware" zu verschicken, als das Fleisch in Gefriercontainern zu liefern: Nichts hält Fleisch länger und billiger frisch als ein schlagendes Herz.
(30) Bei der Fleischproduktion bestimmt der Wettbewerbsdruck das Maß der den Tieren zugemuteten Leiden: Die große Mehrzahl der Verbraucher will möglichst billige Fleischerzeugnisse. Die Fleischwerbung hilft, die tatsächlichen Probleme und Mißstände zu verdrängen: Sie zeigt immer nur "glückliche" Rinder und Schweine. Auf der individuellen Handlungsebene sind Fleischverzicht oder Reduzierung des Fleischkonsums mögliche Beiträge zu einer Änderung der Verhältnisse - dies um so mehr, als bei wachsender Einsicht in die Mißstände heutiger Fleischproduktion der Fleischkonsum eben doch zu einer Gewissensbelastung wird. Auf der strukturellen Ebene können die Anforderungen an Haltung, Transport und Schlachtung der Tiere so verschärft werden, daß Fleisch erheblich teurer wird und der Preis in stärkerem Maße eine regulatorische Funktion erhält.
2. Nutztierhaltung
(31) Daß Menschen unter ethischen Gesichtspunkten das Recht haben, Tiere zu eigenem Nutzen zu halten, ist im Prinzip nicht strittig. Dies gilt jedenfalls für die Haltung von Milchvieh, von Legehühnern, von Wollschafen u.ä. (zur Frage von Schlachtvieh s. den vorangegangenen Abschnitt IV 1, zur Pelztierhaltung s. unten Abschnitt IV 6). Immerhin erinnert die Regelung im Sabbatgebot (2.Mose 20,10), wonach die Tiere an der Sabbatruhe der Menschen teilhaben sollen, daran, daß Nutztiere nicht ausschließlich unter dem Nutzengesichtspunkt betrachtet werden dürfen - als seien sie bloße Maschinen -, sondern Mitgeschöpfe sind und darum Anteil an Gottes gnädiger Einrichtung des Sabbat haben. Es genügt im Blick auf die Nutzung von Tieren nicht, Tierquälerei zu unterlassen; sie als Mitgeschöpf zu achten heißt, sich an ihrem Wohlbefinden zu freuen und es zu fördern. Schon die bloße Wahrscheinlichkeit haltungsbedingter Schmerzen oder Leiden macht schonendere Haltungsformen zur Pflicht. Daraus ergeben sich auch die Forderungen, die übliche Amputationspraxis weiter zu beschränken und das betäubungslose Kastrieren zu verbieten.
(32) Wie eine Haltung von Nutztieren, bei der sie als Mitgeschöpfe geachtet werden, in den verschiedenen Bereichen konkret aussehen muß, führt in zahlreiche kontroverse Einzelfragen. Dazu hat sich 1984 die im Anhang mit ihren einschlägigen Abschnitten abgedruckte Denkschrift "Landwirtschaft im Spannungsfeld" eingehend geäußert, so daß an dieser Stelle weitere Ausführungen nicht erforderlich sind. Die Probleme der Nutztierhaltung haben sich seit 1984 noch verschärft; dies wird vor allem an den verschiedenen Hormonmast-Skandalen in der alten Bundesrepublik Deutschland, bei denen freilich bezeichnenderweise nicht der Umgang mit den Tieren, sondern die gesundheitliche Gefährdung der Menschen durch den Fleischkonsum das Ärgernis ausgelöst hat, und an den großen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR fortbestehenden Tierproduktionsbetrieben mit Massentierhaltung deutlich.
3. Züchtung
(33) Die Züchtung ist eine besondere Form der Tiernutzung und darum prinzipiell nicht anders als die Tiernutzung im allgemeinen zu beurteilen: Hat der Mensch das Recht, Tiere zu nutzen, dann schließt dies ein, die Nutzung durch Züchtung zu verbessern. Doch sind dabei auch Grenzen zu beachten: Gesundheit und Wohlbefinden der Tiere dürfen nicht beeinträchtigt werden; die Erfordernisse des Lebensraums und der Lebensweise der betreffenden Art müssen berücksichtigt werden, die selbständige Lebensfähigkeit der Tiere, auch in natürlicher Umgebung, muß gewährleistet bleiben; die Artgrenze - soweit sie sich in der konventionellen Tierzüchtung überhaupt überspringen läßt - ist eine Mahnung zur Vorsicht. Diese Grenzmarkierungen gewinnen noch an Bedeutung angesichts der von der Gentechnik eröffneten neuen Möglichkeiten in der Tierzüchtung (s. dazu im Anhang den Auszug aus: "Einverständnis mit der Schöpfung").
4. Tierversuche
(34) Über keine Frage des Tierschutzes ist in den letzten Jahren so erbittert gestritten worden wie über die Tierversuche. Dies ist angesichts der Größenordnung des Problems nicht nur verständlich, sondern auch notwendig. Zum ersten Mal liegen aufgrund des neuen Tierschutzgesetzes auch amtliche Zahlen vor: Der Bericht der Bundesregierung nennt für das Jahr 1989 die Zahl von 2,64 Millionen Tieren, die in der alten Bundesrepublik Deutschland in genehmigungs- und anzeigepflichtigen Versuchen verwendet wurden; darin sind jedoch nicht enthalten alle Tiere, die zur Organentnahme, zu Ausbildungszwecken oder zur Gewinnung von Impfstoffen gebraucht wurden. Immerhin gibt es begründete Annahmen, daß die Zahl der Tierversuche insgesamt rückläufig ist - sicherlich auch ein Resultat der intensiven öffentlichen Auseinandersetzung über das Problem.
(35) Die Unterschiede, ja Gegensätze in den Auffassungen über Tierversuche lassen sich nicht vollständig ausräumen. Wer, wie es in Teil II geschieht, der Nutzung von Tieren bis hin zu ihrer Tötung durch die Menschen zustimmt, der wird sich prinzipiell auch nicht gegen Tierversuche wenden. Wer hingegen, wie es bei der in Teil III dargestellten weitergehenden Auffassung der Fall ist, die Rechtfertigungsgründe für die Tötung von Tieren sehr restriktiv faßt und die Tötung nur zur Abwehr von Gefahren und zur Deckung des elementaren Lebensbedarfs zuläßt, der wird Tierversuche nur in äußerst begrenztem Umfang oder überhaupt nicht akzeptieren. Bei Fortbestehen dieses Dissenses, auch in der Kirche, ist das Maß der Übereinstimmung gleichwohl groß:
(36) Die Zahl der Tierversuche muß so weit wie möglich gesenkt werden. Darum sind der Einsatz von Ersatzmethoden (wie Tests an Zellkulturen) und die Forschung an solchen Ersatzmethoden voranzutreiben. Vor allem müssen in der Genehmigungspraxis entschieden höhere Anforderungen an den Versuchszweck gestellt werden als bisher: Nach § 7 Abs. 3 des geltenden Tierschutzgesetzes ist bei einem Tierversuch zu prüfen, ob "die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schäden der Versuchstiere im Hinblick auf den Versuchszweck ethisch vertretbar sind"; die Erfahrung der ersten Jahre nach Inkrafttreten des novellierten Gesetzes hat gezeigt, daß bisher jedenfalls Tierversuche nur in ganz seltenen Ausnahmefällen aus ethischen Gründen abgelehnt werden.
(37) Schmerzen und Leiden müssen bei den Versuchstieren auf das unvermeidliche Maß eingeschränkt werden. Bei Tierversuchen werden immer noch zu viele und zu sensible Tiere eingesetzt; das Tierschutzgesetz und seine Handhabung haben diesen Mangel bisher nicht beseitigen können. Weiterhin müssen die in § 9 des Tierschutzgesetzes eingeräumten Ausnahmen, die Eingriffe an narkosefähigen und narkosebedürftigen Tieren auch ohne Betäubung zulassen, nicht nur strengstens begrenzt, sondern auch konsequent überwacht werden. Noch darüber hinaus geht die Forderung - die auch von Mitgliedern des Wissenschaftlichen Beirats vertreten wird -, daß überhaupt keine solchen Ausnahmen zugelassen werden dürfen.
Die Zufügung von Schmerzen und Leiden gegenüber einem Mitgeschöpf führt ohnehin in eine starke Spannung zu der grundsätzlichen Verpflichtung, barmherzig und human mit ihm umzugehen. So erklärt sich wohl auch eine verbreitete Neigung, die Schmerz- und Leidensfähigkeit bestimmter Tiere in Frage zu stellen oder nur eingeschränkt anzuerkennen. Doch eine bereits als wahrscheinlich anzunehmende Schmerz- und Leidensfähigkeit ist ethisch relevant.
5. Jagd
(38) Die Tätigkeit des Jägers hat eine lange kulturgeschichtliche Tradition. Sie bleibt auch unter den heutigen, veränderten Verhältnissen im Rahmen der Hege und Pflege von Wald und Flur notwendig und im Sinne der Nutzung des Wildtierbestandes für die menschliche Ernährung - jedenfalls für die meisten - ethisch vertretbar. Gesetzliche Vorschriften und Regelungen auf Verbandsebene sorgen bei der Ausübung der Jagd - wie entsprechend in anderen Bereichen des Umgangs mit Tieren - für Begrenzungen und Auflagen. Auch aus mitgeschöpflicher Sicht ist nichts dagegen einzuwenden, wenn der Jäger kranke, verletzte oder altersschwache Tiere waidgerecht tötet; sofern das Tier schon leidet, ist dies sogar ein Akt der Barmherzigkeit. Zum Schutz des Waldes und des biologischen Gleichgewichts hat der Mensch nach der Ausrottung von Bären und Wölfen kaum eine andere Wahl, als regulierend einzugreifen. Nicht zu vertreten ist es allerdings, diejenigen Tierarten, die als Jagdkonkurrenten verbleiben, systematisch zu verfolgen, um so den Regulierungsauftrag des Jägers möglichst ungeschmälert zu erhalten. Die Bedenken gegen die Tötung von Tieren zu Nahrungszwecken, wie sie in Abschnitt IV 1 wiedergegeben wurden, gelten entsprechend auch in diesem Zusammenhang.
(39) Die Jagd wird verbreitet auch als Freizeit- und Gesellschaftsvergnügen ausgeübt. Das Vergnügen an der Jagd entspringt tiefsitzenden menschlichen Verhaltensmustern. In ethischer Betrachtung stellt sich aber die Frage, ob der Mensch so bleiben soll, wie er ist, oder ob er sich im Sinne der Mitgeschöpflichkeit fortentwickeln, also verändern soll. Dabei geht es darum, ob das Töten von Tieren jemals eine Form der Vergnügung sein kann und sein darf, m.a.W. ob sich das Opfer tierischen Lebens mit dem menschlichen Wunsch nach Freizeit- und Gesellschaftsvergnügen rechtfertigen läßt. Diese Frage ist um so dringlicher, als die Teilnehmer an Jagdgesellschaften nicht immer die besten Schützen sind und Tieren unnötige Schmerzen und Leiden bereiten können. Die problematischen Erscheinungen der Jagd verbinden sich im wesentlichen mit ihrer Organisation als Freizeit- und Gesellschaftsvergnügen: Die Tierbestände werden durch besondere Maßnahmen wie etwa überhöhte Zusatzfütterungen "hochgehegt", um das lange und mühsame Ansitzen zu verkürzen; leergeschossene Reviere werden durch importierte Wildfänge aus anderen Ländern oder durch gezüchtete und kurzfristig ausgewilderte Tiere zur Jagdsaison "aufgefüllt"; der Anreiz, Rekorde und Trophäen zu sammeln, wird verstärkt. Ethisch ist damit die Aufgabe gestellt, die Freizeit- und Gesellschaftsaktivität der Jagd durch Formen der Vergnügung zu ersetzen, die nicht mit dem Töten von Tieren einhergehen.
6. Pelzgewinnung
(40) Wie die Jagd so hat auch die Gewinnung und Bearbeitung tierischer Pelze eine lange kulturgeschichtliche Tradition. Pelzbekleidung war in der Vergangenheit ein notwendiges Mittel, sich gegen Kälte zu schützen - in einigen begrenzten Kulturräumen ist sie das bis heute. Über Jahrzehnte war der Pelzmantel hierzulande ein unverdächtiges und weithin anerkanntes Statussymbol. Etwa seit Ende der 70er Jahre wird ein leidenschaftlicher und zum Teil militanter Streit um die Herstellung und die Benutzung von Pelzwaren ausgetragen. Es ist nur folgerichtig, daß diejenigen - auch im Wissenschaftlichen Beirat -, die das Töten von Tieren nur zur Abwehr von Gefahren und zur Deckung des elementaren Lebensbedarfs akzeptieren, der Pelzgewinnung ablehnend gegenüberstehen: Die Notwendigkeit, sich hierzulande ausgerechnet mit Hilfe von Pelzbekleidung gegen Kälte zu schützen, besteht nicht mehr; dennoch Pelzbekleidung zu tragen stelle unter diesen Umständen einen ethisch nicht zu rechtfertigenden Luxus dar. Dieses Urteil wird nicht von allen als zwingend angesehen. Freilich stellt sich bei der Gewinnung von Pelzbekleidung die Frage nach dem rechtfertigenden Grund für das Töten von Tieren mit besonderer Schärfe, so daß nicht ausgemacht ist, ob die radikale Position nicht eines Tages die herrschende sein wird.
(41) Einstweilen bleiben hier wie im Falle der Schlachtung und der Tierversuche Auffassungsunterschiede bestehen. Doch lassen sich auch Übereinstimmungen namhaft machen:
Die Pelzgewinnung darf nicht zur Ausrottung bedrohter Tierarten beitragen; diese Einsicht hat bereits zu staatlichen Export-/Import-Begrenzungen und -Verboten und zu freiwilligen Selbstbeschränkungen der einschlägigen Berufsverbände geführt; jedoch lassen sich Umgehungs- und Täuschungsmanöver nicht ausschließen, so daß persönlicher Verzicht und Teilnahme an Boykottmaßnahmen wichtige individuelle Handlungsmöglichkeiten bleiben. Die Nutzung tierischer Felle (und Häute) ist nicht als solche problematisch; wo Tiere aus anderen Gründen getötet werden (oder sterben), kann gegen die Verwendung ihrer Felle (und Häute) nichts eingewendet werden. Solange Tiere speziell zur Pelzgewinnung gezüchtet werden, kann dies nur toleriert werden, wenn artgerechte Haltung und eine schonende Tötung gewährleistet sind, was bis jetzt in der Regel noch nicht der Fall ist. Es ist nicht einzusehen, warum Säugetiere, wenn sie wirtschaftlich genutzt werden, wesentlich schlechter untergebracht werden dürfen als bei der Gehegehaltung im Zoo. Die Verteuerung der Pelztierhaltung ist ein erwünschter Nebeneffekt.
7. Delikatessen, Schmuck- und Modeartikel
(42) Die Herstellung einiger sogenannter Delikatessen - wie z.B. Gänsestopfleber oder Froschschenkel - ist mit Tierquälerei verbunden. Die menschliche Freude an einem besonderen Gaumengenuß kann aber tierquälerische Handlungen niemals rechtfertigen. Die Nutzung tierischer Stoffe verliert auch dann ihre Legitimität, wenn ihre Gewinnung das Weiterbestehen der betreffenden Art gefährdet. Dies gilt z.B. für Elfenbein- und Krokodillederprodukte. Gerade die Elfenbeinschnitzerei hat eine bis weit in das Altertum zurückreichende Tradition. Doch hat der Gesichtspunkt des Tier- und Artenschutzes unbedingten Vorrang vor kulturgeschichtlichen Traditionen.
8. Tötung von Tieren als Freizeitbeschäftigung
(43) Im Zusammenhang der Jagd ist bereits festgestellt worden: Jede Freizeitbeschäftigung, die mit dem Töten von Tieren einhergeht, setzt sich kritischen Rückfragen nach dem rechtfertigenden Grund für dieses Opfer tierischen Lebens aus. Ethisch ist die Aufgabe gestellt, den Wunsch nach Freizeitvergnügen auf eine andere Weise und mit anderen Aktivitäten zu befriedigen. Dies gilt auch für den Stierkampf oder das weitverbreitete Sportangeln. Daß Fische als kaltblütige Tiere schmerzunempfindlich seien, hat sich als höchst fragwürdige Annahme erwiesen. Daraus ergibt sich die Anfrage an die Sportangler, warum sie, anders als die Schützen, nur zu einem kleinen Teil den möglichen Weg der Sublimierung, d.h. der Umorientierung ihrer Aktivitäten gegangen sind; die große Mehrheit der Schützen schießt heute nicht mehr auf Lebewesen, sondern auf Papierscheiben oder Tontauben und trägt so auch ihre Wettkämpfe aus.
9. Heim- und Hobbytiere
(44) Heim- und Hobbytiere können eine Chance sein, Mitgeschöpflichkeit, also die mit einem Tier verbindenden emotionalen Kräfte, aber auch die Verantwortung für sein Wohlbefinden, konkret zu erleben. Häufiger Anlaß, ein Tier im Haus oder in die Familie aufzunehmen, ist das Drängen der Kinder. Gerade Kinder können an einem Tier innerhalb der Familie Freude an der und Verantwortung für die Schöpfung elementar erfahren. Aber die Eltern müssen bereit sein, die Folgen auf sich zu nehmen und einzuspringen, wenn ein Kind Fehler macht oder überfordert ist. Auch alte Menschen sollten Vorsorge für den Fall treffen, daß sie selbst nicht mehr in der Lage sind, ihr Tier zu betreuen. Verwerflich ist es, Tiere in der Urlaubszeit "freizulassen", d.h. einfach auszusetzen und einem oft schrecklichen Schicksal auszuliefern. Auch ohne böse Absicht können Tiere mißhandelt werden, wenn sie etwa artwidrig gehalten, die meiste Zeit allein gelassen oder falsch gefüttert werden.
10. Tierhandel
(45) Die Zahl der Heim- und Hobbytiere ist immer noch im Wachsen. Zählt man nur Hunde und Katzen, so liegt Frankreich mit 300 pro 1000 Einwohnern an der Spitze, die alte Bundesrepublik Deutschland mit 103 eher im Mittelfeld der europäischen Länder. Die Liebe zum Tier ist längst kommerzialisiert und als Wachstumsbranche erkannt worden, und zwar nicht nur beim Tierhandel selbst, sondern ebenso in den Zulieferbranchen für Tiernahrung, Käfige, Körbchen, Aquarien, Terrarien, Spielzeug, Dressurgerät, Reinigung, Kosmetik oder Literatur. Besondere Aufmerksamkeit erfordern die Umstände beim Transport der für den Handel bestimmten Tiere und die oft fragwürdigen, gelegentlich kriminellen Importpraktiken. Häufigere Kontrollen und spürbarere Sanktionen sollten dafür sorgen, daß die geltenden Bestimmungen in stärkerem Maße eingehalten werden.
11. Zoo- und Zirkustiere
(46) Die Haltung von Tieren im Zoo und ihre Dressur oder ihre Verwendung im Zirkus sind immer noch umstritten. Dabei muß durchaus anerkannt werden, daß die Einrichtung von Zoos den Zielen des Tier- und Artenschutzes insgesamt dienlich sein kann und daß eine Entwicklung zum Besseren - etwa von den höfischen Menagerien zu den weitläufigen, auf artgerechte Haltung ausgerichteten Tierparks - stattgefunden hat. Aber es gibt weiterhin artwidrige und insofern tierquälerische Haltung und Dressur: In der Absicht, möglichst viele Tiere zu zeigen, werden diese dann im Zoo auf zu engem Raum und unter Bedingungen gehalten, die den Tieren nicht ausreichend Bewegungs-, Kontakt- und Rückzugsmöglichkeiten bieten. Für Besucher ist wesentlich, die Tiere nicht zu reizen, nicht in Gefahr zu bringen und die Fütterungsvorschriften nicht zu mißachten. Im Zirkus ist die Unterbringung der Tiere in der Regel schlechter als im Zoo; aber sie stumpfen nicht ab, wenn einfühlsame Pfleger und Tierlehrer mit ihnen umgehen.
12. Wildtiere
(47) Für Tiere, die außerhalb der Obhut von Menschen leben, haben diese keine unmittelbare aktive Sorgepflicht. Aber die menschliche Zivilisation hat Auswirkungen auf das Leben der Wildtiere. In dieser Hinsicht bestehen sehr wohl Pflichten der Menschen: Sie haben alles zu meiden, was die Lebensräume und Lebensmöglichkeiten der Wildtiere zerstört oder beschädigt und die Artenvielfalt bedroht; sie haben darüber hinaus aktiv dazu beizutragen, daß die Lebensräume und Lebensmöglichkeiten der Wildtiere bewahrt und - wo nötig - wiederhergestellt werden und die Artenvielfalt erhalten bleibt. Insofern ist Tierschutz Teil des Arten- und Biotopschutzes. In dieser Beziehung kommt es zu ständigen Konflikten zwischen den Belangen des Tierschutzes und Nutzungsinteressen der Menschen. Das zeigt sich etwa schon daran, daß viele Freizeitaktivitäten - z.B. Surfen, Skifahren, Reiten, vor allem aber die an die Motorisierung geknüpften Betätigungen - die Lebensräume von Wildtieren in Anspruch nehmen und ihr Leben durch Unruhe, Lärm und Müll beeinträchtigen. Auch die Intensivierung der Flächennutzung und Verkehrswegeprojekte greifen massiv in die natürlichen Lebensräume ein. Hier sind komplexe Abwägungen erforderlich, für die angemessene Bewertungsmaßstäbe und auch nur ein befriedigendes Verfahren (z.B. unter Einschluß der Verbandsklage) bis heute nicht gefunden sind.
(48) Eine eigene Kategorie bilden verwilderte Tiere wie z.B. Stadttauben oder streunende Katzen. Schon der Verzicht auf gedankenlose Fütterung trägt dazu bei, die Bestände zu verkleinern. Übergroße Bestände müssen auf jeden Fall reduziert werden. Aber auch hier gilt die Pflicht, jede Grausamkeit zu vermeiden.