Was sind die Menschenrechte?
Gastbeitrag von Michael Windfuhr, Stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“ So beginnt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die 1948 in der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Menschenrechte sind die Garantie und Ausbuchstabierung der Menschenwürde. Die zentrale Botschaft ist klar: Alle, wirklich alle Menschen weltweit, sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Diese Grundabsicherung ist für jeden von uns so wichtig; wir sind gleichberechtigt wie wir auch sind, und wir sollen vor Willkür und Verfolgung geschützt sein. Der Staat muss dies anerkennen, achten und schützen. Das Grundgesetz formuliert entsprechend im ersten Artikel:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Menschenrechte sind historisch zunächst als Schutzinstrument gegen einen übermächtigen Staat erkämpft worden – in einer der ersten Formulierungen in der französischen Revolution gegen einen autoritären absolutistischen Staat, in der modernen Formulierung der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ als Reaktion auf die totale Negation der Menschenwürde durch das Nazi-Regime in Deutschland. Menschenrechte schützen die Würde jeder einzelnen Person gegen einem übermächtigen Staat, der foltert, Menschen verhaftet, verschwinden lässt, sie nicht ihre Religion ausüben lässt, ihre Freiheit der Rede einschränkt, sie diskriminiert wegen ihrer Herkunft, Hauptfarbe, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung etc., sie nicht arbeiten lässt, weil sie einer falschen Kaste angehören, oder weil sie politisch das Falsche denken und sagen, sie im Zugang zu Land oder Krediten schlechter stellt, weil sie dem falschen Geschlecht, der falschen Bevölkerungsgruppe angehören, der sie nicht schütz vor Übergriffen durch Dritte, aber auch vor der Gewalt zu Hause – sei es für Kinder oder für Frauen.
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte definiert Menschenwürde sowohl mit Blick auf die bürgerlichen und politischen Rechte, die freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Religionsfreiheit, wie auch mit Blick auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte. Denn ohne Zugang zu Bildung oder Gesundheitseinrichtungen gelingt eine Umsetzung der Menschenwürde kaum. Soziale Not kann die Freiheit zu einem selbstbestimmten Leben ebenso begrenzen, wie ein autoritärer Staat, der die freie Rede einschränkt und Andersdenkende verhaftet.
Die Menschenrechte begründen deshalb Ansprüche aller Menschen auf eine selbstbestimmte Lebensgestaltung, frei von Unterdrückung und Grausamkeiten, sozialer Not und Willkür, Exklusion und Ausbeutung. Staaten und die internationale Gemeinschaft haben die Verpflichtung, alle Menschenrechte
- zu achten: das heißt, nicht durch eigene Aktionen zu verletzen
- zu schützen: das heißt, sicherzustellen, dass nicht Dritte wie private Firmen oder andere nicht-staatliche Akteure diese verletzen
- und zu gewährleisten: das heißt, unter Einsatz des Maximums der verfügbaren Ressourcen sicherzustellen, dass die Rechte vor allem für besonders benachteiligte Gruppen umgesetzt werden.
Menschenrechte nehmen benachteiligte oder verletzliche Gruppen in den Blick
Basierend auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wurden zunächst die beiden zentralen Menschenrechtspakte entwickelt: Der Zivilpakt über bürgerlich und politische, sowie der Sozialpakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte. Diese sind seit 1976 in Kraft und schaffen auch bindende rechtliche Verpflichtungen für Deutschland. Die Vereinten Nationen haben darüber hinaus noch weitere Konventionen geschaffen, die besondere Themen und Herausforderungen im Menschenrechtsbereich regeln: Schutz vor rassistische Diskriminierung, Schutz vor Folter und gegen das Verschwindenlassen; oder Konventionen, die besonders auf die Schutzbedürfnisse von Gruppen eingehen, die oftmals besonders von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind: Frauen, Kinder, Menschen mit Behinderungen und Wanderarbeiter.
Menschenrechte nehmen vor allem besonders benachteiligte oder verletzliche Gruppen in den Blick. Jeder Mensch hat die gleiche Würde und staatliches Handeln darf gerade solche Menschen nicht schlechter stellen. Stattdessen muss es ihre Rechte in besonderer Weise schützen und fördern. Dies gilt für alle Bereiche nationaler und internationaler Politik: von der sozialen wie der wirtschaftlichen Ordnung und auch im Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, die in wachsendem Ausmaß die Umsetzung der Menschenrechte beeinträchtigen können.
Zentral für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte ist ganz oft auch der Einsatz von Menschen, die mithelfen, die Rechte von Anderen – möglicherweise derzeit gefährdeteren Menschen – zu verteidigen. Diese Formulierung ist gewählt, um gerade deutlich zu machen, dass jeder Mensch plötzlich im Leben Gefährdungen, Infragestellungen seines selbstbestimmten Lebens ausgesetzt sein kann: Als von einem Unfall Betroffener, als ältere Menschen, als Flüchtling, als jemand von einer Naturkatastrophe oder einem Virus Betroffener. Betroffene sind auf die Unterstützung und Achtung der Würde durch Andere angewiesen. Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger sind deshalb so wichtig – gerade in Situationen, in denen der Staat zum Verfolger wird, Menschen nicht schützt und ein würdiges Leben zu vereiteln sucht.
Die Würde des Menschen ist in der christlichen Ethik verwurzelt
Der Bezug auf die Menschenwürde ist gerade auch in christlichem Denken und christlicher Ethik verwurzelt. Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen und damit seine Würde sind nach biblischem Verständnis auch unteilbar und gelten gleichermaßen für Mann und Frau, Ältere und Kinder, Witwen und Waisen. Die Gerechtigkeit und Humanität eines gesellschaftlichen Systems bzw. einer Wirtschaftsform bemessen sich am Umgang mit denen, die häufig als wehr- und rechtlos angesehen und behandelt werden. Christen sind dabei auch eingeladen und aufgerufen, sich mit für die Verteidigung der Würde aller einzusetzen.
Im Wort des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland von 1997 „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ wird die Orientierung am biblisch-prophetischen Zeugnis für Gottes Erbarmen und Gerechtigkeit formuliert. Christen sind aufgefordert, zur Verantwortungsethik aktiver Weltgestaltung beizutragen, die sich nicht nur für die eigenen Rechte, sondern gerade auch für die Rechte anderer einsetzt: „Die christliche Hoffnung macht fähig, im Raum des Vorletzten das, was unvollkommen bleibt, auszuhalten und zu würdigen. Sie gibt keine detaillierten Handlungsanweisungen, sie nimmt aber in Verantwortung für die Welt und den Menschen an der Arbeit zur Besserung der Verhältnisse teil. Sie gibt Licht und Kraft, Mut und Zuversicht, sich unter den Bedingungen und in den Verhältnissen dieser Welt für eine menschenwürdige, freie, gerechte und solidarische Ordnung einzusetzen. Dieser Einsatz im Horizont des Reiches Gottes heißt, Zeugnis zu geben von der Würde des Menschen.“[1]
Michael Windfuhr
[1] Evangelische Kirche in Deutschland, Deutsche Bischofskonferenz (1997): Wort des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland: Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit, Hannover/Bonn, Abs. 94