Grafik zu "antisemitischen Vorurteilen"

Was steckt hinter Vorurteilen gegenüber dem Judentum?

Die Hintergründe von antisemitischen Denkmustern

Seit dem Mittelalter wurde Juden und Jüdinnen unterstellt, sie seien „reich“ und „betrügerisch“. Neuzeitliche Verschwörungstheorien behaupten gar, sie kontrollierten eine „geheime Weltregierung“. Was steckt hinter diesen Schmähungen, antisemitischen Denkmustern und Stereotypen?

Negative Stereotypisierungen von Jüdinnen und Juden

Christliche Denkmuster und Negativbilder

 

Negative Stereotypisierungen von Jüdinnen und Juden

Jüdinnen und Juden hätten zu viel Einfluss

Dieses Gerücht kam zu Beginn der Neuzeit auf, besonders aber im 19. Jahrhundert. Es wurde vor allem durch die sogenannten „Protokolle der Weisen von Zion“ verbreitet – einem gefälschten Pamphlet, das Anfang des 20. Jahrhunderts vermutlich in Russland zusammengestellt wurde. Es beschrieb den Weltverschwörungscharakter der Juden aus angeblich jüdischer Feder und gehört noch heute zu den am weitesten verbreiteten antisemitischen Schriften. Darin wird den Jüdinnen und Juden unterstellt, sie würden im Geheimen daran arbeiten, die Weltmacht zu übernehmen. In dem Papier wurde gehetzt, dass sie zu viel Einfluss in allen möglichen Bereichen wie Wirtschaft, Finanzwesen, Politik und Medien hätten und daher in irgendeiner Weise für alle bedeutenden Ereignisse auf der Welt verantwortlich seien. Es handelt sich dabei um haltlose Unterstellungen, die sich jedoch fortgetragen haben.

Jüdinnen und Juden kontrollierten eine geheime Weltregierung

Auch diese Falschaussage ist eine antisemitische Verschwörungstheorie, die ebenfalls auf die „Protokolle der Weisen von Zion“ zurückgeht. In dem gefälschten Dokument wird behauptet, dass jüdische Führer einen Plan zur Erlangung der Weltherrschaft schmieden würden. Diese Theorie wurde von antisemitischen Gruppen und Regimen, einschließlich der Nazis verbreitet und auf schrecklichste Weise instrumentalisiert. Moderne Verschwörungserzählungen greifen auch diese Legende immer wieder auf.

Jüdinnen und Juden seien Kindesmörder:innen

Ein weiteres Negativstereotyp, das bereits seit mittelalterlichen Zeiten existiert und allein zu dem Zweck ersonnen wurde, Jüdinnen und Juden möglichst viel Hass entgegenschlagen zu lassen. Es soll ein englischer Benediktinermönch gewesen sein, der 1144 das erste Gerücht über einen solchen Ritualmord in Umlauf gebracht hat. In der Folgezeit entstanden viele ähnliche Legenden, die sich rasch verbreiteten. Auch die heute immer wieder zu hörende Bezeichnung Israels als „Kindermörder“ knüpft an dieses alte antisemitische Gerücht an. Wer Gerüchte über ermordete Kinder erfindet, um dem Hass Ausdruck zu verleihen, möchte keine rationale Diskussion über Wahrheit oder Wahnvorstellung mehr führen, sondern andere über Emotionen manipulieren.

Jüdinnen und Juden hielten sich für etwas Besseres

Dieser Schmähung liegt eine falsche Interpretation biblischer Aussagen zugrunde. In der Bibel ist immer wieder davon zu lesen, dass Gott einen Bund mit den Jüdinnen und Juden geschlossen habe und dass die Israelit:innen sein auserwähltes Volk seien, was bedeutet, dass Jüdinnen und Juden in einer besonderen Beziehung zu Gott stehen. Vor allem von Christ:innen wurde dieses Konzept später missdeutet und so hingedreht, als ob Jüdinnen und Juden sich für etwas Besseres hielten („Erwählungsneid“). Misstrauen und Neid den Jüdinnen und Juden gegenüber haben dies im Laufe der Geschichte immer wieder aufleben lassen.

Jüdinnen und Juden seien an einer großen Nase zu erkennen

Bei jüdischen Menschen lassen sich genauso viele unterschiedliche Nasengrößen und -formen finden wie in anderen Bevölkerungsgruppen. Das Klischee der „Judennase“ ist im Mittelalter entstanden. Die Nase wurde zum Symbol einer vermeintlichen Andersartigkeit der Jüdinnen und Juden. Auch die Nazis griffen diese denunzierende Perspektive auf und nutzten entsprechende Karikaturen, um Hass und Misstrauen gegenüber Jüdinnen und Juden zu schüren.
Fakt ist: Jüdinnen und Juden leben auf der ganzen Welt und haben sich mit der dortigen Bevölkerung vermischt. Daher gibt es keine körperlichen Merkmale, die „typisch jüdisch“ wären.

Jüdinnen und Juden seien klüger, witziger oder wirtschaftlich erfolgreicher als andere

Menschen, auch innerhalb bestimmter Gruppen, sind verschieden. Daher lassen sich keiner Menschengruppe solch einheitliche Eigenschaften zuschreiben. Philosemitismus, also eine einseitig positive Einstellung oder Bewunderung gegenüber Jüdinnen und Juden wurzelt einerseits im Christentum: Manche Christ:innen bewundern Jüdinnen und Juden und alles Jüdische – nämlich, weil auch Jesus Jude war. Andererseits geht er oft auch von Menschen aus, die aus Scham über den Holocaust meinen, sie müssten nun eine besonders positive Einstellung gegenüber Jüdinnen und Juden haben.
Jüdinnen und Juden nur positiv zu sehen ist ebenfalls eine Projektion. Auch dieses Denken schreibt Jüdinnen und Juden Eigenschaften zu, die sie von anderen Menschen unterscheiden. Und es kann schnell in hasserfüllten Antisemitismus umschlagen, wenn die besonderen Erwartungen, die jemand an die Jüdinnen und Juden hat, nicht erfüllt werden. Deswegen ist es wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, dass sich bei jedem Menschen sowohl positive als auch negative Eigenschaften finden lassen.

„Ich habe nichts gegen Jüdinnen und Juden, aber man wird doch wohl noch sagen dürfen…“

Deutschland ist eines von wenigen Ländern der Welt, in denen Meinungsfreiheit gesetzlich garantiert ist. Jeder Mensch darf Missstände kritisieren und seine Meinung zu allen möglichen Themen kundtun – auch dann, wenn es zum Beispiel um den Staat Israel geht. Niemand kann belegen, dass ihm oder ihr der Mund verboten wird bei den Themen Israel und Judentum. Wer behauptet, dass man sich in Deutschland nicht kritisch äußern dürfe, stilisiert sich selbst als Opfer, das aus Rücksicht auf die als übermächtig empfundenen Belange der Jüdinnen und Juden in ihren bzw. seinen eigenen Rechten eingeschränkt werden solle. Gerade im Glauben an eine vermeintliche Privilegiertheit oder Übermacht der Jüdinnen und Juden kommt jedoch der Antisemitismus wieder zum Vorschein.


Christliche Denkmuster und Negativbilder

Juden hätten einen Rachegott

Dieses abwertende Bild vom jüdischen Glauben wird oft mit einem Bibelzitat in Zusammenhang gebracht: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (2. Mose 21,23-24). Dieses Gebot beschreibt jedoch keine Rache und fordert auch nicht zur Vergeltung auf. Stattdessen ruft es dazu auf, Gewalt nicht mit immer noch mehr Gewalt vergelten zu wollen. So versuchte es in biblischen Zeiten auf humane Weise das Ausufern von Rache einzudämmen.

Das Alte Testament sei überholt

Im Gegenteil. Das „Alte Testament“ ist eine bis heute auch für Christinnen und Christen sehr wichtige Schriftensammlung. Christliche Theolog:innen sind einhellig der Meinung: Das „Neue Testament“ lässt sich ohne das „Alte“ gar nicht verstehen. Dieses Verdikt ist schon sehr alt. Es geht auf die Zeit im ersten Jahrhundert zurück, als das Christentum sich vom Judentum abzuspalten begann und Christ:innen – um sich selbst als die Besseren darzustellen – behaupteten, Gott habe seinen Bund mit den Juden, von dem das „Alte Testament“ immer wieder erzählt, aufgekündigt und einen neuen Bund mit den Christ:innen geschlossen. Daraus folgte später die Vorstellung, man könne auf das „Alte Testament“ eigentlich ganz verzichten. Die antisemitische nationalsozialistische Propaganda wollte es sogar ganz aus der christlichen Bibel entfernen. Dafür wurde damals sogar ein eigenes „Entjudungsinstitut“ errichtet, das mit Theologen besetzt war.

Juden hätten Jesus ans Kreuz gebracht

Historiker:innen sind sich einig, dass es keineswegs Jüdinnen und Juden, sondern der römische Statthalter Pontius Pilatus war, der Jesus zum Tod am Kreuz verurteilte. Die Berichte über die Passion Jesu sind in den vier Evangelien niedergeschrieben – zu einer Zeit, als sich das Christentum gerade vom Judentum abzugrenzen begann. Das ist der Grund, weshalb etwa im zuletzt niedergeschriebenen Johannesevangelium den jüdischen Autoritäten Mitschuld an der Verurteilung Jesu zuschoben wurde. Historisch war jedoch der römische Statthalter Pontius Pilatus für solche Gerichtsverfahren zuständig. Es besteht kein Zweifel, dass er die Kreuzigung Jesu angeordnet hat und seine Soldaten sie ausgeführt haben.

Juden hätten Jesus verraten

Jesus selbst, alle Jüngerinnen und Jünger Jesu und sogar die ersten Christusgläubigen waren Jüdinnen und Juden. Nur einer der Jünger, mit Namen Judas, soll Jesus an die römischen Autoritäten verraten haben. Für die schon vom Kirchenvater Augustin (354-430) in die Welt gesetzte Behauptung, Judas repräsentiere alle Juden, fehlt jede logische Basis.

Jüdinnen und Juden würden keine Nächstenliebe kennen

„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ Dieser Satz gehört zu den bekanntesten Aussagen des Jesus von Nazareth (Mk 12,31). Dabei zitierte Jesus ein Gebot aus dem alttestamentlichen Buch Leviticus (3. Mose 19,18). Nächstenliebe gehört also unter jüdischen wie christlichen Gläubigen zu den höchsten Geboten.

Das Christentum sei dem Judentum überlegen

Dieses Selbstbild ist theologisch unhaltbar. Juden wie Christen gehören zum Volk Gottes, mit dem Gott einen Bund geschlossen hat.

Pharisäer seien scheinheilig

Diese Denunziation der Pharisäer verallgemeinert in unzulässiger Weise einzelne Aussagen der Evangelien. Gerade die Anhänger des pharisäischen Judentums, denen Jesus durchaus nahestand, waren nämlich bemüht, Gott durch ihre Lebensweise hingebungsvoll zu dienen. Das Klischee einer angeblich starren pharisäischen „Gesetzesfrömmigkeit“ verzerrt das Anliegen der Jüdinnen und Juden, nach den Geboten der Tora zu leben. Auch Paulus war Pharisäer.

Jüdinnen und Juden seien Gottesmörder

Daran, dass Jesus vom römischen Statthalter Pontius Pilatus zum Tod am Kreuz verurteilt wurde, besteht historisch keinerlei Zweifel. Es waren seine Soldaten, die die Kreuzigung ausgeführt haben. Dennoch halten sich Vorurteile, die Juden für den Tod Jesu verantwortlich machen – bis heute. Ihren Ursprung haben sie im Neuen Testament, wo von den „Juden, die den Herrn Jesus getötet haben“, die Rede ist (1. Thess 2,15). Da Jesus nach christlichem Bekenntnis „wesenseins“ mit Gott ist, so die krude Argumentation, hätten die Juden Gott ermordet. Im Mittelalter führte dieses Vorurteil zu blutrünstigen Pogromen in Jerusalem: Nach den Ostergottesdiensten zogen christliche Kreuzfahrer in jüdische Wohnviertel und richteten dort Massaker an, um sich für den von ihnen selbst erfundenen „Gottesmord“ zu rächen. Wenn aber Tod und Auferweckung Jesu uns Christ:innen zum Heil geschah, wie kann dann die zugeschriebene Verantwortung für diesen Tod überhaupt zu Negativurteilen über „die Juden“ werden? 

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