Organtransplantationen
Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD, Gemeinsame Texte 1, 1990
5. Die Sorge um die Angehörigen toter Organspender
Grundsätzlich widerspricht die Entnahme von Organen nicht der Ehrfurcht vor dem Toten; sie kann aber die schmerzlichen Empfindungen von Angehörigen verstärken. Deshalb darf das medizinische Interesse an den Organen des Verstorbenen keinesfalls die Sorge um seine Hinterbliebenen verdrängen. Aus vielfachen Erfahrungen und aus wissenschaftlichen Untersuchungen ist bekannt, daß plötzliche Todesfälle Angehörige in Angst und Schrecken, in einen sogenannten Schockzustand versetzen. Sie hören zwar die Mitteilung über den Tod ihres Angehörigen, können sie aber zunächst nicht begreifen und annehmen. Sich in dieser Situation mit der Bitte um Zustimmung zur Organspende auseinanderzusetzen, fällt verständlicherweise schwer und ist für manche Betroffene sogar unmöglich. Andererseits ist der Zeitraum zwischen Tod und Organentnahme begrenzt. In dieser schwierigen Situation findet in der Regel das Gespräch statt. Dafür braucht der Arzt nicht nur Zeit; er muß vor allem bereit sein, sich rücksichtsvoll in die Angehörigen und ihre besondere Lage einzufühlen. Nur so kann er - wenn möglich und von den Angehörigen erwünscht - zusammen mit dem Krankenhausseelsorger den Angehörigen helfen, eine verantwortete Entscheidung zu treffen. Allgemein gültige Regeln für das Gespräch mit den Angehörigen kann es nicht geben, wohl aber der jeweiligen Lage angepaßte hilfreiche Hinweise.
- Das Vertrauensverhältnis zwischen der Familie eines Verletzten oder eines plötzlich schwer Erkrankten und dem behandelnden Arzt muß sich vom ersten Gespräch an entwickeln können. Wenn möglich, sollen die Angehörigen den Ernst der Verletzung oder Krankheit erfahren, sobald der Arzt den wahrscheinlich tödlichen Ausgang befürchten muß. Schon dies stellt dem Arzt die Aufgabe, takt- und liebevoll, aber doch ehrlich und offen Auskunft zu geben.
- Die Hinterbliebenen haben nach der Feststellung des Hirntodes ihres Verstorbenen einen Anspruch darauf, sich zuerst damit auseinanderzusetzen. Sie brauchen Zeit und Raum, Hilfe und Begleitung, um sich der Nachricht über den Tod und der aufkommenden Trauer stellen zu können. Deshalb sollte eine mögliche Organentnahme nicht übergangslos mit der Mitteilung des Todes angesprochen werden.
- Oft löst die Trauer Schuldgefühle gegenüber dem Verstorbenen aus. Es kann den Hinterbliebenen helfen, wenn der Arzt und - auf Wunsch - der Krankenhausseelsorger taktvoll fragen, ob es wohl im Sinne des Verstorbenen wäre, seine Organe anderen schwerkranken Menschen zu geben. Auf diese Weise werden die Angehörigen sowohl bei einer Zustimmung als auch bei einer Ablehnung der Organspende zum Sprachrohr des Verstorbenen; aber sie verfügen nicht über den Toten. Die schwere und manchmal kaum zumutbare Last der Entscheidung wird den Angehörigen abgenommen, wenn der Verstorbene sie selbst zu Lebzeiten schriftlich (z.B. durch einen Organspenderausweis) oder auch nur mündlich getroffen hat.
- Wenn Angehörige in die Entnahme von Organen ihres Verstorbenen einwilligen, sollte dies auch in besonderer Weise bei seiner Verabschiedung zum Ausdruck kommen. Die Liturgie der Kirche empfiehlt das fürbittende Gebet für den Verstorbenen und seine Angehörigen. Die Gebete sollten der jeweiligen Lage entsprechen: Zunächst dürfen und sollen Hilflosigkeit und Ohnmacht der Anwesenden ausgesprochen und Gott anvertraut werden. Gerade in der Stunde des Abschieds kann die Hoffnung auf den Gott des Lebens, der allen Menschen die Auferstehung zugesagt hat, erfahren werden. Manche Angehörige finden Trost in der körperlichen Berührung des Verstorbenen beim Abschied. Sie sollten deshalb ermutigt werden, ihren Toten z.B. mit dem Zeichen des Kreuzes zu bezeichnen und dies mit einem Gebet zu begleiten.
- Angehörigen sollte unabhängig von der Entscheidung für oder gegen die Organspende die Möglichkeit zu einem weiteren Gespräch angeboten werden, um ihnen zu helfen, vielleicht im nachhinein entstandene Zweifel über die getroffene Entscheidung besser bewältigen zu können.