Organtransplantationen
Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD, Gemeinsame Texte 1, 1990
2. Empfänger von Geweben und Organen
2.1 Anlässe (Indikationen) und Ergebnisse von Transplantationen
Die Übertragung der Hornhaut soll eine Erblindung oder schwere Sehstörung durch Hornhauterkrankungen und -verletzungen abwenden. Sie ist in 90 % erfolgreich. Die Übertragung von Knochenmark bei Entartung der Blutzellen und anderen schweren Blutkrankheiten wird unter nahen Verwandten mit hoher Gewebeübereinstimmung durchgeführt; unter entsprechend günstigen Bedingungen gelingt sie in 60 - 80 % und bringt die Leukämie in etwa 50% zum Verschwinden. Wie Blut kann aber auch Knochenmark unter nicht blutsverwandten Menschen mit Gewebeübereinstimmung zunehmend erfolgreich übertragen werden. Die Transplantationen der Niere, des Herzens und der Leber haben sich mittlerweile bewährt. Die Indikationen zu diesen Transplantationen sind medizinisch gesichert: Ein chronisches Nierenversagen läßt sich auf lange Sicht besser mit einer transplantierten natürlichen als mit Hilfe der künstlichen Niere behandeln; schwer nierenkranke Kinder können nur durch die Transplantation vor bleibenden Wachstumsschäden bewahrt werden. Für Kranke mit bestimmten Leiden des Herzmuskels oder der Herzkranzgefäße bietet allein die Transplantation eine Überlebenschance. Dies gilt ebenso für Patienten mit Leberschrumpfung, Lebergeschwulst oder raschem Leberzerfall durch eine (virale) Entzündung. Wenn der für die Transplantation günstige Zeitpunkt nicht versäumt wird, sind heute schon gute Ergebnisse zu erwarten: Etwa 75 - 80% der verpflanzten Nieren arbeiten wenigstens ein Jahr, die meisten davon mehrere Jahre. Rund 80% der schwer Herz- oder Leberkranken leben mit einer Transplantation mehrere Jahre, während sie sonst innerhalb weniger Wochen oder Monate sterben. Die Transplantation anderer Organe, etwa der Lunge, der Bauchspeicheldrüse oder des Dünndarms ist bisher noch mit großen Risiken verbunden.
Die Empfänger von Organen können in den meisten Fällen durch die Transplantation eine langfristige gute körperliche, seelisch-geistige und soziale Rehabilitation erreichen. Dennoch dürfen die Fortschritte der Gewebe- und Organtransplantation nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Behandlung für viele Erkrankungen, besonders für die meisten bösartigen Organgeschwülste, nicht in Betracht kommt.
2.2 Organverteilung
Für die vielen auf eine Transplantation wartenden Kranken stehen zu wenige Spenderorgane zur Verfügung. Dieses Mißverhältnis macht die Organverteilung praktisch wie ethisch zu einem schwierigen Problem. Die Entscheidung darüber, wer ein zur Verfügung stehendes Organ erhalten soll, muß getroffen werden vor allem aufgrund der Dringlichkeit und der Erfolgsaussichten einer Transplantation wie auch unter Berücksichtigung der jeweiligen Wartezeit; dabei werden allerdings diese drei Aspekte nicht immer völlig in Einklang zu bringen sein, weil eine Transplantation unter Umständen zwar besonders dringlich, zugleich jedoch weniger erfolgversprechend sein kann. Konkrete Regeln und Richtlinien der Organverteilung werden fortlaufend von der Arbeitsgemeinschaft der Transplantationszentren in der Bundesrepublik Deutschland, einschließlich Berlin West e.V., der Eurotransplant Foundation Leiden, dem European Liver Transplant Club oder der European Heart Association erarbeitet.
Die Regeln und Richtlinien sind für die einzelnen Organe unterschiedlich: Herz- und Lebertransplantationen werden nach ihrer Dringlichkeit durchgeführt. Bei der Nierentransplantation geben den Ausschlag die bestmögliche Gewebeübereinstimmung und damit der langfristige Erfolg; dank der künstlichen Niere gibt es bei Erwachsenen kaum akut dringliche Nierentransplantationen. Bei Kindern allerdings gilt die Nierentransplantation wegen deren Bedeutung für das Wachstum grundsätzlich als vordringlich. Bei gleicher oder weitgehend ähnlicher Gewebeverträglichkeit entscheidet die Wartezeit.
In der Bundesrepublik Deutschland werden die Organe vor allem über die Zentrale der Eurotransplant Foundation im niederländischen Leiden verteilt. Hier sind alle wichtigen Daten der Kranken registriert, die auf eine Niere, ein Herz, eine Leber oder eine Bauchspeicheldrüse warten. Eine mögliche Organspende wird sofort diesem Zentrum gemeldet; dort werden die Empfänger im Eurotransplant-Bereich (Benelux-Staaten, Bundesrepublik Deutschland, Österreich) ermittelt, für die sich die entnommenen Organe besonders eignen.
2.3 Ethische Beurteilung
Die positive Grundeinstellung des Kranken ist für jede Behandlung, besonders aber für eine Organtransplantation wichtig. In aller Regel wird vom Patienten eine Transplantation dann dringend erwünscht, wenn sie die einzige Chance in Lebensgefahr oder bei großer gesundheitlicher Beeinträchtigung darstellt. Dieser Wunsch nach Erhaltung des eigenen Lebens ist berechtigt. Trotzdem müssen sich der Kranke und - zumal beim kranken Kind - seine Familie vor einer Transplantation auch mit den möglichen Gefahren und Belastungen auseinandersetzen: Die Wartezeit ist oft lang und die Organverpflanzung nicht immer erfolgreich. Die Abhängigkeit des eigenen Wohls vom Tod eines anderen Menschen kann als belastend empfunden werden. Zu den Belastungen zählen ferner die meist lebenslange medikamentöse Nachbehandlung (Immunsuppression) und noch mehr die Furcht vor dem Ausfall des verpflanzten Organs. So sehr die behandelnden Ärzte das Vertrauen des Kranken in eine Organtransplantation für die Behandlung nutzen dürfen und sollen, müssen sie sich doch bei noch nicht genügend erprobten Transplantationen ihrer besonderen ethischen Verantwortung bewußt sein. Nicht jeder Wunsch nach einer Transplantation kann erfüllt werden; die Ablehnung muß dem Kranken verständlich gemacht werden. Schwierige ärztlich-ethische Probleme entstehen infolge des Mangels übertragbarer Organe. Entschieden werden muß daher zwischen einer Transplantation als einziger, aber nur sehr kleiner Überlebenschance und einer Transplantation mit hoher langfristiger Heilungsaussicht. Die Not einer solchen Entscheidung kann nur durch mehr Organspenden gemildert werden. Das Vertrauen der Öffentlichkeit und das Verständnis der wartenden Kranken hängen auch davon ab, daß die Grundsätze der Organverteilung transparent und nachvollziehbar sind.