Kompetenzen und Standards für den Evangelischen Religionsunterricht in der Sekundarstufe I
Ein Orientierungsrahmen, EKD-Texte 111, 2011
3. Anforderungen an Kompetenzen und Standards für den Evangelischen
Die im Folgenden beschriebenen Anforderungen betreffen das Gesamt der für den Religionsunterricht festzulegenden Kompetenzen und Standards. Sie sollen nicht in jedem Falle auf die einzelnen Kompetenzen und Standards abgebildet werden. Entscheidend ist vielmehr, dass auch bei einer Umstellung von Lehr- oder Bildungsplänen auf kompetenzorientierte Darstellungen die für den Religionsunterricht gültigen spezifischen Voraussetzungen berücksichtigt werden.
Kompetenzen und Standards müssen so bestimmt werden, dass sie den spezifischen Aufgaben des Religionsunterrichts gerecht werden und zugleich die Teilhabe des Religionsunterrichts am schulischen Bildungs- und Erziehungsauftrag stärken. Deshalb bleibt der Bekenntnisbezug des Religionsunterrichts maßgeblich. Kompetenzen und Standards müssen ausdrücklich auf das Selbstverständnis sowie die Selbstinterpretation der evangelischen Kirche bezogen sein. Nicht gemeint ist damit allerdings, dass der Glaube vermittelt oder gelernt werden könnte. Die Bindung an die "Grundsätze" der evangelischen Kirche (Art. 7,3 GG) schließt aber ein, dass der Bekenntnisbezug der Inhalte und der theologisch-religionsdidaktischen Erschließungsperspektiven, von denen sie nicht abgelöst werden können, deutlich werden muss und im Unterricht eine Auseinandersetzung mit diesem Bezug stattfindet. Deshalb gehen Kompetenzen und Standards für den Evangelischen Religionsunterricht notwendig über Bestimmungen einer Religionskunde hinaus, obwohl der Religionsunterricht immer auch religionskundliche Anteile einschließen muss. Das für den Religionsunterricht im Unterschied zu anderen Formen, in denen Religion in der Schule thematisiert wird (Religionskunde, Ethikunterricht, LER usw.), konstitutive Zusammenspiel von Innenperspektive und Außenperspektive muss gewahrt und weiter gestärkt werden.
Kompetenzen und Standards müssen so bestimmt werden, dass der für den Religionsunterricht unverzichtbare Bezug auf bestimme Inhalte etwa der biblischen Überlieferung gesichert bleibt. Die Inhalte des Religionsunterrichts lassen sich nur zum Teil mit Hilfe allein formaler Kompetenzbeschreibungen abbilden. So gibt es beispielsweise keine "biblical literacy", die nicht die Vertrautheit mit bestimmten Texten einschließt ("biblical literature").
Kompetenzen und Standards müssen so bestimmt werden, dass sie den rechtlichen Voraussetzungen von Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach, das in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften (Art. 7,3 GG) bzw. der evangelischen Kirche erteilt wird, entsprechen. Auch die Bestimmung von Kompetenzen und Standards steht in einem engen Zusammenhang mit den spezifischen Inhalten und Erschließungsperspektiven des Religionsunterrichts. Deshalb gehört sie zu den gemeinsamen Angelegenheiten zwischen Staat und Kirche und kann nicht allein vom Staat verantwortet werden. Kompetenzen und Standards können nur in Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche sowie, in wissenschaftlicher Hinsicht, der Lehr-Lern-Forschung und der Religionsdidaktik entwickelt und festgelegt werden. Deshalb sind die bislang etwa bei Lehr- oder Bildungsplänen üblichen Formen der differenzierten Kooperation zwischen Staat und Kirche auch in diesem Zusammenhang zur Geltung zu bringen. Dabei ist im Sinne der Religionsfreiheit besonders die bei der Kirche liegende Entscheidung über Inhalte und Ziele, soweit sie nicht allgemein pädagogische oder schulische Aspekte betreffen, konsequent zu berücksichtigen.
Der Religionsunterricht trägt auch zu Wertebildung und gesellschaftlicher Verantwortung bei und fördert entsprechende Kompetenzen. Aus evangelischer Sicht geht mit dem Bezug auf Gott die Wahrheitsfrage allen Werten voraus. Der Glaube beruht nicht auf Werten, sondern umgekehrt folgen Werte aus dem Glauben. Die Freiheit des Glaubens und der Bildungsanspruch von Schule und Religionsunterricht bedingen, dass eine persönliche Übernahme christlicher Werte durch den Unterricht weder erzwungen werden kann noch erzwungen werden soll. Die Bestimmung von Kompetenzen und Standards kann dem Zusammenhang zwischen Glaube und Werten gleichwohl gerecht werden, indem sie sich auf die mit Hilfe von Standards zu beschreibende Ausbildung ethischer Urteilsfähigkeit, wertebezogenen Wissens und der ethisch begründeten Handlungsfähigkeit bezieht.
Der Beitrag des Religionsunterrichts zur Ausbildung weiterer Kompetenzen über die bereits genannten religiösen und ethischen Kompetenzen hinaus muss deutlich werden, für den Erwerb von Sprach- und Reflexionskompetenz sowie für zahlreiche andere Kompetenzen oder Fähigkeiten – soziale, kommunikative, ästhetische und mediale ebenso wie geschichtliche, politische und wissenschaftliche Kompetenzen. Besondere Bedeutung kommt dem für den Religionsunterricht zentralen Bildungsziel der Pluralitätsfähigkeit zu. Ökumenisches Lernen und interreligiöses Lernen im Horizont von "Identität und Verständigung" sind dafür unverzichtbar.
Kompetenzen und Standards müssen schließlich immer auch so beschrieben werden, dass ihre begrenzte Reichweite deutlich bleibt. Im Bereich des Religionsunterrichts sind die Grenzen der Kompetenz- und Leistungsmessung zugleich theologisch und pädagogisch begründet. Persönliche Glaubensüberzeugungen können und sollen nicht gemessen oder bewertet werden.