Festivalstimmung beim Konfirmandenunterricht
KonfiCamps in Wittenberg
Die evangelische Kirche wird 500 Jahre, und die Gemeinden feiern mit – auch am Ausgangsort der Reformation. Tausende Jugendliche erleben im Reformationssommer ein Konfi-Zeltlager in Wittenberg.
Die Thesentür im Rückspiegel geht es immer geradeaus. Vorbei an Gewerbeparks und Datschen fühlt es sich schon bald nicht mehr wie Wittenberg an. Spätestens auf dem umzäunten Gelände mit der staubigen Zufahrt sind die Türme von Schloss- und Stadtkirche endgültig von Bäumen verdeckt, der Altersdurchschnitt sinkt um ein bis zwei Generationen. Willkommen im KonfiCamp – dem Lern- und Freizeitabenteuer für evangelische Jugendliche in Vorbereitung auf ihre Konfirmation.
Am Nordrand der Lutherstadt ist eine Stadt aus Zelten entstanden. Sie ist so weitläufig, dass man sie selbst vom höchsten Punkt aus nicht auf ein Bild bekäme. Und so XXL, dass die einzelnen Viertel Ortsnamen der Reformationsgeschichte tragen: Bergen, Debrecen, Venedig und 13 weitere. 160 Zelte sind es insgesamt, darunter 132 zum Schlafen und für Gruppenarbeiten, vier Essenszentren, vier Kirchen mit Platz für bis zu 350 Menschen und ein Riesenzelt für Großveranstaltungen.
„Wenn die Jugendlichen verstehen, was es mit ihrem Leben zu tun hat, sind sie auch offen für Glaubensthemen“
Bis zu 12.000 Jugendliche aus der ganzen Republik ziehen hier über den Sommer gestaffelt mittwochs ein und sonntags aus. Unter dem Titel „Trust and Try“ lernen sie mit Teamern und Pfarrern aus ihren Gemeinden, was es heißt, aufeinander zu vertrauen und Neues auszuprobieren – vom erlebnispädagogischen Hochseilklettern bis zum innovativen Konfirmandenunterricht. Mit den Volunteers des Veranstaltervereins Reformationsjubiläum 2017 toben sie sich zwischendurch aus.
Genau diese Mischung mache das KonfiCamp aus, sagt Matthias Hempel, Beauftragter für die Konfirmandenzeit in der Oldenburger Kirche und schon zum zweiten Mal dabei. Konzentration und Spaß, was zum Knobeln und was für die Kreativität. Zum Konfi-Unterricht von heute gehören Hempels Überzeugung nach immer mehr Lieder und Beispiele aus dem Alltag der Jugendlichen. Nötig sind auch Teamleiter, die noch näher an der Lebensrealität der Konfis dran sind, vielleicht sogar eine Vorbildfunktion erfüllen. „Wenn die Jugendlichen verstehen, was es mit ihrem Leben zu tun hat, sind sie auch offen für Glaubensthemen“, so Pfarrer Hempel. Er und seine Kollegen seien für die theologischen Inhalte da, bei deren Vermittlung träten sie aber gerne hinter den jungen Teamern zurück.
Vermittlung auf Jugendliche zugeschnitten
Die Morgenandacht im Großzelt zeigt, was Hempel meint: Vor der Bühne sitzen um die 1.000 Konfirmanden, auf der Bühne stehen die etwa fünf Jahre älteren Moderatoren. Später kann man ihnen auf Snapchat und Instagram folgen, aber erst mal wird zusammen aufgewacht. Die Musiker stimmen „Fix you“ an, einen Song der vier Briten von Coldplay, die seit Geburt der meisten Konfirmanden bereits in den Charts, aber trotzdem noch cool sind. Die Ballade handelt vom Scheitern und von Einsamkeit, vom Verlieben, Verlieren und Vergeben. „Das Camp hier zeigt Wege, religiöse Themen mal nicht von der Bibelstelle her anzupacken“, sagt Hempel. „Mit Ressourcen, die den meisten kleinen Gemeinden bei sich zuhause gar nicht zur Verfügung stehen.“
Als nächstes läuft auf den Leinwänden rechts und links der Bühne ein Film über Pauline: Paulines Mutter macht Stress wegen der Schulnoten, Pauline wird unter dem Leistungsdruck ganz still. Cut! In spontan gebildeten Murmelgruppen sollen die Konfis überlegen, wie der Film weitergeht. Ein Mädchen rutscht gelangweilt auf der Bierbank herum, sagt: „Is' mir doch egal!“ Als sie bemerkt, dass sich die anderen ernsthaft am Gespräch beteiligen, scheint auch sie langsam Mut zu finden: „Ein bisschen kenne ich das auch von mir daheim.“
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„Trust and Try“ ist nicht nur das Motto der Workshops und Unterhaltungsprogramme für die Konfis. Junge Leiter erkennen hier, ob sie ihre Gruppe im Griff haben, ältere erspüren körperliche Grenzen beim Schlafen auf dem Zeltboden. Pfarrer und Diakone aus 18 evangelischen Landeskirchen Deutschlands können testen, wie leicht es ihnen fällt, Ideen voneinander zu übernehmen. Ausprobieren und schauen, wie es wird, mussten aber auch die Veranstalter, bevor die ersten Gruppen eintrafen.
„Letzten Sommer hatten wir ein Treffen mit 180 Teamern“, erzählt Campleiter Tobias Bernhard. „Kein Vergleich zu den 1.500 Menschen in der am besten besuchten Woche im Reformationssommer.“ Nach vier von elf Durchläufen zeigt sich der bayerische Diakon zufrieden: „Die Stimmung ist so was zwischen Konfirmandenunterricht, Kirche und einem riesigen geilen Jugendfestival!“ Für einige Bewohner der angrenzenden Siedlung scheint es nicht ganz so geil, dreieinhalb Monate lang Tausende Jugendliche nebenan zu haben. Bernhard berichtet von Beschwerden und Besuchen der Polizei wegen Ruhestörung, „aber wir sind auf einem guten Weg und messen regelmäßig die Lautstärke unserer Veranstaltungen“, sagt Bernhard.
Wo außerhalb des Reformationssommers Reitturniere stattfinden, liegt ein Platz für Sportturniere und Hüpfburgen. An Literatursäulen können Bücher ausgeliehen und in einer mobilen Stube Brote gebacken werden. Begehbare Schränke laden dazu ein, Fragen wie „Brot kann schimmeln, was kannst Du?“ mit Filzstift an den Innenwänden zu beantworten. Beim Ausflug in die Altstadt landet dann jeder mal zumindest für ein Selfie vor der Tür, an die der Reformator Martin Luther vor 500 Jahren seine 95 Thesen gepinnt haben soll. Spätestens da wird klar, was mutig sein und ausprobieren bewirken kann.
Christina Özlem Geisler (epd)