Erzbischof Nicodemos
Der letzte Christ, der Mossul verließ
Der letzte Christ, der Mossul bei der Eroberung durch den Islamischen Staat (IS) 2014 verließ, war der syrisch-orthodoxe Erzbischof Nicodemos Daoud Matti Sharaf (geboren 1976). Nur 300 Meter trennten ihn damals noch vom IS, erzählt er in Erbil im März 2023, wo er mittlerweile seine Residenz hat. Irakische Soldaten hätten ihn förmlich in ein Auto gezwungen, um aus der Stadt zu fliehen. Fünf Minuten blieben ihm, um noch ein paar Dinge mitzunehmen. Er entschied sich für die sieben wertvollsten Handschriften seiner Kirche. In weiser Voraussicht hatte er sie schon einige Zeit vorher in eine Holzkiste gepackt und neben sein Bett gestellt. Die Christen von Mossul hätten zwar ihr Leben retten können, mussten aber so unendlich viel verloren geben, sagt er.
Für ihn als Erzbischof der syrisch-orthodoxen Kirche in Mossul war besonders tragisch, dass er 350 sehr wertvolle alte Handschriften dort lassen musste. Nach der Befreiung Mossuls 2017 konnten davon 100 wiedergefunden werden. 250 gelten als verschollen. Sie wurden entweder vom IS zerstört oder auf dem Schwarzmarkt zu Geld gemacht. Solche Handschriften sind deswegen so wertvoll, weil sie die Geschichte, die Tradition und die Identität der Kirche darstellen.
In Erbil holt Erzbischof Nikodemus zwei der sieben in der Holzkiste geretteten Schriften aus dem Tresor und zeigt sie seinen Besuchern. Vorsichtig blättert er darin, schlägt die besonders kunstvollen Seiten auf und streicht liebevoll darüber. Man sei jetzt dabei, alle noch vorhandenen Handschriften zu digitalisieren – für den Fall der Fälle. Die Erlebnisse im Juni 2014 seien für ihn die härtesten Momente seines Lebens gewesen. Er habe sich gedemütigt und beleidigt gefühlt. Zum ersten Mal seit 1800 Jahren habe damals in Mossul das Gebet geendet. Selbst in den schlimmsten Zeiten unter den Mongolen und den Tartaren hätten Christen in Mossul ihren Glauben weitergelebt. Sechs Jahre nach der Befreiung vom IS seien nur sehr wenige christliche Familien wieder zurückgekehrt.
Katja Dorothea Buck