Altenseelsorgerin: Digitalisierung hängt Ältere zunehmend ab
„Die Enkel zu umarmen ist etwas anderes, als mit ihnen zu chatten“
Hannover (epd). Angesichts einer zunehmenden Verlagerung vieler Alltagsgeschäfte auf Online-Angebote und Online-Dienstleistungen sieht die Theologin Anita Christians-Albrecht ältere Menschen zunehmend von der Digitalisierung ausgeschlossen. „Immerhin hat laut Statistischem Bundesamt 2022 ein Sechstel der 65- bis 74-Jährigen in Deutschland das Internet noch nie genutzt“, sagte die Altenseelsorge-Beauftrage der hannoverschen Landeskirche im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Und zwei Drittel der über 80-Jährigen haben aus unterschiedlichen Gründen keinen Zugang zum Netz.“
Zwar gebe es inzwischen recht viele Angebote, die älteren Menschen digitale Kompetenzen wie etwa Online-Bankung und die Nutzung sozialer Medien vermitteln sollen. Doch oft werde dabei übersehen, dass die eigentliche Hürde für die Internet-Nutzung weniger in technischen Hemmnissen als in der sozialen Kultur des digitalen Raumes liege. „Ältere brauchen oft eine andere Ansprache und verbindlichere Formen der Begegnung“, betonte Christians-Albrecht.
In den sozialen Medien neigten viele Menschen dazu, sich miteinander zu vergleichen, führte die evangelische Pastorin aus. Gerade ältere Menschen hätten die Sorge, „in einer virtuellen Welt, in der die meisten vermeintlich jung, schön, dynamisch und erfolgreich sind“, nicht bestehen zu können. Dadurch verstärke sich ein womöglich ohnehin schon vorhandenes Gefühl von Einsamkeit.
Dieses werde durch die „Entkörperlichung“ im Internet zusätzlich zu einer „haptischen Einsamkeit“ verschärft. „Der kurze Schwatz mit der Kassiererin im Supermarkt entfällt beim Online-Shopping natürlich, der Hausarzt am Bildschirm kann der älteren Patientin nicht tröstend oder ermutigend die Hand auf die Schulter legen, und die Enkel zu umarmen ist etwas anderes, als nur mit ihnen zu chatten“, sagte Christians-Albrecht.
Die Altenseelsorge-Beauftragte forderte mehr Verständnis für Ältere, die kein Interesse mehr daran haben, mit der Digitalisierung Schritt zu halten. Ihre „Sturheit“ könne sogar äußerst wertvoll für die Gesellschaft sein. „Sie halten uns in unserem Leistungsdenken, unserem unablässigen Strampeln, einen Spiegel vor und sagen gewissermaßen: Lass mal gut sein. Sie werfen die Frage auf: Wovon lassen wir uns eigentlich bestimmen? Und: Ist es das tatsächlich wert?“