Antisemitismus

Vorurteile, Ausgrenzungen, Projektionen und was wir dagegen tun können

Antijüdischen Klischees in der Kirche begegnen

Ein reflektierendes, sorgfältiges Lesen biblischer Texte verhindert, dass sich antijüdische Vorurteile verfestigen, die in der Vergangenheit ihre angebliche Begründung auch aus der Bibel herleiteten. Einige Beispiele:

 

»Alttestamentarische Rache«
Der fälschlicherweise als »Rachegebot« bezeichnete biblische Satz »Auge um Auge, Zahn um Zahn« (2. Mose 21,23-24) regelt in Wahrheit Schadensersatzleistungen, wie sie auch die moderne Rechtsprechung kennt. Der Auslegungstradition zufolge soll damit ein Ausufern der Gewalt verhindert werden. Eine Aufforderung zur Vergeltung für erlittenes Unrecht kennt weder das Alte noch das Neue Testament. Es ist daher nicht sachgemäß, wenn in der Berichterstattung der Medien über militärische Aktionen im Nahen Osten immer wieder auf den genannten Bibeltext verwiesen wird. 

 

»Pharisäer sind scheinheilig.«
Scheinheiliges Verhalten wird bis heute oft als »pharisäerhaft« bezeichnet. Einzelne Aussagen der Evangelien werden dabei in unzulässiger Weise verallgemeinert. Gerade die Anhänger des pharisäischen Judentums, denen Jesus durchaus nahestand, waren bemüht, Gott durch ihre Lebensweise hingebungsvoll zu dienen. Im rabbinischen Judentum genießen die Pharisäer da­rum hohes Ansehen. Das Klischee einer angeblich starren pharisäischen »Gesetzesfrömmigkeit« verzeichnet das jüdische Anliegen, nach den Geboten der Tora zu leben. Das Beharren auf der besonderen Berufung des jüdischen Volkes wird oft nicht verstanden und als Ausdruck von Überheblichkeit verunglimpft.

 

»Die Juden haben Jesus umgebracht.«
Die Erzählungen von der Leidensgeschichte Jesu wurden im Verlauf der Kirchengeschichte besonders häufig missbraucht, um antisemitische Einstellungen und Aktionen zu rechtfertigen.

Judas, der Jesus seinen Verfolgern ausgeliefert hatte, wurde aus dem Kreis der Jünger Jesu, die selbstverständlich alle Juden waren, ausgesondert und als vermeintlicher Prototyp »des Juden« verzeichnet. Bereits beim Kirchenvater Augustin (354-430) ist zu lesen: »Judas repräsentiert die Juden, die Christi Feinde waren, die sowohl damals Christus gehasst haben als auch heute, in ihrer Erbfolge von Boshaftigkeit, fortfahren ihn zu hassen.«

Jahrhundertelang wurde Juden die Schuld am Tod Jesu gegeben bis hin zum Vorwurf des »Gottesmordes«. Die Evangelien berichten zwar von der Beteiligung der Hohepriester und einer jüdischen Volksmenge an der Tötung Jesu (»Kreuzige!«). Aus historischer Sicht besteht aber kein Zweifel, dass der Präfekt Roms – Pilatus – die Kreuzigung Jesu angeordnet und seine Soldaten sie ausgeführt haben.

Gegen Juden gerichtete Schuldaussagen im Neuen Testament (z. B. 1. Thess 2,15) stehen in der Tradition prophetischer Gerichtsrede. Sie gehören in eine Zeit, in der das »Christentum« dem »Judentum« noch nicht als getrennte Größe gegenüberstand. Sie klagen das eigene Volk an und rufen es zur Umkehr. In der Geschichte des Christentums wurden sie nach der Trennung von Kirche und Judentum allerdings benutzt, um Judenhass und Judenfeindschaft »biblisch« zu begründen. Das Neue Testament hingegen bezeugt, dass Jesu Tod und seine Auferstehung zur Versöhnung der Schuld aller Menschen geschehen sind. (1 Joh 2,2; Kol 1,20, u. ö.). In einem bekannten Passionslied heißt es daher:

»Was ist doch wohl die Ursach’ solcher Plagen? Ach, meine Sünden haben dich geschlagen; ich, mein Herr Jesu, habe dies verschuldet, was du erduldet.«

(Johann Hermann, 16. Jh., Evangelisches Gesangbuch, Nr. 81,3)

 

»Das Alte Testament ist überholt.« 
Es hat nicht an Versuchen gefehlt, das Neue gegen das Alte Testament auszuspielen, um damit die angebliche Überlegenheit der christlichen Religion gegenüber der jüdischen zu begründen. Solche Abwertung der »jüdischen Bibel« hat zu einer verzerrten Sicht des Judentums beigetragen. Nach heutiger Überzeugung kann von einer Ablösung des »Alten Bundes« durch einen »Neuen Bund« in Christus nicht die Rede sein. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau formuliert in ihrer Grundordnung bekenntnishaft: »Aus Blindheit und Schuld zur Umkehr gerufen, bekennt sie (die Kirche) neu die bleibende Erwählung der Juden und Gottes Bund mit ihnen.«

 

Die Evangelische Kirche in Deutschland und ihre Mitgliedskirchen haben sich in mehreren Studien und synodalen Verlautbarungen mit dem Antijudaismus in Kirche und Theologie auseinandergesetzt und Wege der Umkehr und Erneuerung beschritten. Zum 500. Jahresgedenken an die Reformation (2017) hat die EKD erneut auch zu den judenfeindlichen Schriften Martin Luthers kritisch Stellung bezogen.

 

https://www.ekd.de/synode2015_bremen/beschluesse/s15_04_iv_7_kundgebung_martin_luther_und_die_juden.html (abgerufen am 2.3.2017)

 

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