„Es bleibt ein sehr mulmiges Gefühl im Magen“
Antisemitismusbeauftragter der EKD, Christian Staffa, als Beobachter beim Prozess gegen Attentäter von Halle
Bei einem antisemitischen Anschlag auf eine Synagoge in Halle hat ein Attentäter am 9. Oktober 2019 zwei Passanten erschossen. Derzeit läuft der Prozess gegen den Attentäter. In der vergangenen Woche hat die Bundesanwaltschaft in ihrem Plädoyer eine lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung für Stephan B. gefordert. Der Antisemitismusbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Christian Staffa, und der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein waren als Prozessbeobachter im Gerichtssaal in Magdeburg. Im Interview berichtet Christian Staffa von diesem Prozesstag und von Gesprächen mit zwei Nebenklägerinnen.
Wie kam es zu dem Besuch in Halle?
Staffa: In einem Gespräch mit Heike Kleffner, Ansprechperson des Verbandes der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt kam die Rede auf die politische Bedeutung des Prozesses in Magdeburg und es entstand die Idee, dass es sinnvoll wäre für ein öffentliches solidarisches Zeichen für die Nebenkläger*innen also die Betroffenen des Anschlags von Halle, dort auch als Vertreter der EKD anwesend zu sein. Ich schlug das dann auch Felix Klein vor, und dem Bischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland Friedrich Kramer und wir beschlossen am Buß- und Bettag dieses Vorhaben umzusetzen. Leider musste Friedrich Kramer wegen der Vorverlegung der Landessynode dann absagen, sodass „nur“ die Antisemitismusbeauftragten des Bundes und der EKD dabei sein konnten.
Wie haben Sie den Prozess wahrgenommen?
Staffa: Es gab viele Eindrücke.
Sehr beeindruckend war die Anzahl der Pressevertreter*innen. Das damit sichtbare öffentliche Interesse empfand ich als ermutigend, wie auch die hohe Anzahl der der Anwält*innen der Nebenkläger*innen.
Bizarr war die Anzahl der vermummten mit Schusswesten ausgestatteten Polizist*innen, die den Angeklagten zu fünft in den Saal brachten. Es schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass die gesamte große Kulisse dem Angeklagten die Resonanz liefert, die er anstrebte. Gleichwohl gibt es natürlich zur Anzahl der Nebenklagevertreter*innen auch keine Alternative. Es gab einen hervorragenden Vortrag eines spät geladenen Sachverständigen, den die sehr kompetent und klar auftretende Richterin zuließ, Matthias Quent, Soziologe und Gründungsdirektor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Er machte deutlich, dass für die bekannten rechtsterroristischen Täter (z. B. Christchurch oder Norwegen oder NSU) Antisemitismus treibende Kraft und eng verwoben mit Antifeminismus und antimuslimischem Rassismus ist.
Der Bundesanwalt beschrieb den Tathergang insgesamt als Alptraum. Die minutiöse Schilderung des Tathergangs im Plädoyer der Bundesanwaltschaft konnte und wollte in ihrer Nüchternheit nicht über das unglaublich Grausame dieses Geschehens hinwegtäuschen, dem nach Willen des Angeklagten noch unzählige weitere Menschen zum Opfer hätten fallen sollen.
Es gibt kein Anzeichen von Reue beim Angeklagten. Sehr selten ein Gesichtszug, der sich bewegt. Es bleibt ein sehr mulmiges Gefühl im Magen.
Unsere Gespräche mit Christina Feist und Naomi Henkel- Gümbel, die beide in der Synagoge waren am 9.10.2019 lassen ahnen, wie sehr die Erfahrung dieser skrupellosen und gezielten Hass- und Gewaltattacke verstört und traumatisiert. Sie reisen für die Prozesstage an, es ist Teil ihrer Traumabearbeitung. Der Antisemitismusbeauftrgate des Landes Sachsen Anhalt beschreibt, wie zentral die Bedeutung der Nebenkläger*innen, gerade dieser beiden aber auch weiterer für den Prozess gewesen seien. Weg von der Täterfokussierung auf die Betroffenen. Ein bewundernswerter Kraftakt, ohne den, wie Naomi Henkel-Gümbel sagt, für sie eine Verarbeitung gar nicht denkbar sei. Aber der Reisekostenetat für die einzelnen Nebenkläger*innen ist begrenzt, was für Christina Feist, die immer aus Paris anreisen muss, ein untragbarer Zustand ist. Wir werden versuchen da Nacharbeit von den Behörden zu fordern und auch die Landeskirche zu bitten. Es ist gut zu spüren, dass unsere Anwesenheit und die Gespräch nicht nur für uns wichtig sind, sondern auch für die Gesprächspartnerinnen. Wir werden in Kontakt bleiben.
Warum ist es so wichtig, dass die evangelische Kirche Ihre Stimme im Kampf gegen Antisemitismus erhebt?
Staffa: Christina Feist unterstrich in unserem Gespräch, wie sehr ihr der christliche, ja der protestantische Antijudaismus, Antisemitismus aufstießt. Sie schaute die sehr versteckte „Judensau“ im Magdeburger Dom an, die nicht markiert sei, und da der Bereich unzugänglich sei auch vermutlich so bleiben wird. Sehr spürbar wurde in unserem Gespräch, dass diese geschichtlichen Manifestationen nicht Geschichte sind, sondern Gegenwart, um die Kirche sich mit aller Kraft kümmern muss. Tatsächlich würde sich das Klima in unserem Land in Sachen Antisemitismus sicher ändern, wenn alle evangelischen Christ*innen sich als Antisemismusbeauftragte verstünden, also verstünden, woher es in unserer Tradition kommt, wie es überlebt und warum Christenmenschen immer noch antijüdische, nicht selten als antisraelische auftretende Ressentiments Glaubens- und Denkweisen pflegen. Das gilt für Kirchenleitungen wie für „normale“ Gemeindeglieder.
Was kann jede/r Einzelen tun, um Antisemitismus zu bekämpfen?
Staffa: Zunächst das Naheliegende, nämlich zu widersprechen wo offen antisemitische Sprüche gemacht werden, wo Jude als Schimpfwort benutzt wird. Wenn ab Januar die Plakatkampagne #beziehungsweise – jüdisch christlich näher als du denkst, beginnt, könnten Gemeinden viel sich austauschen über den Zusammenhang von Beschneidung und Taufe, über das Antijüdische in unserem reformatorischen Erbe und über das viel bessere Verstehen des Eigenen, wenn wir das Gemeinsame mit dem Judentum und die Unterschiede wahrnehmen und leben können.