Was Familien brauchen
Wunsch und Wirklichkeit: Die Realisierung der Vorstellungen von Familie
Realisierten die meisten Menschen bis zum Beginn der 90er Jahre noch ihren Kinderwunsch, so ist in den letzten Jahren ein Anstieg der Kinderlosen festzustellen. Zwar sinken die Geborenenzahlen abgesehen von kürzeren Unterbrechungen bereits seit Mitte der 60er Jahre, was zunächst auf den Rückgang dritter und weiterer Kinder zurückgeführt werden konnte, doch nimmt seit den 90er Jahren Kinderlosigkeit generell zu. So werden voraussichtlich mehr als 30 % der westdeutschen Frauen und jede vierte ostdeutsche Frau des Jahrgangs 1965 kinderlos bleiben. Unter den 25 Jahre älteren Frauen waren dies nicht einmal halb so viele. Vieles spricht dafür, dass auch in Zukunft ein hoher Anteil der Frauen ihr Leben lang kinderlos bleiben wird.
Die amtlichen Statistiken zeigen dabei einen engen Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau der Frau und ihrer Kinderzahl. 40 % der 35- bis 39jährigen westdeutschen Frauen mit Hochschulabschluss haben keine Kinder gegenüber 21 % der Frauen mit Hauptschulabschluss.
Gleichzeitig steigen die Scheidungs- und Trennungszahlen, auch nach längerer Ehedauer. Heute endet mehr als jede dritte Ehe mit einer Scheidung. Schätzungsweise sind 12 % bis 15 % der Kinder von Ehepaaren von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Die Anzahl Alleinlebender und Alleinerziehender (im Jahr 2000 waren 23,15 % der Familienhaushalte Alleinerziehende) nimmt zu.
Die von vielen jungen Menschen gewünschte Balance zwischen Familie und Erwerbstätigkeit lässt sich im Familienalltag kaum realisieren. Zu Beginn der Eheschließung haben zumeist beide Partner ihre berufliche Laufbahn erfolgreich eingeschlagen und sind in ihrem Arbeits- und Berufsumfeld integriert. Da beide verdienen, verfügen die Paare zu Beginn der Ehe über ein ausreichendes bis gutes Einkommen.
Nach der Geburt des ersten Kindes treten jedoch Veränderungen auf. Besonders auffallend ist die Rückkehr zur traditionellen Rollenverteilung etwa ein Jahr nach der Geburt: Viele Mütter geben ihre Erwerbstätigkeit auf oder unterbrechen sie, sie werden mehr oder weniger alleinzuständig für die Alltagsorganisation und Hausarbeit, während sich die Väter nach dem Erwerbsausstieg der Frau mit der alleinigen Zuständigkeit für die materielle Versorgung der Familie als "Familienernährer" konfrontiert sehen. Sie übernehmen nur sehr wenig an Betreuungsaufgaben, und zwar unabhängig davon, ob die Mutter ebenfalls erwerbstätig ist oder nicht. Eine Untersuchung zum Erziehungsurlaub ergab, dass 21 % der befragten Väter eine hohe Bereitschaft zeigten, die Erziehungszeit selbst in Anspruch zu nehmen. Die Verwirklichung scheiterte aber an den finanziellen und beruflichen Rahmenbedingungen.
Wie ungleich die Arbeit im Haushalt und bei der Kinderbetreuung zwischen Frauen und Männern verteilt ist, zeigen Ergebnisse der Zeitbudgeterhebung des Statistischen Bundesamtes. Frauen sind hiernach im Durchschnitt dreimal so lange mit Haushalt und den Kindern beschäftigt wie Männer. Die Elternzeit wird zu 98 % von Frauen in Anspruch genommen.
Auch wenn der Anteil der erwerbstätigen Mütter in den westlichen Ländern zwischen 1972 und 2001 von 40 % auf 58 % gestiegen ist, so fiel er in den östlichen Ländern von 83 % im Jahre 1991 auf 69 % im Jahr 2001. Bundesweit am geringsten ist die Erwerbsbeteiligung der Mütter mit Kindern unter 3 Jahren, bei Ehepaaren mit kleinen Kindern sind nur 31 % der Mütter erwerbstätig.
Dies hat - so entsprechende empirische Studien - Einfluss auf die Ehezufriedenheit der Paare, insbesondere der Frauen, wenn diese sich ihren Familienalltag zunächst anders vorgestellt hatten. Frauen sind umso unzufriedener, je traditioneller sich die Rollenteilung entwickelt hat. Auch wenn viele Mütter einverstanden sind, während der Kleinkindphase ihrer Kinder zunächst mehr Familienaufgaben zu übernehmen, so schwindet diese Bereitschaft mit zunehmendem Alter der Kinder. Nur die wenigsten Frauen möchten ihre Erwerbsarbeit ganz aufgeben, im Osten noch weniger als im Westen, und doch sind fast ausschließlich sie es, die von einer kindbedingten Erwerbsunterbrechung betroffen sind. Die Realität ist: Nur ca. jede dritte Mutter arbeitet nach der Elternzeit wieder an ihrem früheren Arbeitsplatz. Der Hauptgrund dafür ist, dass viele Mütter nach der Familiengründung außerhäusliche Erwerbstätigkeit nicht mehr im alten Umfang ausüben können.
Doch auch bei der Gruppe der erwerbstätigen Frauen geht die Ehezufriedenheit rapide zurück, weil sie unter der hohen Doppelbelastung und der fehlenden Unterstützung durch den Partner leiden.
Ein wichtiger Grund für diese Veränderungen liegt in der mangelnden Vereinbarkeit von Familienarbeit und Erwerbsarbeit: Unflexible Arbeitsorganisation und fehlende Ganztagsbetreuung für Kinder aller Altersstufen sind die Haupthindernisse. Bundesweit wird diese Vereinbarkeitsproblematik hauptsächlich auf dem Rücken der Mütter ausgetragen. Junge Eltern wünschen sich daher bessere arbeitsplatzbezogene Bedingungen, mehr Angebote zur außerhäuslichen Betreuung der Kinder, mehr Flexibilität bei der Ausgestaltung von Erziehungsgeld und Elternzeit und den Abbau von Vorurteilen gegenüber erwerbstätigen Müttern und gegenüber Vätern, die ihre Erwerbstätigkeit zugunsten von Familienarbeit einschränken bzw. unterbrechen.
Problematisch ist auch, dass Menschen auf Partnerschaft, Ehe, Elternschaft und Familie nicht ausreichend vorbereitet werden. Denn Familiengründung in einer komplexen Lebenswelt mit ihren vielfältigen Anforderungen erfordert ebensoviel Verstand, Energie und Phantasie wie die Gründung einer beruflichen Existenz. Mädchen und Jungen, Frauen und Männer brauchen Unterstützung in der Vorbereitung auf diese Lebensphase und sie brauchen Orientierung und Begleitung wenn es darum geht, den Alltag und das Leben innerhalb der Familie auch in schwierigen Lebenssituationen kompetent und verantwortungsbewusst zu gestalten. Die Angebote der Familienbildung und der Familienberatung leisten dazu einen unverzichtbaren Beitrag. Damit möglichst viele Familien bzw. deren Mitglieder von den Angeboten erreicht werden können, ist eine wohnortnahe und niedrigschwellige Ausgestaltung notwendig. Bei der Schaffung der dafür nötigen Rahmenbedingungen dürfen die Länder und Kommunen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden.
Die finanzielle Lage junger Familien ist deutlich schlechter als die kinderloser Ehepaare, da der Verdienst eines Ehepartners (meist der Frau) fortfällt bzw. sich reduziert. Doch Kinder verursachen auch zusätzliche Kosten. Zwar nehmen die Paare eine Verringerung des Familieneinkommens durchaus in Kauf. Den wenigsten war jedoch zuvor das tatsächliche Ausmaß bewusst.