Was Familien brauchen
Familien brauchen materielle Sicherheit
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen Familien leben, haben sich stark verändert. Besonders dramatisch ist dies im Bereich niedriger Einkommen. Familien mit Kindern tragen heute das größte Armutsrisiko und sind in hohem Maße von Überschuldung betroffen. Die Entscheidung für Kinder bedeutet oft nicht nur, dass der betreuende Elternteil auf Einkommen in der Gegenwart verzichtet, sondern sie hat auch Folgewirkungen auf sein zukünftiges Einkommen und damit auch auf seine soziale Sicherung in der Zukunft. Sie kann zudem sein berufliches Fortkommen einschränken.
Alle wissenschaftlichen Untersuchungen zur Verteilung der Kinderkosten in unserer Gesellschaft und zu den Unterschieden in der Höhe des verfügbaren Einkommens bei Familien mit Kindern bzw. bei kinderlosen Alleinstehenden und Paaren kommen zu dem Ergebnis, dass die Kinderkosten ganz überwiegend den Familien aufgebürdet werden. Familien mit Kindern haben daher ein ungleich geringeres Einkommen zur tatsächlichen Verfügung als Kinderlose.
Die Entscheidung für Kinder und die Verantwortung für die Erziehung von Kindern liegt bei den Eltern. Kinder vermitteln in vielerlei Hinsicht einen Wohlfahrtsgewinn. Insofern tragen die Eltern zu Recht einen Teil der damit verbundenen Kosten. Der jetzige Zustand ist aber aus mehreren Gründen gesellschaftlich nicht hinzunehmen:
- Familien mit Kindern erbringen Leistungen für die Gesellschaft, von denen auch Alleinstehende und kinderlose Paare profitieren. Insofern ist ein Familienleistungsausgleich angemessen.
- Familien mit Kindern sind im Vergleich zu Alleinstehenden und kinderlosen Paaren über Gebühr belastet. Ein Familienlastenausgleich ist ein Gebot der Bedarfsgerechtigkeit.
- Einkünfte, die der Sicherung des Existenzminimums dienen, dürfen auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht besteuert werden. Bei Familien mit Kindern hat aber das Existenzminimum eine deutlich höhere Größe: Die Unterschiede der steuerlichen Leistungsfähigkeit von Familien mit Kindern einerseits und Kinderlosen andererseits zu berücksichtigen ist ein Gebot der Steuergerechtigkeit.
In der Realität der Familienpolitik lassen sich Gesichtspunkte der Steuergerechtigkeit, des Familienlastenausgleichs und des Familienleistungsausgleichs nur schwer trennen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit eine erhebliche Verletzung des Gleichheitsgebotes des Grundgesetzes darin gesehen hat, dass das soziale Existenzminimum eines Kindes beim Einkommen der Eltern nicht in vollem Umfang freigestellt wurde, hat dieser Steuerfreibetrag inzwischen eine ausreichende Größe erreicht.
Der Familienlastenausgleich im engeren Sinne, dazu gehören im wesentlichen das Kindergeld, der familienbezogene Teil des Wohngelds und die Ausbildungsförderung, sollte mit steigendem Einkommen abnehmen. Dies entspricht dem Gesichtspunkt der Bedarfsgerechtigkeit.
Elemente des Familienleistungsausgleichs sollten dagegen unabhängig von der Einkommenshöhe erfolgen. Soweit sie über das Steuersystem abgewickelt werden, ist ein Abzug von der Steuerschuld vorzusehen. Auch wenn in der Familienpolitik vom "Familienleistungsausgleich" gesprochen wird, ist dieser in Deutschland nicht entwickelt.
Die deutsche Familienpolitik, bei der es in den letzten Jahren erhebliche Verbesserungen gegeben hat, wird den dargelegten Grundsätzen nicht gerecht. Die Politik hat den Vorstellungen des Bundesverfassungsgerichts zur Steuergerechtigkeit bisher Priorität gegeben. Dem Familienlastenausgleich im engeren Sinne dient das Kindergeld in den Fällen, in denen die Steuerentlastung unter dem Kindergeld liegen würde. Auch nach den Erhöhungen des Kindergeldes wird eine Gleichbehandlung von Eltern unterschiedlicher Einkommenshöhe nicht erreicht. Das Kindergeld liegt unter der Steuerentlastung bei hohen Einkommen. Die besonderen Probleme von Familien mit Kindern im Bereich niedriger Einkommen wurden nicht ausreichend berücksichtigt. Der Familienlastenausgleich bleibt damit hinter dem zurück, was notwendig wäre.
Diese Prioritätensetzung mag angesichts der diesbezüglichen Vorgaben des Verfassungsgerichts verständlich sein. In Zukunft muss aber die Situation kinderreicher Familien mit niedrigem und mittlerem Einkommen in den Vordergrund treten. In den letzten Jahren ist der Anteil der Kinder an den Empfängern von Hilfe zum Lebensunterhalt im Rahmen der Sozialhilfe überproportional gestiegen und stagniert auf hohem Niveau. Ein Schwerpunkt künftiger Familienpolitik muss daher in der Vermeidung von Armut und damit einer gerechten Gestaltung des vertikalen Familienlastenausgleichs liegen. Mit einem existenzsichernden Kindergeld müssen Kinder von der Sozialhilfe unabhängig gemacht werden. Keine Familie soll, nur weil sie für Kinder zu sorgen hat, auf den Bezug von Sozialhilfe angewiesen sein.
In den nächsten Jahren muss es darum gehen, die für Familien mit Kindern verfügbaren Mittel aufzustocken. Hierzu sind Umschichtungen in den Haushalten notwendig. Diese können auch zu Lasten des Familienbereichs erfolgen, soweit es sich um Maßnahmen der Förderung von Ehen handelt, bei denen keine Kinder (mehr) vorhanden sind.
Auch in Zukunft ist mit begrenzten Mitteln zu rechnen, so dass eine Prioritätensetzung notwendig bleibt. Dabei müssen auch die notwendigen Aufwendungen für den Ausbau der Infrastruktur berücksichtigt werden. Bei der weiteren Ausgestaltung der Familienförderung ist zunächst der Familienlastenausgleich im engeren Sinne so auszubauen, dass alle Familien mit Kindern im Vergleich zu Kinderlosen in gleichem Umfang begünstigt werden. Erst danach kann ein Familienleistungsausgleich im strengen Sinn in Angriff genommen werden. Dies kann man am Erziehungsgeld veranschaulichen. Angesichts der Leistungen, die Familien für die Gesellschaft insgesamt, also auch für die Kinderlosen, erbringen, ist ein allgemeines Erziehungsgeld unabhängig von Einkommensgrenzen gut begründet. Solange aber der dringlichere Bedarf bei Kinderbetreuungsangeboten und bei Familien mit niedrigem Einkommen nicht gedeckt werden kann, sind Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld das kleinere Übel.