Was Familien brauchen
Familien brauchen eine gute Infrastruktur
Eine stabile Beziehung von Eltern, die sich als Partner verstehen und konstruktiv mit Konflikten umgehen können, bildet eine günstige Grundlage für die Sicherheit, die Kinder und Jugendliche zu ihrer Entwicklung und Entfaltung brauchen. Von daher ist ein erweiterter Rechtsanspruch auf Beratung in Konflikt- und Krisensituationen auch für Paare, die (noch) keine Kinder haben, sowie eine gleichrangige Förderung von Partnerschafts- und Eheberatung einerseits und Erziehungs- und Familienberatung andererseits unabdingbar.
Bei der Organisation des Alltages sehen sich Familien heute einer größeren Vielfalt an Aufgaben gegenüber als früher. Zahlreiche Haushalte bewältigen ihre Lebenssituation nicht, viele Menschen befinden sich in Situationen der Armut oder der Überschuldung. Viele sind hilflos im Umgang mit den Sozial-, Gesundheits-, Kommunikations-, Informations-, Bildungs- und Erwerbssystemen. Die Folgen sind persönliche und familiale Krisen und Schwierigkeiten, verbunden mit lebenslangen Risiken für die Betroffenen. Die Entwicklung von Alltags- bzw. Haushaltsführungskompetenzen ist ein wichtiger Beitrag zur Lösung dieser Probleme. Haushaltsbezogene Bildung muss daher schon sehr frühzeitig unterstützt und institutionell gefördert werden, z.B. an allgemeinbildenden Schulen, aber auch über Angebote der öffentlichen und freien Träger.
Familien brauchen bei der Erziehung ihrer Kinder ein soziales und institutionelles Netzwerk, das ihre Erziehungskompetenz unterstützt und Kinder in ihren Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten fördert. Dieses Netzwerk muss sowohl familienunterstützende als auch familienergänzende und notfalls -ersetzende Angebote bereithalten.
Familienergänzende und -unterstützende Einrichtungen sind notwendig, damit Eltern ihre Vorstellungen von Erwerbsarbeit und Familientätigkeit verwirklichen können. Diese können ganz unterschiedlich sein. Die Ehepartner müssen selber entscheiden können, ob einer der beiden ganz oder teilweise zugunsten der Erziehung der Kinder auf Erwerbstätigkeit verzichtet. Häufig ist dieser Verzicht aber nicht möglich oder nicht gewollt. Der Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung ist für viele Eltern eine unerlässliche Voraussetzung für die Organisation des Familienalltags. Trotz des bestehenden Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz ist eine Betreuung der Kinder oftmals nicht gesichert: In zu vielen Fällen beschränkt sich das Angebot auf nur wenige Stunden. Notwendig ist insbesondere eine ausreichende Zahl von Ganztagsplätzen. Dies gilt auch für Kinder unter drei und über sechs Jahren.
Tageseinrichtungen für Kinder sind nicht nur für die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbstätigkeit wichtig. Sie haben auch einen eigenständigen Erziehungs- und Bildungsauftrag. Sie leisten einen entscheidenden und grundlegenden Beitrag zur Chancengleichheit bezüglich der Lebens- und Lernmöglichkeiten von Kindern und zur Integration von Kindern. Es muss gewährleistet sein, dass Tageseinrichtungen diese qualifizierte Bildungs-, Erziehungs- und Integrationsarbeit auch (weiterhin) leisten können.
Auch die Schulen sollen Kindern und Jugendlichen Verhaltensweisen, Wissen und Fertigkeiten vermitteln, die sie zur selbständigen Gestaltung ihres Lebens befähigen. Schule darf deshalb nicht nur Wissen weitergeben, sondern sollte eine umfassende Persönlichkeitsentwicklung fördern, indem sie Lebens- und Alltagskompetenz vermittelt und einen Erfahrungsraum bietet zur Einübung selbstbestimmten und mitmenschlichen Verhaltens. Wünschenswert ist eine wechselseitig verständnisvolle Zusammenarbeit mit den Eltern.
Die Schul- und Unterrichtsorganisation setzt nach außen durch ihre Zeitstruktur oft sehr belastende Rahmenbedingungen für Familien: Die uneinheitlichen Zeiten des Schulbeginns und –schlusses sowie die Unterrichtsausfallzeiten führen dazu, dass sich Mütter und Väter nur unter großen Schwierigkeiten in ihrer Zeitorganisation den Schulzeiten anpassen können. Notwendig ist ein bedarfsgerechtes Angebot von Ganztagsbetreuung und Ganztagsschulen in allen Schulformen: Die in vielen europäischen Ländern üblichen Ganztagsschulen haben neben der zeitlichen Verlässlichkeit auch den Vorteil, dass in ihnen durch entsprechende pädagogische Begleitung gleiche Lernchancen für alle Kinder und Jugendlichen geschaffen werden. Dies ist insbesondere für die Schüler und Schülerinnen wichtig, deren Mütter oder Väter nicht die für den Schulerfolg in Deutschland immer noch vorausgesetzten „Hilfslehrkräfte“ sein können.
Erwerbsarbeit prägt die Familienwirklichkeit in vielfacher Hinsicht: Sie dient der materiellen Existenzsicherung, bedeutet Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und kann der Selbstverwirklichung dienen. Sie greift stark in die Alltagsabläufe und Zeitstruktur des Familienlebens ein. Die Familienmitglieder müssen sich dabei häufig den Erfordernissen der Arbeitswelt unterordnen. Die positiven Aspekte der Erwerbsarbeit sprechen für ein Familienmodell, das es beiden Eltern – Vater und Mutter – gestattet, sich Kindererziehung und Erwerbstätigkeit zu teilen. Denn trotz so genannter Doppelbelastung, so zeigen verschiedene Untersuchungen bei Müttern, sind gerade die Frauen am zufriedensten, denen es gelingt, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung miteinander zu vereinbaren.
Es ist paradox, dass einerseits die Arbeitslosigkeit ansteigt, andererseits sich aber die zeitlichen Anforderungen für viele berufliche Tätigkeiten erhöhen, in denen von Arbeitnehmer/innen und insbesondere von Führungskräften ein extrem hohes Maß an Zeitflexibilität, Mobilität und Zeiteinsatz erwartet wird. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf den Familienalltag und nimmt wenig Rücksicht auf die Tatsache, dass die Arbeitswelt auf die Familie als Ort der Rekreation, die ihre Mitglieder psychisch und sozial stabilisiert, angewiesen ist. Es liegt daher im Interesse der Firmen, diese Kraft der Familie zu stärken und nicht zu schwächen. Tatsächlich gibt es Arbeitgeber, die deutliche Signale für familienorientierte Arbeitszeitkonzepte geben, z.B. durch die Einrichtung von Zeitkonten, Sabbat-Zeiten oder flexiblere Arbeitsteilung im Team.
Die Tatsache, dass Arbeitskräfte mit Familienerfahrung über spezifische und hohe Kompetenzen verfügen, wie Flexibilität, Belastbarkeit und Verantwortungsbereitschaft, wird zunehmend von Arbeitgebern erkannt. Konkrete Erfahrungen lehren die Unternehmen, dass es im beiderseitigen Interesse liegt, familiale Notlagen, entstanden durch Erkrankungen, unerwartete berufliche Termine u.ä., durch einen Familienservice der Unternehmen zu entschärfen. Vieles bleibt allerdings noch zu tun. Es geht um die Schaffung sozialer Netzwerke auf kommunaler und regionaler Ebene. Wünschenswert ist hier eine verstärkte Kooperation zwischen Unternehmen, Gemeinden und kirchlichen Institutionen.
Ziel umfassender gesamtgesellschaftlicher Bemühungen muss es sein, unterschiedliche Lebensentwürfe für das Zusammenleben in Ehe und Familie zu ermöglichen. In freier Vereinbarung sollen Frauen und Männern in gleicher Weise Familienaufgaben und berufliche Pflichten übernehmen bzw. miteinander verbinden können, ohne dass dies bei ihnen als individuelles Problem verbleibt. Erst wenn es für Männer und Frauen wie für die Gesellschaft als ganze selbstverständlich ist, dass Männer genauso wie Frauen Familienarbeit übernehmen und ihre Erwerbstätigkeit entsprechend gestalten, herrscht Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt.