Thomas Mann und seine Kirche
Christoph Schwöbel - Thomas Mann und die religiöse Frage
1. Thomas Mann und die Religion – eine Frage
War Thomas Mann ein religiöser Dichter? Die Frage muß – so scheint es – einerseits verneint, andererseits bejaht werden.
Verneint werden muß die Frage, wenn man unter einem religiösen Dichter einen Dichter versteht, der in poetischer Form eine religiöse Botschaft weitergibt. Eine solche religiöse Botschaft, die hinter dem dichterischen Werk steht, gibt es bei Thomas Mann nicht. Verneint werden muß die Frage auch, wenn man unter einem religiösen Dichter einen Dichter versteht, dessen Werk von seiner eigenen Religiosität, von seinem eigenen Glauben, tief geprägt ist. Die eigene Religiosität Thomas Manns kommt nur sehr indirekt in den Blick. Weder seine literarischen Werke noch seine Essays und Vorträge lassen einen direkten Blick auf seine eigene Religiosität zu, und auch die Tagebücher und Briefe lassen erkennen, daß Thomas Mann mit der Frage seiner eigenen Religiosität in der Regel indirekt – also weder im direkten Bekenntnis noch in der Bestreitung eines solchen Bekenntnisses – umgeht.
Bejaht werden muß die Frage allerdings, wenn man unter einem religiösen Dichter einen Dichter versteht, der mit religiösen Zeichen, mit Bildern, Begriffen und Mythen aus der Welt der Religion arbeitet und in seinem Werk immer wieder auf religiöse Traditionen zurückgreift. Von den „Buddenbrooks“ an sind religiöse Zeichen im Werk Thomas Manns fast allgegenwärtig: von der ironisch-distanzierten Schilderung bürgerlicher Religiosität in ihren Verfallsgestalten in seinem ersten großen Roman über die immer stärkere Thematisierung theologisch-philosophischer Fragestellungen im Zauberberg bis zu der breiten Rezeption und Umgestaltung der Zeichenwelt altorientalischer Religionen in den Josephs-Romanen und schließlich zur expliziten Auseinandersetzung mit Themen der christlichen Theologie im „Doktor Faustus“ und im „Erwählten“. Thomas Manns Werk belegt die Unverzichtbarkeit religiöser Zeichen, wenn es um eine literarische Erfassung und Gestaltung der Wirklichkeit in allen ihren Dimensionen geht. Der Gebrauch religiöser Zeichen deutet dabei immer auf eine Zuspitzung im Wirklichkeitsverständnis hin. Die Zeichenwelt der Religion radikalisiert die Frage nach dem Sinn allen Geschehens, sieht in der Erfahrung der Oberfläche der Wirklichkeit – der selbst erfahrenen wie der erzählten – Hinweise auf grundsätzliche Fragen, die durch religiöse Zeichen thematisiert werden können.
Bejaht werden muß die Frage auch, wenn man unter einem religiösen Dichter einen Dichter versteht, der sich immer wieder mit der religiösen Frage auseinandersetzt, der Frage nach einem Grund des Daseins, in dem es Halt findet, nach einem letzten Ziel des Daseins, das dem Dasein Sinn zu geben vermag, nach einer letztgültigen Daseinsorientierung. „(D)as religiöse Problem“ – so formuliert Thomas Mann 1931 – „ist das humane Problem, die Frage des Menschen nach sich selbst“ (XI, 424). Dieses religiöse Problem, das das humane Problem ist, ist für Thomas Mann – wie er mit Max Scheler formuliert – „(d)ie Stellung des Menschen im Kosmos, sein Anfang, seine Herkunft, sein Ziel“ (ebd.). Diese Frage erhält ihre Bedeutung dadurch, daß der Mensch ein Wesen der Grenze ist, ein Zwischenwesen, das im confinium von Geist und Natur leben muß. Religiös geladen sind beide Seiten seines Wesens, die Natur (Mann spricht hier von der „Religion des Fleisches“ [XI, 425]) und der Geist. Er kann weder unter Verleugnung seiner Geistigkeit in die reine Natur zurückkehren noch im Aufschwung des Geistes die Natur hinter sich lassen. Thomas Mann formuliert darum: „Wenn ich aber eine Überzeugung, eine religio mein eigen nenne, so ist es die, daß es nie eine Stufe gegeben hat, auf der der Mensch noch nicht Geist, sondern nur Natur war.“ (XI, 425) Darum ist der Mensch durch seine Konstitution als Zwischenwesen genötigt, „aus den Antinomien seines geistig-fleischlichen Doppelwesens das Absolute, die Idee zu visieren“ (ebd.). Insofern gilt, daß für den Menschen „das Religiöse in seiner Zweiheit aus Natur und Geist beschlossen liegt“ (XI, 424).
Thomas Mann bleibt, jedenfalls für die meiste Zeit seiner dichterischen und denkerischen Entwicklung, dem Glauben wie dem Unglauben gegenüber skeptisch. „Glaube? Unglaube? Ich weiß kaum, was das eine ist und was das andere. Ich wüßte tatsächlich nicht zu sagen, ob ich mich für einen gläubigen Menschen halte oder für einen ungläubigen. Tiefste Skepsis in bezug auf beides, auf sogenannten Glauben und sogenannten Unglauben ist all mein Ausweis, wenn man mich katechisiert.“ (ebd.) Der Grund dieser Skepsis ist aber nicht eine prinzipielle Distanz gegenüber dem Religiösen, sondern gerade die Nähe des Rätsels unseres Daseins, von dem wir uns nicht distanzieren können. „Wir sind vom ewigen Rätsel so dicht umdrängt, daß man ein Tier sein müßte, um es sich nur einen Tag lang aus dem Sinn zu schlagen.“ (ebd.) Aber gerade diese Nähe bedingt, daß wir uns als Mensch dieses Rätsel nicht einfach als „ganz Anderes“ gegenüberstellen können. „Prostration, Anbetung, grenzenlose Unterwerfung“ gegenüber einem „‚Gott‘, der das Einstein’sche All geschaffen hat“ (ebd.), lehnt Mann darum ab, aber ebenso die Verweigerung der religiösen Frage durch den Rückzug in die Eindimensionalität des nur natürlichen (und darum tierischen) Daseins.
Dieses humane Problem, das das religiöse Problem ist, wird für Thomas Mann konkret in der Auseinandersetzung mit dem Tod. Auf die Frage „Was aber ist denn das Religiöse?“ läßt sich darum abgekürzt antworten: „Der Gedanke an den Tod. Ich sah meinen Vater sterben, ich weiß, daß ich sterben werde, und jener Gedanke ist mir der vertrauteste; er steht hinter allem, was ich denke und schreibe …“ (XI, 423). Die religiöse Frage läßt sich darum auch so formulieren: Welche Macht ist stärker als der Tod und kann darum der Herrschaft des Todes über die Gedanken des Menschen Widerstand leisten? Welcher Sinn hält angesichts des Wissens des Menschen um seinen eigenen Tod stand?
Im Folgenden möchte ich versuchen, einige Stationen von Thomas Manns Auseinandersetzung mit der religiösen Frage – so wie er sie in dem eben ausführlich zitierten Fragment aus dem Jahr 1931 deutet – nachzuzeichnen. Dabei ist keine Vollständigkeit zu erreichen. Es läßt sich allerdings doch – das ist meine These – eine gewisse Entwicklungslogik durch die wichtigsten Werke Thomas Manns hindurch verfolgen, die in ihren abschließenden Stadien zentralen Fragen der reformatorischen Theologie sehr nahe kommt.(1) Im Nachzeichnen dieser Entwicklung läßt sich vorsichtig, und mit wichtigen Einschränkungen, die Frage beantworten, ob, und wenn ja, in welchem Sinne Thomas Mann ein religiöser Dichter war.
2. Das Ende des bürgerlichen Protestantismus: die „Buddenbrooks“
In den „Buddenbrooks“ gehört das Religiöse, die lutherische Kirchlichkeit seiner Heimatstadt Lübeck und ihre stärker reformiert geprägten Varianten, die sich mit Formen des Erweckungschristentums verbinden, zum Inventar der bürgerlichen Welt, deren Niedergang am Beispiel des „Verfalls einer Familie“ erzählt wird. Der Roman beginnt mit der Katechismusfrage „Was ist das?“ des lutherischen Katechismus und endet mit dem „Es ist so!“ von Sesemi Weichbrodt, in dem der Beschluß eines Katechismusstückes „Das ist gewißlich wahr“ nachzuklingen scheint. Thomas Manns Behandlung der christlichen Religion in diesem Werk ist eine kaum verschlüsselte Spiegelung seiner eigenen Erfahrungen mit der bürgerlichen Religion. Die Religion ist fest hineinverwoben in die Textur der bürgerlichen Gesellschaft, die kirchlichen Amtshandlungen begleiten das Leben der Familie und der sonntägliche Gottesdienst gehört zum Rhythmus der Woche. Aber diese bürgerliche Religion hat keine Orientierungskraft, weder in ihrer kirchlich institutionalisierten Form noch in den freien, gemeinschaftlich organisierten Formen, deren Pflege in der Form von täglichen Andachten und Jerusalemsabenden eine Reaktion vor allem der Frauen auf den Verfall der Familie zu sein scheint.
Es ist schon oft beobachtet worden, daß Thomas Mann den Generationen der Buddenbrooks eine Abfolge von Pastoren zuordnet, so daß der Leser den Eindruck gewinnt, daß sich die Verfallsgeschichte in den Vertretern der bürgerlichen Religion spiegelt.(2) Dem aufgeklärt heiteren Johann Buddenbrook dem Älteren ist der ihm geistesverwandte Pastor Wunderlich an die Seite gestellt, dem in pietistisch gefärbter, sentimentaler Religiosität sich ergehenden Jean Buddenbrook, der – wie Thomas Mann am Beispiel seiner Kommentierung der Geburt seiner Tochter Clara in drastischer Ironie vorführt – sein eigenes Leben als exemplarischen Fall einer providentia specialissima deuten kann, der Marienpastor Kölling, „ein robuster Mann mit dickem Kopf und derber Redeweise“ (I, 75), der allerdings seine Vorliebe für rabiate Ausdruckweise mißbraucht, um von der Kanzel – indirekt, versteht sich – Tony Buddenbrooks Ehe mit dem Agenten Grünlich, dem „Pastorssohn“, zu unterstützen (vgl. I, 115). Schließlich steht dem Senator Thomas Buddenbrook, der bei der Schopenhauer-Lektüre ein gleichsam religiöses Erschließungserlebnis hat, der Pastor Pringsheim gegenüber, dessen Charakterisierung für Eingeweihte eine nur allzu leicht zu durchschauende Persiflage des Senior Paul Emil Leopold Friedrich Ranke war. Er hatte die Familie Mann als „verrottet“ bezeichnet, und diese Charakterisierung wird von Thomas Mann unverändert in die Buddenbrooks übernommen. Hanno erzählt Kai Graf Mölln: „Neulich nach der Konfirmandenstunde hat Pastor Pringsheim zu jemandem gesagt, man müsse mich aufgeben, ich stamme aus einer verrotteten Familie.“ (I, 743) Der Verfall, der bei den Buddenbrooks mit einer zunehmenden Hinwendung zu ästhetisierender Innerlichkeit einhergeht, die der praktischen Lebenstauglichkeit entgegensteht, bringt eine ebenso zunehmende Distanz zu den Vertretern der institutionalisierten Kirche. Diese aber erscheinen als ebenso zunehmend allein auf die Äußerlichkeiten der Religion konzentriert. Der Besuch von Pringsheim am Sterbebett von Thomas Buddenbrock, „in halbem Ornat, ohne Halskrause, aber in langem Talar“ (I, 683), erscheint als literarische Spiegelung der Szene, die Thomas Mann vom Totenbett seines Vaters berichtet, in der „Amen“ nur noch „Schluß!“ (XI, 423) bedeutet.
Schluß ist es mit der bürgerlichen, von der institutionalisierten Kirche vertretenen Religion in den „Buddenbrooks“. Sie löst sich einerseits auf in die Konventikelfrömmigkeit der Frauen, die angesichts der Anzeichen des Verfalls Trost im religiösen Engagement suchen, das aber der Verfallstendenz nicht wirksam entgegentreten kann, und andererseits in die weltanschaulich-ästhetische Begeisterung, die – ganz parallel zur Frömmigkeit der Frauen – zwar affektiv hoch besetzt ist, aber keine Handlungsorientierung vermitteln kann. Die Lektüreerfahrungen von Thomas Buddenbrook mit Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“ bieten dafür ein instruktives Beispiel. Die Lektüre des Kapitels „Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unseres Wesens an sich“ versetzt den äußerlich erfolgreichen, aber innerlich desorientierten Konsul in den Zustand „eines schweren, dunklen, trunkenen und gedankenlosen Überwältigtseins“ (I, 655). In der Nacht, nach drei Stunden Schlaf, hat er ein überwältigendes, doch letzlich folgenloses, weil keine bleibende Einsicht vermittelndes Offenbarungserlebnis: „…plötzlich war es, als wenn die Finsternis vor seinen Augen zerisse, wie wenn die samtne Wand der Nacht sich klaffend teilte und eine unermeßlich tiefe, eine ewige Fernsicht von Licht enthüllte … ich werde leben! sagte Thomas Buddenbrook beinahe laut und fühlte, wie seine Brust dabei vor innerlichem Schluchzen erzitterte.“ (I, 656) Dies „bißchen Wahrheit“ läßt ihn zunächst ermattet in die Kissen zurücksinken, dann aber erfolgt eine weitere Vision, die die Lebensgewißheit in der Einsicht begründet, daß der ein „Glück“ (ebd.) sei, weil er „seine Persönlichkeit und Individualität, dieses schwerfällige, störrische, fehlerhafte und hassenswerte Hindernis, etwas Anderes und Besseres zu sein“ (I, 657) beendet und auflöst. Ist die Individualität, die den Menschen in die äußeren Lebensumstände einschließt, als „Gefängnis“ erkannt, aus dem der Tod befreit, wird deutlich: „Ich trage den Keim, den Ansatz, die Möglichkeit zu allen Befähigungen und Betätigungen der Welt in mir“ (I, 657). Das Lebensbemühen, in seinem Sohn fortzuleben und so den Weiterbestand der Familie zu sichern, erscheint so als „(k)indische, irregeführte Torheit“ (ebd.), weil der durch den Tod befreite Wille in allen weiterlebt, die zu sich Ja sagen, „besonders aber in denen, die es voller, kräftiger, fröhlicher sagen …“ (ebd.). Der durch den Tod der Individualität entgrenzte Wille wendet sich dem Leben der Welt als Liebe zu: „… ich liebe euch alle, ihr Glücklichen“ (I, 658). Mit diesen „plötzlichen, beseligenden Erhellungen“ erschließt sich für den Senator die Welt:
„Die Mauern seiner Vaterstadt, in denen er sich mit Willen und Bewußtsein eingeschlossen, taten sich auf und erschlossen seinem Blicke die Welt, die ganze Welt, … die der Tod ihm ganz und gar zu schenken versprach. Die trügerischen Erkenntnisformen des Raumes, der Zeit und also der Geschichte, die Sorge um ein rühmliches, historisches Fortbestehen in der Person von Nachkommen, die Furcht vor irgendeiner endlichen historischen Auflösung und Zersetzung, – dies alles gab seinen Geist frei und hinderte ihn nicht mehr, die stete Ewigkeit zu begreifen. Nichts begann und nichts hörte auf. Es gab nur eine unendliche Gegenwart, und diejenige Kraft in ihm, die mit einer so schmerzlich süßen, drängenden Liebe das Leben liebte, und von der seine Person nur ein verfehlter Ausdruck war – sie würde die Zugänge zu dieser Gegenwart immer zu finden wissen.“ (I, 658 f.)
Zwar faßt der Senator den Entschluß, an dieser Einsicht für immer festzuhalten und sich die Weltanschauung, aus der sie erwuchs, ganz zu eigen zu machen, jedoch „schon am nächsten Morgen, als er mit einem kleinen Gefühl von Geniertheit über die geistigen Extravaganzen von gestern erwachte, ahnte er etwas von der Unausführbarkeit dieser schönen Vorsätze“ (I, 659): „Das öffentliche, geschäftliche, bürgerliche Leben in den giebeligen und winkeligen Straßen dieser mittelgroßen Handelsstadt nahm seinen Geist und seine Kräfte wieder in Besitz.“ (I, 659) Das Buch, das ihm diese wundersamen Erhellungen beschert hatte, wird nach zwei Wochen auf Geheiß des Senators vom Dienstmädchen aus dem Gartenhaus entfernt und in den Bücherschrank verbannt. Der Senator flüchtet sich zurück in die Religion seiner Kindertage, aber dieser Rückzug ist nur ein Symptom der Ermattung:
„So aber geschah es, daß Thomas Buddenbrook, der die Hände verlangend nach hohen und letzten Wahrheiten ausgestreckt hatte, matt zurücksank zu den Begriffen und Bildern, in deren gläubigen Gebrauch man seine Kindheit geübt hatte. Er ging umher und erinnerte sich des einigen und persönlichen Gottes, des Vaters der Menschenkinder, der einen persönlichen Teil seiner Selbst auf die Erde entsandt hatte, damit er für uns leide und blute, der am Jüngsten Tage Gericht halten würde, und zu dessen Füßen die Gerechten im Laufe der dann ihren Anfang nehmenden Ewigkeit für die Kümmernisse dieses Jammertales entschädigt werden würden … dieser ganzen, ein wenig unklaren und ein wenig absurden Geschichte, die aber kein Verständnis, sondern nur gehorsamen Glauben beanspruchte und die in feststehenden und kindlichen Worten zur Hand sein würde, wenn die letzten Ängste kamen … Wirklich?“ (I, 660)
Der christliche Glaube erscheint hier als die Religion der Regression, des Rückzugs auf seit den Kindertagen vertraute Vorstellungen, die in dem gehorsamen Glauben Sicherheit bieten sollen, wenn die Suche nach hohen Gewißheiten nicht zum Ziel geführt hat. Thomas Buddenbrook verliert sich in Grübeleien über die Frage, „ob nun eigentlich die Seele unmittelbar nach dem Tode in den Himmel gelange oder, ob die Seligkeit erst mit der Auferstehung des Fleisches beginne“ (ebd.), er sinnt über die Frage nach dem Aufenthaltsort der Seele nach dem Tod nach, erwägt sogar Pastor Pringsheim um Aufklärung zu bitten, unterläßt es aber aus „Furcht vor der Lächerlichkeit“ (I, 661). Schließlich bricht er, ohne zu einer Klärung gekommen zu sein, die religiöse Suche ab: „Endlich gab er alles auf und stellte alles Gott anheim.“ (Ebd.) Da sich in Fragen der inneren Orientierung, im Durchdenken der „ewigen Angelegenheiten“ keine Klarheit gewinnen läßt, wendet er sich der Ordnung der irdischen Angelegenheiten, der äußeren Arrangements der Verhältnisse nach seinem Tod zu und macht sein Testament. Das Ergebnis der religiösen Suche ist der Rückzug aus der Beschäftigung mit den innerlichen Dingen und die Ordnung der äußeren Lebensumstände.
Thomas Mann präsentiert das Ergebnis der Auseinandersetzung des Senators mit der religiösen Frage in seinem Gespräch mit Tony Buddenbrook am Meer. Sie ist die Antifigur zur Resignation, die ihren Prinzipien treu bleibt und statt des Rückzugs in die Resignation den Widrigkeiten ihres Lebensgeschicks mit der Rebellion der Widerworte begegnet, die ihre Grundlage im Glauben hat, daß alle Widersacher der Familie im Jüngsten Gericht Rechenschaft ablegen müssen: „Was für Filous, Thomas, Gott wird sie strafen dereinst, den Glauben bewahr ich mir.“ (I, 671) Ganz anders der Senator. Ihm ist das Meer mit seinen breiten Wellen, die „daherkommen und zerschellen, daherkommen und zerschellen, eine nach der anderen, endlos, zwecklos, öde und irr“ (ebd.), zum Sinnbild der Einfachheit der äußeren Dinge geworden, zu der sich die zurückziehen, die nicht mehr im Gebirge der „Verwicklungen der inneren Dinge“ (ebd.) tapfer umhersteigen wollen, voll „Unternehmungslust, Festigkeit und Lebensmut“ (I, 672): „‚… man ruht an der weiten Einfachheit der äußeren Dinge, müde wie man ist von der Wirrnis der inneren.‘“ (Ebd.) Und so stirbt der Senator, nachdem er nach einer harmlosen Zahnbehandlung auf dem nassen Pflaster stürzt: „Senator Buddenbrook war an einem Zahne gestorben, hieß es in der Stadt.“ (I, 688)
Dennoch darf man nicht unterschätzen, was in dem in ironisierender Persiflage berichteten Ende der bürgerlichen Religion an christlichen Traditionsstücken bewahrt wird und für Thomas Mann zeitlebens zum Zeichenrepertoire des religiösen Dichters gehört: Die Vertrautheit mit dem Text der Lutherbibel, des Kleinen Katechismus, der Lieder Paul Gerhards bleibt trotz aller persiflierenden Modifikationen präsent, auch wenn die Grundbegriffe lutherischer Frömmigkeit in der von Thomas Mann zitierten Rabenaas-Strophe nur noch in der Verballhornung überleben, in der sich „Gnadenhimmel“ auf „Sündenlümmel“ reimen muß.
3. Ersatzreligionen: Schopenhauer und Nietzsche
Nach dem Ende des bürgerlichen Protestantismus, wie es in den Buddenbrooks zelebriert wird, sucht Thomas Mann wie sein Namensvetter unter den Buddenbrooks Orientierung in philosophischen Weltanschauungen, die einen explizit metareligiösen Charakter haben, weil sie einerseits den Anspruch erheben, die christliche Religion kritisch als Verirrung des menschlichen Geistes zu erweisen, andererseits aber auch versuchen, die Orientierungsleistung der Religion konstruktiv zu ersetzen.(3) Die Philosophien Schopenhauers und Nietzsches werden von Thomas Mann als Ersatzreligionen rezipiert. Die Beschäftigung mit Nietzsche beginnt wahrscheinlich schon 1894. Erst 1899 / 1900 erfolgt eine eingehende Beschäftigung mit Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“. Für Thomas Mann waren Schopenhauer und Nietzsche, deren Rezeption mit seiner Wagner-Leidenschaft einhergeht, „ein metaphysischer Zaubertrank“ (IX, 561). So wie er postuliert, daß Philosophien auf Künstler oft nicht durch ihre „Moral und Weisheitslehre“ wirken, sondern durch ihre „Vitalität“, „durch ihre Leidenschaft also mehr als durch ihre Weisheit“ (IX, 561), so versetzte ihn der kombinierte Effekt ausgewählter Texte von Nietzsche und Schopenhauer in einen metaphysischen Rausch, in der der Gehalt ihrer Philosophie nicht rational-diskursiv, sondern affektiv-schwärmerisch erfaßt wird. Thomas Mann zitiert darum Schopenhauer und Nietzsche immer mit dem Pathos des religiösen Erlebnisses. Ihre Philosophien begleiten seinen Ausbruch aus dem religiösen Kosmos der Bürgerlichkeit, aber in der Weise, daß dieser Ausbruch selbst als Produkt des Bürgertums verstanden werden kann. Das Bürgertum setzt in Schopenhauer und Nietzsche seine eigene Überwindung in Szene, und dieser Exodus kann nur in religiösen Bildern und Gedanken erfaßt werden, bis hin zur Übertragung des „Ecce homo“-Motivs auf Nietzsche. In seinem Vortrag „Goethe als Repräsentant des bürgerlichen Zeitalters“ beschreibt Thomas Mann diesen Vorgang so:
„Der Wille und die Berufung zur höchsten Entbürgerlichung, zum höchsten gefährlichen Abenteuer des versuchenden Gedankens, das ist der Freibrief, den der Geist selbst dem bürgerlichen Menschen ausgestellt hat. Noch jener Sohn und Enkel protestantischer Pfarrhäuser, in dem die Romantik des neunzehnten Jahrhunderts sich selbst überwand und mit dessen Opfertode am Kreuz des Gedankens unsäglich Neues sich anbahnte, noch dieser Friedrich Nietzsche –, wo lagen denn seine Wurzeln als im Erdreich bürgerlicher Humanität?“ (IX, 329)
Diese dialektische Kontinuität zwischen bürgerlicher Humanität und Entbürgerlichung, die Thomas Mann schon bei Goethe bemerkt, wird bei Thomas Mann unter dem Einfluß des Nietzscheaners Dimitri Mereschkowski prinzipiell umgedeutet in eine Sicht der Wirklichkeit, die diese von polar entgegengesetzten Größen bestimmt sieht.4 Die polaren Elemente der Philosophien Schopenhauers und Nietzsches, „Wille“ und „Vorstellung“, aber auch „gut“ und „schlecht“, werden in eine Weltanschauung umgegossen, in der sich Natur und Geist, Blut und Vernunft gegenüberstehen. Die Bewältigung der Wirklichkeit erfolgt in der Auseinandersetzung zwischen der nach Auflösung drängenden Todessehnsucht des Lebens und der die chaotischen Mächte bändigenden Vernunft. Thomas Mann stellt sich die religiöse Frage nach dem Ende der bürgerlichen Religion als Frage nach einem letzten Ziel der Menschheit, in dem sich die wahre humanitas ausbildet. Diese wahre Menschlichkeit ist die Synthese dessen, was jetzt noch polar auseinanderstrebt: die Lebenskraft der Natur und die Formkraft des Geistes. So formuliert Thomas Mann im Anschluß an Mereschkowski:
„…es war Dimitri Mereschkowski, der gesagt, hat, das Animalische enthalte den Tier-Menschen und den Tier-Gott. Das Wesen des Tier-Göttlichen sei von der Menschheit noch kaum begriffen worden und doch werde erst die Vereinigung dieses Tier-Göttlichen mit dem Gott-Menschen einst die Erlösung des Menschengeschlechtes bringen. Dies ‚Einst‘, diese Erlösungsidee, die nicht mehr Christentum und nicht wieder Heidentum ist, trägt in sich die Lösung des Vornehmheitsproblems, wie sie die Rechtfertigung in sich trägt alles ironischen Vorbehalts angesichts letzter Wertfragen.“ (IX, 172)
So stellt sich also die religiöse Frage nach dem Ende der bürgerlichen Religion dar. Die Beziehung zu Gott als dem Grund aller Wirklichkeit ist verloren gegangen, das Gottesbild ist mit dem Untergang des bürgerlichen Christentums zerschellt. Das moderne – bürgerlich-nachbürgerliche – Subjekt steht vor der Aufgabe der Selbstkonstitution, in sich selbst den Grund zu entdecken, der es trägt und der eine konstruktive Lebensgestaltung ermöglicht. Aber bei dieser Aufgabe der Selbstkonstitution sieht sich das Subjekt von zwei Mächten bestimmt: von dem Trieb des Blutes, der im Kern für Thomas Mann ein Todestrieb ist, und von dem Gesetz der Vernunft, das aber den Preis des Lebens zu fordern scheint. Die Bewältigung der todessehnsüchtigen Destruktivität des Lebens wird zur Aufgabe der Formgebung durch eine neue Einheit von Natur und Geist, Blut und Vernunft. Diese Aufgabe der Formgebung ist geleitet von der Vision einer zukünftigen Erlösung, in der die Vereinigung von Tier-Göttlichem und Gott-Menschlichem, und damit die Transzendierung von Christentum und Heidentum vollzogen wird. Die Aufgabe der Formgebung, die sich nicht auf Kosten des Lebens vollzieht, sondern dieses vor der ihm inhärenten Destruktivität bewahrt, wird von Thomas Mann im Medium des literarischen Kunstwerks vollzogen. Die Formgebung des Lebens vollzieht sich als Formgebung des Kunstwerks. Dabei werden von Thomas Mann immer neue Besetzungen der zugrundeliegenden Polarität erprobt, die eine große Spannweite von Konstellationen umfassen, vom Dualismus zum Monismus, von der Dialektik zur Synthese. Ausschlaggebend ist dabei immer die Idee einer noch ausstehenden Versöhnung. Alle weltanschaulich-religiösen Konstruktionen seiner literarischen Werke vollziehen sich unter diesem „eschatologischen Vorbehalt“: Die letztgültige Versöhnung von Natur und Geist, Blut und Vernunft, im geformten Leben oder in der lebensgesättigten Form steht noch aus. Mit diesem eschatologischen Vorbehalt rechtfertigt Thomas Mann die Ironie als „Pathos der Distanz“. Da die Erlösung noch nicht geschehen ist, kann die Wirklichkeit sub specie redemptionis nur ironisch erfaßt werden.
4. Wiederannäherungen an das Christentum
Thomas Mann hat immer wieder versucht, die weltanschaulich-religiösen Grundlagen seiner literarischen Arbeit in einer nicht-fiktionalen Form zu entfalten. Das geschieht immer wieder in den Vorträgen und Essays, zumeist in der Kommentierung der Behandlung der weltanschaulichen Orientierung bei den Großen der Literatur: Die Vorträge und Essays über Goethe, Tolstoi, Dostojewski, Wagner, Schopenhauer und Nietzsche sind herausragende Beispiele dieser Form der Weltanschauungsphilosophie als Literaturkritik. Thomas Mann arbeitet in diesen Werken mit der Umprägung und dem Weiterdenken der in den kommentierten Texten und Gestalten vorliegenden Ideen und Konzepte, indem er deren Idiom aufnimmt und durch eigene Reflexionen modifiziert. Diese Arbeiten sind bewußt nicht eigen-ständig, sie knüpfen an die Standpunkte anderer an und entwerfen von diesen her Perspektiven auf die Interpretation der Wirklichkeit. Der große Versuch, die weltanschaulichen Grundlagen der Politik für sich eigenständig zu klären, Thomas Manns „Betrachtungen eines Unpolitischen“ (1918), ist – schließlich auch von ihm selbst – als zumindest partiell gescheitert betrachtet worden. Es gelingt Thomas Mann nicht, seine Haltung positiv zu profilieren. Was genau wird in diesem Werk konstruktiv empfohlen, was als eigene Vision zur Sprache gebracht? Klar ist, was kritisiert und abgelehnt wird; klarer noch, wer abgelehnt wird: der Bruder Heinrich, Inbegriff einer nach Westen orientierten Zivilisation. Das Bild des „Zivilisationsliteraten“ steht für alles, was Thomas Mann ablehnt, auch im Bereich des Religiösen. Was verworfen wird, ist ein politisch instrumentalisierter religiöser Glaube, der den politischen Glauben an die Demokratie noch einmal religiös unterstreicht. Solch ein Glaube, den man um seiner Funktion willen teilt, hat mit dem wirklichen Glauben nichts zu tun. In den „Betrachtungen eines Unpolitischen“ sind die Zivilisationsliteraten „Gläubige“, die glauben, um auf diese Weise den von ihnen vertretenen Werten, allen voran der westlichen Demokratie, zum Durchbruch zu verhelfen. Die Religionskritik wird von Thomas Mann jedoch ebenso abgelehnt. Sie erscheint als Versuch einer besseren Funktionalisierung des religiösen Glaubens, die den Glauben aus seiner instrumentellen Leistung heraus definiert. Das alles hat mit dem wirklichen Glauben nichts zu tun. „Der Glaube an Gott ist ein anderer Glaube als der an den Fortschritt.“ (XII, 535) An anderer Stelle heißt es: „Nein, der wahre Glaube ist keine Doktrin und keine verstockte und rednerische Rechthaberei. Es ist nicht der Glaube an irgendwelche Grundsätze, Worte und Ideen wie Freiheit, Gleichheit, Demokratie, Zivilisation und Fortschritt.“ (XII, 504) Der wirkliche Glaube hat es mit dem wirklichen Gott zu tun. „Gott“ wird damit zur Chiffre für das Nicht-Instrumentalisierbare. Trotzdem aber hat dieser Glaube an Gott Wirkungen. Er ist die heilige – durch keine profane Abzweckung zu entweihende – Verpflichtung auf die Liebe, das Leben und die Kunst, die allen dreien dient. „Was aber ist Gott?“, fragt Thomas Mann, und er antwortet mit der Frage: „Ist er nicht die Allseitigkeit, das plastische Prinzip, die allwissende Gerechtigkeit, die umfassende Liebe? Der Glaube an Gott ist der Glaube an die Liebe, an das Leben und an die Kunst.“ (XII, 504) Wo dieser Glaube gepflegt wird, erschließt sich die Außerordentlichkeit des Menschlichen. „Wie außerordentlich ist das Menschliche, – welches doch das Wahre und Wesentliche ist! Die Religion aber, die Kultstätte, diese Sphäre des Außerordentlichen gibt das Menschliche frei und macht es schön … Die Mehrzahl der Menschen bedarf der Gebundenheit durch Ehrfurcht, um einen erträglichen und sogar schönen Anblick zu bieten; und daß sie den Menschen eine zugleich gebundene und menschlich-befreite Haltung verleiht, gilt mir als hohes, ästhetisch-humanes Verdienst der Kirche.“ (XII, 480 f.)
Die „Betrachtungen eines Unpolitischen“ sind ein schwer zu durchschauender Urwald aus Ideen, die ihre Prägnanz immer eher in der Ablehnung gewinnen als in der Zustimmung. Das gilt auch für Thomas Manns Reflexionen zur Religion und zum Glauben. Interessant ist allerdings, daß religiöse Themen in diesen Reflexionen permanent präsent sind. Die Reflexion auf die Grundlagen der menschlichen Wertortientierung kommt ohne die Reflexion der religiösen Wirklichkeitssicht nicht aus. Thomas Mann sucht nach einem Kriterium, das es ihm erlaubt, zwischen falschem Glauben und wahrem Glauben, Religion und Götzendienst, zwischen dem wahren Gott und den Abgöttern zu unterscheiden. Man kann nicht sagen, daß er ein solches Kriterium in den „Betrachtungen“ schon gefunden hat. Rückblickend sind sie nur ein Durchgangsstadium in Thomas Manns Behandlung der religiösen Frage. Es ist aber auffällig, daß sich in ihnen eine Wiederannäherung an die christliche Tradition vollzieht, an das, was den verkehrenden, instrumentalisierten Formen von Glauben und Religion als Wahrheit gegenübersteht. Im Verlauf seiner weiteren Entwicklung ist vieles, was hier negativ bewertet wird, positiv wieder angeeignet worden. Dies ist aber nur dadurch möglich, daß es überhaupt als Problembestand von Thomas Mann bearbeitet wurde. Auffällig ist hier vor allem die Beziehung zwischen Demokratie und Christentum: „Christentum ist die Demokratie als Religion“, heißt es, oder auch: „Demokratie ist der politische Ausdruck des Christentums“.(5) Was 1918 in der Abwehr der Demokratievorstellung des Zivilisationsliteraten noch ganz negativ besetzt erscheinen konnte, kann seit dem Vortrag „Von deutscher Republik“ vom Oktober 1922 ganz positiv bewertet werden. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Christentum, wie es sich in seiner Ambivalenz zwischen Instrumentalisierbarkeit und wahrem Glauben präsentiert, ist somit die Bedingung für die Wiederannäherung an das Christentum.
5. Die Offenbarung des Bösen und die Forderung der Güte und Liebe
Die Auseinandersetzung um die Polarität von Vernunft und Blut, von formgebender Idee und formzerstörender Vitalität, prägt in vielen Ausprägungen den „Zauberberg“. Die Ideen, mit denen Thomas Mann in den „Betrachtungen“ ringt wie Laokoon mit den Schlangen, tauchen neu auf, allerdings in der ironisierenden Distanzierung der literarischen Darstellung. Thomas Mann beschreibt die Situation nach 1918, indem er seine Figuren die Zeit von 1907 bis 1914 durchleben läßt, obwohl sie dabei Gedanken aus Schriften diskutieren, die erst Anfang der zwanziger Jahre erscheinen sollten, von Oswald Spenglers „Der Untergang des Abendlandes“ bis zu Ernst Troeltschs „Naturrecht und Humanität in der Weltpolitik“. Thomas Manns eigene Orientierungssuche wird so transformiert in die Bildungsgeschichte Hans Castorps, des „Flachlandbewohners“, der sein Leben ganz im Äußeren zu führen gewöhnt ist, der mit dem Aufenthalt im Gebirge sich aber mutig mit den hier florierenden Ideen der Innenwelt des Geistes auseinandersetzen muß, die wiederum in der Form polarer Gegensätze begegnen.(6) Da ist zunächst der Aufklärer und Humanist Lodovico Settembrini, der als „Satana“ eingeführt wird und versuchen soll, Hans Castorp aus seiner „Mittelmäßigkeit“ herauszuführen, in der er „keinen unbedingten Grund“ (III, 50) sieht, sich für irgendetwas einzusetzen. Die Botschaft, die Settembrini an Castorp weiterzugeben versucht, besteht darin, ihn den Tod als Teil und Bedingung des Lebens sehen zu lehren. „(D)ie einzig religiöse Art, den Tod zu betrachten“, ist die, „ihn als Bestandteil und Zubehör, als heilige Bedingung des Lebens zu begreifen, nicht aber – was das Gegenteil von gesund, edel, vernünftig und religiös wäre – ihn geistig irgendwie davon zu scheiden, ihn in Gegen satz dazu zu bringen und ihn etwa gar widerwärtigerweise dagegen auszuspielen“ (III, 280). Zu dieser Sicht – nun aber nicht im Sinne von Settembrinis aufklärerischem Humanismus, sondern im Sinne eines robusten Materialismus – scheint Castorp auch der Hofrat Behrens anleiten zu wollen. Hier wird Settembrinis Botschaft von der Einheit von Leben und Tod, die er so formuliert, daß der Tod Bedingung zum Leben sei, umgeformt in die Formulierung, daß Leben Sterben sei. Leben ist – so Behrens – „Oxydation“: „Leben ist hauptsächlich auch bloß Sauerstoffbrand des Zelleneiweiß … Tja, Leben ist Sterben, da gibt es nicht viel zu beschönigen, – une destruction organique, wie irgendein Franzose es in seiner angeborenen Leichtfertigkeit mal genannt hat.“ (III, 371.) Castorp zieht daraus den ebenso altklugen wie problematischen Schluß: „Und wenn man sich für das Leben interessiert … so interessiert man sich namentlich für den Tod.“ (III, 371) Die materialistische Erklärung führt Castorp allerdings nicht zur Erklärung des Ursprungs des Lebens: „…dem Leben schien es verwehrt, sich selbst zu begreifen“ (III, 391).
Die Fragestellung vertieft sich, als „Noch jemand“ die Szene betritt: Leo Naphta, der in seiner revolutionär-reaktionären Weltanschauungsmischung das Gedankengut der konservativen Revolution repräsentiert. Gegenüber der monistischen Weltsicht eines Settembrini und gegenüber dem materialistischen Monismus des Hofrats vertritt er einen Dualismus, der vom Antagonismus von Geist und Natur lebt. Der aufklärerische Humanismus Settembrinis, der das ganze geistige Repertoire des „Zivilisationsliteraten“ vertritt, und die romantische Gemeinschaftsmystik Naphtas(7), der – als Prototyp von Nietzsches „asketischem Priester“ gestaltet – das Leben über seine vitalen Möglichkeiten steigert, indem er dem bloßen Leben widerspricht, erscheinen diesem als nicht miteinander zu vermittelnde Gegensätze. Gott und der Teufel, das sind für Naphta nicht gegensätzliche Prinzipien, die in einen Streit um „das Leben“ verwickelt seien. „In Wirklichkeit aber seien sie eins und einig dem Leben entgegengesetzt, der Lebensbürgerlichkeit, der Ethik, der Vernunft, der Tugend, – als das religiöse Prinzip, das sie gemeinsam darstellten.“ (III, 640) Wird der Geist als Widersacher des bloßen, in dumpfer Vitalität vor sich hin existierenden Lebens begriffen, dann erscheint der Zustand der Krankheit als Auszeichnung menschlichen Lebens vor dem bloß organischen: „Im Geist, also, in der Krankheit beruhe die Würde des Menschen und seine Vornehmheit; er sei, mit anderen Worten, in desto höherem Grade Mensch, je kränker er sei, und der Genius der Krankheit sei menschlicher als der der Gesundheit.“ (III, 643) Ist also der wahre Humanismus letztendlich ein Humanismus des Todes, weil im Tod allein der Widerspruch des Geistes gegen das bloße Leben Gestalt gewinnt? So fragt sich Hans Castorp, durch die Gespräche mit seinen beiden „Pädagogen“ in eine Situation einsichtsloser Aporie getrieben: „Wer war denn nun eigentlich frei, wer fromm, was machte den wahren Stand und Staat des Menschen aus: der Untergang in der allesverschlingenden und ausgleichenden Gemeinschaft, der zugleich wüstlingshaft und asketisch war, oder das ‚kritische Subjekt‘, bei welchem Windbeutelei und bürgerliche Tugendstrenge einander ins Gehege kamen?“ (III, 646)
Auflösen könnte sich diese Aporie nur durch eine Offenbarung, die neue Erkenntnis gegenüber den Konstruktionen der beiden „Pädagogen“ vermittelt. Und sie ereignet sich, von Thomas Mann kunstvoll gestaltet, im Kapitel „Schnee“ des Romans. In der verschneiten winterlichen Berglandschaft unternimmt Hans Castorp eine Skiwanderung. Wie ein „Kolloquium mit Naphta und Settembrini“ führt sie ihn „ins Weglose und Hochgefährliche“ (III, 659). Im Schneetreiben verwandelt sich jedes irdische Ziel in weißliche Transzendenz. An einen Schuppen gelehnt widerfährt Hans Castorp ein Erschließungserlebnis, erst als Bilder-Traum, dann als Gedanken-Traum. Als Bild erschließt sich ihm eine sonnenbeschienene südliche Meereslandschaft mit üppiger Vegetation und einer jugendlichen Bevölkerung voll Anmut und Schönheit: „Menschen, Sonnen- und Meereskinder, regten sich und ruhten überall, verständig-heitere, schöne junge Menschheit, so angenehm zu schauen – Hans Castorps Herz öffnete sich weit, ja schmerzlich weit und liebend ihrem Anblick“ (III, 679). Je tiefer er jedoch in das Bild eindringt, die Stufen hinauf in den „Säulenwald“ hinein, vorbei an einer Statuengruppe, Mutter und Tochter, die Mutter schützend die Tochter umschlingend, „wurde Hans Castorps Herz aus dunklen Gründen schwerer, angst- und ahnungsvoller“ (III, 682). Schließlich schaut er in die Tempelkammer, in der „(z)wei graue Weiber“ ein kleines Kind mit ihren Händen zerrissen und die Stücke verschlangen. Von den Frauen mit wütendem Fäusteschütteln bedroht, wird ihm übel, zieht er sich zurück – und erwacht aus seinem Bilder-Traum, noch benommen durch das „eisige Grausen vor dem Blutmahl“ und der „Herzensfreude“ vorher an den Sonnenmenschen. Vorsichtig deutend versucht er die Oberfläche und die Tiefe des erschauten Bildes miteinander zu verbinden: „Waren sie so höflich und reizend zueinander, die Sonnenleute, im stillen Hinblick auf eben dies gräßliche?“ (III, 683 f.) Er entschließt sich, beiden Pädagogen den Abschied zu geben: Settembrinis Vernunft-Humanismus, den er als „Philisterei und bloße Ethik, irreligiös“ abtut und Naphtas mystischem Obskurantismus, „seiner Religion, die nur ein guazzabuglio von Gott und Teufel, Gut und Böse ist, eben recht, damit das Einzelwesen sich kopfüber hineinstürze zwecks mystischen Unterganges im Allgemeinen“ (III, 685). Die Gegensätze lösen sich für Hans Castorp auf: „Tod oder Leben – Krankheit, Gesundheit – Geist und Natur. Sind das wohl Widersprüche?“ Die Antwort verbindet die Polaritäten: „Die Durchgängerei des Todes ist im Leben, es wäre nicht Leben ohne sie, und in der Mitte ist des Homo Dei Stand – inmitten zwischen Durchgängerei und Vernunft“ (III, 685). Das aber heißt, daß nicht die Gegensätze den Menschen bestimmen. Sie haben keine determinative Kraft. Vielmehr ist es umgekehrt: „Der Mensch ist Herr der Gegensätze, sie sind durch ihn, und also ist er vornehmer als sie. Vornehmer als der Tod, zu vornehm für diesen – das ist die Freiheit seines Kopfes. Vornehmer als das Leben, zu vornehm für dieses, – das ist die Frömmigkeit seines Herzens.“ (III, 685) Aus dieser Einsicht, daß der Mensch in der Freiheit seines Kopfes und in der Frömmigkeit seines Herzens über dem Gegensatz von Tod und Leben steht, folgt der Entschluß: „Ich will dem Tode keine Herrschaft einräumen über meine Gedanken! Denn darin besteht die Güte und Menschenliebe, und in nichts anderem.“ (Ebd.) Die Vernunft ist machtlos vor der großen Macht des Todes. Der Tod vermag sich mit der Lust zu verbünden, aber nicht mit der Liebe: „Tod und Liebe, – das ist ein schlechter Reim, ein abgeschmackter, ein falscher Reim! Die Liebe steht dem Tod entgegen, nur sie, nicht die Vernunft, ist stärker als er.“ (III, 686) Damit ist eine neue Polarität entdeckt. Die Polarität von Vernunft und Tod ist falsch, denn die Vernunft ist machtlos gegenüber dem Tode. Nur die Liebe ist stärker als der Tod: Sie gibt „gütige Gedanken“ und auch „Form ist nur aus Liebe und Güte“. Also ist nicht Vernunft das Formprinzip, das dem Leben, das durchsetzt ist mit der Durchgängerei des Todes, Gestalt geben kann, sondern allein die Liebe. Allgemein formuliert wird das im kategorischen Imperativ des Zauberbergs, dem einzigen im Buch kursiv gedruckten Satz: „Der Mensch soll um der Güte und Liebe willen dem Tode keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken.“ (III, 686)
Das Erschließungserlebnis ist vorüber. Hans Castorp erwacht aus der Erstarrung, gewinnt die Kraft, sich wieder auf den Weg zu machen. Der Schneesturm ist zum Erliegen gekommen, das Wetter lichtet sich, und er kommt wohlbehalten im Dorf an, wird von Settembrini mit Kaffee versorgt und fällt vor Erschöpfung in Schlaf. Die Offenbarung bleibt – wie schon für den Schopenhauer lesenden Senator Thomas Buddenbrook – folgenlos: „Die hochzivilisierte Atmosphäre des ‚Berghofs‘ umschmeichelte ihn eine Stunde später. Beim Diner griff er gewaltig zu. Was er geträumt, war im Verbleichen begriffen. Was er gedacht, verstand er schon diesen Abend nicht mehr so recht.“ (III, 688)
Diese Szene ist ein Wendepunkt im Roman. Mynheer Peeperkorn tritt auf, das Gegenbild zu Naphta, bei Thomas Mann als Christusfigur gestaltet. Er sammelt zwölf Genossen um sich zum letzten Abendmahl. „Wachet mit mir“, ermahnt er seine Jünger und mit einem „Mich dürstet“ (III, 836) verlangt er nach einem Glas Rotwein und gibt so seine Botschaft von der „religiöse(n) Verpflichtung zum Gefühl“ (ebd.) weiter:
„Das Leben schlummert. Es will geweckt sein zur trunkenen Hochzeit mit dem göttlichen Gefühl. Denn das Gefühl, junger Mann, ist göttlich. Der Mensch ist göttlich, sofern er fühlt. Er ist das Gefühl Gottes. Gott schuf ihn, um durch ihn zu fühlen. Der Mensch ist nichts als das Organ, durch das Gott seine Hochzeit mit dem erweckten und berauschten Leben vollzieht.“ (III, 837)
Und so vollzieht Pepperkorn, was Settembrini mit seinen Plänen vom vernunftgeschaffenen Menschheitsbund nicht erreicht und was Naphta mit der Theorie der Auflösung des Einzelnen in der Gemeinschaft nicht verwirklicht: den „Brüderbund“ (III, 849). Allerdings ist hier der Roman schon aus einem „Bildungsroman“ zu einer weiteren „Verfallsgeschichte“ geworden. So recht lernt Hans Castorp, „des Lebens treuherziges Sorgenkind“ (III, 994) nichts. Und so endet seine Geschichte auf den Schlachtfeldern des Weltkriegs, ohne daß sich ein Bildungserfolg abzeichnet. Ob er den Weltkrieg überlebt? Diese Frage bleibt offen. Festgehalten werden muß, daß in Hans Castorps Erlebnis- und Leidensgeschichte ein „Traum von Liebe“ aufschien. Und so schließt der Roman mit der Frage: „Wird auch aus diesem Weltfest des Todes, auch aus der schlimmen Fieberbrunst, die rings den regnerischen Abendhimmel entzündet, einmal die Liebe steigen?“ (III, 993)
6. Der Gott, der das Ganze ist, und der Bund
Die Josephs-Tetralogie, die – 1924 begonnen – Thomas Manns Arbeits- und Lebenszeit in der zweiten Hälfte der Weimarer Jahre und dann im Exil während der Hitler-Dikatur ausfüllt, ist voll von Bezügen zu „religiösen Fragen“.(8) Die Frage des Menschen nach sich selbst wird hier im Medium der Mythologie, der Göttergeschichte bearbeitet. Aber diese Göttergeschichte ist die Geschichte einer Beziehung, der Beziehung der Menschen zu Gott, die dadurch, daß sie Gott „entdecken“, mehr über sich selbst erfahren, und die Geschichte der Beziehung Gottes zu den Menschen, der in dieser Beziehung ein Gott der Menschen sein will und nicht ein beziehungsloses Absolutes. Theologie und Anthropologie bedingen sich gegenseitig. Aus den Göttergeschichten können wir das Menschenbild ablesen und aus den Menschengeschichten das Gottesbild. Aller Reduktionismus ist hier fehl am Platz: Weder ein anthropologischer Reduktionismus, der in der Gottesgeschichte nur Verschlüsselungen der Zustände des menschlichen Bewußtseins sieht, noch ein theologischer Reduktionismus, der die menschliche Seite der göttlich-menschlichen Beziehung negiert, wird der theandrischen Darstellungsform gerecht. „Gottesentdeckung“ und „Gotteserfindung“, „Menschenschöpfung“ und „Menschenerfahrung“ – diese Geschichte ist immer beides. Der Ausbruch aus der Geschichte in das, „was sie eigentlich meint“, wird vom Autor immer wieder verstellt. Die Geschichte ist ebenso narrative Theologie wie narrative Anthropologie. Beide sind nicht in Lehrsätze theologischer oder psychologischer Art transformierbar. Nur in ihrer Beziehung haben sie erschließende Kraft.
Ähnlich verhält es sich mit der Beziehung zwischen Gegenwartsdeutung und der Erzählung der fernsten mythischen Vergangenheit. Die mythologische Darstellungsform ist auf der einen Seite Verfremdung, das Fremdmachen der Gegenwartserfahrung im bewußten Abstandnehmen von der Zeit des Hier und Jetzt; sie ist auf der anderen Seite auch das Vertrautmachen der eigenen Gegenwart, der eigenen Zeit, im Spiegel des mythologischen Erzählens, indem Muster aufgedeckt werden, die die Beziehung von erlebter Gegenwart und erzählter mythischer Vergangenheit erhellen.9 Gerade darin ist die Josephs-Tetralogie mythologische Literatur: Sie widersetzt sich der Entmythologisierung, weil die Wahrheit der Erzählung die Wahrheit ihrer mythologischen Erzählform ist.
Einige wenige Hinweise mögen den Zusammenhang zwischen Theologie und Anthropologie in dieser mythologischen Erzählform erläutern. In dem Kapitel „Wie Abraham Gott entdeckte“ wird die Suche Abrahams nach dem wahrhaft Unbedingten nacherzählt: Er will ausschließlich dem Höchsten dienen. Das, über das hinaus noch etwas Höheres gedacht werden kann, ist für Abraham kein Kandidat für den wahren Gottesdienst. Und so läßt sich Gott von Abraham entdecken. Allerdings hat diese Entdeckung einen Preis. Sie beinhaltet die Einsicht, daß alles in Gott begründet ist, daß in seiner Einheit und Einzigkeit alles seinen Grund hat, „das Gute und das Böse, das Plötzliche und das Grauenhafte sowohl wie das segensvoll Regelmässige“. Abraham erfährt, daß Gottes Lebendigkeit „das Böse mitumschloß“: „Er war nicht das Gute, sondern das Ganze.“ (IV, 433) Allerdings könnte Abraham zu diesem Gott, der das Ganze ist, kaum in Beziehung treten, wenn da nicht noch etwas anderes wäre – Gottes Heiligkeit. Durch sie wird Gott, wie Thomas Mann formuliert, „zum Maßstab des Lebens“ und zur „Quelle des Schuldgefühls“. Dieser alles in allem wirkende Gott konfrontiert seine Geschöpfe mit einer Forderung, zum Wandeln in Reinheit vor Gottes Heiligkeit. Dieser Gott, der das Ganze ist, hat ein forderndes Ich und dadurch kann er für Abraham zum „Du“ werden. Der Gott, der alles in allem ist, ermöglicht, obwohl er auch in Abraham ist, die Identität Abrahams, des Erdenkloßes.
„Er war auch in Abraham, der ihn kraft Seiner erkannte. Aber eben dies verstärkte und erfüllte Urvaters Ich-Aussage und keineswegs war dieses sein gottvolles, mutiges Ich gesonnen, in Gott zu verschwinden, mit Ihm eines zu werden und nicht mehr Abraham zu sein, sondern hielt sich sehr wacker und klar ihm gegenüber aufrecht – in ungeheurem Abstand von Ihm gewiß, denn Abraham war nur ein Mensch, ein Erdenkloß, aber verbunden mit Ihm durch Erkenntnis und geheiligt durch Gottes Du- und Da-Sein.“ (IV, 431)
Im Verhältnis zu Gottes Ich, im Gegenüber zu diesem Du-Sein und Da-Sein wächst Abrahams Ich. Die Frage nach der Selbstkonstitution des modernen Subjekts erhält hier eine überraschende, mythologisch erzählte Antwort: Im Gegenüber zu dem Gott, der das Ganze ist, entsteht kraft dieser Gottesbeziehung ein „gottvolles, mutiges Ich“. In diese Beziehung tritt Joseph ein und dank ihrer wird Joseph zum Mittler zwischen oben und unten. Er ist der Homo Dei, dessen Stand „in der Mitte“ ist, und der die Gegensätze vermittelt. In der Bundesbeziehung mit Gott kennt er Gottes Geschichte, denn Gott ist, insofern die Bundesbeziehung auch für ihn konstitutiv ist, noch keineswegs am Ende seiner Geschichte. Und weil er Gottes Geschichte kennt, weiß Joseph auch um den Fortgang der Geschichte der Menschen. So kann Joseph zum Arrangeur der Erzählung werden. Allerdings: Der Bund, der das Ich des Menschen im Gegenüber zu Gottes Ich wachsen läßt, hat eine Schattenseite: „Durch Abraham und seinen Bund war etwas in die Welt gekommen, was zuvor nicht darin gewesen war und was die Völker nicht kannten: die verfluchte Möglichkeit des Bundesbruchs, des Abfalls von Gott.“ (IV, 432)
7. Der Mensch zwischen Gott und Teufel und die Transzendenz der Verzweiflung: Doktor Faustus
Die verfluchte Möglichkeit des Bundesbruchs, des Abfalls von Gott, wird im „Doktor Faustus“, dem „Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn“ realisiert. In diesem Roman läßt sich Thomas Mann explizit auf die Lehren und Begrifflichkeit der Theologie ein und setzt sie als Mittel der literarischen Darstellung gezielt ein. Die religiöse Sprache ist aber nicht nur eine Dimension in dieser mehrdimensionalen, durch und durch von der Montage-Technik geprägten Romankonstruktion. Sie hat zugleich die Funktion, die unterschiedlichen Dimensionen zu integrieren. In der Nietzsche-Dimension des Romans, in der Dimension des Deutschland-Romans, in der Dimension des Musik-Romans und natürlich in der Mannschen Umarbeitung der Faust-Legende wird das Mittel der Zuspitzung ins Religiöse verwendet, um so den Zusammenhang der einzelnen Dimensionen literarisch zu realisieren. Das Religiöse ist die Tiefe des Nietzsche-Schicksal, bezeichnet die Tiefe der Frage nach Schuld und Gnade in der Geschichte Deutschlands und bringt die Tiefe der Problematik musikalischer Kreativität zum Ausdruck, wie sie sich auch in der Verwendung religiöser Motive in Leverkühns Tonschaffen zeigt.
Für die explizit theologischen Passagen im Roman, vor allem das Theologie-Studium Adrian Leverkühns, hatte sich Thomas Mann kundig gemacht: Paul Tillich, der mit ihm in der Selbsthilfeorganisation deutscher Flüchtlinge in den USA verbunden war, diente als Informationsquelle.(10) Die Angaben, die Thomas Mann von Tillich über dessen eigenes Theologiestudium in Halle erhält, werden geschickt – mit nur wenigen ironisch übertreibenden – Akzentsetzungen in den Text montiert. Ehrenfried Kumpf, der die evangelische Lehre von der Gnade im Lutherdeutsch vorträgt, ist nach Tillichs Angaben über seinen Lehrer Martin Kähler und dessen „Expauken“ modelliert. Die „Wucht“ der Persönlichkeit Kählers, die Tillich erwähnt, scheint der Anlaß gewesen zu sein, Ehrenfried Kumpf nach dem Bild Luthers als „‚wuchtige‘ Persönlichkeit“ zu modellieren, wobei Elemente von Physiognomie und Charakter des Historikers Heinrich Treitschke in die Darstellung eingewoben worden zu sein scheinen. Kumpfs Lutherdeutsch, in dem er „auf gut alt-deutsch, ohn‘ einige Bemäntelung und Gleisnerei“ (VI, 129) redet, verbindet einerseits das Deutschland-Thema mit der theologischen Erörterung, bot Mann aber andererseits die Gelegenheit, Kumpfs (an Luther angelehnten) Teufelsglauben in die Darstellung einfließen zu lassen und so einen der wichtigsten Akteure des Romans auf die Bühne der Handlung zu bringen – dies allerdings stets im Zusammenhang mit dem Thema von Gnade und Rechtfertigung. Diese Verbindung zwischen dem Lutherdeutsch und dem Thema von Gnade und Rechtfertigung wird bis zu Adrian Leverkühns letzter Rede aufrecht erhalten. Tillich hatte Mann über Kähler, der die christliche Dogmatik vom Zentrum der Rechtfertigung her entfaltete, geschrieben: „Ihm verdanken ich und meine Freunde die Einsicht, daß auch unser Denken gebrochen ist und der ‚Rechtfertigung‘ bedarf, und daß darum Dogmatismus die intellektuelle Form des Pharisäismus ist.“(11) Im „Doktor Faustus“ schreibt Thomas Mann dann: „Kumpf hatte sich überzeugt, daß auch unser Denken gebrochen ist und der Rechtfertigung bedarf, und eben hierauf beruhte sein Liberalismus, denn es führte ihn dazu, im Dogmatismus die intellektuelle Form des Pharisäismus zu sehen.“ (VI, 130) Mit dem theologischen Liberalismus hat Kumpfs Position wenig zu tun.(12) Grund für diese Charakterisierung seiner Position ist Tillichs Darstellung, daß er und seine Freunde zwar der historisch-kritischen Ausrichtung der „liberalen“ Theologie im Blick auf die Exegese und die Kirchengeschichte folgten, aber ihre theologische Position nicht teilen konnten. Tillich schrieb an Mann:
„Die liberale Theologie, wie man sie damals nannte, repräsentiert durch die Namen Ritschl, Harnack und Troeltsch hatten die historisch kritische Methode der profanen Geschichtswissenschaft acceptiert, während die konservative vermittlungstheologische Schule sich an den strengeren Offenbarungs-Begriff hielt und die traditionelle Exegese zu verteidigen suchte. Ich selbst und viele meiner Freunde folgten in dieser Beziehung der liberalen Theologie, deren wissenschaftliche Überlegenheit unbestreitbar war. Dagegen war es uns unmöglich, der theologischen Position der Liberalen zuzustimmen. Es fehlte uns in ihr die Einsicht in den ‚dämonischen‘ Charakter der Existenz …Wir fanden, daß die konservative Tradition mehr von einem wahren Verständnis der menschlichen Natur und der Tragik der Existenz bewahrt hat, als die liberale fortschrittlich-bürgerliche Ideologie; auch hatte schon damals Kierkegaard einen starken Einfluß auf eine kleine Gruppe von Hallenser Theologie-Studenten. Uns fehlte in der liberalen Theologie die Tiefe und das Paradox; und ich glaube, die Weltgeschichte hat uns recht gegeben.“(13)
Thomas Mann montiert Passagen aus Tillichs Brief in die Theologiekritik des Erzählers des „Doktor Faustus“, des katholischen Humanisten Serenus Zeitblom, und nimmt die Erwähnung des Dämonischen zum Anlaß, diesen Aspekt breit auszubauen. So diagnostiziert Zeitblom: „Denn die Theologie, in Verbindung gebracht mit dem Geist der Lebensphilosophie, dem Irrationalismus, läuft ihrer Natur nach Gefahr zur Dämonologie zu werden.“ (VI, 123) Thomas Mann geht damit weit über die Auskunft seines theologischen Informanten Paul Tillich hinaus. Denn dieser hatte auf Thomas Manns Frage nach einer „massiven Orthodoxie mit Teufels-[,] Wunder, Höllen und Himmelsglauben in mythologischem Sinn“ geantwortet: „Doch spielte der Teufelsglaube in jener Zeit überhaupt keine Rolle“ und hatte hinzugefügt, daß beide großen theologischen Schulrichtungen vor dem 1. Weltkrieg, die positive wie die liberale, „Himmel und Hölle symbolisch“ interpretierten.(14) Dies wird von Thomas Mann aufgenommen und in der Beschreibung der Theologie von Serenus Zeitblom sogleich uminterpretiert. So sagt der Erzähler vom Teufel: „Man hat leicht sagen, daß ein moderner Theolog ihn ‚symbolisch‘ nehme. Nach meiner Meinung kann Theologie überhaupt nicht modern sein, was man ihr als großen Vorzug anrechnen mag; und was die Symbolik betrifft, so sehe ich nicht ein, warum man die Hölle symbolischer nehmen soll als den Himmel.“ (VI, 131) Kumpf jedenfalls, der „mit dem Teufel auf sehr vertrautem, wenn auch natürlich gespanntem Fuße zu stehen“ (VI, 130) schien, „verfügte über eine Menge kerniger und ausgefallener Bezeichnungen für ihn, wie ‚Sankt Velten‘, ‚Meister Klepperlin‘, ‚Der Herr Dicis-et-non-facis“ und ‚Der schwartze Kesperlin‘“, was aber durchaus „etwas von gehässiger Realitäts-Anerkennung“ hatte (VI, 131). Zwar mag Kumpfs Semmelwurf – ein Tintenfass war nicht zur Hand – nach dem „Speivogel“, der beim Abendessen mit den Studenten in der Ecke erscheint, den Teufelglauben sogleich heftig ironisieren – der Leser jedenfalls weiß, wer dann in Gestalt des Privatdozenten Eberhard Schleppfuß die Bühne betritt. Nach Schleppfuß‘ Auffassung „war das Böse, war der Böse selbst ein notwendiger Ausfluß und ein unvermeidliches Zubehör der heiligen Existenz Gottes selbst“ (VI, 135), da Gott den Menschen nicht schaffen konnte und ihm „(z)ugleich die Selbständigkeit der Wahl, also freien Willen, und die Gabe zu verleihen, nicht sündigen zu können“ (ebd.). Dieses „logische Dilemma Gottes“ wirkt sich für den Menschen so aus, daß Zeitblom die Lehre Schleppfuß‘ so zusammenfassen kann: „Freiheit ist die Freiheit zu sündigen, und Frömmigkeit besteht darin, von der Freiheit aus Liebe zu Gott, der sie geben mußte, keinen Gebrauch zu machen.“ (VI, 137) Die Möglichkeit des Teufelsbündnisses, die Schleppfuß in vielen Beispielen in seinen Vorlesungen illustriert, ist insofern ein notwendiges Implikat der Freiheit und – in der Darstellung Manns – ein Implikat der Schöpfung.
In der Charakterisierung der Lehre Schleppfuß‘ zeigt sich wiederum, welche Rolle das religiöse Zeichenrepertoire im „Doktor Faustus“ spielt: Es ist das Verbindungselement zwischen den einzelnen Dimensionen des Romans, und so verbindet Schleppfuß in seinen Vorlesungen das Thema der Religion, die Frage nach Sünde und Gnade, mit der Sexualität und schafft so eine Voraussetzung zur Einbeziehung der Krankheitsgeschichte Nietzsches in die Darstellung Adrian Leverkühns.
Auch das „Scheunengespräch“ Hallenser Studenten der christlichen Verbindung „Winfried“ geht auf Anregungen Tillichs zurück. Tillich hatte Mann geschrieben:
„Was ich theologisch, philosophisch und menschlich geworden bin, verdanke ich nur zum Teil den Professoren, in überragendem Maße dagegen der Verbindung, wo die theologischen und philosophischen Debatten nach Mitternacht und die persönlichen Gespräche vor Sonnenaufgang für das ganze Leben entscheidend blieben. Musik spielte dabei eine große Rolle und das romantische Verhältnis zur Natur … verdanke ich vor allem den Wanderungen durch Thüringen und zur Wartburg in jenen Jahren, in Gemeinschaft mit den Verbindungsbrüdern.“15
Im „Scheunengespräch“ arbeitet Mann diese Anregung breit aus. Hier hat die theologische Diskussion die Funktion, die Frage der Religion – und dabei geht es bei Thomas Mann immer um das Dämonische – mit der Frage nach der angemessenen Gesellschaftsform in Deutschland zu verbinden, ganz im Sinne der Diskussionen um den religiösen Sozialismus nach dem 1. Weltkrieg. Die Frage nach dem Verhältnis von Religion, definiert als „die Unmittelbarkeit, der Mut und die Tiefe des personalen Lebens, der Wille und das Vermögen, die Naturhaftigkeit und das Dämonische des Daseins“ (VI, 160) und der richtigen Gesellschaftsform in Deutschland wirft insofern die Frage auf, ob eine Nation von der Macht des Dämonischen ergriffen werden kann. Auf diese Weise kann der „Doktor Faustus“ als „Deutschlandroman“ die Frage nach Schuld und Gnade in der deutschen Geschichte aufwerfen.
Adrian Leverkühn bleibt nicht bei der Theologie. Anknüpfend an die Beziehung zu seinem musikalischen Mentor Wendell Kretzschmar bereitet er den Abschied vom Theologiestudium und den Weg in das Leben als „Tonsetzer“ vor. Allerdings ist dieser Abschied vom Theologiestudium kein Abschied von der religiösen Frage. Warum – so läßt Leverkühn Kretzschmar – in dem Brief fragen, in dem er dem Musiklehrer seinen Wunsch mitteilt, sich nun ganz der Musik zuzuwenden, habe er sich denn erst der Theologie verschrieben? „…weil ich mich demütigen, mich beugen, mich disziplinieren, den Dünkel meiner Kälte bestrafen wollte, kurz, aus contritio.“ (VI, 175) Leverkühn scheint auf Luthers Weg ins Kloster anzuspielen, wenn er seinen eigenen Weg ins Theologiestudium so beschreibt: „Mich verlangte, nach dem härenen Kleid, dem Stachelgürtel darunter. Ich tat, was Frühere taten, wenn sie ans Tor pochten eines Klosters von strenger Observanz.“ (Ebd.) Die Hinwendung zur Musik muß aber nach Leverkühn nicht als Abkehr von der Theologie gedeutet werden: „Mein Luthertum stimmt dem zu, denn es sieht in Theologie und Musik benachbarte, nahe verwandte Sphären und persönlich ist mir obendrein die Musik immer als eine magische Verbindung aus Theologie und der so unterhaltenden Mathematik erschienen.“ (VI, 176) Die Beschäftigung mit der Musik ist darin der Alchemie verwandt, sie steht sowohl „im Zeichen der Theologie“ als auch im Zeichen „der Emanzipation und Abtrünnigkeit“ (ebd.). Sie ist damit „Abtrünnigkeit nicht vom Glauben, das war gar nicht möglich, sondern im Glauben; Abtrünnigkeit ist ein Akt des Glaubens“. Und dann folgt der Satz, der gleichsam als das Motto des „Doktor Faustus“ gelten könnte: „… alles ist und geschieht in Gott, besonders auch der Abfall von ihm“ (ebd.).
Im „Teufelsgespräch“, in dem der Teufel Leverkühn bei der Kierkegaard-Lektüre besucht, wird die Realisierung des Teufelsbundes diskutiert. Der Teufel erscheint Leverkühn zunächst als „Strizzi“ und „Ludewig“ (III, 298), als Zuhälter. Damit wird an die Anknüpfung des Teufelbundes durch die sexuelle Verbindung mit der Hetäre Esmeralda erinnert, die nach Nietzsches Biographie gestaltete Infektion, die Leverkühn durch seine Sexualität dem Teufel überantwortet. Der Teufel bietet Leverkühn an, ihm Zeit zu verkaufen, nicht die reine Quantität der physikalischen Zeit, sondern die Qualität der Zeit: „Große Zeit, tolle Zeit, ganz verteufelte Zeit, in der es hoch und überhoch hergeht“ (III, 307), wenn auch im Ausschlag nach beiden Extremen: in der Hoch-Zeit der Inspiration, in der der Künstler sich selbst „wie ein begnadetes Mundstück, wie ein göttliches Untier“ (ebd.) erscheint, und in der Tiefe der Schmerzen. Goethes Hinweis auf das Doppelgesicht der Gaben der Götter scheint damit erfüllt:
„Alles geben die Götter, die unendlichen,
Ihren Lieblingen ganz:
Alle Freuden, die unendlichen,
Alle Schmerzen, die unendlichen, ganz“ (zitiert III, 315).
Der Teufel verspricht dem Künstler Adrian die wahrhaft beglückende Inspiration, „das triumphierende Über-sie-hinaus-Sein, die prangende Unbedenklichkeit“ (III, 316), die nur „mit dem Teufel, dem wahren Herrn des Enthusiasmus möglich ist“ (III, 317). Allerdings ist das nicht die Gabe der Schöpfung. Im Gegensatz zu Gott schafft der Teufel nicht, und er kann nichts Neues setzen, seine Gabe ist allein die Entbindung und Freisetzung: „Wir schaffen nichts Neues – das ist anderer Leute Sache. Wir entbinden nur und setzen frei.“ (III, 315)
In diesem Gesprächsgang hat sich der „Ludewig“ in einen „Musikintelligenzler“ (III, 325) verwandelt, den Kritiker mit Hornbrille, der nun über die Schwierigkeit moderner musikalischer Kreativität räsonniert. Die Kritik hat den „Scheincharakter des bürgerlichen Kunstwerks“ (III, 322) zerstört, die „Subsumtion des Ausdrucks unters versöhnlich Allgemeine“ ist hinfällig geworden, die Balance von Ausdruck und Form zerbrochen, und damit steht die Kunst und so vor allem die Musik vor gänzlich neuen Aufgaben; eine radikal neue Kreativität ist gefordert, die nur noch dem Kranken offen steht und die „die zu Fuße latschende Gesundheit“ (III, 323) nicht erbringen kann.(16) Der Teufel verspricht künstlerische Wirksamkeit: „Wir stehen dir für die Lebenswirksamkeit dessen, was du mit unserer Hilfe vollbringen wirst … Von deiner Tollheit werden sie in Gesundheit zehren, und ihnen wirst du gesund sein.“ (III, 324) Der Teufel verspricht eine Intensivierung der künstlerischen Kreativität, die weit über „eine vom Kultus abgefallene Kultur, die auch im Religiösen nur Kultur sah“ (ebd.) hinausweist. Und darum versteht sich der Teufel auch besser auf die Religion als die bürgerliche Kultur: „Das Religiöse ist so gewiß mein Fach, wie es kein Fach der bürgerlichen Kultur ist“ (III, 325).
Mit dieser Wendung des Gesprächs verwandelt sich der Teufel erneut, und anstatt der bebrillten Intellektuellen erscheint Eberhard Schleppfuß. In seiner Rolle als Theologe kann der Teufel die Frage Leverkühns beantworten, was denn am Ende der erkauften Zeit der Kreativität steht. Der Teufel bleibt keine Auskunft schuldig. Die Hölle ist der Ort, wo alles aufhört. Das heißt aber, daß es keine Grenzen mehr gibt für das, was der Seele angetan werden kann. Alles hört auf: „…jedes Erbarmen, jede Gnade, jede Schonung, jede letzte Spur von Rücksicht auf den beschwörend ungläubigen Einwand ‚Das könnt und könnt ihr doch mit einer Seele nicht tun‘: Es wird getan, es geschieht, und zwar ohne vom Worte zur Rechenschaft gezogen zu werden, im schalldichten Keller, tief unter Gottes Gehör.“ (III, 327) Nach dieser freimütigen Auskunft unterstellt der Teufel Adrian, er wolle sich selbst mit dem Wissen über die Hölle Angst machen, so daß er sich dennoch vom Bund mit dem Teufel zurückziehen könne. Allerdings – das weiß der Teufel als theologischer Experte – reicht dies zur Umkehr nicht aus. Dazu ist die wahre Zerknirschung, die Verzweiflung über die Sünde als Verzweifeln an der Heilsmöglichkeit nötig. Thomas Mann nimmt hier den Kontrast zwischen der attritio cordis und der contritio auf, die zur reformatorischen Kritik an der römischen Buß- und Gnadenlehre gehört. So lehrt Luther schon in den 95 Thesen: „Non christiana predicant, qui docent, quod redempturis animas vel confessionalia non sit necessaria contritio.“ „Es predigt unchristlich, wer da lehret, daß die, so da Seelen aus dem Fegfeuer lösen wollen oder Beichtbriefe begehren, keiner Reue und Zerknirschung bedürfen.“ Und doch gilt: „Nullus est securus de veritate sue contritionis, multominus de consecutione plenarie remissionis.“ „Niemand ist des gewiß, daß er wahre Reue genug habe; viel weniger kann er gewiß sein, ob er vollkommene Vergebung der Sünden bekommen habe.“(17) Der Teufel gibt als theologischer Experte die reformatorische Lehre von der contritio ganz korrekt wieder: „Die Attritionslehre ist wissenschaftlich überholt. Als notwendig erwiesen ist die contritio, die eigentliche und wahre protestantische Zerknirschung über die Sünde, die nicht bloß Angstbuße nach der Kirchenordnung, sondern innere, religiöse Umkehr bedeutet, – und ob du deren fähig bist, das frage dich selbst, dein Stolz wird die Antwort nicht schuldig bleiben.“ (III, 328) Adrian allerdings geht auf diese Herausforderung nicht ein. Steht sein Stolz, die Ursünde der superbia, der contritio entgegen? In seiner Entgegnung radikalisiert er den Gedanken der contritio: „Die contritio ohne jede Hoffnung und als völliger Unglaube an die Möglichkeit der Gnade und Verzeihung … – erst das ist wahre Zerknirschung, und ich mache euch darauf aufmerksam, daß sie der Erlösung am allernächsten, für die Güte am allerunwiderstehlichsten ist … Eine Sündhaftigkeit so heillos, daß sie ihren Mann von Grund aus am Heile verzweifeln läßt, ist der wahrhaft theologische Weg zum Heil.“ (III, 329)
Wieder verwandelt sich der Teufel, zurück in die Figur des Zuhälters, denn jetzt muß der Preis benannt werden, der für den Teufelsbund als höchste Steigerung künstlerischer Kreativität zu zahlen ist. Er lautet: „Du darfst nicht lieben.“ (III, 331) Adrians ironische Zurückweisung, bei der Liebe handele es sich um einen „so nachgiebigen, verfänglichen Begriff“ (III, 332), und überhaupt das Bündnis, das nun durch „Konfirmation“ bestätigt werden solle, habe doch selbst mit Liebe zu tun – eine Anspielung auf die ursprüngliche Ansteckung in der „Schlupfbude“ – wird vom Teufel als ärmliche Psychologie zurückgewiesen. Es gilt: „Liebe ist dir verboten, insofern sie wärmt. Dein Leben soll kalt sein“ (III, 332). Der Teufelsbund hat den Preis des Verzichts auf Liebe und Wärme. Wer dem Teufel verbündet ist und trotzdem liebt, verursacht den Tod des Geliebten, wie das Echo-Kapitel später im Roman belegt. Schauen wir zurück, so negiert der Teufel gerade die Lösung des Lebensrätsels, die Hans Castorp in seinem Gedankentraum erschienen war.
Die Motive des Teufelsgesprächs werden im Schluß des Romans wieder aufgenommen. Die Kantate „Dr. Fausti Wehklag“, im letzten der vom Teufel geschenkten vierundzwanzig Jahre geschrieben, ist die Klage über die letzte Gottverlassenheit, die nur noch die Verzweiflung zuläßt und die Idee einer letzten Umkehr stolz zurückweist. Der Versuch einer letzten Bekehrung durch den „Arzt und Nachbawr“ erscheint als Versuchung: „Unverkennbar ist die Versuchung Jesu durch Satan erinnert, unverkennbar das Apage zum stolz verzweifelten Nein! gegen falsche und matte Gottesbürgerlichkeit gewendet.“ (III, 650) Ist die Gnade also doch machtlos gegenüber ihrer Zurückweisung durch den bis ins Letzte festgehaltenen Stolz der Verzweiflung? Ist die Gnade endlich? Serenus Zeitblom sieht in seiner Interpretation des Werkes doch noch ein letztes Aufklingen der Möglichkeit, daß Verzweiflung nicht das letzte Wort hat. Diese Möglichkeit läßt sich nur als Frage formulieren:
„Aber wie, wenn der künstlerischen Paradoxie, daß aus der totalen Konstruktion sich der Ausdruck – der Ausdruck als Klage – gebiert, das religiöse Paradoxon entspräche, daß aus tiefster Heillosigkeit, wenn auch als leiseste Frage nur, die Hoffnung keimte? Es wäre die Hoffnung jenseits der der Hoffnungslosigkeit, die Transzendenz der Verzweiflung, – nicht der Verrat an ihr, sondern das Wunder, das über den Glauben geht.“ (III, 651)
Der letzte Ton des Werkes „das hohe g eines Cellos“, der „nachschwingend im Schweigen hängende Ton, der nicht mehr ist, … wandelt“ – zumindest für Zeitblom – den Sinn, steht als ein Licht in der Nacht“ (ebd.). Für Adrian Leverkühn jedoch ist diese „Transzendenz der Verzweiflung“ nicht als Trost zu ergreifen. Er bekennt, daß er darauf spekulierte, daß der Unglaube an die Möglichkeit der Gnade vielleicht doch zum Anreiz für die Gnade werden könnte.
„Meine Sünde ist größer, denn daß sie mir könnte verziehen werden, und ich habe sie auf Höhest getrieben dadurch, daß mein Kopf spekulierte, der zerknirschte Unglaube an die Möglichkeit der Gnade und Verzeihung möchte das Allerreizendste sein für die ewige Güte, wo ich doch einsehe, daß solche freche Berechnung das Erbarmen völlig unmöglich macht.“ (III, 666)
So kommt Adrian zu dem Schluß, „daß ich verdammt bin, und ist kein Erbarmen für mich, weil ich ein jedes im voraus zerstöre durch Spekulation“ (ebd.). Das Paradox der Gnade, die Transzendenz der Verzweiflung ist erst dort erreicht, wo die nach allen menschlichen Maßstäben geforderte Verdammnis eingestanden wird, wo nicht doch noch ein letzter Rest bleibt, der als Bedingung der Begnadigung betrachtet werden könnte. Nur so, in der absoluten Verzweiflung, kann das Paradox der Gnade gelten, kann die Gnade im „sola gratia“ als bedingungslose Gnade erscheinen. Und so kann der Roman – vor dem Hintergrund von Adrians Einsicht, daß er keinerlei Erbarmen verdient hat, und vor dem Hintergrund einer politischen Situation, in der Deutschland „von Verzweiflung zu Verzweiflung“ stürzt – enden mit den Worten des Erzählers, der aus der „leisesten Frage“ ein Bitte macht: „Gott sei eurer armen Seele gnädig, mein Freund, mein Vaterland.“ (III, 673)
8. Sola Gratia: Der Erwählte
Was im „Doktor Faustus“ als „leiseste Frage nur“ anklingt, bestimmt in dem „Spätwerk“ des Erwählten die Perspektive der Erzählung. Das hohe g eines Cellos aus „Dr. Fausti Wehklag“ wird durch die alles zum Klingen bringenden „Glocken von Rom“ zum Grundton des Werkes. Es ist eine rechte „Gnadenmär“ (VII, 15) und kennt auf alle Fragen nur eine Antwort: die Gnade. Thomas Mann hatte die Stoffe, die dann im Roman „Der Erwählte“ zusammengestellt werden, z. T. schon bei der Arbeit am „Doktor Faustus“ entdeckt. Nach Abschluß des „Doktor Faustus“ wendet er sich dann diesem Thema erneut zu und wendet dabei die Paradoxie der Gnade, mit der „Faustus“ endet, in eine Positivität der Gnade, in der es neben der Gnade keine andere Erzähl- und Deutungsperspektive gibt. Die literarische Technik des „Erwählten“ ist darum nicht eine multidimensionale Montagetechnik, sondern der Versuch einer inhaltlich wie formal durchgehaltenen Synthese, in der alle unterschiedlichen Dimensionen und die Vielzahl der zitierten Materialien in eine einheitliche Gestaltungsform verschmolzen werden. Den Ort und die Zeit der Handlung verlegte Thomas Mann in „ein ziemlich unbestimmtes übernational-abendländisches Mittelalter“, und die Sprache der Erzählung ist eine synthetische alteuropäische Sprache, „worin das Archaische und das Moderne, Altdeutsche, Altfranzösische, gelegentlich englische Elemente sich humoristisch mischen“ (XI, 690). Die ironisch-parodistische Erzählperspektive wahrt gegenüber ihren Gegenständen durch die Ironie nicht das „Pathos der Distanz“. Vielmehr ist die Erzählperspektive eine, die alles Geschehen konsequent aus der Perspektive der Gnade ins Auge faßt. Die Geschichte Gregors wird sub specie gratiae erzählt, und darum kann der größte Sünder von vornherein als der „Erwählte“ vorgestellt werden: „Sein Ursprung ist Schande, sein Leben Sünde und schonungslose Buße, sein Ende Verklärung durch die göttliche Gnade.“ (XI, 688) Von ihrem Ende her wird diese Geschichte erzählt, aus der Perspektive der zum Ziel gekommenen Gnade. Der Gnade gegenüber, so bekannte Thomas Mann in einem Brief an Ida Herz, kenne er keine Ironie.(18) So wollte Thomas Mann auch die humoristisch-parodistische Darstellungsform nicht als ironische Distanzierung vom Ernst der Erzählung verstanden wissen: „Aber wenn es [das Werkchen] das Alte und Fromme, die Legende parodistisch belächelt, so ist dies Lächeln eher melancholisch als frivol, und der verspielte Stil-Roman, die Endform der Legende, bewahrt mit reinem Ernste ihren religiösen Kern, ihr Christentum, die Idee von Sünde und Gnade.“ (XI, 691) Nicht die Gnade wird ironisiert – vielmehr verhält es sich umgekehrt: Aus der Perspektive der „mit reinem Ernste“ erfaßten Gnade wird alles andere ironisiert: Alle moralischen Verfehlungen, alle Formen gesellschaftlicher Konvention, ja selbst die kirchliche Hierarchie werden relativiert angesichts der Absolutheit der Gnade. So ist auch das Ende der Erzählung von Anfang an präsent durch den allwissenden „Geist der Erzählung“, der durch den Mönch Clemens seine Geschichte erzählt.
Der „Erwählte“ ist auch in diesem Sinne ein „Spätwerk“, daß die vielen dualistischen, antinomischen und dialektischen Konfigurationen, die Thomas Mann in seinem Werk als Antwort auf die religiöse Frage, die Frage des Menschen nach sich selbst, durchspielt, abgelöst werden von einem Monismus der Gnade, in dem es neben der Gnade keine andere bestimmende Instanz gibt. Die Gnade Gottes ist allwirksam und letztendlich alleinwirksam. Der Geist hat der Gnade gegenüber keine eigene Position, und selbst die Natur muß der Gnade zu Hilfe kommen, wie es sich in der Erdmilch zeigt, die sie Gregor auf dem Steine gewährt:
„Das war eine große Gnade, und ich will es dahinstellen, ob hier ein gnädiger Zufall waltete und die Mutterquelle auch vorher die ganze Zeit gearbeitet hatte, oder ob die Gnade so weit ging, daß Gott sie eigens für den Sünder Gregorius wieder angeregt hatte. Auf jeden Fall kam diesen durch solchen Fund, bei all seiner unendlichen Verlassenheit, zum erstenmal die hoffende, ja beseligende Ahnung an, daß Gott seine Buße nicht nur annähme, sondern ihn auch nicht an ihr zugrundelassen wollte, vielmehr es mit ihm, wenn er seine Eltern und sich selbst durch härteste Reue entsühnt haben würde, noch irgendwie gnadenvoll vorhabe.“ (VII, 192 f.)
Ebenso ist die Verwandlung Gregors in das bemooste Wesen, die bei der Feier der Kommunion wieder zurückgenommen wird, eine solche Gestalt der Gnade, die sein Überleben sichert. Damit steht fest „und Gott sei dafür gepriesen,“ so sagt der zum Papst erhobene Sünder, „daß Satanas nicht allmächtig ist und es nicht so ins Extreme zu treiben vermochte … Alles hat seine Grenzen. Die Welt ist endlich.“ (VII, 258) Am Ende bleibt nichts als Gottes Gnade, an der selbst die Macht des Teufels eine feste Grenze erfährt. Das Maß der Gnade Gottes ist nicht durch das Maß der Sünde oder durch das Maß der Buße bestimmt, sondern die Gnade ist der einzige Maßstab, der ewig bleibt.19 Die Buße führt insoweit zu der Einsicht, mit der Thomas Mann die Erzählung des „Erwählten“ beschließt: „Die Welt ist endlich und ewig nur Gottes Ruhm.“ (VII, 259)
9. Das Ende des Zauberers
Thomas Mann hat diese im Verlauf seines literarischen Schaffens gefundene Einsicht am Ende seines Lebens auch auf sich und sein eigenes Schaffen angewendet. Seine literarische Arbeit reflektiert immer die religiös-weltanschaulichen Konstellationen, die für ihn selbst lebensorientierend waren, und umgekehrt war die literarische Arbeit für Thomas Mann stets das Bemühen, Lebensorientierung zu gewinnen. Das belegen – wo sie zur Verfügung stehen – die Tagebuchaufzeichnungen und die Korrespondenz des Dichters. Die Bildungsgeschichten seiner Romane dokumentieren immer Thomas Manns eigene Bildungsgeschichte. Der letzte Schritt in diesem Prozeß ist die Anwendung des Gedankens der Gnade auf die eigene künstlerische Produktion und dadurch auf die Wirklichkeit des eigenen Lebens.
Der „Trostgedanke“ der Gnade, den Thomas Mann im „Doktor Faustus“ in der Paradoxie der Gnade als „Transzendenz der Verzweiflung“ entdeckt und die er dann im „Erwählten“ als die einzige bleibende, eben ewige, Perspektive der Erzählung und des Weltgeschehens ausarbeitet, wird darum in den späten Vorträgen auf das eigene Leben und das eigene Schaffen angewendet. In dem Vortrag „Meine Zeit“ stellt sich Thomas Mann die Frage, was wäre, wenn die Rechtfertigung des eigenen Lebens durch das Werk, nicht zu einem Abschluß käme, in dem dieser Prozeß der Rechtfertigung als abgeschlossen gelten könnte. Was wäre, wenn die Schuld des Lebens durch das Werk nicht abgebüßt werden könnte? Wenn die Gutmachung des Lebens durch das Werk unvermeidlich Fragment bleiben müßte. Was wäre also, wenn das Kunstwerk, auch das „Leben als Kunstwerk“ kein „Rechtfertigungs- und Erlösungsmittel“ ist? Thomas Mann antwortet auf diese Frage:
„In Wirklichkeit aber setzt der Prozeß der Schuldbegleichung, der – wie mir scheinen will – religiöse Drang nach Gutmachung des Lebens durch das Werk sich im Werke selbst fort, denn es gibt da kein Rasten und kein Genüge, sondern jedes neue Unternehmen ist der Versuch, für das vorige und alle vorigen aufzukommen, sie herauszuhauen und ihre Unzulänglichkeit gutzumachen. Und so wird es gehen bis zuletzt, wo es mit Prospero’s Worten heißen wird: ‚And my ending is despair‘ [… ] Da wird, wie für Shakespeare’s Magier, nur ein Trostgedanke bleiben, der an die Gnade, diese souveränste Macht, deren Nähe man im Leben schon manchmal staunend empfand und bei der allein es steht, das Schuldiggebliebene als beglichen anzurechnen.“ (XI, 303)
Der Hinweis auf Prospero in Shakespeares „Tempest“ ist für Thomas Mann, der von seinen Kindern „Der Zauberer“ genannt wurde, keine zufällige Illustration. Am Ende des Stückes zerbricht der Magier seinen Zauberstab, ertränkt sein Zauberbuch im Meer und schenkt seinem dienstbaren Geist Ariel die Freiheit. Der Versuch, den Lauf des Geschehens mit den Mittel magischer Kunst zu beherrschen, ist gescheitert und wird aufgegeben. Der Vorhang fällt, das Stück ist zuende, und der Zauberer, der seine Rolle als Magier abgelegt hat, tritt vor den Vorhang mit dem Epilog:
„Now my charms are all o’erthrown,
And what strength I have’s my own,
Which is most faint …
And my ending is despair
Unless I be relieved by prayer,
Which pierces so, that it assaults
Mercy itself, and frees all faults.
As you from crimes would pardoned be,
Let your indulgence set me free.“
Am Ende stünde die Verzweiflung des auf sich selbst und seine eigenen schwachen Kräfte zurückgeworfenen Magiers, wenn es da nicht die Befreiung durch das Gebet gäbe, das mit seiner Inständigkeit und Durchschlagskraft die Barmherzigkeit selbst bedrängt, so daß durch sie alles Fehlgegangene erlöst wird. Thomas Mann hat in seiner Auseinandersetzung mit der religiösen Frage beides gekannt: die Verzweiflung, die aus der Einsicht erwächst, daß die Rechtfertigung des Lebens durch das Werk nicht zum Abschluss kommen kann, und die Gnade, von der er an Ida Herz schreibt: „Ich kenne die Gnade, mein Leben ist lauter Gnade, und ich bestaune sie.“(20)
Fussnoten:
- Vgl. die Übersichten bei: Wilhelm Kantzenbach, Theologische Denkstrukturen bei Thomas Mann, in: NZSTh 9 (1967), 201 – 217; und Hans Küng, Gefeiert – und auch gerechtfertigt? Thomas Mann und die Frage der Religion, in: Walter Jens und Hans Küng (Hg.), Anwälte der Humanität, München 1993, 81 – 157. Vgl. auch meine Studie: „… Leider auch die Theologie durchaus studiert mit heißem Bemühn“. Theologie im Zitat bei Thomas Mann, in: Thomas Mann und die Wissenschaften, hrsg. von Dietrich von Engelhardt und Hans Wißkirchen, Lübeck 1999, 25 – 40.
- Vgl. Walter Jens, Die Buddenbrooks und ihre Pastoren. Zu Gast im Weihnachtshause Thomas Manns, Lübeck 1993.
- Zur Interpretation der metareligiösen Weltanschauungen vgl. meine Studie: After ‚Post-Theism‘, in: Traditional Theism and Its Modern Alternatives, hg. von Svend Andersen, Acta Jutlandica LXXI, Theology Series 18, Aarhus, 1994, 160 – 197.
- Zum Einfluss der russischen Literatur, als deren authentischer Interpret Mereschkowski von Thomas Mann verstanden wird, vgl. meinen Aufsatz: Zweierlei Gnade. Schuld und ihre Bewältigung bei Dostojewskij und Thomas Mann, in: Christiana Albertina, n. F. 45 (1997), 19 – 34.
- Diese Fragestellung spielt in Thomas Manns Luther-Deutung eine große Rolle. Vgl. dazu: Chr. Schwöbel, Der „Tiefsinn des Herzens“ und das Pathos der Distanz. Thomas Mann, Luther und die deutsche Identität, in: Thomas Mann Jahrbuch, Bd. 12, Frankfurt / M 1999, 59 – 75.
- Zur Deutung des „Zauberbergs“ vor dem Hintergrund von Thomas Manns „Orientierungslosigkeit bei Kriegsende“ vgl. Hans Wißkirchen, Zeitgeschichte im Roman. Zu Thomas Manns Zauberberg und Doktor Faustus, Thomas-Mann-Studien 6, Bern 1986, 39 – 104.
- Zur politischen Haltung Naphtas vgl. Anthony Grenville, „Linke Leute von rechts“: Thomas Mann’s Naphta and the Ideological Confluence of Radical Right and Radical Left in the Early Years of the Weimar Republic, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 59 (1985), 651 – 675.
- Wegweisend zur Interpretation ist hier immer noch Dietmar Mieths Studie: Epik und Ethik. Eine theologisch-ethische Interpretation der Josephs-Romane Thomas Manns, Tübingen 1976. Zum Begriff des Mythos vgl. H. Deuser, Mythos und Kritik. Theologische Aufklärung in Thomas Manns Josephsroman, in: Hans Heinrich Schmid (Hg.), Mythos und Rationalität, Gütersloh 1988, 288 – 309.
- Zur Deutung der Zeitproblematik im Zusammenhang der „religiösen Frage“ vgl. Irene Kann, Schuld und Zeit. Literarische Handlung in theologischer Sicht, Paderborn u. a. 1992.
- Vgl. dazu ausführlicher meinen Aufsatz: „ …alles ist und geschieht in Gott, besonders auch der Abfall von ihm …“ Theologisches in Thomas Manns Doktor Faustus, in: „und was werden die Deutschen dazu sagen?“ Thomas Manns Doktor Faustus, hg. von Thomas Sprecher und Hans Wißkirchen, 2. Aufl. Lübeck 1998, 153 – 178.
- Vgl. den Abdruck von Tillichs Brief an Thomas Mann vom 23. 5. 1943 in Heft 5 der „Blätter der Thomas-Mann-Gesellschaft Zürich“, 49.
- Vgl. dazu ausführlich Herbert Lehnert, Thomas Manns Lutherbild, in: Betrachtungen und Überblicke. Zum Werk Thomas Manns, hg. von G. Wenzel, Berlin und Weimar 1966, 269 – 381, 328 ff.
- Tillich an Mann, a. a. O., 49 f.
- A. a. O., 51.
- A. a. O. 51.
- Vgl. dazu E. Herms, Adrian Leverkühns Kunstreligion, in: Anstöße – Theologie im Schnittpunkt von Kunst, Kultur und Kommunikation. FS für R. Volp, Darmstadt 1991, 127 – 137.
- M. Luther, Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum (1517), in: Clemen I, 5 (Übertragung nach Martin Rade: Luther in Worten aus seinen Werken, Berlin 1917, 32 und 33).
- An Ida Herz 10.9.1951, Regesten 51 / 382, zitiert bei Hermann Kurzke, Das Leben als Kunstwerk, München 1999, 581.
- Vgl. dazu die vorzügliche Studie von Ernst Steinbach, Gottes armer Mensch. Die religiöse Frage im dichterischen Werk von Thomas Mann, in: ZThK 50 (1953), 207 – 242.
- An Ida Herz, 10.9.1951, Regesten 51 / 382, zit. bei Kurzke, a. a. O. 584.