Soll es künftig kirchlich geschlossene Ehen geben, die nicht zugleich Ehen im bürgerlichrechtlichen Sinne sind?
Zum evangelischen Verständnis von Ehe und Eheschließung - Eine gutachterliche Äußerung, EKD-Texte 101, 2009, Hg. Kirchenamt der EKD
Vorwort
Das Zusammenleben in Ehe und Familie ist für die Kirche ein Thema von großer Bedeutung. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat es zu seiner Aufgabe gemacht, Verlässlichkeit und Verantwortung in unterschiedlichen Lebensformen zu stärken. Deshalb nimmt er Änderungen in der staatlichen Gesetzgebung zu Ehe und Familie mit großer Aufmerksamkeit wahr und bemüht sich um Klarheit des kirchlichen Handelns in diesem Feld.
Zum Jahresbeginn 2009 ist eine Änderung im Personenstandsgesetz in Kraft getreten, die erhebliches Aufsehen erregt hat. Das staatliche Verbot für kirchliche Trauungen ohne vorausgehende standesamtliche Trauung wurde aufgehoben. Die Regelung aus dem Jahr 1875, nach der die zivile Eheschließung zwingend einer religiösen Eheschließung vorauszugehen hatte, stand ursprünglich im Zusammenhang mit der Konfrontation zwischen Staat und katholischer Kirche im Kulturkampf. Sie entfaltete aber eine über ihren Entstehungszusammenhang hinausgehende Wirkung. Der Gesetzgeber hielt bei der Neufassung des Personenstandsrechts ein strafbewehrtes Verbot an dieser Stelle für unangebracht. Somit ist es aus der Perspektive des staatlichen Rechts zulässig, eine kirchliche Trauung ohne vorherige zivilrechtliche Eheschließung vorzunehmen. Doch damit ist nichts darüber gesagt, ob von dieser Möglichkeit aus der Perspektive des evangelischen Eheverständnisses und der kirchlichen Ordnung Gebrauch gemacht werden soll.
Nur aus dem evangelischen Verständnis von Ehe und Eheschließung heraus lässt sich die Frage beantworten, ob es künftig kirchlich geschlossene Ehen geben soll, die nicht zugleich Ehen im bürgerlich-rechtlichen Sinne sind. In Übereinstimmung mit der Kirchenkonferenz hat der Rat der EKD zu dieser Frage eine Arbeitsgruppe gebildet und von ihr eine gutachtliche Äußerung erbeten, die hiermit vorgelegt wird.
Der Rat und die Kirchenkonferenz stimmen dem Ergebnis dieser Ausarbeitung ausdrücklich zu. Nach evangelischem Verständnis bleibt es somit dabei, dass die kirchliche Trauung eine zivilrechtliche Eheschließung voraussetzt. Das seelsorgerlich begründete Eingehen auf die Bitte um geistliche Begleitung in besonderen Situationen, muss deshalb in jedem Fall von einem Gottesdienst aus Anlass der Eheschließung deutlich unterschieden bleiben. In Übereinstimmung mit dieser gutachtlichen Äußerung befürworten Rat und Kirchenkonferenz der EKD zugleich die Weiterarbeit an den mit dem evangelischen Verständnis von Ehe und Familie verbundenen Fragen. Der hier vorgelegte Text versteht sich auf diesem Weg ausdrücklich als ein Zwischenbericht. Der Rat der EKD empfiehlt ihn als Orientierungshilfe. Er dankt der Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Bischof Dr. Martin Hein sehr für die zügige Bearbeitung dieses aktuellen Themas. Er macht den Text zugänglich, damit eine einheitliche Reaktion auf die durch die neue Rechtslage geschaffene Situation gewährleistet ist.
Berlin / Hannover, im September 2009
Bischof Dr. Wolfgang Huber
Vorsitzender des Rates der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)