Kurschus: Kirchentag bezieht Position gegen Schwarzmalerei
Die westfälische Präses Annette Kurschus im Interview
Der Kirchentag wird nach den Worten der westfälischen Präses Annette Kurschus angesichts gesellschaftlicher Umbrüche klar Position beziehen. Das Protestantentreffen werde sich beispielsweise für Klimagerechtigkeit und die demokratische Kultur engagieren und Zeichen gegen das Sterben von Flüchtlingen im Mittelmeer setzen, sagte Kurschus dem Evangelischen Pressedienst (epd). Im Interview sprach die Präses der Gastgeber-Landeskirche Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW) auch über gelingende Integration und welche Hoffnungen sie mit dem Kirchentag verbindet.
Der Kirchentag gilt als Zeitansage, die aktuelle Themen aufgreift. Welche Signale erhoffen Sie sich vom Kirchentag in Dortmund?
Annette Kurschus: „Was für ein Vertrauen“, so lautet das Motto des Kirchentages. Und dieser biblische Halbsatz ist mitten aus dem Leben gegriffen. Vertrauen steht gegenwärtig in vielfältiger Hinsicht auf dem Prüfstand: Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen und politische Parteien, Vertrauen in die Zukunft Europas und unsere Demokratie. Nicht zuletzt betrifft die Vertrauenskrise auch uns Kirchen. Auf dem Kirchentag wird uns die Vertrauensfrage auf unterschiedlichste Weise beschäftigen. Vertrauen braucht Mut, weil es enttäuscht werden kann, und es braucht Zuversicht, dass es erwidert wird. Zukunft braucht unser Vertrauen. Ohne Vertrauen werden wir sie nicht kraftvoll gestalten können.
Welche Antworten kann darauf der Kirchentag geben?
Kurschus: Wir Christen richten unser Vertrauen auf Gott. Wir sind gewiss, dass er Wege in die Zukunft ebnet, längst bevor wir sie sehen, und dass er uns befähigt, sie zu finden. Zugleich nehmen wir das Vertrauen ernst, das Gott seinerseits in uns setzt, indem er uns seine Erde anvertraut. Gottes Vertrauen nimmt uns in die Pflicht. Der Kirchentag wird klare Positionen beziehen: Für Klimagerechtigkeit. Für unsere demokratische Kultur und gegen Schwarzweißmalerei. Für ein solidarisches Europa und gegen das Sterben im Mittelmeer. Dass Gottvertrauen vom Kirchentag ausgeht, frischer Mut, neue Gestaltungskräfte, das hoffe ich sehr. Unserer Gesellschaft und unserer Kirche wird das guttun.
„Integration geschieht längst“
Die westfälische Landeskirche rückt beim Kirchentag mit dem „Roten Faden Migration“ die Themen Migration und Integration in den Fokus. Was ist Ihnen wichtig?
Kurschus: Integration geschieht bereits, das ist mir wichtig zu betonen. Integration geschieht längst. Sie gelingt an einzelnen Stellen, in einzelnen Situationen, immer wieder, mitten im Alltag, in Schule und Kindergarten, in Sport und Wissenschaft, in Vereinen und Nachbarschaften. Dafür gibt es viele Beispiele. Gelingende Integration braucht Offenheit für den anderen, für seine Geschichte und kulturelle Prägung, Feingefühl für seine Befürchtungen und Erwartungen.
Was sind die wichtigsten Voraussetzungen für Integration?
Kurschus: Integration spricht eine gemeinsame Sprache. Sie stellt Fragen, benennt Konflikte und sucht nach tragfähigen Lösungen. Sie versteht sich nicht als Bringschuld der einen, die in Vorleistung gehen müssen, um möglicherweise dann zu bekommen, was sie vermeintlich „nötig“ haben. Integration ist ein wechselseitiges Bemühen um den Anderen. Sie braucht Zeit und Geduld - Vertrauen. Und wie jede tragfähige Beziehung braucht sie am Anfang den Vertrauensvorschuss.
„Dortmund macht Mut! Und den können wir alle gut gebrauchen.“
Der aktuelle Kirchentag kommt aus einer Region, die große Umbrüche und Strukturwandel erlebt hat. Kann die Kirche davon lernen?
Kurschus: Im Laufe ihrer zweitausendjährigen Geschichte haben unsere Kirchen einige Erfahrungen mit dem Wandel gesammelt, Aufbrüche und Umbrüche, Abbrüche und Abgründe erlebt. Für die Kirchen der Reformation gehört es zum Selbstverständnis, dass Strukturen und Positionen kontinuierlich mit den Herausforderungen der Gegenwart im Dialog stehen. Kirche hat in und mit Dortmund den Strukturwandel erlebt und diesen aktiv mitgestaltet. Ich denke an das Engagement der Gemeinden in den früheren Zechensiedlungen. Ich denke an das Forum „Reinoldi“, an Kultur und Citykirchenarbeit. Ich denke an das Diakonische Werk mit seinen wertvollen Hilfeprogrammen für die Menschen der Stadt. Es gibt manches, was sich von Dortmund lernen ließe.
Wie kann ein solcher Wandel gelingen?
Kurschus: Wichtig ist mir vor allem eines: Dortmund macht Mut! Weil es sich den Kohlenstaub vom Kittel klopft und heute zu den grünsten Städten Deutschlands zählt, weil es Fördertürme stilllegt und Industriekultur entdeckt, weil heute Start-up-Unternehmen blühen, wo damals Bier gebraut wurde. Bei allem Abschiedsschmerz konnte dieser Wandel durch den Mut und den Zusammenhalt der Menschen gelingen, die dort zu Hause sind und die Zukunft ihrer Stadt in die Hand nahmen. Heute kann man in Dortmund vielerorts sehen, wie Wandel gelingt. Dortmund macht Mut! Und den können wir alle gut gebrauchen.
Interview: Holger Spierig (epd)