Auch die Kirchenverwaltung muss neu strukturiert werden

Benedikt Osiw: „Einzelkämpfertum funktioniert nicht mehr!“

Die Kirchenlandschaft verändert sich. Die Einnahmen werden sinken. Die Evangelische Landeskirche Württembergs wird ihre Kirchenverwaltung grundlegend umstrukturieren. Benedikt Osiw leitet das Projekt „Kirchliche Strukturen 2024Plus“. Im Gespräch erklärt er, wie der aufwendige Prozess bisher verlaufen ist – und welche Folgen er haben wird. 
 

Benedikt Osiw, Landeskirche Württemberg

Herr Osiw, die Württembergische Landeskirche hat sich viel vorgenommen und ist schon weit. Wie kam es dazu? 

Osiw: Uns ist klar: Neue Rahmenbedingungen erfordern Veränderungen. Der Lebensmittelpunkt unserer Gemeindeglieder ist immer weniger eine definierte Parochie. Wir verlieren Mitglieder und stehen unter Spardruck. Unser traditionelles Bild von Kirche kann man so zusammenfassen: „Ein Dorf, ein Kirchturm, ein Pfarrer“. Daraus ist ein Einzelkämpfertum entstanden, das nicht mehr zeitgemäß ist. Künftig brauchen wir vernetztes Arbeiten und Zusammenschlüsse. Im Bereich der Verwaltung ist das für uns leichter gesagt als getan, denn es rührt auch an ‚Machtfragen‘. Unsere Verwaltung gehört zum Teil zu den Kirchengemeinden und zum Teil zum Oberkirchenrat. Wem soll eine neu strukturierte und vernetzte Verwaltung ‚gehören‘, wenn wir unsere Doppelstrukturen erfolgreich abgebaut haben? 

Wie ist der Verlauf bisher?

Osiw: In einer ersten Phase haben wir intern Entwürfe entwickelt – die aber nicht mehrheitsfähig waren. Immerhin geht es um sehr weitreichende Veränderung für über zweitausend Mitarbeitende in der Verwaltung. Außerdem verändert sich automatisch immer auch das Berufsbild der Pfarrerinnen und Pfarrer, wenn sich Verwaltungsstrukturen ändern. 
Die Erkenntnis setzte sich durch: Wir brauchen den Blick von außen. Deshalb hat die Landessynode beschlossen, eine externe Beratungsfirma einzuschalten. Nach einer Ausschreibung fiel unsere Wahl auf PricewaterhouseCoopers.

Dass Kirche eine so professionelle Beratungsfirma beauftragt ist ungewöhnlich, oder?

Osiw: Nein. Ich weiß von mehreren Landeskirchen und Diözesen, die mit externen Beratern zusammengearbeitet haben. Denn die Grundlagen guten Verwaltungshandelns sind ja überall gleich. Wir sind zwar Kirche und haben einen besonderen Auftrag. Aber in Verwaltungsdingen sind wir nur wenig anders als Behörden, Firmen oder Institutionen. Es geht zum Beispiel um Wissensmanagement, um Vertretungsregeln, um IT-Ausstattung. Das sind neutrale Kriterien. In einem Konzern vernetzen sich Standorte – bei uns Kirchengemeinden. 

Eine landeskirchliche Verwaltung wie unsere hat große Ähnlichkeiten mit Behörden und Kommunen. Deshalb hat sich die Beratungsfirma sehr schnell zurechtgefunden. Interessanterweise fand sie Parallelen zu Richtern, die sie einmal beraten hat: Auch dort wird Verantwortung in Verwaltungsfragen von Personen erwartet, die etwas anderes gelernt haben. Eine weitere Ähnlichkeit ist die hohe Identifikation von Pfarrerinnen und Pfarrern mit dem Beruf, die wiederum den Verzicht auf feste Arbeitszeiten sowie auf eine strikte Trennung von Arbeit und Beruf mit sich bringt. Kirche ist also strukturell gesehen gar nicht so einzigartig.

Gab es Kritik an dieser Vorgehensweise?

Osiw: Ja. Zum Beispiel die Frage, ob die Kosten gerechtfertigt sind. Der härteste Vorwurf war jedoch, wir würden teure Berater einkaufen, um unser bereits vorgefertigtes Ergebnis von Externen bestätigen zu lassen. Das war aber gar nicht unsere Intention: Wir sind in einem offenen Prozess. Das Abschlussgutachten der Beraterfirma war ein wichtiger Meilenstein. Wie genau die neue Struktur endgültig aussehen wird, ist noch nicht klar.

Welche Ergebnisse haben Sie selbst überrascht?

Osiw: Dass es bei uns auf die Zusammenlegung zweier Berufsgruppen hinausläuft: Wir haben in jeder Kirchengemeinde ein klassisches Sekretariat und eine eigene Verwaltung, die sogenannte Kirchenpflege. Ein Ergebnis ist, dass man Aufgaben aus der Kirchenpflege regionalisieren kann und es sinnvoll ist, aus dem Sekretariat und aus Teilen der Kirchenpflege eine neue Berufsgruppe zu bilden. Für diese neue Berufsgruppe haben wir den Namen „Assistenz der Gemeindeleitung“ gewählt. Das hatte ich definitiv nicht erwartet. Es ist eine einschneidende Veränderung, die sehr viele Menschen betrifft, vor allem Frauen, die hier einen Teilzeitjob in einer beruflichen Nische gefunden haben. Sollte die Synode diese Reform beschließen, steht uns ein umfangreicher Veränderungsprozess bevor, den wir gemeinsam mit diesen Personen angehen möchten.

Wie ist denn der derzeitige Stand?

Osiw: Die Landessynode hat die Kirchenleitung im Jahr 2017 gebeten, ein Zukunftskonzept für die Verwaltungsstruktur zu entwickeln. Das haben wir getan. Im Herbst 2019 hat die Landessynode einstimmig beschlossen, dass ein „Zielbild 2030“ in ausgewählten Regionen pilotiert werden soll – in dieser Phase befinden wir uns derzeit. 2022 werden die Ergebnisse der inzwischen neu zusammengesetzten Landessynode vorgelegt, die über eine landeskirchenweite Umsetzung entscheidet.

Wie wird der Beschluss angenommen? 

Osiw: In der Landeskirche gibt es große Zustimmung zum Zielbild 2030. Es gibt allerdings auch einen Gegenvorschlag, der kleingliedrigere Strukturen vorsieht. Den nehmen wir auf und versuchen, seine Vorteile integrieren. Auf der Ebene der Kirchengemeinden äußern sich hauptsächlich die, die dagegen sind. Sie formulieren unter anderem Verlustängste und ihre Sorgen um die bleibende Souveränität der Gemeinden. Anders gesagt: Die Gemeinden, denen es gerade gut geht, wünschen keine Veränderung – die anderen wünschen sie sich. Hin und wieder wird auch aus der Erneuerungsbedürftigkeit der Verwaltungsstrukturen etwas Falsches geschlossen, deswegen betone ich: Wir haben extrem engagierte Menschen, die in den bestehenden Strukturen super Arbeit leisten. Die sollen nicht ‚wegrationalisiert‘ werden. Auch soll die neue Struktur die Kirchengemeinden nicht schwächen. Sie soll Verwaltungsvorgänge bündeln, vereinheitlichen und verschlanken. Die Entscheidungskompetenz soll weiterhin in den Kirchengemeinden bleiben. 

Was können Sie solchen Ängsten entgegnen?

Osiw: Zunächst: Jede Struktur hat Vor- und Nachteile, das ist uns allen bewusst. Es gibt nicht die eine ‚richtige‘ Struktur. Richtig ist aber auch: In der Verwaltung unserer Landeskirche gibt es zu viel Einzelkämpfertum und zu viele Parallelstrukturen. Aus dieser Erkenntnis müssen wir Konsequenzen ziehen. Ich bin mir sicher: Den Spagat zwischen der Freiheit im Gemeindeleben und standardisierten und vernetzten Verwaltungsabläufen werden wir hinbekommen.

(Das Interview führte Uwe Birnstein)


Strukturprojekte, die Benedikt Osiw beeindrucken: 

Benedikt Osiw (41) ist Projektleiter im Projekt „Kirchliche Strukturen 2024Plus“ der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Er hat Theologie studiert und einen Master in Organisationsentwicklung und Changemanagement. Außerdem ist er Diakon und hat langjährige Erfahrung in Projektleitung. 

Kontakt:

Evangelischer Oberkirchenrat Stuttgart
Projekt Kirchliche Strukturen 2024Plus
Gänsheidestr. 4
70184 Stuttgart
E-Mail: 2024plus@elk-wue.de