Chancen und Risiken der Mediengesellschaft
1. Entwicklung der Medien
1.1 Tendenzen der Medienentwicklung
Die Dynamik der Medienentwicklung ist vor allem eine Folge neuer Medien- und Kommunikationstechniken. Daneben spielen Veränderungen in den Bereichen Medienpolitik, Medienökonomie und Medienorganisation sowie bei den Medieninhalten eine bedeutende Rolle.
1.1.1 Medientechnik
Durch technische Entwicklungen, die mit den Stichworten Digitalisierung und Datenkompression zu kennzeichnen sind, werden alle wichtigen technischen Faktoren bei der Produktion, Speicherung und Verbreitung insbesondere der audiovisuellen Medien (Kanal-breite, Fassungsvermögen, Übertragungsgeschwindigkeit, Zugriffsmöglichkeit) erheblich erweitert bzw. beschleunigt. Dadurch können z.B. auf den Breitbandkabel- und Satellitenkanälen einige hundert TV-Programme (oder andere Dienste) und noch weit mehr Radioprogramme angeboten oder über Rückkanäle abgerufen werden. Auch die Kapazität bisheriger schmalbandiger Telekommunikationsnetze wird wesentlich erweitert. Digitalisierung verändert nicht nur das Angebot und die Nutzung von Radio und Fernsehen, sondern auch die Produktionsprozesse und Vertriebswege der Druckmedien und damit die Arbeitsbedingungen der Journalistinnen und Journalisten.
Informations- und Kommunikationstechniken, die sich bisher weitgehend getrennt entwickelten (Rundfunk, Unterhaltungselektronik, Telekommunikation und Datenverarbeitung), werden zusammengeführt. Sprunghafte Entwicklungsfortschritte bei herkömmlichen Anwendungen und eine Vielzahl neuer Anwendungen und Dienste ("neue Medien") werden möglich. Beispiele sind die Integration von Computer und TV-Gerät zum fernsehfähigen Computer und zum computerisierten Fernseher oder die Integration von Telekommunikation und Computer für die Nutzung von Online-Diensten und Internet. Die Entwicklungstendenz findet ihren Ausdruck in der zusammenfassenden Bezeichnung "IuK" (für Information und Kommunikation, z.B. in der Wortverbindung "IuK-Techniken").
Von besonderer Bedeutung ist das Internet, das sich mit großer Geschwindigkeit von einem Kommunikationsnetz von Wissenschaftlern zu einem allgemeinen Kommunikationsmedium entwickelt. Durch die Möglichkeiten des Internets verändern sich auch die Rahmenbedingungen, die bisher für die klassischen Medien galten. Das Internet bietet jedem Nutzer die Möglichkeit, selbst zum Anbieter zu werden und Inhalte zu erstellen, die dann weltweit verfügbar sind. Schließlich "gehört" das Internet bisher nicht wie andere Medien einem Unternehmen, sondern es ist ein Netzwerk von Computernetzwerken. Damit wird auch die Frage der Verantwortlichkeit für die Inhalte zu einer neuen Aufgabe.
1.1.2 Medienpolitik
Die Medienpolitik der Nachkriegszeit orientierte sich Jahrzehnte lang an kultur- und gesellschaftspolitischen Zielsetzungen wie z.B. Informations- und Meinungsfreiheit, Bildung und Aufklärung, gesellschaftliche Integration und kulturelle Identität. Seit gut einem Jahrzehnt gerät Medienpolitik zunehmend in den Dienst von Technologie- und Standortpolitik. IuK wird als neue "Schlüsselindustrie" bewertet und Massenmedien wie Rundfunk als "Dienstleistung" eingeordnet (so etwa von der Europäischen Kommission und in den GATT-Abkommen); auch bei der Anwendung des deutschen Medienrechts, insbesondere bei der Lizenzvergabe im privaten Rundfunk, stehen häufig regionale Wirtschaftsinteressen der Bundesländer im Vordergrund. Darin zeigt sich ein Perspektivenwechsel.
In Europa und weltweit hat sich das Prinzip der medienpolitischen Deregulierung durchgesetzt. Der Staat zieht sich aus der unmittelbaren Medienkontrolle zurück und beschränkt sich auf die Vorgabe von rechtlichen Rahmenordnungen, auch weil nationales Medienrecht für internationale Entwicklungen zunehmend unwirksam wird. Außerdem werden durch die Ökonomisierung die Zielvorgaben der Medien- und Kommunikationspolitik verändert; öffentliche Einrichtungen (wie die Telekom) oder Kommunikationsnetze werden privatisiert, Konzentrationsvorschriften gelockert oder nicht beachtet, die Entwicklung und Nutzung neuer Techniken wird privaten Unternehmen überlassen. Eine der letzten Bastionen medienpolitischer Regulierung ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk.
Durch internationale Abkommen werden medienrechtliche Ordnungen und technische Normen zunehmend auf europäischer oder globaler Ebene vereinbart oder harmonisiert. Beispiele dafür sind etwa die weitgehend globale Kompatibilität der Signal-, Netz- und Endgerätetechniken, die Frequenzvereinbarungen der internationalen Funkverwaltungskonferenzen, die Europäische Fernsehrichtlinie, das Europäische Fernsehübereinkommen des Europarats sowie verschiedene Vereinbarungen im Rahmen von UNESCO, KSZE/OSZE und GATT.
1.1.3 Medienökonomie und -organisation
Die Entwicklung und Einführung neuer IuK-Techniken und -Dienste ist teuer. Die Investitionen amortisieren sich oft erst nach vielen Jahren. Um den Mitteleinsatz und die "Anlaufverluste" in vertretbarer Zeit ausgleichen zu können, müssen die Medien ein extensives Marketing einsetzen. Dies führt zu verstärkter Werbung, deren Eindringen selbst in redaktionelle Inhalte zumindest in Europa ungewohnt ist. Neben legalen Werbeformen wie Sponsoring, Promotion und Cross-Promotion von Medien in Medien werden bereits seit längerem auch illegale Werbeformen wie das Product Placement genutzt und die Kennzeichnungspflicht für Werbung mißachtet. Die Medienbranche selbst ist einer der größten Auftraggeber für Werbung in Massenmedien.
Die hohen Investitionen können um so eher amortisiert werden, je größer der Markt für neue IuK-Techniken und -Dienste ist. Daher streben viele Unternehmen eine Internationalisierung oder Globalisierung ihrer Tätigkeit an, d.h. sie versuchen ihre Angebote auf möglichst vielen Auslandsmärkten zu plazieren. Tendenzen der Medienpolitik - Deregulierung und internationale Abkommen - begünstigen dies bzw. unterstützen gezielt die Globalisierung. Neben dem Export von Produkten gibt es eine Reihe anderer Erscheinungsformen der Globalisierung, z.B. Lizenzierung, Export von Konzepten (z.B. für Zeitschriften), internationale Kooperation und Koproduktion, Jointventures, Firmenbeteiligungen und -verflechtungen. Globalisierung dient auch der Risikominderung und -verteilung.
Hohe Investitionen und "Anlaufverluste", extensives Marketing und Internationalisierung können sich vor allem große Medienunternehmen und -konglomerate leisten. Deren Marktmacht wird gestärkt, die Konzentration nimmt zu. Dazu trägt auch bei, daß IuK-Software kostengünstig transferiert und mehrfach verwertet werden kann und oft keinem Wertverlust durch Alterung unterliegt. So können z.B. Filme und Fernsehserien, Musiktitel, Zeitschrifteninhalte auf verschiedenen Vertriebskanälen zeitlich versetzt und weltweit identisch oder mit geringfügiger Adaption eingesetzt werden. Schon heute wird der private Fernsehmarkt in Deutschland von zwei Gruppen dominiert; den Markt der Publikumszeitschriften beherrschen vier bis fünf Verlage, die zugleich eine starke oder vorherrschende Stellung in vielen Ländern Europas, besonders Osteuropas einnehmen; weltweit dominieren einige "Global Players" den Markt der Massenkommunikation und Unterhaltungselektronik (wie auch andere IuK-Märkte). Unter den international tätigen Konzernen haben in der letzten Zeit einige "Elefantenhochzeiten" stattgefunden. Diese wenigen mächtigen Medienmultis versuchen, nicht nur durch horizontale Konzentration einen möglichst hohen Marktanteil zu erzielen, sondern auch durch vertikale Konzentration möglichst viele Elemente der Wertschöpfungskette zu beherrschen. Die "Global Players" bestimmen nicht nur die Richtung der medientechnischen Entwicklung, sie können sich auch politischen Kontrollversuchen weitgehend entziehen. Eine politische, am Gemeinwohl orientierte Steuerung der Medienentwicklung wird dadurch zusätzlich begrenzt.
1.1.4 Medieninhalte
Die öffentlich zugängliche Information und Kommunikation hat innerhalb der letzten Dekade explosionsartig zugenommen und wächst weiter in hohem Tempo. Besonders auffällig wird dies an der um den Faktor zehn bis zwanzig vermehrten Anzahl von Radio- und Fernsehprogrammen. Erhebliches Wachstum gab es aber auch bei anderen Medien, vor allem bei der Zahl der Publikumszeitschriften, bei Videos und Tonträgern, beim Nachrichtenangebot über Agenturen und Dienste, beim Informationsangebot über das Internet, Datenbanken, Mailboxen und Online-Dienste, bei Computer-Software und -Spielen.
Mit dem Wachstum des Angebots geht dessen inhaltliche Diversifizierung einher. Nur ein Teil der zusätzlich angebotenen Medien und Medieninhalte ist für ein inhomogenes Massenpublikum bestimmt. Ein großer (und wachsender) Teil richtet sich an - zunehmend kleinere und homogenere - Publikumssegmente und Zielgruppen (Beispiele: Formatradios, TV-Spartenkanäle, Special-Interest-Zeitschriften). Dies ist einerseits Folge der verschärften Konkurrenz unter den Anbietern und der begrenzten Aufnahmefähigkeit des Publikums; zudem wird dieser Trend aus den Gesetzen des Medienmarketings abgeleitet: Genauer auf die Interessen von Zielgruppen zugeschnittene Medien(-inhalte) verbessern deren Absatz- bzw. Nutzungschancen und deren Eignung als Werbeträger, da sie eine hohe Zielgruppenaffinität und gute Kontaktqualität bieten, d.h. von klar eingegrenzten Zielgruppen ohne größere Streuverluste und mit Interesse genutzt werden.
1.2 Folgen der Medienentwicklung
Kommunikation gehört zu den menschlichen Grundbedürfnissen und ist eine notwendige Voraussetzung wie auch eine Folge des gesellschaftlichen Zusammenlebens. In dem Maße, in dem kommunikative Bedürfnisse medial befriedigt werden und soziale Kommunikation von Medien geprägt wird, beeinflussen die Kommunikationsmedien das gesellschaftliche Leben und das Leben der einzelnen. Wenn sich die Medien verändern, betrifft dies auch die einzelnen und die Gesellschaft. Die Möglichkeiten der Entwicklung sollen für wichtige Lebensbereiche aufgezeigt werden. Inwieweit die Chancen genutzt und die Risiken begrenzt werden können, ist wesentlich eine Frage des gesellschaftspolitischen Handelns.
1.2.1 Wirtschaft und Arbeit
Neue Medien und Techniken tragen nicht nur in steigendem Maße zur Wirtschaftsleistung bei, sie führen darüber hinaus zu erheblichen Veränderungen in Wirtschaft und Arbeit. Dem Produktionsfaktor Information kommt gegenüber den herkömmlichen Produktionsfaktoren (Materie und Energie, Arbeit und Kapital) sogar überragende Bedeutung zu. Etikettierungen wie "Mediengesellschaft" und "Informationsgesellschaft" verweisen auf gesamtwirtschaftliche Folgen der Entwicklung. Die industrielle Produktion verliert weiter an Bedeutung für den wirtschaftlichen Wohlstand zugunsten des zunehmend informatisierten Dienstleistungssektors, insbesondere zugunsten der Medien- und Kommunikationswirtschaft (Telekommunikation, Massenmedien, Unterhaltungselektronik und Informationsdienstleistungen wie Werbung, PR, Markt- und Meinungsforschung).
Risiken
Skeptiker warnen vor überzogenen Erwartungen in bezug auf die positiven wirtschaftlichen Folgen der Informatisierung, da es durch die Information nur zu einer Verschiebung von Leistungen und Wertschöpfungen aus einem Sektor in einen anderen komme. IuK-Techniken vergrößern zwar die Rationalisierungsmöglichkeiten und können somit produktivitätssteigernd wirken. In der Regel führt dies aber auch zur Beseitigung von Arbeitsplätzen und zu dauerhaft steigender Arbeitslosigkeit, von der immer mehr Menschen betroffen sind. Die Veränderung beruflicher Anforderungen durch IuK-Techniken erschwert insbesondere älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Wiederbeschäftigung bei Arbeitslosigkeit. Negative Beschäftigungseffekte werden u.a. auch dadurch erwartet, daß "mentale Dienstleistungen" wie Informieren und Ausbilden personalsparend in Form von Auskunfts- und Teachware auf Videocassetten, Disketten oder CDs industriell vervielfältigt werden. Ein weiterer Negativeffekt entsteht durch die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland, sofern die Arbeitsaufträge und -ergebnisse über weltumspannende Datennetze transportiert werden können (z.B. Programmierung und Datenverarbeitung in den sogenannten Entwicklungsländern).
Schon gegenwärtig lassen sich der Abbau von Arbeitsplätzen und die Einschränkung von Dienstleistungen gut verfolgen. Teleshopping am Fernseher, Telebanking über einen Online-Dienst, der interaktive Sprachkurs am Computer führen zu Kostensenkungen bei den Diensteanbietern und zu mehr Bequemlichkeit bei den Nutzerinnen und Nutzern, machen aber auch Verkäuferinnen und Verkäufer, Bankangestellte und Sprachlehrerinnen und Sprachlehrer arbeitslos. Teleshopping begünstigt unüberlegte Impulskäufe und die Verschuldung einkommensschwacher Bevölkerungskreise. Telearbeit birgt das Risiko der sozialen Isolierung, der Ausbeutung minderqualifizierter und unorganisierter Arbeitskräfte und der besonderen Belastung von Frauen mit Kindern (z.B. durch Teilzeit-Telearbeit neben den familiären Aufgaben).
Die neuen Medien und Techniken schaffen elektronische Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten, die Datenschutzprobleme aufwerfen und elementare Persönlichkeitsrechte - vor allem die informationelle Selbstbestimmung - einschränken können. Zugriffe auf die Kommunikationsendgeräte in den Haushalten (z.B. bei der Nutzung von Pay-TV, Video-On-Demand, Teleshopping, Telebanking) lassen sich zentral registrieren und in Nutzerprofile umsetzen, die für Marketingzwecke (im Prinzip auch für eine polizeiliche Überwachung) eingesetzt werden können. Die komplett gespeicherten Telefonbucheintragungen der Bundesbevölkerung auf einer einzigen CD-ROM lassen sich schon in dieser Weise nutzen.
Chancen
Der Medienbericht '94 der Bundesregierung weist für den Mediensektor - einschließlich Unterhaltungselektronik - eine Bruttowertschöpfung von 55,45 Mrd. DM im Jahr 1992 aus, das entspricht 1,83 Prozent des Bruttosozialprodukts. Eindrucksvoller ist die dort mitgeteilte Wachstumsrate von +63,2 Prozent von 1982 bis 1990, die deutlich über dem Wachstum der Gesamtwirtschaft liegt. Noch weit positiver hebt sich die Zunahme der Beschäftigtenzahl im Mediensektor von der Gesamtentwicklung ab. Der Bericht der Bundesregierung betrachtet in diesem Teil nur die konventionellen Massenmedien, er berücksichtigt noch nicht die wirtschaftliche Bedeutung neuer Medien und IuK-Techniken.
Vielfach wird in der Kommunikationswirtschaft die neue "Schlüs-selindustrie" gesehen. Die Europäische-Kommission erwartet von den IuK-Techniken eine beträchtliche Steigerung der Produktivität und eine erhebliche Verbesserung der Qualität und Leistungsfähigkeit von Diensten. Sie entwickelte die Vision eines "gemeinsamen Informationsraums" Europa und legte eine Reihe von Förderprogrammen auf, um die technische Weiterentwicklung und Einführung von Kommunikationstechniken voranzutreiben. Ähnlich positiv wird die Entwicklung von den Regierungen auf nationaler Ebene gesehen. Länder und Städte in der Bundesrepublik bemühen sich verstärkt um die Entwicklung der Kommunikationsinfrastruktur und um die Ansiedlung von Medienunternehmen in der Erwartung, dadurch die Wirtschaftskraft und das Angebot an qualifizierten Arbeitsplätzen zu verbessern.
Die neuen Techniken und Dienste wie E-Mail, Internet, "Informa-tion Superhighways", Mobilfunk, Bildtelefon, Telekonferenz, Telebanking, Teleshopping und elektronische Verkehrsleitsysteme verbessern die Kommunikationsinfrastruktur für die Wirtschaft, machen den Transport von Gütern und das Reisen von Menschen teilweise überflüssig oder optimieren sie soweit, daß Zeit und Kosten gespart, Standortnachteile ausgeglichen und Umweltbelastungen vermindert werden. Durch Telearbeit wird dezentrale Berufstätigkeit in häuslicher Umgebung möglich, so daß gerade auch Frauen Familie und Berufstätigkeit leichter miteinander verbinden können. Telekooperation schafft die Voraussetzungen für dezentrale Zusammenarbeit, Telemedizin ermöglicht die ärztliche Diagnose und Therapie über große Entfernungen.
1.2.2 Wissenschaft und Bildung
Technologische Innovationen und deren Anwendung hängen eng mit dem Niveau von Bildung und Wissenschaft zusammen. Sie sind Folge der fortgeschrittenen Entwicklung von Bildung und Wissenschaft im ausgehenden 20. Jahrhundert und stimulieren wiederum deren Weiterentwicklung. Das gilt in besonderem Maße für die Informations- und Kommunikationstechniken.
Risiken
Die in der Entwicklung von Wissenschaft und technologischer Innovation angelegte Tendenz zur gegenseitigen Verstärkung vergrößert vorhandene Wissensklüfte und Bildungsgefälle. Entwickelte Länder mit guter Bildungs- und Wissenschaftsinfrastruktur profitieren weit mehr vom Fortschritt der IuK-Techniken als unterentwickelte Länder, reiche und angesehene Universitäten mehr als arme und unbedeutende, Fächer mit einer "natürlichen" Nähe zum Computer (Natur- und empirische Sozialwissenschaften) mehr als andere (Geisteswissenschaften). Ebenso können Personen, die bereits gut vorgebildet sind und eine entsprechende Medienkompetenz besitzen, die Möglichkeiten neuer Medien und Techniken besser nutzen als die in dieser Hinsicht Unterprivilegierten. Wer mit den neuen Kulturtechniken nicht umzugehen lernt, bleibt "Analphabit" - eine moderne Form des Analphabetismus.
Der durch die IuK-Techniken erheblich gesteigerte Zuwachs des Wissens führt zu Unübersichtlichkeit und Informationsüberlastung. Die Informationsfülle macht es immer schwieriger, das Wichtige und Relevante vom Unwichtigen und Irrelevanten zu unterscheiden. Die Frage der Datenerfassung ist vor allem ein technisches Problem und als solches sicher lösbar. Die notwendige Datenselektion hingegen hängt von der kognitiven Kompetenz des einzelnen Menschen (d.h. des individuellen PC-Nutzers oder des individuellen Fernsehzuschauers) ab und ist bisher noch kaum bedacht worden. Wenn auch die absolute Wissensfülle weltweit zunimmt, ist noch nichts darüber entschieden, ob gleichzeitig auch der relative Wissensstand des einzelnen erweitert wird. Mit der Beschleunigung des Wissenszuwachses verkürzt sich auch die Zeit, in der Wissen veraltet. Einmal angeeignetes Wissen wird schnell überflüssig oder inaktuell. Die Informationssuche und die Übernahme und Beherrschung immer neuer Generationen von Hard- und Software kosten Zeit und Geld. Es müssen neue Medien und Dienste eingeführt werden, um die Informationsflut übersichtlich und zugriffsfähig zu machen. Dadurch entstehen soziale Kosten, die Informationsflut schwillt durch "Hypermedien" (Medien über Medien) weiter an.
Die IuK-Techniken begünstigen individualisierte und zugleich auch sozial isolierte Bildung. Das geht auf Kosten von spontaner Kommunikation, gegenseitiger Beobachtung, Anregung und sozialer Kontrolle und auf Kosten von anspornendem Wettbewerb unter Lernenden. Technisierung und Informatisierung von Unterricht und Wissenschaft verdrängen Wertorientierungen und ethische Grundsätze, die überwiegend informell in der herkömmlichen Lehrer-Schüler-Interaktion vermittelt werden, aus dem Bildungs- und Wissenschaftsprozeß. Es besteht die Gefahr, daß Bildung und Ausbildung auf ihre instrumentelle Funktion reduziert, daß wichtige Funktionen der Sozialisation und gesellschaftlichen Integration zurückgedrängt werden.
Chancen
In den entwickelten Ländern gehört der Umgang mit Telefon, Computer, Fernseher und Fernbedienung, Videotext, Online-Diensten, Videorecorder, CD und CD-ROM usw. mehr und mehr zu den selbstverständlichen und allgemein verbreiteten Kommunikationstechniken. Hardware und Software - vor allem für Textverarbeitung, Businessgraphik, Datenbanken und Online-Recherche - sind kostengünstig verfügbar und werden immer leichter handhabbar.
Mit der Expansion der Medien nehmen absolut auch die Bildungs- und populärwissenschaftlichen Angebote beträchtlich zu. Dazu gehören z.B. pädagogische Kindersendungen, dokumentarische und populärwissenschaftliche Sendungen bzw. Spartenkanäle im Fernsehen, Schulfunk und Telekollegs, populärwissenschaftliche und Fachzeitschriften, (weiter-) bildende Kassetten, Videos, Disketten und CDs (Teachware). Besonders deutlich ist die Angebotserweiterung des Wissens durch Datenbanken, Online-Dienste und Internet.
Der Einsatz von Medien in Schulen und Hochschulen macht den Unterricht anschaulicher und für die Lernenden interessanter, stärkt die Lernmotivation und erhöht den Lernerfolg. Komplizierte Wissensmaterien lassen sich durch geschickten Einsatz der Darstellungsmöglichkeiten audiovisueller Medien - Infographik, Film, Video, Computeranimation und -simulation - didaktisch aufbereiten. Mit Hilfe interaktiver Teachware kann das Lernpensum den individuellen Lernmöglichkeiten und der jeweiligen Lernmotivation angepaßt werden. Beim Sprachenlernen werden diese Vorteile bereits auf breiter Basis genutzt.
Neue elektronische Speichersysteme, Datennetze, insbesondere das Internet und Online-Dienste machen sehr große Wissensbestände wie Lexika, Bibliographien, Bibliothekskataloge, Fachbücher, Datenbanken und die Wort-, Bild- und Tonbestände einer Vielzahl publizistischer Medien relativ leicht und kostengünstig zugänglich sowie effektiv auswertbar.
Leistungsfähige Datennetze ermöglichen den weltweiten wissenschaftlichen Datentransfer. Globale Kommunikation über E-Mail und elektronisches Publizieren im Internet erleichtern den notwendigen Austausch unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, beschleunigen die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse und kompensieren Standortnachteile in entlegeneren oder ärmeren Ländern und an kleineren Universitäten.
1.2.3 Kunst und Unterhaltung
Kommunikationstechnik dient seit jeher auch der Zerstreuung und dem Zeitvertreib, der ästhetischen Erbauung und Anregung; sie wird zur Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten wie auch zur Kommerzialisierung von Kunst und Populärkultur eingesetzt. Neue Medien und Techniken steigern diese Möglichkeiten beträchtlich. Sie kommen elementaren Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer entgegen und finden daher Akzeptanz in allen Bevölkerungskreisen, wenn auch in unterschiedlichem Maße und mit unterschiedlichen Angeboten.
Risiken
Die zunehmende Differenziertheit kultureller Angebote in den Massenmedien birgt die Gefahr der kulturellen Aufsplitterung in sich. Die Vielfalt unterschiedlicher Medien konstituiert gleichsam "esoterische" Zirkel, immer enger definierte Milieus und Subkulturen mit jeweils sehr unterschiedlichen Interessen, Erfahrungen und ästhetischen Kriterien. Es wird schwieriger, eine gemeinsame kulturelle Identität größerer Bevölkerungsgruppen zu bewahren. Dieses Risiko erhöht sich durch den gesellschaftlichen Trend zur Individualisierung, der die Wertorientierung und Sinnfindung als Aufgabe der einzelnen definiert und die dazu unverzichtbare Rolle gesellschaftlicher Institutionen wie Familie, Kirche oder Staat übersieht oder herunterspielt.
Das immer umfangreichere Angebot an oft trivialer Unterhaltung überlagert und verdrängt die anspruchsvolleren kulturellen Angebote in den Medien. Da anspruchslose Unterhaltung leichter konsumierbar ist, wird sie weit mehr genutzt, findet ein weit größeres Publikum, eignet sich viel besser als Werbeumfeld und hat daher weitaus größere finanzielle Ressourcen zur Verfügung als Darbietungen der Kunst und "Hochkultur". Der Mensch wird mehr und mehr dazu angeleitet, sich etwas vorsetzen zu lassen; darunter kann die zur Selbstentfaltung notwendige Eigenaktivität leiden.
Der Kunst- und Unterhaltungsbetrieb muß zunehmend Marktgesetzen gehorchen. Der Wettbewerb um Werbebudgets und passende Zielgruppen treibt die Gagen von Starinterpreten, -schauspielern und -regisseuren in die Höhe. Vor allem in der Unterhaltungsindustrie und im "Unterhaltungssport" (Tennis, Autorennen, Fußball, Boxen) führt die Medienkonkurrenz zu sich ständig übersteigernden Gagen und Honoraren. Die größten und kapitalkräftigsten Veranstalter - vor allem private Fernsehsender - sichern sich exklusiv die zugkräftigsten Namen und Ereignisse. Sie verbessern damit weiter ihre Position beim Publikum und auf dem Werbemarkt.
Es besteht ein geschäftliches Interesse, Medienangebote direkt vom Nutzer über Entgelt finanzieren zu lassen, weil sich so die enormen Investitionen (z.B. in die Sportübertragungsrechte) besonders gut refinanzieren lassen. Die derzeitige Diskussion über das Pay-TV bietet dafür ein gutes Beispiel. Da die Ausgaben der privaten Haushalte für Medien in der Vergangenheit nur innerhalb des allgemeinen Wirtschaftswachstums gestiegen sind, muß die Expansion der Medien bisher vor allem durch mehr Werbung finanziert werden.
Zu den fragwürdigen Begleiterscheinungen dieser Entwicklung gehört, daß Entscheidungen über die Einführung von neuen Techniken und Diensten in erster Linie unter Gesichtspunkten der breiten Publikumsakzeptanz und der Finanzierung durch Werbung getroffen werden, daß der Wettbewerb um Publikumsakzeptanz zu Qualitätseinbußen im Journalismus und bei medialen Unterhaltungsangeboten führt. Die Anbieter müssen ständig die Reizintensität der Medieninhalte erhöhen, um sich in der zunehmenden Konkurrenz durchsetzen zu können. Das geschieht häufig durch die Darstellung von Gewalt und Sexualität, durch sensationelle und tabuverletzende Themen. Der harte Kampf um Werbebudgets führt zu einer Mißachtung von Geboten, die dem Schutz der persönlichen Ehre, dem Jugendschutz, dem Datenschutz und Verbraucherschutz dienen.
Von diesen Risiken sind Kinder und Jugendliche besonders betroffen. Gefährdet sind vor allem Kinder und Jugendliche in Familien und sozialen Milieus, die nicht intakt sind. Bei diesen ist auch das Risiko relativ groß, daß sie Fernsehen, Videos, Video- und Computerspiele exzessiv nutzen und daß dadurch psychische und psychosoziale Vorschädigungen verstärkt werden (u.a. Entwicklungsdefizite in bezug auf abstraktes Denken, Sprache, Empathie, soziale Kontaktfähigkeit und Integration).
Chancen
Die moderne Audiotechnik ermöglicht den individuellen Zugriff auf die verschiedensten Musikgenres und Produktionen, macht Spitzenleistungen der Interpretation für alle, zu jeder Zeit und kostengünstig verfügbar. Die Auswahl - auch an historischen Aufnahmen - nimmt ständig zu. Die Entwicklung von der Schellack- und Vinyl-Schallplatte über Tonband und Toncassetten zur CD hat den Musikinteressenten technisch immer bessere, kostengünstigere und leichter zu handhabende Tonträger beschert. Die Erweiterung der CD zur Video-CD, die Verbesserung der Tonqualität herkömmlicher Videorecorder und der Verbund zwischen Hi-Fi-Anlage und Fernseher bzw. Videorecorder verbinden das Hörerlebnis mit visuellen Eindrücken. TV-Musiksender bieten bereits seit längerem stark visualisierte Formen der Musikdarbietung. Ihre Videoclips haben auf die Fernsehästhetik eingewirkt.
Durch die Entwicklung der audiovisuellen Medien wird die Differenzierung und Individualisierung der Angebote begünstigt, so daß immer speziellere Geschmacksrichtungen und Zielgruppen bedient werden können. Das gilt ebenso für die Entwicklung der Printmedien: Das Angebot an Literatur, Sachbüchern, Unterhaltungs- und Special-Interest-Zeitschriften wird breiter und differenzierter. Die Befürchtung, die audiovisuellen Medien würden die Druckmedien verdrängen, bestätigt sich nicht. Eher das Gegenteil ist der Fall: Neue Medien stimulieren immer auch die Entwicklung der alten Medien (wenn auch in unterschiedlichem Maße bei den verschiedenen Medien und Angeboten).
Neue Medien schaffen neue Ausdrucks- und Darstellungsformen (wie z.B. Foto- und Filmkunst, Hörspiel und Fernsehspiel, elektronische Musik und das Jugendgenre "Techno", Videokunst und Videoclips). Nicht zuletzt ergeben sich durch die Medienexpansion zusätzliche Publikations-, Darbietungs- und auch Verdienstmöglichkeiten für mehr Autoren, Komponisten, Darsteller, Interpreten. Auch sehr ungewöhnliche, esoterische, avantgardistische, selbst tabuisierte Sujets und Künstler finden ihr Publikum. Das Internet sorgt beispielsweise für eine weltweite und kostengünstige Distribution der Werke.
Vor allem aber erweitern neue Medien und Techniken die Breite und Differenziertheit der Unterhaltungsangebote. Weil die Nachfrage nach Unterhaltung in einer Gesellschaft mit viel Freizeit und relativ großem Wohlstand sehr hoch ist, lassen sich Unterhaltungsangebote auch am ehesten finanzieren. Die Möglichkeiten, sich je nach Stimmung, Geschmack, Anspruchsniveau, einsetzbarem Geld- und Zeitaufwand unterhalten, anregen und zerstreuen zu lassen, nehmen weiter zu.
Menschen mit viel frei verfügbarer Zeit wird durch die große Zahl der Medienangebote ihren jeweiligen Interessen entsprechende Unterhaltung und Anregung geboten. Kinder und Jugendliche finden spezielle Musikfarben im Radio, Kinder- und Video-Kanäle im Fernsehen, Video- und Computerspiele auf Kassetten bzw. Datenträgern und in Datennetzen. Diese Angebote kommen ihrem Bedürfnis entgegen, kognitive Fähigkeiten zu erproben und zu entwickeln, ihre persönliche Identität zu finden, einen eigenen Lebensstil, eine "Jugend- und Szenekultur" zu definieren.
1.2.4 Familie und soziale Beziehungen
Kommunikationstechnik gehört heute zur selbstverständlichen Grundausstattung praktisch aller Haushalte. In der Bundesrepublik Deutschland haben nahezu alle Hauhalte mindestens ein Fernsehgerät, mehr als ein Viertel sogar zwei oder mehr Geräte. Ähnlich verbreitet sind Radiogeräte, auch in drei von vier Autos ist ein Radiogerät installiert. Einen Telefonanschluß haben 91 Prozent der Haushalte, einen Videorecorder haben knapp 62 Prozent der Haushalte, einen CD-Spieler 58 Prozent, einen Personalcomputer 21 Prozent (Daten für 1996).
Risiken
Die Nutzung neuer Medien und Kommunikationsdienste kostet Geld und vor allem viel Zeit. Mit der Nutzung herkömmlicher Massenmedien verbringen Bundesbürger ab 14 Jahren schon jetzt im Durchschnitt rund sechseinhalb Stunden pro Tag. Der größte Anteil davon entfällt mit drei Stunden auf das Fernsehen. Für das Zeitunglesen wird demgegenüber nur etwa eine halbe Stunde erübrigt. Während der Zeitaufwand für das Lesen leicht rückläufig ist, nimmt die Nutzung audiovisueller Medien stetig zu.
Die finanziellen Aufwendungen der Familien für Massenmedien steigen, wenngleich nur mäßig. Sie lagen Anfang der siebziger Jahre bei einem Anteil von etwas über drei Prozent am Haushaltsnettoeinkommen und nähern sich inzwischen der vier-Prozent-Marke (Vier-Personen-Arbeitnehmerhaushalt mit mittlerem Einkommen in den alten Bundesländern). Der größte Teil der Aufwendungen für Massenkommunikation wird von den Haushalten jedoch indirekt über die Werbeaufwendungen für die von ihnen gekauften Produkte finanziert.
Die Mehrfachausstattung der Haushalte mit Medien und Kommunikationsgeräten fördert die individualisierte und zugleich isolierte Nutzung durch die Familienmitglieder. Primärerfahrung und unmittelbare Erlebnisse werden zunehmend ersetzt durch Sekundärerfahrung, durch künstliche Medienwelten. Diese bieten sich als immer verfügbare Fluchtmöglichkeit aus einer als frustrierend empfundenen Wirklichkeit in den Erlebnispark einer virtuellen Realität an. Die Medienwelten von Radio, Fernsehen, Computerspielen und Internet, denen sich Kinder zuwenden, lassen sich immer weniger von Eltern, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen kontrollieren. Deren Erziehungsbemühungen können ins Leere laufen oder konterkariert werden. Schon in sehr jungem Alter haben Kinder über ihre eigenen Geräte Zugang zu allen Bereichen der Erwachsenenwelt und zu Medieninhalten, auf deren Verarbeitung sie nicht vorbereitet sind und die daher Angst und Streß auslösen. Da die vielfältigen Medienwelten keine eindeutigen Maßstäbe oder Wertorientierungen bereithalten, bieten sie auch keinen Ersatz für den zurückgedrängten Einfluß von Eltern und Familie.
Mit der Kommerzialisierung der Medien hat auch ihr Einfluß auf Kinder und Jugendliche als Konsumenten und Werbezielgruppe stark zugenommen. Das Streben der Heranwachsenden nach Selbstfindung wird von den Medien im Verbund mit der Mode- und Musikbranche gesteuert und profitabel gemacht. Das Programm der Musiksender im Fernsehen besteht praktisch nur aus Werbung für die Musik und die Produkte der Jugendkultur. Allgemein erhöht die Medienentwicklung, die auf geschickt gestaltete und plazierte Werbung angewiesen ist und ganz neue Marketingformen z.B. über CD, im Fernsehen (Teleshoppingkanäle) und im Internet ermöglicht, den Konsumdruck auf die Haushalte und speziell auf Kinder. Die Werbung setzt Kinder zunehmend als Entscheider und "Agenten" im familiären Konsumverhalten ein.
Chancen
Die gute Ausstattung der meisten Haushalte mit Medien und Kommunikationstechnik ermöglicht es vielen Menschen, mediale Kommunikation entsprechend ihren individuellen Bedürfnissen und Interessen zu nutzen. In größeren Familien beugt dies Konflikten in der Freizeit vor. In Ein-Personen-Haushalten wirkt es der sozialen Isolierung entgegen. Dieser Vorteil kommt besonders Personen entgegen, die an das Haus gebunden sind wie Mütter oder Väter mit Kindern, ältere Menschen, Kranke, Behinderte. Diesen Personen eröffnen neue Medien auch Möglichkeiten beruflicher Betätigung von zu Hause aus. Aber auch andere können dank der Medientechnik ihre Berufstätigkeit ganz oder teilweise nach Hause verlagern, so daß sich die Trennung von beruflicher und häuslicher Sphäre, die erst das industrielle Zeitalter hervorbrachte, wieder aufheben läßt.
In der alltäglichen Nutzung dienen Kommunikationsmedien nicht nur zur Information und Unterhaltung, sondern häufig auch zur Erleichterung häuslicher Verrichtungen (z.B. Radiohören oder Fernsehen bei eintöniger Hausarbeit) und zur Inanspruchnahme von Dienstleistungen (z.B. Telebanking, Teleshopping). Eine große praktische Bedeutung haben die Serviceangebote der Massenmedien, von der Werbung über Verkehrs- und Wettermeldungen bis hin zu praktischen Tips für Reise, Gesundheit, Lebensführung usw. Die Angebote in diesem Bereich nehmen ständig zu, sie werden immer besser verfügbar und auf individuelle Bedürfnisse zugeschnitten.
Mediendarbietungen und technische Kommunikation verweben sich zunehmend mit Alltags- und Festtagserlebnissen. Große Sportereignisse, besondere Filme, Fernsehserien, die Samstagabend-Fernsehshow, Karnevalssitzungen, Rockkonzerte usw. sind Anlässe für das Zusammensein in der Familie, für das Zusammentreffen mit Freunden und Verwandten. Sie bieten Gesprächsthemen, den Anlaß für soziale Kontakte und fördern diese auch. Die Vermutung, die Medienentwicklung führe zu sozialer Isolierung und zum Rückgang von Geselligkeit, hat sich bisher so nicht bestätigt - eher im Gegenteil: gesellige Aktivitäten können durch Massenmedien angereichert und angeregt werden.
Anregung geht speziell vom Computer aus, der eine aktive Nutzung von Medienangeboten ermöglicht und oft verlangt. Vor allem der textbasierte Umgang mit vielen Internet-Diensten (z.B. Newsgroups) begünstigt die Anwendung der traditionellen Kulturtechniken Schreiben und Lesen. Viele Computerspiele, aber auch speziell für Heranwachsende konzipierte Fernsehsendungen, sind geeignet, die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen zu fördern. Ebenso können Medienangebote für ältere Menschen helfen, deren geistige Leistungsfähigkeit zu trainieren und zu erhalten.
1.2.5 Öffentlichkeit und politische Prozesse
Das politische Leben in demokratischen Staaten ist weitgehend auf ein vielfältiges Mediensystem und eine effektive Nachrichtenübermittlung angewiesen. Die Medien liefern den Bürgerinnen und Bürgern und den Verantwortlichen in der Politik die für ihre Entscheidungen notwendigen Informationen und konstituieren eine politische Öffentlichkeit. Sie bieten ein Forum zur Auseinandersetzung über die politischen Prioritäten, schaffen damit die Voraussetzung für die politische Meinungs- und Willensbildung, für politischen Konsens und gesellschaftliche Integration. Die Medien wirken selbst mit an der Meinungsbildung und ergänzen als "vierte Gewalt" - durch Kontrolle und Kritik mächtiger Personen und Institutionen - die politischen Funktionen der drei klassischen Gewalten.
Risiken
Die Verbesserung der Nachrichtentechnik im professionellen wie auch im privaten Bereich läßt das Informationsangebot weiter erheblich ansteigen. Die Medien können aus der Fülle der von Agenturen und Diensten, von Informanten und eigenen Korrespondenten stammenden Nachrichten nur einen winzigen Bruchteil auswählen. Der hohe Selektionsdruck verweist auf die kritische Rolle der Nachrichtenwert-Kriterien, nach denen Journalistinnen und Journalisten über die Wichtigkeit der Meldungen entscheiden. Kriterien wie vor allem Neuigkeit, Überraschung, Dramatik, Negativismus (Konflikt, Kontroverse, Schaden) und Betroffenheit prägen die "Medienrealität". Mit der Erhöhung des Selektionsdrucks steigt auch das Risiko von Verzerrungen im Nachrichtenangebot. Der gesteigerte publizistische Wettbewerb durch neue Medien bringt es mit sich, daß häufiger als bisher Persönlichkeitsrechte durch die Medien verletzt und Gebote der publizistischen Ethik mißachtet werden. Durch den zunehmenden Wettbewerbsdruck geraten die Medien in die Gefahr, Sensation und vordergründige Aktualität der sorgfältig recherchierten Nachricht vorzuziehen, unsichere Nachrichtenquellen zu benutzen oder sogar auf Fälscher hereinzufallen.
Die Menge und Vielfalt der Angebote ist auch von den Mediennutzern nur noch schwer beherrschbar. Es macht zunehmend Mühe, in der Fülle der Informationen die wirklich wichtigen und nützlichen zu erkennen, zumal vieles nur der Befriedigung von Neugier, Sensationslust und Voyeurismus dient. Um die Möglichkeiten adäquat zu nutzen, die das ständig erweiterte Angebot bietet, wäre ein enormer Zeit- und Geldeinsatz notwendig. Das Gefühl der Informationsüberlastung nimmt zu. Die vielfach kritische, den Konfliktaspekt von Politik, Gewalt und Verbrechen betonende Berichterstattung ist der politischen Bildung nicht förderlich, begünstigt womöglich Politikverdrossenheit und eine negative Weltsicht. Das liegt auch an den Besonderheiten der menschlichen Informationsverarbeitung, die - zumindest in der alltäglichen Situation der Mediennutzung - nicht auf Lernen und kognitive Differenzierung angelegt sind.
Mit der Erweiterung des Informationsangebots vergrößert sich die Kluft zwischen den gut informierten und den schlecht informierten Bürgerinnen und Bürgern. Menschen, die eine gute Ausbildung und hohe Medienkompetenz besitzen, politisch interessiert und vorgebildet sind, können das erweiterte Medienangebot am besten nutzen. Ihr Wissen und ihr politisches Interesse nehmen weiter zu, ihr Engagement wächst. Menschen, die dagegen durch das vermehrte Informationsangebot überfordert sind, nutzen eher die umfangreicheren Unterhaltungsmöglichkeiten durch neue Medien und bleiben politisch abstinent.
Die Vielzahl der Medien und Angebote und eine entsprechende Segmentierung der Nutzergruppen spalten die Öffentlichkeit in viele Teil- und Unterforen auf. Tendenzen der Individualisierung und sozialen Differenzierung, der Pluralisierung der Lebensstile werden dadurch gefördert, gesellschaftliche Integration erschwert.
Neue Medien verbessern die Möglichkeiten, auf künstliche Weise realitätsgetreue Eindrücke und eine synthetische Wirklichkeit zu erzeugen. Davon wird zunehmend auch im Journalismus Gebrauch gemacht, z.B. mit der Bearbeitung digitalisierter Fotos, Computeranimation, Bluebox- und Paintbox-Techniken im Fernsehen. Die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Fiktion, zwischen Wahrheit und Täuschung wird dadurch schwieriger. Zunehmende Aktivitäten der öffentlichen Beeinflussung und des Themenmanagements sind darauf gerichtet, Ereignisse zu inszenieren und die Medien zu instrumentalisieren. Die Gefahr, daß politisch weitreichende Entscheidungen auf der Grundlage von inszenierter Wirklichkeit und einer manipulierten Öffentlichkeit gefällt werden, nimmt zu.
Chancen
Verbesserungen der Nachrichtentechnik kommen seit jeher zu allererst den Nachrichtenagenturen und Informationsmedien zugute. Satellitenkommunikation, Faxgeräte, Mobilfunk, miniaturisierte Bild- und Tonaufzeichnungsgeräte, Datenbanken, Notebook-Computer und Bilddigitalisierung sind dafür aktuelle Beispiele. Sie steigern erheblich die Leistungsfähigkeit des Journalismus und tragen dazu bei, daß die Bürgerinnen und Bürger höchst aktuell von allen wichtigen Schauplätzen unterrichtet werden. Die Möglichkeiten der Teilhabe am lokalen, nationalen und weltweiten Geschehen werden durch neue Informationsangebote - z.B. durch weitere Spartenkanäle und politische Informationen in Online-Diensten - erweitert.
Aber auch im privaten Bereich verbessert sich mit der Verbreitung neuer IuK-Techniken wie Kabel- und Satellitenrundfunk, Online-Dienste, Videotext, Videorecorder, Multimedia-Endgeräte, mobile Radio- und Fernsehgeräte der Zugang zu öffentlich relevanten Informationen. Menschen können sich immer unabhängiger von zeitlichen und räumlichen Beschränkungen und immer mehr auch ihren individuellen Interessen entsprechend informieren.
Mit der Erweiterung des Mediensystems und der Verbreiterung medialer Angebote erhöht sich die Vielfalt der Themen und Meinungen in der öffentlichen Diskussion. Politiker und Interessenvertreter haben mehr und unterschiedlichere Sprachrohre und Podien zur Verfügung. Auch für nicht etablierte Parteien, kleine Minderheiten und Gruppen mit Sonderinteressen verbessern sich die Chancen, im öffentlichen Diskurs zur Geltung zu kommen. Die Wahlmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger unter vielen verschiedenartigen Informationsquellen nimmt zu. So werden Manipulation und Indoktrination durch einseitige Information erschwert. Allerdings muß man realistisch in Rechnung stellen, daß diese prinzipiell erweiterte Kontroll- und Schutzmöglichkeit bald an ihre Grenzen stößt. Denn gewöhnlich findet ein Mediennutzer nur die Zeit, eine Nachrichtensendung oder ein Nachrichtenmagazin zu verfolgen.
Es verschärft sich der Wettbewerb unter den Medien allgemein, dabei speziell der publizistische Wettbewerb um die aktuellsten Ereignisse, um die attraktivsten Themen und die kompetentesten Interviewpartner, um besonders schnelle Übermittlung, um aufklärende Recherche und enthüllende Hintergrundberichte. Mehr Medien beschäftigen mehr Journalistinnen und Journalisten, die ihre Karrierechancen durch die Profilierung im investigativen und kritischen Journalismus zu verbessern suchen. Dies kann die Wahrnehmung der Kritik- und Kontrollfunktion der Medien fördern, ebenso ihre Beteiligung an der öffentlichen Meinungsbildung.
1.2.6 Kirche und Gemeinde
Die Arbeit der Kirchen ist von der jeweiligen Medienentwicklung sowohl auf den Gebieten der Erziehung, Wissenschaft und Bildung als auch in Verkündigung und Seelsorge, Caritas und Diakonie betroffen, besonders aber in ihrer eigenen Medien- und Öffentlichkeitsarbeit: So ändert sich nicht nur das Vorkommen von Religion und Kirche in nichtkirchlichen Medien. Auch die konfessionell orientierte bzw. kircheneigene Publizistik und die Medienarbeit müssen sich einem gewandelten Nutzungsverhalten stellen; das gilt gleichermaßen für die Bundesebene wie für die Ebenen der Diözesen, der Landeskirchen und der einzelnen Gemeinden. Die Öffentlichkeitsarbeit der Kirchen, die sowohl die Dimension der Binnen- als auch der Außenkommunikation umfaßt, ist von den Veränderungen ebenso betroffen wie die medienpolitischen Optionen der Kirchen.
Die Auswirkungen der Medienentwicklung auf die kirchliche Arbeit sind ebenso ambivalent wie die Auswirkungen auf die Gesamtgesellschaft; es bestehen sowohl Chancen als auch Anzeichen für eine problematische Entwicklung.
Risiken
Besonders bei den elektronischen Medien wird - bei Beibehaltung des gegenwärtigen kirchlichen Engagements - die Ausweitung der Programmangebote dazu führen, daß im Verhältnis zum Gesamtangebot die Zahl kirchlicher Beiträge zurückgeht (Verdrängung durch Angebotsmenge). Die Ausweitung der Programme hat bereits in den vergangenen Jahren zu teilweise erheblichen Einschaltquotenverlusten bei Sendungen mit religiös-kirchlichen Themen geführt, da diese mit massenattraktiven Programmen konkurrieren müssen. Das bedeutet auch, daß es in vielen Programmen zunehmend schwieriger wird, Menschen über den engeren Kreis der kirchlich Interessierten hinaus zu erreichen. Diese Entwicklung kann sich fortsetzen.
Neu hinzukommende Programmangebote werden überwiegend Spartenprogramme sein, die sich an jeweils eine bestimmte Zielgruppe wenden. Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, wie die Kirchen ihr umfassendes Lebens-Deutungs-Angebot zu den Menschen und in das gesellschaftliche Gespräch bringen können. Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, ob dies weiterhin vorrangig mit dem Anspruch auf Programmbeteiligungen (kirchliche Sendungen in der bisherigen Form bei den öffentlich-rechtlichen und den privaten Vollprogrammanbietern) oder auch mit dem Angebot eigener Spartenprogramme, die jedoch das Risiko einer Art Rückzug ins Ghetto in sich bergen, geschehen kann bzw. geschehen soll. Entscheidungen müssen behutsam getroffen werden, weil die Kirchen angesichts der wirtschaftlichen und programmlichen Kräfteverhältnisse im elektronischen Markt und im Hinblick auf die begrenzten eigenen Ressourcen auf Verhältnismäßigkeit zu achten haben.
Durch die weitere Kommerzialisierung von Information und Kommunikation können die gemeinschafts- und meinungsbildenden Funktionen von Kommunikation und ihre kulturelle Bedeutung, die für die Gesellschaft von elementarem Wert sind, immer mehr in den Hintergrund gedrängt werden.
Außerdem kann durch die Dominanz einer einseitig medialen Kommunikation in religiösen und kirchlichen Handlungsfeldern, wie z.B. im Internet abrufbare Predigten und "Beichtprogramme", Katechese über CD-ROM etc., der unaufhebbare Zusammenhang zwischen persönlichem Kontakt und Glaubensweitergabe in der Gemeinde vernachlässigt und dadurch Seelsorge eher erschwert werden.
Chancen
Die Medien bieten den Christen und den Kirchen die Chance, öffentlich zum Glauben einzuladen, auf die Vielfalt christlichen Lebens aufmerksam zu machen und zu einer christlichen Lebensführung zu ermutigen. In den Medien und mit ihren eigenen Publikationen bringen die Kirchen die versöhnende Kraft des Evangeliums in die Öffentlichkeit.
Die neuen Medienanwendungen bieten den Kirchen vielfältige Möglichkeiten, in einem kreativen Prozeß die kirchliche Verkündigung des christlichen Glaubens in neuen (auch unterhaltsamen) Formen zu präsentieren. Es ergeben sich zusätzliche Formen der Interaktion mit den Mediennutzern. Die Ausweitung der Übertragungswege und der Programmangebote bietet den Kirchen auch die Möglichkeit, Inhalte für einzelne Zielgruppen speziell aufzuarbeiten und zu präsentieren, möglicherweise in Kooperation mit anderen Anbietern, z.B. in den Bereichen Bildung und Beratung.
Die Medienentwicklung hält gerade für dialogisch orientierte Angebote vielfältige Möglichkeiten bereit. Die breite Etablierung interaktiver Dienste regt neue Formen der Kommunikation an. So können Menschen z.B. über unterschiedliche Diskussionsforen in den Online-Diensten und Mail-Boxen unabhängig von Entfernungen miteinander in Kontakt treten. Der Kontakt mit kirchlichen Einrichtungen und Gruppen kann erleichtert werden: Anfragen und Informationssuche können ohne psychische Hemmschwelle gestartet werden. Es entsteht zunächst ein unverbindlicher Kontakt, der für den Informationssuchenden wichtige Hinweise enthalten und zu weiteren Kontakten auf anderen Ebenen führen kann. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirchen können die neuen Formen der elektronischen Kommunikation für einen effektiven und schnellen Informationsaustausch nutzen.
Bei der weiteren Etablierung von lokalen elektronischen Medien können sich die Kirchengemeinden vor Ort mit in das Mediengeschehen hineinbegeben. Dabei können sie sowohl am weiteren Aufbau eines Netzes sozialer Kommunikation im Nahraum mitwirken, als auch die Öffentlichkeitsarbeit für die Aktivitäten der Gemeinde nutzen sowie Menschen und Programme der Gemeinde bekannter machen.
Durch die Vervielfältigung der Medienangebote wird das einzelne mediale Ereignis entwertet. Gegenüber einer beliebig gewordenen Mediennutzung gewinnt die einzelne unmittelbare Erfahrung an Wert. Für die Arbeit in der Gemeinde und in anderen kirchlichen Arbeitsfeldern wird es deshalb verstärkt darauf ankommen, Möglichkeiten direkter zwischenmenschlicher Begegnung und religiöser (Primär-)Erfahrung zu schaffen.