Judenchristen–jüdische Christen– »messianische Juden«
Eine Positionsbestimmung des Gemeinsamen Ausschusses »Kirche und Judentum« im Auftrag des Rates der EKD. 2017
Vorwort
»Jews for Jesus« (»Juden für Jesus«) oder auch »Messianische Juden« ist die Selbstbezeichnung einer Bewegung, die seit den 70er Jahren in den USA und in Deutschland etwa seit Anfang der 90er Jahre aktiv ist. Es handelt sich um Juden, die an Jesus als den Messias glauben und dazu an ihrer jüdischen Identität festhalten. Darum wollen sie nicht einfach zu einer christlichen Kirche gehören. Sich selbst verstehen sie als Mittler zwischen Judentum und christlichen Kirchen. Sie gründen eigene Gemeinden und werben unter Juden für den Glauben an Jesus als Messias. Dies hat ihnen Kritik und Ablehnung eingetragen – sowohl von jüdischer Seite wie auch aus den Reihen der Kirchen. Statt Brückenbauer zu sein, finden sie sich »zwischen den Stühlen« wieder.
Das Auftreten »Messianischer Juden« stellt evangelische Christen vor eine Reihe von Fragen, denn es ist wenig über diese Gruppierungen bekannt: Wer sind ihre Mitglieder? Wie sind diese Gemeinden entstanden? Von wem werden sie unterstützt? Was macht ihr Selbstverständnis aus und was sind ihre Anliegen? Kritik entzündet sich vor allem an der von messianischen Juden praktizierten Missionierung von Juden.
Zur Frage der »Judenmission« hat die Synode der EKD auf ihrer Tagung in Magdeburg 2016 in großer Einmütigkeit und theologischer Ernsthaftigkeit Position bezogen:
»Gott steht in Treue zu seinem Volk. Wenn wir uns als Christen an den Neuen Bund halten, den Gott in Jesus Christus geschlossen hat, halten wir zugleich fest, dass der Bund Gottes mit seinem Volk Israel uneingeschränkt weiter gilt. … Daraus folgt für uns: Christen sind – ungeachtet ihrer Sendung in die Welt – nicht berufen, Israel den Weg zu Gott und seinem Heil zu weisen. Alle Bemühungen, Juden zum Religionswechsel zu bewegen, widersprechen dem Bekenntnis zur Treue Gottes und der Erwählung Israels.« Der vollständige Text der Kundgebung ist im Anhang dieser Broschüre abgedruckt.
Das Nein zur »Judenmission« darf in der Begegnung mit »Messianischen Juden« nicht in Frage gestellt werden. Die Evangelische Kirche bleibt daher im Umgang mit dieser Bewegung zurückhaltend auch um nicht die im jüdisch-christlichen Dialog erreichte Verständigung wieder in Frage zu stellen. Gleichwohl wird das Gespräch mit »Messianischen Juden« nicht grundsätzlich verweigert werden, sofern es um den gemeinsamen Glauben an Jesus Christus geht.
Die vorliegende Broschüre will informieren und zugleich theologisch orientieren. Es geht dabei im Wesentlichen um vier Fragen:
- Wie ist das Selbstverständnis »Messianischer Juden« zu beurteilen, die sich in unmittelbarer Kontinuität zum (jüdischen) Urchristentum der neutestamentlichen Zeit verstehen?
- Was glauben messianische Juden? Wie sind ihr Bekenntnis und ihre Gemeindepraxis theologisch zubeurteilen?
- Worin besteht ihre religiöse Identität? Sind sie Juden, Christen oder beides oder nichts von beidem?
- Was ist beim Gespräch mit »messianischen Juden« zubedenken?
Der Text versucht auf diese Fragen zu antworten. Er wurde vom Gemeinsamen Ausschuss »Kirche und Judentum« unter dem Vorsitz von Kirchenrat Dr. Ernst Michael Dörrfuß im Auftrag des Rates der EKD erarbeitet. Dem Ausschuss sei für seine Mühe herzlich gedankt. Meine Hoffnung ist, dass dieser Text nicht nur zur Versachlichung der Debatte beiträgt, sondern auch zu einem theologisch verantworteten Austausch von Positionen im Gespräch mit »messianischen Juden«.
Berlin, im Oktober 2017
Dr. Irmgard Schwaetzer
Präses der Synode der EKD