Judenchristen–jüdische Christen– »messianische Juden«
Eine Positionsbestimmung des Gemeinsamen Ausschusses »Kirche und Judentum« im Auftrag des Rates der EKD. 2017
1. Anlass und Kontexte
Dürfen Gruppen messianischer Juden zur aktiven Mitwirkung am Kirchentag zugelassen werden? Soll es offizielle Kontakte zu sogenannten messianischen Gemeinden geben? Wie verhalten sich evangelische Christen gegenüber jüdischen Menschen, die sich zu Jesus bekennen? Diese und ähnliche Fragen wurden in den letzten Jahren wiederholt gestellt.
Sie haben den Rat der EKD veranlasst, den Gemeinsamen Ausschuss »Kirche und Judentum« um eine beratende Stellungnahme zum Phänomen »messianisches Judentum« zu bitten, die für die Veröffentlichung nochmals bearbeitet wurde. Die vorliegende Stellungnahme bezieht sich auf deutsche Zusammenhänge. Die Frage nach dem »Messianischen Judentum« ist in Israel und in den USA möglicherweise anders zu beantworten.
Für den deutschen Kontext ist die Zuwanderung sogenannter Kontingentflüchtlinge aus den ehemaligen GUS-Staaten von besonderer Bedeutung. In den Jahren 1991 bis 2004 kamen mehr als 200.000 Juden und Menschen mit jüdischen Vorfahren aus der ehemaligen Sowjetunion als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland. Einem Teil dieser Zuwanderer, die häufig keine religiöse Prägung hatten, blieb aber der Zugang zu jüdischen Gemeinden verschlossen. Für eine Minderheit unter ihnen war das Angebot der sogenannten »messianischen Juden« attraktiv; dabei mag eine Rolle gespielt haben, dass diese kein anspruchsvolles Konversionsverfahren kennen und ohne Einschränkungen zu ihren Gottesdiensten einladen.
Die »messianischen Juden«, die sich mit den jüdischen Christusgläubigen des 1. Jahrhunderts vergleichen und in deren historischer Kontinuität sie stehen wollen, glauben an Jesus von Nazareth (hebräisch »Jeschua«), den sie als Messias Israels, Sohn Gottes und Erlöser der Welt bekennen. Damit geraten sie in einen Widerspruch zu dem überkommenen »Konsens« zwischen Christen und Juden, dass Juden, die zum Glauben an Jesus kommen und sich taufen lassen, aufhören Juden zu sein und stattdessen Christen werden. Sie verstehen sich als Teil des jüdischen Volkes, dem sie das Evangelium von Jeschua bringen wollen, und zugleich als Teil der weltweiten Gemeinde Jesu Christi. Dabei wollen sie von den (heiden)christlichen Kirchen unterschieden sein und verwenden anstelle des Begriffs »Kirche« häufig den vom »Leib des Messias«. Dieser Anspruch, ein besonderer, jüdischer Teil der Kirche zu sein, fordert evangelische Christen heraus.
Seit Mitte der 1990er Jahre existieren circa 40 »messianisch-jüdische« Gemeinden oder Hauskreise in Deutschland, in denen sich nicht mehr als 2.000 Personen regelmäßig versammeln. Das verschärfte Zuwanderungsgesetz von 2005 hat den Zuzug potentieller Mitglieder dieser Gemeinden reduziert: Einwanderer benötigen heute die Aufnahmezusage einer verfassten jüdischen Gemeinde.
Dennoch beschäftigt das Thema »messianische Juden« evangelische Christen, die über den missionarischen Auftrag der Kirche und das nach 1945 gewachsene jüdisch-christliche Gespräch nachdenken. Es bedarf theologischer Klärungen.