„Religions for Peace“: Gemeinsame Sorge für die gemeinsame Zukunft
Interview mit Bischöfin Petra Bosse-Huber anlässlich der Weltversammlung „Religions for Peace“ am Bodensee
Bischöfin Petra Bosse-Huber ist überzeugt: „Keine Religion für sich allein kann die großen Herausforderungen der Menschheit bewältigen.“ Anlässlich der Friedensversammlung „Religions for Peace“ erläutert sie im Interview die Inhalte und Ziele des multireligiösen Treffens, zu dem rund 900 Vertreter von 17 Religionen vom 20. bis 23. August am Bodensee zusammenkommen.
Warum ist es so wichtig, dass eine solche Friedenskonferenz verschiedener Religionen stattfindet?
Petra Bosse-Huber: Die World Assembly des globalen und multireligiösen Netzwerks „Religions for Peace“ ist ein gutes Beispiel dafür, dass Religionen sich trotz ihrer theologischen, kulturellen oder weltanschaulichen Unterschiede gemeinsam für etwas engagieren und einsetzen können. Das ist eine wichtige und gute und Nachricht für alle, die Frieden in der Welt befördern wollen.
Gibt es Gruppen/Religionen, die sich verweigern?
Bosse-Huber: Es wird vermutlich immer Menschen und Gruppen geben, die skeptisch auf religionsübergreifende Aktivitäten und Begegnungen schauen. Mitunter bestehen da Fehl- und Vorurteile oder Ängste, die eigene religiöse Identität könnte im Kontakt mit unterschiedlichen religiösen Überzeugungen Schaden nehmen. Man kann sicherlich niemanden zum interreligiösen Dialog zwingen, aber klar ist auch, dass keine Religion für sich allein die großen Herausforderungen der Menschheit bewältigen wird. Hier braucht es Kooperationen.
Sind Politiker in den Diskussionsrunden dabei?
Bosse-Huber: Das weltweite Netzwerk „Religions for Peace“ versteht sich als Bindeglied zwischen Religionen und Politik sowie zwischenstaatlichen Organisationen. Die World Assembly ist zunächst ein Treffen der etwa 800 Delegierten des Netzwerks aus aller Welt und allen Religionen, selbstverständlich wird es aber auch politische Kontakte geben. Bundespräsident Steinmeier wird die Eröffnungsrede halten und an manchen Podien sind auch politisch tätige Personen beteiligt.
Welche Themen werden Sie auf der Konferenz besprechen?
Bosse-Huber: Das Thema der World Assembly lautet: „Caring for Our Common Future – Advancing Shared Well-Being“. Darin ist die gemeinsame Sorge für die gemeinsame Zukunft ebenso ausgedrückt wie der Gedanke, dass das Wohlergehen der Menschheit niemanden ausschließen darf. Entsprechend ist das Oberthema dann auch noch einmal in fünf Aspekte unterteilt. Dabei geht es um gerechten Frieden, um Gewaltprävention und -transformation, um intakte Gesellschaften, nachhaltige Entwicklung und um den Schutz der Erde.
Werden die Teilnehmer der Konferenz über konkrete Konflikte sprechen? Etwa den Konflikt im Südsudan? Die Lage in Myanmar? Oder andere?
Bosse-Huber: „Religions for Peace“ setzt sich regelmäßig für Prävention und Deeskalation in den Konfliktgebieten der Welt ein – gerade in diesem Jahr auch wieder in Myanmar und Südsudan. Das geschieht teils öffentlich in Form von gemeinsamen Erklärungen oder Konferenzen vor Ort, zum Teil aber auch auf den Wegen der Diplomatie abseits der großen Öffentlichkeit. Insofern sind die genannten Konfliktregionen neben anderen selbstverständlich auch im Fokus der Teilnehmenden.
Werden die Teilnehmer auch an möglichen Lösungsschritten arbeiten? Wie können die aussehen?
Bosse-Huber: Im Vorfeld der World Assembly hat es bereits eine Reihe von inhaltlichen Überlegungen gegeben, wie das Thema der Assembly bearbeitet werden kann. Ein eigens erarbeitetes 150-seitiges Arbeitsbuch enthält Analysen, Konkretionen und Empfehlungen zu den fünf Teilaspekten des Themas. Die Foren, Arbeitseinheiten und Beschlüsse der Versammlung werden zeigen, welche konkreten Ansätze favorisiert werden.
Wofür setzen Sie sich ganz konkret ein? Was liegt Ihnen besonders am Herzen?
Bosse-Huber: Mir liegt daran, dass die Assembly im deutschen und europäischen Kontext ein klares Signal dafür setzt, dass es für das Miteinander von Menschen und Gesellschaften eines Grundvertrauens bedarf, das unabhängig von Religionszugehörigkeit oder Herkunft hergestellt werden muss. Gerade der multiperspektivische und globale Blick, den „Religions for Peace“ hier einträgt, kann dabei helfen, die Horizonte zu weiten und eine nationale Verengung von Debatten zu überwinden.
Was erhoffen Sie sich ganz persönlich von diesem Treffen?
Bosse-Huber: Persönlich freue ich mich, wenn auch Frauen in religiösen Leitungsrollen weltweit mehr Gewicht und Stimme bekommen. Das Podium der Assembly zum Thema „Women as Peacemakers“, das ich selbst moderieren werde, sehe ich als einen Schritt auf diesem Weg.
Was kann die Konferenz bewirken? Wird Religions for Peace in der Politik/Wirtschaft auch weltweit wahrgenommen und als Instanz anerkannt?
Bosse-Huber: Die Tatsache, dass der Bund und das Land Bayern die World Assembly in Lindau finanziell fördern, zeigt, dass es hier auch ein politisches Interesse an interreligiöser Verständigung gibt und dass Religion in der Innen- und Außenpolitik unseres Landes eine Rolle spielt. Religiöse Neutralität des Staates und Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften schließen sich ja keineswegs aus – wie man nicht nur in Deutschland sehen kann.
Welche Rolle können Religionen heute bei der Friedensbildung übernehmen? Oder auch beim Punkt Klimawandel?
Bosse-Huber: Frieden und Klima sind zwei der beherrschenden Herausforderungen unserer Zeit, auf die alle Menschen, Regierungen und Religionen eine Antwort finden müssen. Gleichzeitig sind es Themen, mit denen sich die Schriften und Traditionen der Religionen zum Teil schon über Jahrtausende hinweg befasst haben. Was trägt zum Frieden bei? In welchem Verhältnis stehen – biblisch gesprochen – Schöpfung und Geschöpf? Zur Friedensbildung und zum Schutz des Planeten braucht es die gesammelte Expertise der Welt und dazu gehören die Weisheiten der Religionen.
Wie wichtig ist die Religion bei dieser Konferenz? Gibt es gemeinsame Gebete, Meditationen oder ähnliches?
Bosse-Huber: Der Schwerpunkt der World Assembly liegt nicht im spirituellen Austausch, sondern in der gemeinsamen Sorge um die Zukunft, v.a. im Bereich der Friedensarbeit, des Einsatzes für Gerechtigkeit und des Schutzes der Erde. Da aber alle Religionen bei diesen Fragen ihre spirituellen Traditionen, Werte und Überzeugungen einbringen, ist es eine elementar religiöse Versammlung.
Wo ist der Unterschied zum jährlichen Treffen von Sant‘Egidio?
Bosse-Huber: „Religions for Peace“ ist von Beginn an als multireligiöses Netzwerk entstanden und versucht das auch in seinen Organisationsstrukturen abzubilden. Sant‘Egidio ist katholischen Ursprungs und über das Weltfriedensgebet in Assisi 1986 zur interreligiösen Friedensarbeit gekommen. Strukturen sind das eine, entscheidend ist aber, welche friedensstiftenden Impulse von ihnen ausgehen. Dabei braucht es viele Initiativen und Netzwerke: konfessionelle und religionsübergreifende, regionale, nationale und globale.
Verlagsgruppe Bistumspresse/Kerstin Ostendorf
Petra Bosse-Huber war von 2013 bis 2019 eine der Co-Präsidentinnen im World Council of Religions for Peace. Die EKD ist außerdem durch Bischöfin Kirsten Fehrs und Bischof Dr. Martin Hein beim Runden Tisch der Religionen in Deutschland sowie durch Bischof Dr. Hein auch beim European Council of Religious Leaders vertreten. Beide Gremien sind verbunden mit der globalen Netzwerkstruktur von Religions for Peace international.
Bei der Weltversammlung der Organisation „Religions for Peace“ (Religionen für den Frieden) beraten fast tausend Religionsvertreter über Möglichkeiten zur Lösung aktueller Konflikte. Solche Treffen der interreligiösen Organisation gibt es etwa alle fünf Jahre. Die am 20. August eröffnete Versammlung in Lindau ist das zehnte Treffen, das erste in Deutschland. Inhaltlich begleitet und finanziell unterstützt wird die Konferenz vom Auswärtigen Amt, das sich dafür ausspricht, Spitzenvertreter der Religionen verstärkt in Friedensvermittlungen einzubinden.
Seit 1973 von den Vereinten Nationen als Nichtregierungsorganisation registriert, vermittelte das Bündnis schon in zahlreichen Konflikten: unter anderem in Bosnien-Herzegowina, in Ruanda, im Kongo, im Irak und in Syrien. Auch nach Naturkatastrophen setzte sich die interreligiöse Allianz beispielsweise in Haiti, Nepal und Japan für die betroffenen Menschen ein. „Religions for Peace“ wurde 1961 als Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg und die atomare Bedrohung im Kalten Krieg gegründet. Erklärtes Ziel ist es, durch ein Netzwerk internationaler Religionsvertreter Friedensarbeit in verschiedenen Krisen und Konflikten weltweit voranzutreiben. Heute gehören der Organisation Gruppen aus mehr als 100 Ländern an, die miteinander im Dialog sind.