Unsere Verantwortung für den Sonntag
Kopie von EKD-Texte/sonntag/anhang2
Der Sonntag muß geschützt bleiben
Gemeinsames Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz Im Rahmen der beabsichtigten Modernisierung des Arbeitszeitgesetzes gibt es Bestrebungen, eine neue Ausnahmeregelung beim Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit zu schaffen. Sie soll dem Betrieb von hochmechanisierten oder automatisierten Produktionsanlagen zugute kommen, bei denen ein erheblicher Anteil wartender, steuernder und überwachender Tätigkeit anfällt. Auch soll bei Arbeiten, die aus chemischen, biologischen, technischen oder physikalischen Gründen einen ununterbrochenen Fortgang auch an Sonn- und Feiertagen erfordern, eine Ausnahme zugelassen werden.
Damit würde das in der Bundesrepublik Deutschland geltende Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit weiter durchlöchert werden. Die bisherige Regelung sieht eine Ausnahme vom Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit nur vor bei Arbeiten in besonderen Notfällen, bei Arbeiten zur Sicherstellung lebensnotwendiger Güter und Dienste für die Bevölkerung oder bei Arbeiten mit kontinuierlichem Produktionsfluß, die ihrer Natur nach eine Unterbrechung oder einen Aufschub nicht gestatten, wie dies z. B. bei Hochöfen der Eisen- und Stahlindustrie und bei bestimmten chemischen Produktionsprozessen der Fall ist. In den meisten anderen Produktionszweigen fallen keine Arbeiten an, die aus technischer Notwendigkeit ohne Unterbrechung durchgeführt werden müßten.
Der Grund, die bestehende Regelung aufzuweichen, ist nicht technischer, sondern wirtschaftlicher Art. Es wird geltend gemacht, die heute eingesetzten hochleistungsfähigen Maschinen setzten einen so hohen Kapitaleinsatz voraus, daß es nicht zu vertreten sei, sie einen Tag in der Woche stillzulegen. Die vergleichsweise wenigen Bediener von Maschinen würden zudem auch durch Sonntagsarbeit nicht stark belastet und hätten heute umfangreiche Möglichkeiten des Freizeitausgleichs. Von seiten der Textilindustrie verweist man auf die heftige Konkurrenz mit den ausländischen Firmen, zumal es in vielen Ländern keine oder nur eine geringe Einschränkung der Sonn- und Feiertagsarbeit gibt. Die Befürworter einer Ausweitung der Sonntagsarbeit führen also in erster Linie Gesichtspunkte der Rentabilität und der Wettbewerbsfähigkeit ins Feld.
Entscheidend freilich ist etwas anderes. In der Frage des Schutzes der Sonn- und Feiertagsruhe steht mehr auf dem Spiel als die Konkurrenzfähigkeit und die Rentabilität. Das gemeinsame Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 1. Advent 1984 "Den Sonntag feiern" unterstreicht die Bedeutung des Sonntags als ein Geschenk der Fürsorge Gottes, durch das er den Menschen an seiner Ruhe Anteil gewährt.
- Der Sonntag ist der Tag des Herrn. Durch göttliches Gebot ist im Alten Bunde die Sabbatruhe angeordnet worden: "Sechs Tage lang sollst du arbeiten und alle deine Geschäfte verrichten. Doch der siebte Tag ist ein Ruhetag für den Herrn, deinen Gott. Du sollst an ihm keinerlei Arbeit tun, weder du selbst, noch dein Sohn, noch deine Tochter, noch dein Knecht, noch deine Magd, noch dein Vieh, noch dein Fremdling, der sich in deinen Toren befindet." (Ex 20, 9 - 10) Im Christentum wurde der Tag des Herrn vom Sabbat auf den ersten Tag der Woche, den Sonntag, gelegt, weil Christus, unser Erlöser, der den Neuen Bund zwischen Gott und den Menschen geschlossen hat, an diesem Tage auferstanden ist.
- In unserer so hektisch gewordenen Gesellschaft ist es notwendig, daß wir uns am Sonntag unseres Ursprungs und unseres Zieles vergewissere und uns Gott zuwenden. Dazu brauchen wir die feiernde Ruhe.
- Der Sonntag ist aber auch ein Tag zum Schutz der uns überkommenen Kultur, insbesondere des Menschen und der Familie. Jesus sagte den Pharisäern: Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat. Wenn wir den Sonntag als den Ruhetag zu Ehren des Herrn begehen, dann gilt auch hier: Der Sonntag ist für den Menschen da. Eine Gesellschaft, die den Sinn des Sonntags nicht mehr verstünde und das Verbot der Arbeit mehr und mehr aufweichte, würde ein Kernstück ihrer Kultur preisgeben. Der Sonntag ist nämlich nicht nur ein Tag, an dem die Menschen von den Strapazen der Woche ausruhen und ihre verbrauchten Kräfte wieder erneuern; den Sonntag braucht der Mensch und die Gesellschaft, um zu erfahren, daß Produktion und Rentabilität nicht den Sinn des Lebens ausmachen. Die Wirtschaft muß dem Menschen und der Entfaltung seines ganzen Lebens dienen, sie darf nicht den Menschen den wirtschaftlichen Erfordernissen unterordnen.
a) Dort, wo der Sonntag zu einem normalen Arbeitstag gemacht wird, fehlt ein wichtiges Element des Schutzes des arbeitenden Menschen. Leidtragende wären aber nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch die Wirtschaft selbst. Denn sie ist auf Menschen angewiesen, die nicht nur funktionieren, die vielmehr auch die Muße und den notwendigen Abstand zum Tagwerk haben, um mit neuen körperlichen und geistigen Kräften an die Arbeit zu gehen.
In dem Bemühen, den Sonntag im Interesse der arbeitenden Menschen und unserer Kultur zu schützen, wissen sich die Kirchen einig mit Gewerkschaften und vielen Unternehmern.
b) Wenn das Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit durch Erweiterung der Ausnahmeregelung weiter durchlöchert würde, dann wären ganz besonders die Familien betroffen. Wann sollen die Eltern und die Kinder den Segen des gemeinsamen Lebens erfahren, wenn sie nicht einmal mehr den Sonntag gemeinsam verbringen können? Unsere Familien, die sowieso schon durch vielfältige Einflüsse bedroht werden, würden noch weiter an Zusammenhalt verlieren. Dies ginge zu Lasten der Menschen, die in ihrer Würde beeinträchtigt werden, weil sie immer ausschließlich von ihren Funktionen im Produktionsprozeß bestimmt würden. Die alte Weisheit gilt es zu bedenken: Der Mensch lebt nicht, um zu arbeiten, sondern er arbeitet, um zu leben.
c) Der Sonntag wird uns freilich nur dann auf lange Sicht erhalten bleiben, wenn die Menschen in unserer Gesellschaft bereit sind, ihn zu "heiligen". Der Sonntag macht deutlich, wie sehr Religion, also die Rückbindung des Menschen an Gott, und Kultur miteinander verbunden sind. Wo diese Verbindung von Religion und Kultur aus dem Blick kommt, schwindet auch das Bewußtsein dafür, daß die Kultur humaner und christlich geprägter Traditionen mehr und etwas anderes ist als nur optimale Güterversorgung. Menschenwürde und Kultur würden Schaden nehmen, wenn der Sonntag für immer mehr Menschen eingeebnet und zum Arbeitstag würde, wenn in der Gesellschaft Arbeits- und Freizeit beliebig gewählt werden könnten und damit die Ruhe und Muße im öffentlichen Leben verlorengingen. Der Sinn des Sonntags liegt darin, daß die Menschen in der gottesdienstlichen Feier, in der Familie wie in der persönlichen Gestaltung ihrer Zeit sich bewußt werden, daß sie nach dem Bilde Gottes geschaffen sind.
Hannover/Bonn, den 16. September 1985
Landesbischof D. Eduard Lohse
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
Kardinal Joseph Höffner
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz