Unsere Verantwortung für den Sonntag
II. Was bedeutet uns der Sonntag?
Die Diskussion um den Sonntag, die heute verstärkt in Gang gekommen ist, ist dazu angetan, daß wir uns des Sinnes und der Bedeutung dieses Tages für unser Leben, für unsere Familie und für unsere Kultur wieder bewußt werden.
- Der Sonntag steht in einem ursprünglichen Zusammenhang mit dem Sabbat. Als Gott das Volk Israel aus Ägypten herausführte, gab er ihm am Berg Sinai die Zehn Gebote, die den ganzen Bereich des religiösen und sittlichen Lebens umfassen. Im Buch Exodus heißt es: "Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig: Sechs Tage darfst du schaffen und jede Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun: du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave, deine Sklavin, dein Vieh und der Fremde, der in deinen Stadtbereichen Wohnrecht hat. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel, Erde und Meer gemacht und alles, was dazugehört; am siebenten Tag ruhte er. Darum hat der Herr den Sabbattag gesegnet und ihn für heilig erklärt" (Ex 20, 8 - 11).
Das Gebot gilt für alle, für das ganze Volk. Selbst das Vieh darf nach dem Wortlaut dieser Bibelstelle nicht zu Nutzzwecken eingesetzt werden. Auch für den Fremdling, der nicht zum Volk Israel gehört, gilt das Gebot. Der Mensch soll gleichsam wie der Schöpfer selbst von seiner Arbeit ausruhen. Dieses Ausruhen bedeutet nicht bloß ein Sich-Erholen von der Mühsal und den Anstrengungen, sondern es soll ein Ruhetag "für den Herrn, deinen Gott" sein. Der Herr hat den Sabbat gesegnet und ihn für "heilig" erklärt. Hier wird der Kern des Sabbats sichtbar: Es ist ein Tag, der Gott gehört, der sich seines Volkes erbarmt, sich ihm zuwendet und es sammelt. Am Sabbat (beginnend mit dem Freitagabend) kommen bis heute die Juden in ihren Synagogen zusammen zum gemeinsamen Gebet und zur Lesung der Schrift.
- Die christliche Sonntagsfeier enthält noch vieles von der Bedeutung der Sabbatfeier. Sie ist vom letzten auf den ersten Tag der Woche verlegt worden, auf den Tag, an dem Jesus von den Toten erstanden ist. Deshalb ist der Sonntag der Tag des Herrn (Offb 1, 10), gesegnet und heilig. An diesem Tag kommen die Christen zusammen zum gemeinsamen Gebet, zum Hören des Wortes Gottes und zum Brechen des Brotes (Apg 20, 7), zur Feier des Herrenmahles. Der Sonntag kündet von der Erlösungstat Gottes und der neuen Schöpfung, die in der Auferstehung Christi Wirklichkeit wurde. Von Anfang an hat die Kirche an diesem Tag das Gedächtnis des Todes und der Auferstehung ihres Herren gefeiert.
Die Pharisäer nahmen Anstoß daran, daß Jesus die Kranken auch am Sabbat heilte und daß seine Jünger an diesem Tag auf den Kornfeldern Ähren abrissen, um ihren Hunger zu stillen. Jesus entgegnete ihnen: "Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat" (Mk 2, 27). Damit betont Jesus, daß der Sabbat für Menschen und Tiere eine Wohltat sein soll. Das Sabbatgebot hat Gott um des Menschen willen erlassen. Wenn der Mensch am Sonntag von all seiner Arbeit innehält und diesen Tag als eine für Gott geheiligte Zeit achtet, sich Gott seinem Schöpfer und Erlöser zuwendet, auf sein Wort hört und Orientierung und Kraft schöpft für die Aufgaben, die vor ihm liegen, erfährt er etwas von der Freiheit, Würde und Menschlichkeit, die Gott schenkt. Der Mensch darf nicht in seiner Arbeit aufgehen. Indem er den Sonntag heiligt, wird ihm stets neu bewußt, daß er sein Leben Gott verdankt und daß er zum Leben mit Gott berufen ist.
- Der Sonntag hat zugleich eine wichtige soziale und kulturelle Bedeutung. Dies zeigt ein Blick in die Geschichte:
Im Jahre 321 hat Kaiser Konstantin den Sonntag zum staatlichen Ruhetag erklärt. Am Sonntag durfte - von bestimmten Ausnahmen abgesehen - nicht gearbeitet werden. Hier liegt der Anfang des staatlichen Gebotes der öffentlichen Ruhe und des Verbotes der Sonntagsarbeit. Durch die Jahrhunderte hindurch waren Kirche und Staat darauf bedacht, diesen Schutz des Sonntags zu gewährleisten. Erst im Zuge der Industrialisierung geriet der Sonntag wieder in Gefahr. Die Kirche hat im 19. Jahrhundert dafür gekämpft, daß der Sonntag um der arbeitenden Menschen willen staatlich geschützt bleibt. Artikel 140 des Grundgesetzes nimmt den Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung auf: "Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt." Zu Recht hat man die Sonntagsruhe von der Erwerbsarbeit, verbunden mit der Garantie der freien Religionsausübung, als die klassische Institution der christlichen Kultur bezeichnet.
Im Gefolge der Französischen Revolution gab es Versuche, den Sonntag abzuschaffen. Auch nach der Oktoberrevolution in Rußland sollte die 10-TageWoche eingeführt werden. Diese Bestrebungen sind gescheitert. Von der Einsicht und Entschiedenheit der Christen und aller Beteiligten wird es abhängen, ob die Bestrebungen zur Aushöhlung der Sonntagsruhe und der Sonntagsheiligung scheitern werden, ob der Sonntag der "Tag des Herrn" zum Wohl des Menschen bleiben wird.
- Vom Verbot der Sonntagsarbeit waren von Anfang an bestimmte Bereiche ausgenommen:
- Nicht unter das Sonntagsgebot fallen die üblichen Hausarbeiten, ebenso die notwendigen Stallarbeiten.
- Die Sonntagsarbeit war erlaubt, wo immer es galt, einen akuten Notstand zu beheben.
- Auch die kranken Menschen müssen am Sonntag versorgt werden (Krankenhäuser und Heime).
- Die Dienste, die für die Sicherheit der Menschen notwendig sind, müssen auch an Sonn- und Feiertagen bereitstehen.
- In der modernen Gesellschaft wird die Befreiung vom Verbot der Sonntagsarbeit auf lebenswichtige Versorgungsbetriebe ausgedehnt.
- Auch die Verkehrsbetriebe und das Gaststättengewerbe sind, weil und insoweit sie den Ruhe und Erholung suchenden Menschen dienen, ausgenommen.
Neben diesen Bereichen gibt es die bereits genannten Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsarbeit dort, wo ein kontinuierlicher Produktionsprozeß aus technischen Gründen unabweisbar ist. Der gesamte übrige Produktionsbereich, ebenso Handel und Geschäfte, unterliegen dem Gebot der Sonntagsruhe. Sie darf weder offen noch versteckt durchlöchert werden. Ausnahmen müssen Ausnahmen bleiben. Sie sind nur vertretbar, wenn sie nicht den Bestrebungen Vorschub leisten, daß die Sonntagsarbeit zur Regel wird.