Solidarität und Selbstbestimmung im Wandel der Arbeitswelt
Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. April 2015, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloher Verlagshaus, ISBN 978-3-579-05977-8
3.4 Konfliktfelder in der Arbeitswelt
Grundthesen Kapitel3.4:
Globalisierung und Konkurrenz, Digitalisierung und Entgrenzung, Neubestimmung familiärer Arbeitsverteilung und Professionalisierung der Sorgearbeit sind (mögliche) Konfliktfelder der neuen Arbeitswelt. Die Chancen und Risiken dieser Entwicklungen müssen so angegangen werden, dass Spaltungen des Arbeitsmarktes und der Gesellschaft vermieden werden und die Verwirklichung des Rechts auf menschenwürdige Arbeit weltweit unterstützt wird.
3.4.1 Die Globalisierung der Arbeit
Produkte und Dienstleistungen werden heute im globalen Maßstab produziert und nachgefragt. Dies bringt große Herausforderungen hinsichtlich der Einhaltung und Kontrolle sozialer und ökologischer Standards mit sich. Möglich wurde die beschleunigte Globalisierung nicht nur durch die Öffnung neuer Märkte, durch den Zusammenbruch des Ostblocks und die Öffnung Chinas, sondern vor allem durch technologische Innovationen im Bereich der Kommunikation und Logistik. Erst durch sie wird eine globale Koordinierung von Produktion und Absatz möglich und erst durch sie werden die notwendigen Finanzierungsmöglichkeiten über die globalen Kapitalströme geschaffen, die eine weltweite Integration des Wirtschaftslebens ermöglichen. Dadurch hat sich der wirtschaftliche Wandel während der letzten beiden Jahrzehnte markant beschleunigt. Die deutsche Wirtschaft antizipierte diesen Wandel und gestaltete ihn aktiv mit. Die deutsche Wirtschaft und der deutsche Arbeitsmarkt profitieren in hohem Maße von dieser Globalisierung ebenso wie von den Chancen des deutschen und des europäischen Binnenmarktes. Eine Stärke der deutschen exportorientierten Wirtschaft liegt darin, ihre Lieferbeziehungen zu diversifizieren, sodass regional begrenzte Krisen leichter verkraftet werden können. Allerdings hat sich mit der engeren globalen Verflechtung die Anfälligkeit gegenüber Krisen erhöht.
Die globale Verflechtung ist mittlerweile weit fortgeschritten: Finanz- und Arbeitsmärkte, Handel und Dienstleistungen sind in vielen Fällen globalisiert. In mehr oder minder starkem Ausmaß gilt diese Vernetzung für jede industrielle oder Dienstleistungstätigkeit, die über komplexe Wertschöpfungsketten mit dem Welthandel verknüpft ist. Ebenso gilt dies auch für die Produkte, die wir erwerben: Sie werden heute in globaler Produktionsvernetzung erstellt, mit ihrem Kauf wird gleichsam Arbeitsleistung aus aller Welt erworben.
Unternehmen müssen ihre Produktion sehr effizient und wettbewerbsfähig gestalten. Dabei können auch die Arbeitskosten eine erhebliche Rolle spielen, weil die Wettbewerbsfähigkeit der Produkte auch von den Kosten abhängt. Diese Tatsache hat zu einem Strukturwandel geführt, mit dem vor allem für gering qualifizierte Tätigkeiten eine Verlagerung von Standorten einherging. Diese Entwicklung führte in einigen Industriebranchen dazu, dass gering qualifizierte Arbeitsplätze wegfielen, die in andere Länder mit niedrigem Lohnniveau und unzureichenden Arbeitsstandards verlagert wurden. Gleichzeitig wurde die Wettbewerbsfähigkeit hiesiger Arbeitsplätze mit qualifizierten Anforderungen gestärkt. Niedrigqualifizierte in entwickelten Ländern zählen damit auch zu Verlierern der Globalisierung. Dies gilt auch, weil neu entstehende einfache Arbeitsplätze im Bereich der Dienstleistung schlechter entlohnt sind als Arbeitsplätze mit vergleichbarem Anforderungsniveau im industriellen Bereich. Dieser Strukturwandel mit dem Wegfall einfacher industrieller Arbeitsplätze in Deutschland führte gleichzeitig dazu, dass viele andere Beschäftigte davon profitiert haben: In Deutschland sind es die qualifizierten Arbeitskräfte, deren Einkommen durch die Vorteile der Globalisierung gesteigert werden konnten, während in Ländern mit niedrigem Einkommen durch die Verlagerung von Produktionen in diese Länder neue Beschäftigungschancen und vielfach auch wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht wurden. Dabei sind allerdings nicht nur in autoritär oder diktatorisch regierten Ländern ohne zivilgesellschaftliche Strukturen und freie Gewerkschaften Arbeitsbedingungen etabliert worden, welche die Würde der menschlichen Arbeit missachten und ohne Rücksicht auf soziale und humanitäre Standards menschliche Arbeitskraft ausbeuten. Die von wirtschaftlicher Konkurrenz geprägte Globalisierung der Arbeit beförderte weltweit prekäre Arbeitsbedingungen, die weder die Arbeits- und Sozialstandards der ILO noch den Anspruch auf menschenwürdige Arbeit (»decent work«) erfüllen. Menschenwürdige Arbeit umfasst gemäß dem Leitbild der ILO neben dem Recht auf Arbeit auch die Gewährleistung sozialer Sicherheit und den sozialen Dialog im Sinne der Beteiligung der Arbeitnehmer/ innen, Arbeitgeber und der Regierung an Entscheidungen über Beschäftigungsfragen.
Auf internationaler Ebene konkurrieren auch Volkswirtschaften um Chancen für ihre Bürgerinnen und Bürger. Entscheidend für die Lohnentwicklung ist in diesem Zusammenhang nicht ihre absolute Höhe, sondern die Entwicklung der Produktivität. In dieser spiegeln sich sowohl einzel- als auch gesamtwirtschaftliche Einflüsse wider. Je effizienter ein Unternehmen und die Wertschöpfungskette, je innovationsfreudiger ein Unternehmen oder eine Volkswirtschaft und je besser ein Bildungssystem, desto höher können auch die Löhne sein, ohne die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes oder eines Unternehmens zu gefährden.
Das Konfliktpotenzial aus der Globalisierung erfasst aber nicht nur die Verhältnisse innerhalb einer Volkswirtschaft, sondern auch die zwischen Volkswirtschaften. Ein wesentlicher Grund ist, dass sich die Wettbewerbsbedingungen nicht für alle Marktteilnehmer in gleicher und gleichmäßiger Weise ändern. So können einzelne Volkswirtschaften von einer verstärkten Nachfrage nach Rohstoffen oder Produkten profitieren, während andere, die nicht über die entsprechenden Rohstoffe oder Produkte verfügen oder verfügen können, nicht oder nur unterdurchschnittlich an der globalen Expansion teilhaben. Dann führt Globalisierung zur Verschiebung von Marktmacht zwischen Volkswirtschaften. Hieraus entstehen immer wieder politische Konflikte, für die es Ausgleichs- und Lösungsmechanismen braucht.
In diesem Zusammenhang ist die Textilindustrie, in der weltweit etwa 60 Millionen Menschen beschäftigt sind, in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Deutschland ist der größte Textil- und Bekleidungsmarkt Europas, und die Mehrzahl der hier gekauften Kleidung wird in China, Bangladesch und der Türkei gefertigt. Die meisten Beschäftigten sind Frauen. Unglücksfälle wie der Einsturz von Rana Plaza in Bangladesch im Jahr 2013 haben das Thema sozialer und ökologischer Standards in der globalen Textilproduktion stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Verantwortungsvolle Unternehmen, Gewerkschaften und Akteure der Zivilgesellschaft sowie der deutschen Entwicklungspolitik engagieren sich bereits, um unzureichende soziale und ökologische Produktionsbedingungen zu verbessern. Wenn verhindert werden soll, dass sich vergleichbare Katastrophen wiederholen, bleibt aber viel zu tun. Notwendig sind hier international verbindliche und funktionierende Rahmensetzungen und Kontrollmechanismen, die Unternehmen darauf verpflichten, die internationalen Arbeitsstandards einzuhalten und dieses auch von ihren Zulieferern zu verlangen. Die Rechenschafts- und Transparenzpflichten von Unternehmen sollten gesetzlich geregelt werden.
Es ist nicht zu verantworten, dass durch das Missachten von Mindeststandards Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihren Rechten und in ihrer Menschenwürde verletzt werden. Ein Importland wie Deutschland muss hier Zeichen setzen und weltweit zu fairen Arbeitsbedingungen beitragen. Einfluss auf vorgelagerte Zulieferstufen zu nehmen stellt für Unternehmen eine Herausforderung dar, da hier in der Regel keine direkten Geschäftsbeziehungen bestehen. Bei der Textilherstellung handelt es sich um global arbeitsteilige und komplexe Produktionsprozesse. Dennoch existieren bereits Ansätze für die Verbesserung der sozialen und ökologischen Standards in der gesamten Lieferkette. Umsetzbare und nachprüfbare Selbstverpflichtungen der Textilindustrie und der Handelsunternehmen weisen in die richtige Richtung, können aber international verbindliche Regelungen nicht ersetzen. In den Produktionsländern selbst fehlen häufig gewerkschaftliche Interessenvertretungen oder sie sind von Regierungen oder Unternehmen verboten. Der deutschen Entwicklungspolitik kann hier etwa im Rahmen von Regierungsverhandlungen und durch gezielte Kooperation mit den Produktionsländern eine entscheidende Rolle zukommen. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist in der Pflicht, den notwendigen Wissenstransfer zu organisieren und finanzielle Mittel bereitzustellen. Darüber hinaus ist die Bundesregierung verpflichtet, die Einhaltung der internationalen Arbeits- und Sozialstandards sowie der ILO-Kernarbeitsnormen auch von deutschen Unternehmen, die international agieren, einzufordern und zu überprüfen.
Ein weiteres Konfliktfeld entsteht bei der Auslagerung und Ausgliederung von Teilen der Wertschöpfungskette aus dem Unternehmen heraus: Bei der Verlagerung von lohnintensiven, einfachen Arbeitsplätzen in Schwellenländer entstehen dort häufig Zulieferbetriebe, in denen die Rechte der Beschäftigten massiv missachtet werden. Konflikte in der Arbeitswelt werden gerade in Schwellenländern häufig einseitig zu Lasten der am wenigsten geschützten Beschäftigten gelöst. Schlechte Entlohnung und inakzeptable Arbeitsbedingungen werden hierzulande durchaus wahrgenommen, denn über die schlechten Arbeitsbedingungen, die häufiger auch katastrophale Folgen mit vielen Todesfällen nach sich ziehen, wird in den Medien berichtet. Die Verlagerung von Investitionen und Tätigkeiten in Länder mit niedrigem Einkommen kann nur dann dazu führen, dass die Menschen dort neue Chancen und bessere Arbeitsplätze erhalten, wenn die Arbeitsbedingungen menschenwürdig gestaltet sind. Entscheidend ist, dass internationale Standards eingehalten und kontrolliert werden.
3.4.2 Die Entgrenzung der Arbeit
Digitalisierung entgrenzt Arbeit räumlich und zeitlich. Die räumliche Entgrenzung entsteht durch digital organisierte Produktion, die die Aufträge in globalem Maßstab dort abarbeiten lässt, wo es für das Unternehmen zum jeweiligen Zeitpunkt optimal ist. Dabei spielen nicht nur Kostengründe eine Rolle, sondern auch die Möglichkeiten, Kunden schnell und flexibel zu beliefern. Auf diese Weise werden Produktionskapazitäten auf den verschiedenen Verarbeitungsstufen weltweit flexibel genutzt. Es entstehen teilweise komplexe Lieferverflechtungen und Wertschöpfungsketten, die die traditionellen Vorstellungen von einem organisatorisch fest gefügten Betrieb sprengen. Diese Flexibilisierung erzeugt verstärkte Konkurrenz zwischen gleichartigen Produktionseinheiten innerhalb des Unternehmens und zwischen verschiedenen Unternehmen im Wertschöpfungsprozess, die immer wieder neu um Aufträge konkurrieren.
Zugleich mit der räumlichen entwickelt sich auch die zeitliche Entgrenzung der Arbeit. Wann Arbeit geleistet wird, ist heute flexibler gestaltbar als in früheren Zeiten, in denen die gleichzeitige Anwesenheit aller am Arbeitsprozess Beteiligten erforderlich war. Aus dem stärkeren Binnenwettbewerb in den Unternehmen (Benchmarking) und den ausgeweiteten Selbstverantwortungsstrukturen folgt eine stärkere Eigenorientierung der Einzelnen. Besonders deutlich wird dies bei verbreiteter Projektarbeit. Dabei steuern die Arbeitnehmer häufig selbst und eigenverantwortlich den Ablauf der Arbeit. Das setzt ein hohes Potenzial an Selbstbestimmung frei, schafft aber für alle Beteiligten auch neue Anforderungen und Risiken.
Eine weitere Entgrenzung durch Digitalisierung entsteht durch technische Möglichkeiten digitaler Überwachung in zeitlicher, räumlicher und inhaltlicher Dimension. Hierin liegen Gefährdungen der gewonnenen Freiheit und Selbstbestimmung. Dies betrifft auch Fragen des Schutzes persönlicher Daten und mögliche Übergriffe bis weit hinein in die Privatsphäre.
Daraus ergeben sich erhebliche Veränderungen für die Beschäftigten: Neue Profile bilden sich heraus, Eigenverantwortung nimmt zu, Belastungen wandeln sich. Andere, neuartige Leistungsanforderungen ziehen in die Arbeitswelt ein: Zentrale Anforderungen sind Selbstständigkeit, psychische Präsenz, Interaktionsfähigkeit und Darstellungskompetenz. Die Arbeit selbst kann sich entgrenzen, Arbeitnehmer können mehr Flexibilität in der Arbeitszeit gewinnen, sehen sich dabei aber auch neuen Erwartungen an Flexibilität ausgesetzt, zum Teil werden feste Arbeitszeiten aufgehoben und die Arbeitsorte beliebig.
Im Hinblick auf die Organisation der Arbeitswelt stehen größere und kleinere Unternehmen in einer engen Wechselbeziehung. In den neuen Organisationsformen der Industrie werden teilweise aus kleineren Betrieben oder dem Handwerk Wertevorstellungen und Arbeitsformen entlehnt. Damit werden Arbeitszusammenhänge abgegrenzter und übersichtlicher, die Identifikation mit den Zielen des Betriebes erleichtert. So entstehen in globalen Unternehmen Teamarbeit und darauf aufbauende Führungskonzepte, die über den Spielraum verfügen, die Freiheitsräume sinnvoll zu gestalten und die negative Wirkung der Entgrenzung von Arbeit einzudämmen.
Die Veränderungen in der Arbeitswelt prägen zunehmend auch kleinere Betriebe, wie sie für Handwerk und die Dienstleistungsunternehmen typisch sind. Deren Arbeitswelt unterscheidet sich einerseits von großen industriellen Unternehmen durch ihre Übersichtlichkeit, andererseits sind sie kein isolierter Bereich der Volkswirtschaft, sondern ein bedeutsamer Teil der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfungskette, gerade mit Blick auf die Beschäftigung. Ihr Aufblühen ist teilweise Reflex des Outsourcings aus größeren Unternehmen, da so mit der Produktion in größeren Unternehmen verbundene Tätigkeiten flexibler und kostengünstiger durchgeführt werden sollen.
Das Handwerk stellt mit mehr als 5 Millionen Beschäftigten in Deutschland einen bedeutenden Arbeitsbereich dar. Handwerkliche Familienbetriebe zeichnet eine besondere Verantwortungs-, Finanzierungs- und Ausbildungskultur aus. So fordert handwerkliche Arbeit im klassischen Sinn den ganzen Menschen und ist oft in Teamarbeit organisiert. Dies verlangt Einordnung in ein soziales Gefüge und setzt Solidarität und Verantwortungsbewusstsein voraus. Gerade in solchen Organisationsformen kommt der Charakter der Arbeit als Gemeinschaftswerk deutlich zum Tragen. Die duale Ausbildung hat sich für das Erlernen qualifizierter Arbeit und die Einordnung in ein soziales Gefüge gleichermaßen bewährt; Solidarität und Verantwortungsbewusstsein gehören hier unmittelbar zusammen. Weil die meisten Leistungen direkt am Kunden oder im direkten Umfeld erbracht werden, stehen Handwerker auch in direkter Verantwortung und engem Kontakt zu den Menschen.
Umgekehrt wenden mittlerweile auch viele Familien- und Handwerksbetriebe ebenso wie kleinere Unternehmen Organisationskonzepte aus größeren Unternehmen an, um z. B. ihre Unternehmen zu erweitern und Investitionen zu ermöglichen. Strukturelle Veränderungen der Unternehmen, z.B. durch kapazitätserweiternde Investitionen, Zukäufe von anderen Unternehmen oder auch umgekehrt durch die Einstellung bestimmter Unternehmensteile, betreffen immer auch die Interessen, Wünsche und Erfordernisse der Beschäftigten und ihrer Familien. Solche strukturellen Veränderungen können auch zu Konflikten zwischen Investoren und Arbeitnehmerinteressen führen. Durch die räumliche und zeitliche Entgrenzung der Arbeit verlagern sich so Konflikte auch in die Unternehmen, weil durch die Verlagerung von Wertschöpfung im Unternehmen neue Konkurrenzen zwischen Standorten und Belegschaften geschaffen werden. Die frühzeitige Beteiligung der Arbeitnehmer im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung und der Unternehmensmitbestimmung sind in solchen Fällen hilfreich und nützlich - für die Investoren wie für die Arbeitnehmer.
3.4.3 Veränderte Arbeitsteilung im familiären Kontext
Die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland spiegeln nicht nur spürbare Veränderungen der Arbeitsteilung innerhalb und zwischen Unternehmen wider, sondern auch innerhalb der Familie sowie zwischen Familie und Gesellschaft: das Konfliktfeld Familienarbeit. Zum einen betrifft dies die veränderte Arbeitsteilung zwischen Frau und Mann in der Familie. Die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen führt zu einem veränderten Arbeitsangebot von Erwerbsarbeit sowohl für Frauen als auch für Männer. Männer äußern verstärkt den Wunsch nach Reduzierung ihrer Arbeitszeit zur Übernahme von Aufgaben in der Familie, Frauen wollen sich verstärkt an Erwerbsarbeit beteiligen, immer häufiger auch in Vollzeit. So erhöht sich insgesamt das Angebot an Erwerbsarbeit, es entsteht aber auch eine Nachfrage nach möglichst flexiblen Arbeitszeiten, um den Bedürfnissen familiärer Arbeit nachkommen zu können. Die Flexibilitätswünsche stehen dabei durchaus in Konkurrenz zu den Flexibilitätsanforderungen aufgrund unternehmerischer Erfordernisse. Insgesamt führt diese Entwicklung zu einer veränderten Arbeitsteilung von Nicht-Erwerbsarbeit und Erwerbsarbeit. Erstere umfasst sowohl die Hausarbeit als auch die Sorgearbeit von der Kindererziehung bis hin zur Pflege der älteren Generation. Die Entscheidung, welcher Teil der Hausarbeit, der Erziehung und der Pflege von welchem Mitglied der Familie erbracht wird und ob diese Arbeiten teilweise von professionellen Anbietern als Erwerbsarbeit geleistet werden sollen, determiniert einen Großteil des Arbeitslebens und der Arbeitsleistung von Männern und Frauen. Wird Sorgearbeit aus der Familie ausgelagert oder professionalisiert, so entsteht vorrangig Erwerbstätigkeit für Frauen, die vor dem Hintergrund der traditionellen Abwertung von Sorgeaufgaben auch im Bereich der Erwerbstätigkeit überwiegend zu schlecht bezahlt wird. Nur teilweise sind solche Tätigkeiten bisher tarifvertraglich geregelt.
Auch aus den Unternehmen heraus entsteht Druck, die bisherige Arbeitsteilung zwischen Familie und Wirtschaft zu ändern. Der stärkere Anteil von Dienstleistungen erfordert eine erhöhte Verfügbarkeit. Jedoch stehen die zunehmenden regionalen Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen der planbaren Verlässlichkeit familiärer Arbeitsteilung entgegen, gerade mit Blick auf die Betreuung von Kindern und die Pflege von Angehörigen innerhalb der Familie. Sollen Doppelbelastungen - bislang vor allem von Frauen getragen - überwunden werden, bedarf es neuer Konzepte zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Momentan verstärkt sich die Tendenz, Erziehungs- und Sorgearbeit zumindest teilweise zu professionalisieren und entweder in eine öffentliche Infrastruktur wie Kindergärten und Alten- oder Pflegeheime zu verlagern oder aber privatwirtschaftliche Angebote an Kindergärten, Tagesmüttern sowie Pflegeeinrichtungen in Anspruch zu nehmen. Manche Unternehmen versuchen diesen Konflikt zu überwinden, indem sie ihre Beschäftigten durch ein entsprechendes Angebot an Betreuungsleistungen, wie Kindergärten oder Pflegedienste, entlasten.
Die Realisierung einer gerechteren Teilhabe von Frauen und Männern am Erwerbsleben hängt in erheblichem Umfang davon ab, ob solche Möglichkeiten externer Betreuung auch in finanziell hinreichend günstiger Form vorhanden sind. Wenn beides der Fall ist, verstärken sich die Tendenzen zu geschlechtergerechterer Teilhabe an Erwerbstätigkeit und die Expansion des Sektors für personennahe Dienstleistungen wechselseitig. So ist ein mittlerweile bedeutsamer Markt für Sorgeleistungen entstanden, in dem allerdings die Spannungen zwischen hoher Verfügbarkeit und Qualität bei geringen Kosten und starker Segmentierung die alltägliche Realität prägt. Diese Spannungen entladen sich für die Beschäftigten in der Sorgearbeit häufig zu Lasten angemessener Entlohnung und Arbeitsbedingungen. Damit nimmt der Druck auf die Qualität der Leistung zu: Emotionale Zuwendung erfordert Zeit, die unter hohem Kostendruck nicht verfügbar ist.