Umkehr zum Leben
Nachhaltige Entwicklung im Zeichen des Klimawandels, Denkschrift des Rates der EKD, 2009, Hrsg. Gütersloher Verlagshaus, ISBN 978-3-579-05909-9
6. Politische und ökonomische Leitlinien einer gerechten und nachhaltigen Klima- und Entwicklungspolitik
Leitgedanke: Am Lebensrecht aller Menschen und dem Eigenwert der nichtmenschlichen Natur orientiert sich das Leitbild einer nachhaltigen und gerechten Entwicklung. Das Entwicklungskonzept einer wachstumsorientierten nachholenden Industrialisierung ist nicht zukunftsfähig. Im Zeitalter des Klimawandels muss der Begriff der Entwicklung erneut überdacht werden. Eine gerechte Klimapolitik ist gefordert, um die Lasten des Klimaschutzes und der Anpassung an die kommenden Veränderungen gemäß der unterschiedlichen Verantwortung von Industrie- und Entwicklungsländern für den Klimawandel zu verteilen. Ausgangspunkt müssen gleiche Emissionsrechte für alle sein, die durch das Maximum an Treibhausgasen begrenzt werden, das die Erdatmosphäre aufnehmen kann, ohne dass sich das Erdklima über den gegenwärtig angenommenen Grenzwert hinaus (2°C) ändert. Auf dieser Berechnungsgrundlage kann ein internationaler Handel mit Emissionsrechten eingeführt werden, der die großen Emittenten zu Minderungen zwingt. Durch die Versteigerung von Emissionslizenzen in den Industrieländern können Finanzmittel bereitgestellt werden, die in den Ländern des Südens für die notwendige Anpassung und für eine nachhaltige Entwicklung eingesetzt werden sollten.
6.1 Wirtschaftswachstum und nachhaltige Entwicklung
Das Wachstum, das in der Form der Wachstumsrate des realen, also preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts (BIP) zum vorherrschenden Ziel der Politik und der Wirtschaft geworden ist, ist als Leitziel einer nachhaltigen, zukunftsfähigen Gesellschaft nicht geeignet, oft sogar konträr zu deren Entwicklung.[87] Die Kritik am BIP lässt sich bis in die 1970er Jahre zurückverfolgen und ist heute wieder aktuell. Das BIP ist kein Maß für Wohlfahrt und kein Maß für Lebensqualität. Aus dem Bereich der Glücksforschung sprechen starke Indizien dafür, dass oberhalb bestimmter Schwellenwerte im Pro-Kopf-Einkommen das BIP-Wachstum keinen Zugewinn an Lebensqualität mehr mit sich bringt.[88] Die Kennziffer des BIP hat als Maß für Wohlstand und als Maßstab für erfolgreiche Politik objektiv ausgedient. Die negativen Aspekte des BIP-Wachstums, darunter die CO2-Emissionen, treten mittlerweile stärker hervor.
Im Zuge der weltweiten Krise der Finanzmärkte Ende 2008 forderte z. B. Achim Steiner, Exekutivsekretär des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, die Gunst der Stunde zu nutzen, um neue Regeln für die Realwirtschaft einzuführen, die das Wachstum an einen nachhaltigen Umgang mit der Natur und an den Klimaschutz binden.[89] Ähnlich hat sich Ban Ki-Moon, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, auf dem Ökonomieforum in Davos geäußert: "In den letzten Monaten sind die Chancen gewachsen, um einen globalen ›new green deal‹ zu erreichen."[90] Damit zitiert Ban Ki-Moon den "New Deal", den der damalige US-Präsident Roosevelt nach der Weltwirtschaftskrise 1929 einführte. Heute geht es erneut um eine neue Ausrichtung des Wirtschaftens, die aber um globale Armutsbekämpfung und um die ökologische Dimension erweitert werden muss. Damit betrifft dieser mögliche Green New Deal direkt das Thema dieser Denkschrift.
In einem ersten Schritt geht es sicherlich darum, die Energie- und Ressourceneffizienz der Wirtschaft weiter zu steigern. Bei dieser so genannten "Entkoppelung" des Wirtschaftswachstums vom Energie- und Ressourcenverbrauch sind in den letzten beiden Jahrzehnten in vielen Industrieländern Fortschritte gemacht worden. Die Entwicklungsländer setzen Energieträger immer noch vergleichsweise ineffizient ein, d. h., sie erzeugen mit hohem Energieeinsatz (und hohen Emissionen) weniger Wohlstand. Daher wird häufig gefordert, die Energieeffizienz in den Entwicklungsländern zu erhöhen. Diese Forderung ist vernünftig. Aber erstens muss auch in den Industrieländern die Effizienz der Ressourcennutzung weiter gesteigert werden. Die Effizienzsteigerung in Entwicklungsländern darf in diesem Sinne nicht zur Ersatzstrategie für ein in den Industrieländern gebotenes Handeln werden. Und zweitens bestehen immer noch zahlreiche Hindernisse, um die notwendigen und technisch möglichen Effizienzsteigerungen in den Entwicklungsländern zu erreichen. Zu diesen Hindernissen gehören in den Entwicklungsländern selbst die niedrigen Energie- und Wasserpreise, die meist sozialpolitisch begründet sind und mit denen entsprechend behutsam umgegangen werden muss, und auf internationaler Ebene eine sehr ungleiche Verteilung von wissenschaftlich-technologischem Wissen. Das internationale Patentrecht erschwert es, das vorhandene an sich verfügbare Wissen in Entwicklungsländern anzuwenden. Dieser Sachverhalt verweist auf internationale ordnungspolitische Fragen, die unmittelbar auf die Möglichkeiten der Klimapolitik in den Entwicklungsländern einwirken.
Effizienzsteigerungen allein werden jedoch die globalen Emissionen nicht verringern können, wenn die generelle Wachstumsorientierung beibehalten wird. Nur eine kluge Verbindung aus Effizienzsteigerungen mit veränderten Lebensstilen, Wirtschaftsformen und neuen klimapolitischen Institutionen kann letztlich im Sinne des genannten 2°C-Zieles zielführend sein. Es bedarf also der Entwicklung von Konzepten, die diese Verbindung aus innovativer Technologie, kluger Anpassung und neuen Lebensstilen begünstigen und fördern. Hierzu gibt es bereits eine Reihe von Denk- und Politikansätzen.
Ziele und Inhalte des Wachstumsdenkens müssen sich grundlegend verändern. Die Überlegungen zum qualitativen Wachstum, die auf die späten 1970er Jahre zurückgehen, lassen sich mit dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung in Verbindung bringen.[91] Die Idee der Nachhaltigkeit wirft grundsätzliche Fragen auf, welche Bestände und Kapazitäten wachsen sollen (und welche nicht). Dass Nachhaltigkeit ein wichtiges Kriterium für die Zukunftsfähigkeit von Volkswirtschaften und Gesellschaften ist, ist mittlerweile anerkannt. Umstritten ist, wie der Begriff inhaltlich zu füllen ist.[92] Hilfreich für die praktische Anwendung des Begriffs der Nachhaltigkeit ist die Formulierung so genannter "Managementregeln ", die weitgehend anerkannt sind. Eine Standardformulierung derartiger Managementregeln bezieht sich auf die Bereiche von erneuerbaren und von nicht erneuerbaren Ressourcen sowie auf die Aufnahmekapazität der Umwelt für Schadstoffe.[93] Die Enquête-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" hat den Grundbestand der Nachhaltigkeitspostulate von Daly und El Sarafy ergänzt und insgesamt fünf Managementregeln für eine nachhaltige Entwicklung formuliert:[94]
- Die Abbaurate erneuerbarer Ressourcen soll ihre Regenerationsrate nicht überschreiten. Diese Regel fordert die Aufrechterhaltung der ökologischen Leistungsfähigkeit.
- Nicht erneuerbare Ressourcen sollen nur in dem Umfang genutzt werden, in dem ein physisch und funktionell gleichwertiger Ersatz in Form erneuerbarer Ressourcen oder höherer Produktivität der erneuerbaren sowie der nicht erneuerbaren Ressourcen geschaffen wird.
- Stoff einträge in die Umwelt sollen die Belastbarkeit der Umweltmedien nicht überschreiten, wobei alle Funktionen der Umweltmedien zu berücksichtigen sind.
- Das Zeitmaß anthropogener Einträge beziehungsweise Eingriffe in die Umwelt muss in einem ausgewogenen Verhältnis zum Zeitmaß der für das Reaktionsvermögen der Umwelt relevanten natürlichen Prozesse stehen.
- Gefahren und unvertretbare Risiken für die menschliche Gesundheit durch anthropogene Eingriffe sind zu vermeiden.
Die Regeln erlauben zwar Tendenzaussagen bei der Bewertung bestimmter Aktivitäten, jedoch häufig keine eindeutige Entscheidung, insbesondere bei der fünften Regel. Ob beispielsweise die Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen oder die friedliche Nutzung der Kernenergie als Risiko "unvertretbar" sind oder nicht, kann aufgrund der Managementregeln der Enquête-Kommission allein nicht entschieden werden. Was jedoch den Klimawandel anbetrifft, so verstoßen der rasche Abbau fossiler Energieträger und die ungeminderte Emission von Treibhausgasen mit Sicherheit gegen die Regeln zwei bis fünf. Angesichts der massiven Auswirkungen auf die globale Biodiversität dürfte auch ein Verstoß gegen die erste Regel vorliegen. Damit liegt im Falle des Klimawandels ein Verstoß gegen (fast) alle Regeln einer nachhaltigen Entwicklung vor. Ein Bekenntnis zur Idee der Nachhaltigkeit, das nicht nur ein "Lippenbekenntnis" ist, zwingt zu einem grundlegenden Umsteuern.
Der Klimawandel erfordert daher für die Industrieländer eine Reihe von Veränderungen, vor allem in der Wirtschafts- und Energiepolitik, aber auch in der Verkehrspolitik, im Städtebau und in der Landwirtschaft. In diesem Innovationsdruck liegen auch Chancen für Neuentwicklungen. Umweltverträgliche Produktionsformen, die energieintensive Inputs durch menschliche Arbeit ersetzen, werden in der Landwirtschaft wie auch in der Industrie und dem Dienstleistungssektor zukünftig wieder wettbewerbsfähiger werden. Forschungs- und Innovationssysteme werden neu ausgerichtet. Länder, die frühzeitig die Gefahren des Klimawandels erkennen, können Wettbewerbsvorteile erringen, indem sie ihre Innovationsfähigkeit im Blick auf nachhaltige technologische Optionen der Anpassung stärken. Diesen Reformprozess zu nutzen, um generell die Naturverträglichkeit der Wirtschaft zu erhöhen und gleichzeitig das weltweite Problem der Armut zu lindern, ist die zentrale Herausforderung unserer Zeit.
Der Befürchtung der Entwicklungsländer, dass die klimapolitischen Notwendigkeiten keinen Spielraum belassen, um die Hälfte der Menschheit, die von zwei USD am Tag oder weniger (berechnet in Kaufkraftparitäten) leben muss, aus ihrer Armut zu befreien, ist dabei allerdings unbedingt Rechnung zu tragen. Diese Herausforderung erfordert mehr als moralische Appelle an das Verhalten jedes Einzelnen; es erfordert neue Konzepte und Institutionen. Im Folgenden wird hierzu ein Vorschlag unterbreitet.
6.2 Leitlinien einer gerechten Klimapolitik
Das notwendige Umsteuern darf nicht dazu führen, dass die gegenwärtige Verteilung von Wohlstand und Ressourcen verfestigt wird. Auch die Chancen auf künftige Wohlfahrt in den Entwicklungsländern sowie nationale und globale Gerechtigkeitsfragen sind dabei zu berücksichtigen. Es sind daher vier miteinander zusammenhängende Probleme zu lösen: Erstens müssen die globalen Emissionen so niedrig sein, dass eine reale Chance besteht, die globale durchschnittliche Erwärmung auf 2° C zu begrenzen. Dies impliziert, dass die Atmosphäre als eine Treibhausgas-Senke zu betrachten ist, deren Kapazitäten knapp sind. Die Situation einer kostenlosen Nutzung dieser knappen Senkenkapazität muss beendet werden. Die ökonomische Inwertsetzung einer knappen natürlichen Ressource (hier: einer Senke) ist prinzipiell legitim. Wird die Knappheit der Senke anerkannt und im Sinne des 2° C-Zieles näher bestimmt, ergibt sich zweitens im Blick auf die Menge der noch zulässigen Emissionen ein globales Verteilungsproblem. Dieses Verteilungsproblem kann letztlich nicht ökonomisch, sondern muss ethisch gelöst werden. Drittens wird auch eine Begrenzung der Auswirkungen des Klimawandels auf unterschiedlichen Ebenen Anstrengungen im Bereich der Anpassung notwendig machen. Hier fragt sich, zu wie viel Hilfe die Industrieländer verpflichtet sind. Viertens soll die Lösung der ersten drei Probleme Auswege aus der absoluten Armut nicht verbauen, sondern eröffnen.
Um diese Probleme zu lösen, müssen die Industrieländer eine übergeordnete Strategie umsetzen, die mehrere Elemente miteinander kombiniert:
- erstens eine integrierte Klima- und Energiepolitik, die (a) drastische Minderungen der Treibhausgasemissionen in allen Industrieländern sichert, (b) die Entwicklungsländer dabei unterstützt, Institutionen und Technologien einzuführen, die deren Emissionen zunächst verlangsamt und schließlich verringert und (c) die Entwicklungsländer bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützt;
- zweitens die Förderung einer Wirtschaftsentwicklung zu Gunsten der Armen und mit Blick auf eine Klima schonende Entwicklung; dies betrifft sowohl die Entwicklungspolitik als auch andere Politikfelder wie die Handels- und Finanzpolitik; und
- drittens die Unterstützung der Umsetzung umweltpolitischer Programme in Entwicklungsländern, um den Schutz und die nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen und Ökosysteme zu verbessern.
Hinsichtlich der ersten beiden Probleme (Begrenzung der Emissionsmenge, Verteilung der Emissionsrechte) findet das von Aubrey Meyer am Global Commons Institute[95] entwickelte Grundkonzept von "Contraction and Convergence" (C&C – Kontraktion und Konvergenz der Treibhausgasemissionen pro Kopf, Erläuterung siehe unten) mittlerweile sehr breiten Zuspruch, sowohl in der Zivilgesellschaft als auch in der Politik. Die klimapolitischen Forderungen, die in diesem Kapitel dargelegt werden, beruhen auf den Grundgedanken dieses Konzepts. Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass die deutsche Bundeskanzlerin den zentralen ethischen Gedanken dieses Konzepts positiv aufgegriffen hat. Das C&C-Konzept hat insofern eine erstaunliche Karriere gemacht. Es galt zunächst als utopisch und weltfremd, wird heute jedoch von führenden Expertengremien und von Politikern vertreten.[96] Das Konzept besteht im Kern aus zwei Komponenten:
- "Contraction" fordert eine konsequente Minderung der Treibhausgasemissionen, um die Konzentration der Treibhausgasemissionen in der Erdatmosphäre zu stabilisieren. Die Komponente wird durch das 2°C-Ziel konkretisiert.
- "Convergence" fordert eine allmähliche Annäherung der Höhe der Emissionen pro Kopf für reiche und arme Länder auf einen Durchschnittswert, der mit den aus der Perspektive des 2°CZiels zulässigen Konzentrationen in der Erdatmosphäre kompatibel ist. Mit anderen Worten: Der verbleibende "Emissionskuchen" soll egalitär nach einer Pro-Kopf-Regel auf die Weltbevölkerung verteilt werden.
Auf der Grundlage des C&C-Konzeptes lässt sich relativ leicht berechnen, wie groß das "Kuchenstück" eines jeden Landes am gesamten "Emissionskuchen" sein kann. Jedem Erdenbürger stehen demnach jährlich Emissionen von maximal 2t CO2 zu. Sofern man diese Verantwortung und die Berechtigung der Entwicklungsländer zu einem (natürlich möglichst eng zu befristenden und moderaten) Anstieg ihrer Emissionen anerkennt, ergibt sich für die Industrieländer auf sämtlichen Berechnungsgrundlagen die Notwendigkeit, bis 2050 ihre Emissionen in einer Größenordnung von ca. 80 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Hierbei handelt es sich um einen Zielkorridor, an dem sich die Position, mit der Deutschland und die EU in die Verhandlungen Ende 2009 in Kopenhagen gehen, messen lassen muss.
Eine Senkung der globalen Emissionen um ca. 50 Prozent bis 2050 gegenüber 1990 ist notwendig und die Industrieländer müssen eine überproportionale Reduktionslast übernehmen. Ein US-Bürger wird seine Emissionen durchschnittlich um ca. 90 Prozent und ein EU-Bürger durchschnittlich um 80 Prozent reduzieren müssen. Selbst ein Chinese muss bereits heute um durchschnittlich 40 Prozent reduzieren, während Inder und fast alle Afrikaner ihren Pro-Kopf Ausstoß noch steigern dürfen.
Das Grundproblem von C&C ist es, dass es (zumindest auf den ersten Blick) den Entwicklungsländern nicht genug Emissionsspielraum für eine wirtschaftliche Entwicklung belässt. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Emissionsprofi le innerhalb der großen Schwellenländer sehr ungleich sind. So verursachen in Indien und China mittlerweile einige Segmente der Bevölkerung sehr hohe Emissionen, während der allgemeine Pro-Kopf-Wert immer noch relativ gering ist. C&C scheint daher für die Entwicklungsländer nicht angemessen.
Eine Alternative zum C&C-Konzept stellt der Ansatz der Greenhouse Development Rights (GDR) dar, der von der christlichen Hilfsorganisation Christian Aid in Auftrag gegeben wurde.[97] Im Unterschied zu C&C wird im GDR-Konzept keine Verteilung von Emissionsrechten vorgenommen, sondern es werden Lasten verteilt, für die Kosten des Klimawandels aufkommen zu müssen. Ausgangspunkt ist hier die Aussage, dass die "globale Oberklasse" (Anzahl der Einwohner mit einem Jahreseinkommen von oberhalb 7.500 USD gemessen in Kaufkraftparitäten) die Verantwortung für die Verursachung und damit auch die Minderung der Treibhausgasemissionen trägt. Alle Länder würden in dem Maße in die zukünftige Verringerung der globalen Treibhausgasemissionen einbezogen, in dem sie an der globalen Oberklasse teilhaben. Unterhalb dieser Einkommensgrenze hat allerdings niemand eine Verpflichtung, sich an der Eindämmung des Klimawandels oder an der Anpassung zu beteiligen. Diese Last fällt infolgedessen auf wenige Länder.[98] Während für diese Länder selbst eine Reduktion ihrer Emissionen um 100 Prozent nicht ausreicht, um diese Last abzutragen, erhalten Länder, die sehr ineffizient mit Energie wirtschaften, d. h. mit hohem Energieeinsatz wenig Einkommen generieren, keinerlei Verpflichtungen. Vorzüge und Nachteile beider Grundkonzepte (C&C, GDR) sind derzeit in der Diskussion. Politisch "anschlussfähiger" ist sicherlich C&C.
C&C muss allerdings um die Anpassungsdimension, also um Maßnahmen zum unmittelbaren Schutz vor den Folgewirkungen des Klimawandels und zur Umstellung von Anbaumethoden und Verkehrsformen erweitert werden. Zu Beginn der 1990er Jahre lautete die Konsensformel noch: Der durch die Menschen verursachte Klimawandel soll (möglichst) verhindert werden. Inzwischen wird davon ausgegangen, dass der Klimawandel nur noch verlangsamt werden kann. Dies bedeutet nach heutigem Wissensstand: Ein anthropogen verursachter Klimawandel wird stattfinden und findet bereits statt. Damit sind nicht nur "Contraction and Convergence", sondern auch "Adaptation", also Anpassungsmaßnahmen an ein sich veränderndes Weltklima, unverzichtbar. Auch die Folgen eines gebremsten Klimawandels müssen bewältigt werden (und nur sie können überhaupt bewältigt werden). Selbst bei Erreichung des 2°C-Zieles ist Anpassung unausweichlich.[99] In der Klimarahmenkonvention haben die Industrieländer zugesagt, die Entwicklungsländer bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen. Vorbeugende Maßnahmen können die Anpassungskosten senken: Dazu gehört eine entschiedene Klimaschutzpolitik ebenso wie Maßnahmen, um die Vulnerabilität der Entwicklungsländer für die Folgen des Klimawandels zu verringern: z. B. durch Investitionen in das Bildungs- und Gesundheitswesen, durch die Verbesserung der Nutzung und des Schutzes natürlicher Ressourcen, durch die Schaffung neuer Einkommensquellen, die die Abhängigkeit der Menschen von gefährdeten Ressourcen oder Naturräumen verringern. Darüber hinaus dürfen gerade auch internationale Maßnahmen zur Verlangsamung und Verringerung des Klimawandels die wirtschaftliche Entwicklung in den Entwicklungsländern nicht behindern. Verhindert werden muss die Unterstützung von Entwicklungsstrategien, die die Verletzlichkeit für den Klimawandel erhöhen, ebenso Investitionen in Infrastrukturmaßnahmen und andere Projekte, die die zukünftigen Risiken des Klimawandels nicht angemessen berücksichtigen. Anpassung an den Klimawandel bedarf eines "Mainstreaming" in der Entwicklungszusammenarbeit.
6.3 Armutsbekämpfung und Anpassung an den Klimawandel: Versteigern, verteilen, für nachhaltige Entwicklung nutzen
Es wurde mehrfach gefordert, die auf dem Reduktionspfad (- 80 Prozent bis 2050) zulässigen Emissionslizenzen für die Industrieländer nicht mehr unentgeltlich zu verteilen, sondern möglichst zu 100 Prozent zu versteigern.[100] Die kostenlose Verteilung führte in Deutschland und in der EU dazu, dass der Emissionshandel mit allerlei industriepolitischen Zielen überfrachtet wurde und dass aufgrund der zu üppigen Verteilung der Rechte kein wirklicher Markt entstehen konnte. Die EU bewegt sich nun trotz vielfältiger Widerstände sukzessive auf ein Auktionsmodell zu. So sieht ein EU-Richtlinienvorschlag die Versteigerung der Emissionsberechtigungen als den prinzipiell richtigen Allokationsmechanismus an. Es ist davon auszugehen, dass ab 2013 etwa zwei Drittel der Emissionsrechte versteigert werden. Die Ausnahmen der kostenlosen Zuteilung sollten rasch auslaufen. Das Aufkommen aus der Versteigerung fließt den Mitgliedsstaaten zu, wobei ein Teil der Erlöse für Klimaschutzmaßnahmen verwendet werden sollen. Die genauen Modalitäten sind derzeit im Vorlauf zur Vertragsstaatenkonferenz in Kopenhagen auf EU-Ebene in der Verhandlung. Es ist politisch klüger, diese insgesamt positive Entwicklung hin zur Auktionierung konsequent fortzusetzen, als einen konzeptionell ganz anderen Ansatz zu favorisieren.[101]
Eine Versteigerungslösung bedeutet, dass in einem bestimmten Turnus eine (gemäß dem 80 Prozent-Reduktionsziel bis 2050) immer weiter reduzierte Menge an Treibhausgasemissionslizenzen von den Firmen ersteigert werden muss, die Energie erzeugen oder Brennstoffe in den Verkehr bringen (erste Handelsstufe). Die ersteigerten Lizenzen sind während des Turnus handelbar. Diese Firmen werden die Kosten der Auktion voll einpreisen, wodurch sich sämtliche Waren und Dienstleistungen ungleichmäßig je nach Energieintensität verteuern. Diesen Verteuerungen stehen allerdings die Erlöse der Auktion gegenüber. Diese Erlöse sollten nun (konträr zu den erwartbaren Begehrlichkeiten von Industrie und Finanzpolitikern) paritätisch a) in Klimaschutzmaßnahmen der EU-Länder, b) auf globaler Ebene für Maßnahmen in Entwicklungsländern (u. a. Ernährungssicherung, Anpassung, Renaturierung, klimafreundliche Energiesysteme) und c) für einen Einstieg in ein Einkommen für alle Bürger eingesetzt werden. Die Erlöse sollten also nicht auf anderen Wegen an die Firmen zurückerstattet werden, und sie sollten nicht in die allgemeinen Staatshaushalte fließen. Das System soll für die Bürger und Bürgerinnen sowohl transparent als auch legitim sein.
In diesem Sinn soll auf nationaler Ebene ein Teil der Erlöse in jedem Turnus per Scheck an jeden erwachsenen Bundesbürger ausgezahlt werden. Die Empfänger erhalten also zum Ausgleich für die insgesamt steigenden Energiepreise ein Geldbudget, das sie unterschiedlich verwenden können. Darin liegt ein Anreiz zum Kauf sparsamer Geräte, Wärmedämmung, Solaranlagen etc., aber es bleibt auch genügend Freiheit des Einzelnen, seinen Scheck z. B. zur Finanzierung eines individuell gewünschten Projekts zu verwenden. Moralisch eingestellte Bürger können diesen Betrag natürlich auch spenden. Der andere Teil des Geldes wird einem neuen umfassenden Fonds zur Verfügung gestellt, mit dem Maßnahmen der Entwicklungsländer für eine klimafreundliche Entwicklung und für die Anpassung an den Klimawandel finanziert werden. Dadurch wird die historische Verantwortung der Industrieländer ernst genommen.
Insbesondere mit Blick auf die Anpassung wird für die Länder, die in diesen Fonds einzahlen, auch wichtig, nach welchen Kriterien die Vergabe der Mittel letztlich erfolgt. Da das Konzept der Anpassung an den Klimawandel sehr weit gefasst werden kann, können die hierfür benötigten Geldmittel nahezu beliebig hoch kalkuliert werden. Es wird also nie genug Geld in dem Fonds vorhanden sein, was bedeutet, dass anhand von prozeduralen und inhaltlichen Kriterien über die Mittelvergabe entschieden werden muss. Was die inhaltlichen Kriterien anbetrifft, so ist das prominenteste Kriterium das der Vulnerabilität. Es erscheint auf den ersten Blick moralisch richtig, je mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, je verwundbarer die betroffene Bevölkerung ist bzw. erscheint. Sollte Vulnerabilität allerdings das einzige inhaltliche Kriterium sein, so bedeutet dies, dass die Länder des Südens unter diesem Kriterium um Mittel aus dem Anpassungsfonds konkurrieren müssen. Dies aber ist bei näherer Betrachtung keine gute Lösung, da dies die Länder des Südens zwingt, sich so vulnerabel und hilflos wie möglich zu präsentieren. Daher muss das Vulnerabilitätskriterium durch andere Kriterien ergänzt werden. Ein zentrales Kriterium sollte die Fähigkeit der Empfänger sein, die Mittel im Sinne von Anpassungsstrategien einzusetzen, die zugleich Beiträge zur emissionsfreien Energieversorgung, zur Bekämpfung absoluter Armut, zur Stärkung der Ernährungssicherheit und -souveränität und zum Schutz von Böden, Wäldern, Gewässern etc. sind.
Es geht also im Sinne der in Kapitel 3 genannten fünf Dimensionen von Freiheit von Amartya Sen[102] um einen verbesserten Zugang zu Gesundheit, Bildung, Energie und Wasser, um eine armutsorientierte Politik in der Agrar- und der Transportpolitik, d. h. um positive Veränderungen in den Bereichen, die für arme Bevölkerungsgruppen besonders relevant sind. Auch gute Regierungsführung und die Stärkung der politischen Rechte der Armen sind Voraussetzung für eine nachhaltige Armutsbekämpfung. In all diesen Bereichen muss ansetzen, wer die negativen Folgen des Klimawandels für die Armen begrenzen und sie darin unterstützen will, den Klimawandel nicht nur kurzfristig zu bewältigen, sondern in langfristige Veränderungen zu investieren und damit ihre Chancen für die nachhaltige Überwindung der Armut zu verbessern. Die Mittel des Anpassungsfonds sind daher nicht nur als Nothilfe, sondern auch als investive Mittel für eine umfassend verstandene nachhaltige Entwicklung zu betrachten. Dies erfordert natürlich eine diesbezügliche "good governance". Dies ist berechtigt, da es große Überlappungen zwischen Maßnahmen zur Verringerung der Vulnerabilität und Maßnahmen der Armutsbekämpfung gibt. Ein Anpassungsfonds, dessen interne Ausgestaltung die Länder des Südens nicht in eine passive Rolle von Hilfsbedürftigen drängt, sondern auf ihre Stärken, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten setzt, wäre Teil des globalen "Green New Deal".
Dies bedeutet, dass ein armutsorientiertes breitenwirksames Wirtschaftswachstum dazu beitragen sollte, dass
- Wirtschaftswachstum in Entwicklungsländern auf Klima schonende, im Idealfall Klima neutrale Pfade gelenkt wird;
- Investitionen in sozialen und anderen Bereichen verstärkt werden, mit denen die Gefährdung verringert und die Anpassungsfähigkeit verbessert werden kann;
- Wirtschaftswachstum so konzipiert wird, dass neben dem Klima auch andere Umweltdienstleistungen und natürliche Ressourcen nicht übernutzt und in ihrer Produktivität gestärkt werden (etwa durch Renaturierungsmaßnahmen).
6.3.1 Ernährungssicherung und Ernährungssouveränität
Armutsüberwindung und Ernährungssicherung erfordern auch eine Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit im umfassenderen Sinne, also die nachhaltige Bewirtschaftung der Ressourcen Wasser und Böden und den Schutz gefährdeter Ökosysteme. Eine Revitalisierung einer kleinbäuerlichen, diversifizierten Land-, Weide- und Forstwirtschaft (organischer Landbau, Permakultur, kollektive Nutzungen, ökologisch angepasste Extraktionen aus Wäldern u. v. a. m.) stellt eine grundsätzliche Alternative zur kapital-, pestizid- und energieintensiven Agrarwirtschaft dar. Die kleinbäuerlich- ökologische Landwirtschaft bedarf des Schutzes durch Institutionen, die Landrechte sowie den Zugang zu Saatgut und Wasser sichern. Förderungswürdig sind u. a. folgende Aktivitäten: kommunale Waldbewirtschaftung (community based forestry, z. B. in Nepal), kommunales Management von Wassereinzugsgebieten (water catchment in landscapes)[103], ökologische Agroforstsysteme, der extensive Biomasseanbau für den lokalen Bedarf, die weitere Diversifizierung von Anbaustrukturen und die Verbesserung von Lagerungsmöglichkeiten für Nahrungsmittel und Saatgut, um die Anfälligkeit für Dürren zu verringern.
Eine weitere Fixierung von Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen auf kapitalintensive Technologien wie die grüne Gentechnik trägt nicht zur Armutsminderung bei. Die Förderung der Beimischung von Agrartreibstoff en in Europa muss zurückgenommen werden.[104] Zwei Probleme ergeben sich hier mit Blick auf die Importe von Agrarrohstoff en aus dem Süden: Zum einen hat sich gezeigt, dass die Anziehungskraft der europäischen Märkte für Agrarrohstoffe in Indonesien zu Entwaldungsprozessen für die Anlage von Palmölplantagen geführt haben und in Brasilien zumindest zur Verdrängung der Viehwirtschaft aus dem Süden in das Amazonasgebiet, um freigewordene Flächen im Süden für den Zuckerrohranbau zu nutzen. Zum anderen haben sie die Flächenkonkurrenz mit dem Nahrungsmittelanbau verstärkt und damit das Hungerproblem verschärft. Internationale soziale und ökologische Standards für die Erzeugung und den Handel von Biomasse sind daher unbedingt notwendig. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) hat in einem Sondergutachten multilaterale Standards für den Biomasseanbau und für den Fall des Scheiterns entsprechender Verhandlungen einseitige unilaterale Standards auf EU-Ebene gefordert.[105] Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für globale Umweltfragen (WBGU) fordert in seinem neuen Hauptgutachten internationale Richtlinien für die Landnutzungsplanung, die dieser Problematik Rechnung tragen.[106]
Vor allem muss die Denkweise überwunden werden, wonach lokale, naturschonende, gemeinschaftliche Formen der Landnutzung grundsätzlich "ineffizient" seien. In diesem Sinne müssen angepasste Landnutzungsmodelle und der Schutz der natürlichen Ressourcen gefördert werden, wie es der Weltagrarrat in seinem Bericht "Agriculture at a Crossroads" 2008 vorgeschlagen hat.[107] Hierzu gehört auch eine konsequente Umsetzung der Ziele der Biodiversitätskonvention.
Ebenso notwendig ist aber auch die Umgestaltung der Agrarsubventionspolitik in den Industrieländern, um schädliche Marktstörungen in den Entwicklungsländern zu vermeiden und einer bäuerlichen Landwirtschaft in Nord und Süd eine faire Chance zu geben. Dazu gehört, den Liberalisierungsdruck auf die Agrarmärkte des Südens zu beenden, um die ungleiche Konkurrenzsituation zwischen kleinbäuerlicher Produktion und kapitalintensiver Landwirtschaft zu beenden. Gleichzeitig müssen die europäischen Märkte für Agrarprodukte aus denjenigen Entwicklungsländern geöffnet werden, die durchaus in der Lage sind, nachhaltige Überschüsse zu produzieren.
6.3.2 Unterstützung bei der Anpassung an den Klimawandel
In der Praxis ist es schwierig, Investitionen in entwicklungspolitisch sinnvolle Maßnahmen trennscharf von klimapolitisch notwendigen Maßnahmen abzugrenzen. Es ist sehr wichtig, sich dies zu verdeutlichen, wenn es um die Ausgestaltung von Finanzierungsinstrumenten im Rahmen eines zukünftigen Klimaregimes geht. Der Klimawandel und die damit einhergehenden Folgen sowie die in vielen LDCs (Least Developed Countries – am wenigsten entwickelte Länder) bestehenden Kapazitätsdefizite lassen erwarten, dass auf die internationale Staatengemeinschaft erhebliche Kosten zukommen werden. Bisher beschränkten sich die Zahlungen aus den verschiedenen Fonds der Klimarahmenkonvention an Entwicklungsländer mit dem Ziel der Anpassung auf 26 Mio. USD – das entspricht in etwa den wöchentlichen Ausgaben in Großbritannien für den Hochwasserschutz.[108] Diese Mittel müssen deutlich erhöht werden.
Die Mehrzahl der Entwicklungsländer liegt in Regionen mit hohen Klimarisiken. Dort werden Investitionen für Anpassungsmaßnahmen erforderlich sein, die die Eigenmittel der Entwicklungsländer und die gegenwärtigen Budgets der Entwicklungszusammenarbeit der Geber überfordern. Um die Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele nicht zu gefährden und dennoch ausreichend Mittel für Anpassungsmaßnahmen und Klimaschutzinvestitionen bereitzustellen, schlägt das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen vor, klimapolitische Transfers zusätzlich zur Entwicklungszusammenarbeit vorzusehen. Das bedeutet, dass die Industrieländer ihre klimapolitischen Ausgaben in Entwicklungsländern nicht mehr ihrer Öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA) und damit nicht mehr dem anvisierten 0,7-Prozent-Ziel zuschreiben könnten.[109] Die gegenwärtige Praxis gerade großer Geber wie Deutschland entspricht bisher dem Gegenteil. Die Mittel, die das Bundesministerium für Umwelt (BMU) 2008 aus der Veräußerung der Emissionsrechte für die internationale klimapolitische Zusammenarbeit erhalten hat (120 Mio. €), werden ebenfalls der deutschen ODA-Quote zugerechnet. Das Verhältnis zwischen ODA und den finanziellen Effekten der Klimapolitik ist grundsätzlich neu zu diskutieren.
Die Anpassung an den Klimawandel erfordert in Entwicklungsländern eine Reihe besonderer zusätzlicher Aufwendungen. So müssen nicht nur zusätzliche, Klima bedingte Risiken für Investitionsprojekte o. Ä. berücksichtigt werden. Auch die Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit auf lokaler Ebene muss gestärkt werden, insbesondere diejenigen der armen und besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen. Dazu gehören der Aufbau von Systemen für das Katastrophenrisikomanagement, die Integration von Klimawandelaspekten in die Raumordnung und Flächennutzungsplanung sowie Ansätze für die Versicherung von Kleinbauern gegen klimabedingte Ernteausfälle. Generell scheinen gerade in armen Entwicklungsländern mit schwachen Verwaltungen Ansätze relevant zu sein, mit denen den unmittelbar Betroffenen finanzielle Mittel in die Hand gegeben werden, um im Notfall eigenständig handeln zu können.
Anpassungsstrategien dürfen nicht einseitig technologisch ausgerichtet sein (Deichbau, Kühlhäuser, Gentechnik), sondern müssen vor allem die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) der Landnutzungssysteme stärken und fördern. Sie müssen an die Fähigkeiten und an das lokale Wissen anknüpfen können, sich auf neue klimatische Bedingungen einzustellen. Besonders wichtig sind Maßnahmen, die Feuchtigkeit der Böden zu erhalten, mit "water harvesting" auf saisonal veränderte Niederschlagsmengen zu reagieren, naturnahe Wälder zu erhalten, Mangroven als wichtigen Schutz vor Stürmen und Überflutungen strikt zu schützen, Korridore für wandernde Tier- und Pflanzenarten zu schaff en. Besonders wichtig sind die Synergien zwischen Klimaschutz und Anpassung in der Landnutzung: Der Erhalt und die Neugewinnung von Kohlenstoff -Senken (Wälder, Moore, Böden) kann positive Wechselwirkungen mit der Resilienz der Landnutzungssysteme aufweisen. Daher bedarf es letztlich einer neuen "Land-Wirtschafts-Ethik" für das Zeitalter des Klimawandels und eine stärkere Berücksichtigung ländlicher Regionen in der Entwicklungszusammenarbeit.
Kasten 5:
Maßnahmen zur Senkung der Emissionen aus der Entwaldung
In den Entwicklungsländern werden die Primärwälder für Gewinnmargen abgeholzt, die bei einem funktionierenden Emissionshandel nicht lohnend wären, da in diesem Fall die Einnahmen aus dem Schutz der Wälder ungleich höher ausfallen würden. So wird im Human Development Report 2007/2008 vorgerechnet, dass Palmölplantagen in Indonesien pro Hektar einen Gewinn von etwa 114 USD erwirtschaften. Wenn für die Anlage dieser Plantagen dicht bewaldete Regenwaldflächen umgewandelt werden, entstehen dabei Emissionen von etwa 500 t Kohlendioxid pro Hektar. Bei einem Kohlendioxid-Emissionspreis von 20 – 30 USD/Tonne wären dies 10-15.000 USD/Hektar. Das bedeutet mit anderen Worten, dass Indonesien den Regenwald für einen Ertrag von 2 Prozent seines potenziellen Wertes vernichtet.* Das gegenwärtige Klimaregime schließt Zahlungen über den Kohlenstoff markt an Entwicklungsländer für den Waldschutz aus. Da der Kohlenstoffgehalt der Tropenwälder ebenso wie der von fruchtbaren Böden, Mooren und von Savannen hoch ist, haben eine Reihe von Entwicklungsländern vorgeschlagen, Entschädigungszahlungen für den entgangenen Nutzen beim Schutz dieser Kohlendioxidspeicher in die Verhandlungen für das neue Regime ab 2012 aufzunehmen. Strittig ist, ob der Waldschutz direkt in den Emissionshandel integriert werden soll oder ob ein separater Fonds eingerichtet wird, der von den Industrieländern finanziert würde, ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, einen Teil ihrer Reduktionsverpflichtungen damit abzudecken. Die "Verrechnung " von Emissionen in den Industrieländern mit Landnutzungsänderungen in den südlichen Ländern ist überaus komplex und für Missbrauch anfällig. Sie sollte daher unterbleiben. Auch hier sind Fondslösungen eine Alternative.
Transferzahlungen für den Waldschutz müssen darauf abzielen, die tiefer liegenden Ursachen von Entwaldung zu beseitigen. Entwaldung hängt in der Regel mit einem Entwicklungsverständnis zusammen, das in dieser Studie abgelehnt wird. Die Umwandlung (Konversion) von naturnahen Biotopen wird als Entwicklung verstanden: Waldflächen werden in Viehweiden oder Sojafelder umgewandelt, um Devisen zu erwirtschaften. Hinzu kommt die Ausbeutung von Erz-, Erdöl- und Erdgasvorkommen oder die Anlage von Staudämmen und Wasserkraftwerken, oft zulasten lokaler indigener Völker. Dadurch werden große Kohlenstoff - Speicher (Wälder, Moore) vernichtet, was den Treibhauseffekt zusätzlich verstärkt. Allein die Zerstörung der Moore und Primärwälder Indonesiens setzt jährlich gigantische Mengen an CO2 frei. Dies bedeutet, dass in den Tropenwaldländern wirtschaftliche Ziele und umweltpolitische Schutzziele in ein neues Verhältnis gebracht werden müssen: Infrastrukturausbau und Ausweitung der Landwirtschaft müssen beschränkt werden; bestehende Waldgesetze umgesetzt, Landtitel kontrolliert und im Falle von Indigenen und Kleinbauern gesichert werden. Vor allem müssen die Selbst- und Mitbestimmungsrechte der lokalen Bevölkerung gestärkt werden. Andernfalls kann Entwaldung langfristig nicht vermieden werden.
* S. Human Development Report 2007/2008. Fighting climate change: Human solidarity in a divided world, New York: Human Development Report Office, published for UNDP, S. 158; http://hdr.undp.org/en/media/hdr_20072008_summary_ english.pdf
Quelle: L. Schmidt / I. Scholz: Reduzierung entwaldungsbedingter Emissionen in Entwicklungsländern, Bonn, DIE, Analysen und Stellungnahmen 6/2008.
Entwicklungspolitik muss letztlich treibhausgasneutral sein. Das globale Volumen von ODA von etwa 100 Mrd. USD in 2007 müsste idealerweise einen eigenen substanziellen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Eine solche Entwicklungspolitik muss sämtliche emissionsrelevanten Bereiche der Kooperation und externen Finanzierung durchdringen. Sie muss in Zusammenarbeit mit anderen Politikfeldern die Strategien der Industrieländer in der Forschung und Entwicklung und der Welthandelspolitik verändern. Und sie muss die Gerechtigkeitsfrage in dem Sinne, wie in dieser Schrift dargelegt worden ist, in aller Dringlichkeit stellen: Ein Recht auf Entwicklung in einer Welt mit begrenzten Umweltressourcen und mit einem begrenzten Emissionsbudget kann nur bedeuten, dass alle Menschen ein gleiches, aber begrenztes Recht haben, die Umwelt für ihre Entwicklung zu nutzen. An dieser Frage wird es den Organisationen der nicht-staatlichen Entwicklungszusammenarbeit, den kirchlichen Werken und den politischen Stiftungen, leichter fallen, mit ihren Partnern in Entwicklungsländern zu arbeiten als den Einrichtungen der Kooperation auf Regierungsebene. Die überfällige Debatte um eine Neufassung des Entwicklungsbegriff es wird an der derzeit betriebenen "mainstream"-Entwicklungspolitik nicht spurlos vorübergehen können.
6.3.3 Neue Siedlungsmöglichkeiten für Klimaflüchtlinge
Die Zahl der zu erwartenden Klimaflüchtlinge ist schwer zu schätzen, da es Abgrenzungsprobleme mit anderen Migrationsmotiven gibt. Als sicher kann gelten, dass Klimaflüchtlinge, insbesondere wenn sie nicht aus untergehenden Inselländern kommen, in der Regel arm sind und nichts zum Klimawandel beigetragen haben. Sie sind direkt betroff en und haben einen Anspruch auf Hilfe in ihrer Not. Sie sind unsere "fernen Nächsten". Klimaflüchtlinge haben im Unterschied zu politisch Verfolgten ihre Heimat und teilweise auch ihre Lebens- und Wirtschaftsweise dauerhaft verloren und müssen andernorts neu anfangen. Dabei muss verhindert werden, dass die Bewohner der Malediven oder der Mangrovenwälder Bangladeschs in den Slums asiatischer Metropolen enden. Dies bringt finanzielle, kulturelle, politische und planerische Probleme mit sich, die die Kapazitäten vieler südlicher Länder überfordern. Die Integration von Flüchtlingen in bestehende Siedlungsstrukturen ist erfahrungsgemäß von vielfältigen Spannungen begleitet, selbst wenn sie sich innerhalb eines Staates vollzieht. Eine Umsiedlung in andere Kulturen kann ohnehin bestehende Formen der Fremdenfeindlichkeit noch verstärken. Die Schaffung neuer und angemessener Lebensmöglichkeiten für Klimaflüchtlinge ist daher eine internationale Aufgabe. Das heißt, dass die unmittelbar betroffenen Staaten bei der Bewältigung der Aufgaben unterstützt werden müssen, aber auch, dass die Industrieländer sich darauf einstellen müssen, ihre Einwanderungspolitik den Folgen des Klimawandels anzupassen.[110]
6.3.4 Klimaverträgliche Energieversorgung
In den Entwicklungsländern haben insgesamt etwa 1,6 Mrd. Menschen keinen Zugang zu Elektrizität. Der Zugang zu dieser "modernen" Energieform, die wir tagtäglich konsumieren, kann niemandem verwehrt werden. Der Aufbau von entsprechenden Energieversorgungsnetzen muss sich an den Prinzipien des Klimaschutzes orientieren. Der Übergang zu einer Klima schonenden Wirtschaft erfordert sowohl eine Erhöhung der Energieeffizienz als auch die möglichst rasche Verbreitung erneuerbarer Energien. In den stark wachsenden Ökonomien wie China und Indien ist es wichtig, die Stromproduktion so stark wie möglich von der Generierung weiterer Emissionen abzukoppeln. Beide Länder haben vor allem Kohlekraftwerke, die im Durchschnitt etwa 20 Prozent mehr Kohlendioxid pro Energieeinheit emittieren als diejenigen in den OECD-Ländern. Die globale Zunahme an konventionellen Kohlekraftwerken konterkariert alle Anstrengungen zur Reduzierung der CO2-Emissionen. Die in Deutschland sinnvolle Kraft-Wärme- Kopplung erscheint in wärmeren Klimazonen als wenig sinnvoll. Ob die Abscheidung und unterirdische Lagerung von CO2 (carbon capture and storage, CCS) energetisch und ökonomisch sinnvoll und technisch praktikabel sein wird, erscheint zumindest derzeit als höchst fraglich. Die richtige Strategie für die Länder des Südens ist das Überspringen der Stufe fossiler Energieversorgung (leapfrogging). Es muss, sofern dies noch möglich ist, unbedingt verhindert werden, dass die Länder des Südens die gleichen fossil basierten Energiestrukturen aufbauen wie die Industrieländer. Die Kritik am Modell der nachholenden Industrialisierung und der dynamische Klimawandel erfordern die Einsicht, dass die Länder des Südens den Energiepfad des Nordens nicht kopieren können. Gerade in dieser Hinsicht ist eine "nachholende" Entwicklung fatal. Dieser Einsicht folgt auf dem Fuß, dass es auch Aufgabe der Industrieländer des Nordens ist, leapfrogging zu finanzieren. Das neue klimapolitische Regelwerk ab 2012 muss zusätzliche finanzielle Mittel bereitstellen, um diese Aufgaben in den Entwicklungsländern zu bewältigen.
Zu den vordringlichsten Finanzierungsaufgaben gehört die Schließung der Finanzierungslücke von ca. 25 – 50 Mrd. USD jährlich, die auftritt, wenn neue Technologien zur Verbesserung der Energieeffizienz und zur Nutzung erneuerbarer Energien eingesetzt werden sollen; die Unterstützung beim Aufbau neuer technologischer Kompetenzen, die für den Einsatz erneuerbarer Energien erforderlich sind und die Erschließung des Zugangs zu erneuerbaren, Klima schonenden Energietechnologien insgesamt. Dazu müssen auch private Finanzierungsmodalitäten ausgeschöpft werden. Denkbar ist, die Bedingungen der Mittelvergabe am Einkommensniveau der Empfängerländer auszurichten. So könnten etwa die ärmsten Entwicklungsländer Zuschüsse erhalten, während Entwicklungsländer mit mittlerem Einkommen bzw. absolut höherer Wirtschaftskraft Kredite zu günstigen Bedingungen erhalten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es die Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen gebietet, den Klimawandel in möglichst engen Grenzen zu halten (2° C-Ziel). Das gerechteste Verteilungskriterium für die verbleibenden Emissionsberechtigungen ist ein egalitäres Pro-Kopf-Kriterium, da es keinen moralisch einsichtigen Grund gibt, warum irgendein Mensch ein größeres Anrecht auf die Nutzung der atmosphärischen Senke haben sollte als ein anderer Mensch. Das vorgeschlagene Modell (Versteigern und Verteilen) hat den Vorteil, dass die Suffizienzorientierung im Verhalten befördert wird, ohne dass einzelne Handlungen (ein warmes Bad, eine Autofahrt etc.) moralisiert werden müssen. Den christlichen Gemeinden und Kirchen bleibt es natürlich unbenommen, überdurchschnittliche "klimaethische" Aktivitäten zu entwickeln. So könnten die Zahlungen aus den Auktionserlösen in den Gemeinden gesammelt und für spezielle ökumenische Projekte zur Verfügung gestellt werden.
6.4 Konsequenzen für Politik und Gesellschaft
Damit ein anderes, zukunftsfähiges Leben möglich und wirksam wird, muss in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft umgesteuert werden. Neben den politischen Reformaufgaben, die in Deutschland und der EU bestehen, geht es auf globaler Ebene vor allem darum, die Verhandlungen um ein zukunftsweisendes Vertragswerk zum Klimaschutz in Kopenhagen Ende 2009 zu einem guten Abschluss zu bringen. Um dies zu erreichen, ist es erforderlich, dass die Industrieländer, allen voran die EU,
- sich nicht nur auf klare Ziele für die Verringerung der Treibhausgasemissionen bis 2050 einigen, sondern auch anspruchsvolle quantifizierte Ziele für 2020 formulieren, die nicht unter 40 Prozent (gegenüber den Emissionen von 1990) liegen sollten;
- den Entwicklungsländern klare Zusagen für die Finanzierung der zusätzlichen Kosten, an denen sich auch nichtstaatliche Akteure beteiligen sollten, von Maßnahmen des Klimaschutzes und für die Finanzierung von Maßnahmen der bereits heute unvermeidlichen Anpassung an die Folgen des Klimawandels geben; diese Mittel müssen zusätzlich zu dem 0,7-Prozent-Ziel für die Entwicklungszusammenarbeit bereitgestellt werden.
In der nationalen Politik geht es darum, gesetzliche Rahmenregelungen und wirtschaftliche Anreize einzuführen, um das Konsum- und Mobilitätsverhalten jedes Einzelnen zu verändern. Dies erfordert Konzepte für die Energie-, Wirtschafts-, Verkehrs-, Agrar- und Stadtentwicklungspolitik, mit denen der Verbrauch fossiler Energieträger gedrosselt und auf erneuerbare Energien umgestellt werden kann. Darüber hinaus müssen der Naturschutz und die nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen verstärkt werden, um die Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme zu verbessern.
Angesichts der Herausforderungen, vor die die Weltgemeinschaft durch den Klimawandel gestellt wird, sind grundlegende Veränderungen in den Konsummustern und im Lebensstil nötig. Das gilt zuerst für die, die das Klima durch ihre Lebensweise am meisten belasten, wozu ohne Zweifel die große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland gehört. Diese Aufgabe ist leichter ausgesprochen als in Angriff genommen. Gerade in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise sucht die Politik das Heil in einer Ankurbelung des Binnenmarktes. Dafür gibt es in einer exportabhängigen Ökonomie wie der deutschen angesichts des Zusammenbruchs der internationalen Nachfrage scheinbar gute Gründe. Aus unserer Sicht sollte die Krise des alten Modells jedoch nicht im Sinne eines bloßen Krisenmanagements bearbeitet werden, sondern für eine ökologische Umsteuerung der Ökonomie genutzt werden. Eine Steigerung des Verbrauchs kann sich selbst ökonomisch ad absurdum führen, wenn dabei die ökologischen Rahmenbedingungen der Wirtschaft mittelfristig verschlechtert werden.
Der reiche Norden unseres Erdballs mit seinen zum Teil übersättigten Märkten setzt nach wie vor auf eine Steigerung des Konsums. Dass das auf die Dauer nicht durchzuhalten ist, liegt auf der Hand. Der Ressourcenverbrauch in allen Lebensbereichen muss systematisch gesenkt werden, und das nicht nur durch Effizienzsteigerungen pro erzeugter Einheit, sondern auch durch eine angemessene Veränderung der Lebensstile.
Bereits vor zehn Jahren trat die von Misereor und dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Auftrag gegebene Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie "Zukunftsfähiges Deutschland"[111] mit dem Leitbild "Gut leben statt viel haben" für einen nachhaltigen Lebensstil ein und beschrieb dazu auch konkrete Szenarien für eine Wende in Wirtschaft und Gesellschaft. Im Herbst 2008 ist eine neue, diesmal von Brot für die Welt, dem Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) und dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) herausgegebene Studie erschienen, die die erste Studie aktualisiert und fortschreibt. In dieser Studie werden die Konturen für ein zukunftsfähiges Deutschland in der globalisierten Welt beschrieben und Umsetzungsmöglichkeiten benannt.[112]
Eckpunkte der Studie sind die Neubewertung globaler Gemeingüter (Umweltpolitik als Ansatzpunkt einer Weltinnenpolitik), die Regionalisierung der Weltwirtschaft, die Ausrichtung des Welthandels am Gebot der Fairness, die Schaffung neuer politisch-rechtlicher Rahmenbedingungen für eine umweltgerechte Regulierung des Marktgeschehens, die Forcierung regenerativer Energieerzeugung und der Energie- und generellen Ressourcen- Einsparung, eine Neubewertung und gerechte Verteilung von Arbeit sowie die Entkoppelung von bezahlter Arbeit und sozialer Sicherung.
Vieles von dem, was in der ersten Studie gefordert wurde, wird inzwischen von großen Teilen der Bevölkerung geteilt. Der Kauf von energiesparenden Haushaltsgeräten, die Umstellung auf Solarstrom, die Wärmedämmung von Gebäuden, die Beteiligung am Car-Sharing etc. sind keine Maßnahmen von grünen Exoten mehr, sondern haben sich bis in die Mitte der Gesellschaft durchgesetzt. Nach Untersuchungen der Verbraucherinitiative halten 35 Prozent der Bevölkerung den Kauf von fair gehandelten Produkten für gut, 22 Prozent kaufen sie gelegentlich, 3 Prozent regelmäßig.[113] Teils durch mehr Einblick in die Herstellungsbedingungen und die Produktionsketten von Lebensmitteln und ihre sozialen und ökologischen Auswirkungen, teils durch Lebensmittelskandale ist die Sensibilität für gesunde Ernährung gestiegen. Jedoch gilt dies nicht für alle Bevölkerungsteile. Nicht alle können sich z. B. die teureren Ökoprodukte leisten oder haben Interesse, Zeit und Energie, sich ökologisch umsichtig zu ernähren.
Ohne eine grundlegende Bewusstseinsänderung wird der anthropogene Klimaeffekt nicht zu verringern sein. Hierzu gehört als Schlüsselbereich von großer symbolischer Bedeutung die bisher unbegrenzte individuelle Mobilität. Knapp 14 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen werden durch den Transportsektor verursacht, hinzu kommen die Emissionen der Industrien des Automobilsektors. Immer größere, schwerere und schnellere Pkw benötigen immer mehr Kraftstoff und stoßen große Mengen an Kohlendioxid aus. Kleine, leichte und auf Kraftstoffreduzierung optimierte Fahrzeuge wären die bessere Wahl. Kurze Wege lassen sich auch zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen. Klimabewusste Mobilität beinhaltet auch, dass die Freizeit- und Urlaubsgewohnheiten überdacht werden: Muss ein Wochenendtrip immer gleich eine Flugreise sein? Kann der Urlaub auch in einer Region verbracht werden, die bequem ohne Flugzeug erreichbar ist?
Für eine die gesamte Gesellschaft erfassende Bewusstseinsänderung bedarf es eines Maßnahmenkataloges, der von Seiten der verantwortlichen gesellschaftlichen und politischen Institutionen zügig beschlossen und umgesetzt werden muss und der die weitest mögliche Verlagerung des Verkehrs auf umweltverträgliche Verkehrsmittel einschließt. Außerdem ist auf die Herstellung und Nutzung Sprit sparender Fahrzeuge aller Klassen und auf umweltgerechte Verhaltensweisen der Bürger im Verkehr hinzuwirken. Dies sollte u. a. erzielt werden durch stärkere Aufklärung über klimaschädliches Verhalten im Verkehr und durch Anreize zum Umsteigen auf umweltverträgliche Verkehrsmittel, zu umweltfreundlicher Fahrweise und zum Erwerb energiesparender Fahrzeuge sowie zum Car-Sharing.
Damit sind bereits einige der notwendigen politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen zur Unterstützung eines ökologisch begründeten Lebensstiles benannt. Die Realität in Politik und Wirtschaft steuert jedoch oft und in der gegenwärtigen Krise in verstärktem Maße noch in eine ganz andere Richtung. So haben China und andere Schwellenländer in den letzten Jahren einen konventionellen Entwicklungspfad verfolgt, der heute das Weltklima stark belastet. Darin wurden sie durch private Investitionen aus den Industrieländern, z. B. von Automobilkonzernen, bestärkt. Auch die staatliche Entwicklungszusammenarbeit hat diesen Weg bisher unterstützt und im Bereich der Energie- und Umweltpolitik zu wenig gegengesteuert. Ein weiteres Beispiel ist der Einsatz von Agrartreibstoff en, um die Treibstoffersorgung weltweit zu sichern. Das geht in der bisherigen Praxis auf Kosten der Umwelt und der Ernährungssicherheit der direkt betroffenen Menschen. Eine gesicherte Treibstoffversorgung in Ländern wie Deutschland darf nicht zu Lasten der Ernährungssicherheit der Menschen andernorts gehen.
Wenn bei Agrartreibstoffen nicht politisch umgesteuert wird, gehen großflächige brasilianische Ökosysteme, die nicht nur regional, sondern global von Bedeutung sind, zugrunde. Das gilt insbesondere für den ohnehin bedrohten amazonischen Regenwald und das Feuchtgebiet Pantanal, die durch die Produktion von Agrartreibstoff en noch zusätzlich gefährdet sind. Gleiches gilt für die noch bestehenden Ökosysteme Afrikas und Süd-Ost-Asiens. Eine Umsteuerung wird aber nur dann möglich werden, wenn genügend politischer Wille vorhanden ist, einschneidende Maßnahmen zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit unseres Planeten auch durchzusetzen. Dazu müssen Kirchen gemeinsam mit der Zivilgesellschaft massiv und eindeutig Stellung beziehen und eine zukunftsfähige weltweite Entwicklung einfordern. Dies geschieht z. B. im Einsatz für gerechtere Bedingungen für den Welthandel, für Steuerentlastung oder staatliche Förderungen von umweltverträglichen Technologien oder für die höhere Besteuerung von umweltschädlichen Verhaltensweisen.
Letztlich geht es um eine neue politische und wirtschaftliche Prioritätensetzung in Zivilgesellschaft und Politik, d. h. eine Verständigung darüber, in welchem Verhältnis z. B. kurzfristige Gewinninteressen von bestimmten Wirtschaftsakteuren und die langfristigen Überlebensinteressen von Gemeinschaften in der Einen Welt stehen. Es geht letztlich um die Frage, wie wir leben wollen und wie alle Menschen in Einklang mit dem, was wir selbst schätzen, leben können. Das ist eine gewaltige Aufgabe, die gleichermaßen große Weichenstellungen und kleine Schritte jedes Einzelnen verlangen.