Konsens und Konflikt: Politik braucht Auseinandersetzung
Zehn Impulse der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD zu aktuellen Herausforderungen der Demokratie in Deutschland, August 2017
2. Konflikt als Normalfall
Demokratien verzichten darauf, eine bestimmte Auffassung des guten Lebens als verbindlich zu erklären. Sie rechnen mit der Vielfalt der Lebensstile und daher auch mit verschiedenen Vorstellungen vom guten Leben. An die Stelle von nicht hinterfragbaren Wahrheitsansprüchen setzen sie den Streit der Meinungen – einen Streit, der durchaus mit Engagement, aber ohne Gewalt, sei es physische oder psychische, zu führen ist. Demokratische Verfahren öffnen einen Raum, in dem dieser Streit ausgetragen werden kann und über Aushandlungsprozesse und Kompromisse zu Entscheidungen führt. Die rechtsstaatliche Ordnung bildet die Regeln für die demokratische Urteilsbildung. Sie ist ein Schutzraum der Freiheit, die es gegen jene zu verteidigen gilt, die sie auszuhebeln versuchen. Derzeit ist es hier von besonderer Bedeutung, denjenigen entgegenzutreten, die unter Berufung auf einen angeblich unmittelbar erfassbaren Volkswillen den Rechtsstaat infrage stellen. Dabei gilt es, das Recht zu verteidigen, die eigene Meinung auch dann zu äußern, wenn sie der Mehrheit widerspricht. In dieses Recht darf nur in nerhalb der engen Grenzen eingegriffen werden, die die Rechtsordnung selbst zieht.
Die Demokratie braucht Auseinandersetzungen um die Grundlagen und die künftige Gestalt des Gemeinwesens.
Die politische Auseinandersetzung ist dort besonders notwendig, wo die Grundlagen und die künftige Gestalt des Gemeinwesens berührt werden. Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen etwa um soziale Gerechtigkeit, um Zuwanderung, um gesellschaftlichen Zusammenhalt, um das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit, um die Gestaltung der Globalisierung oder auch um Ehe, Familie und Lebensformen betreffen die Grund lagen des Gemeinwesens und bedürfen daher der intensiven Diskussion. Solche demokratischen Konflikte können sich allerdings so zuspitzen, dass sie in eine Polarisierung hineinführen, die sich dem Gespräch entzieht, den Korridor des demokratischen Streits verlässt, Personen oder auch ganze Personengruppen diffamiert und in Wut oder gar Gewalt umschlägt. Die Demokratie weiterzuentwickeln und zu stärken bedeutet daher, eine demokratische Streitkultur zu fördern. Dies geschieht, indem zur Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Positionen aufgefordert und gleichzeitig darauf geachtet wird, dass es nicht zu einer Verrohung der Debatte kommt.