Konsens und Konflikt: Politik braucht Auseinandersetzung
Zehn Impulse der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD zu aktuellen Herausforderungen der Demokratie in Deutschland, August 2017
8. Hörbereite Politik
Fasst man die in den vorangegangenen Abschnitten genannten Aspekte zusammen, so ergibt sich ein Koordinatensystem, um das Phänomen des Populismus einordnen zu können: Sozialer Wandel, infrage gestellte Zugehörigkeit und mangelnde ökonomische Teilhabe bieten die Bedingungen für den Aufstieg populistischer Politik.
Populistische Politikmuster betonen die Differenz zwischen den „Eliten“ und dem „eigentlichen Volk“, das sie und nur sie zu vertreten beanspruchen. Sie stehen dem gesellschaftlichen und politischen Pluralismus grundsätzlich kritisch gegenüber. Mit dem Rekurs auf einen vermeintlichen Volkswillen, dem die politische Willensbildung zu folgen habe, nutzen und unterlaufen sie zugleich die komplexen Verfahren der Aushandlung von Kompromissen, der Machtbegrenzung und Gewaltenteilung. Vielfach leben sie vom Ressentiment und schüren dazu dieses Ressentiment und damit den Ausschluss von Fremden oder Minderheiten. Ihr Terrain und ihre Chance sind der politische Raum, den die demokratischen Parteien nicht mehr abdecken. Sie beanspruchen, den Stimmen Gehör zu geben, die in der „etablierten“ Politik nicht mehr gehört werden.
Den Gefährdungen durch populistische Politikmuster kann die Demokratie nur überzeugend entgegentreten, wenn demokratische Politik hörbereiter, »responsiver« gestaltet wird.
Der populistische Impuls kann den politischen Prozess und damit die Demokratie auch stärken: Und zwar insofern, als er die etablierten politischen Kräfte zwingt, ihre eigenen Positionen neu zu schärfen und „responsiver“ zu gestalten, also das Erleben von Beteiligung und Repräsentation zu verstärken. Solche Bestrebungen sind ohne Scheu vor einer intensiveren politischen Auseinandersetzung zu begrüßen. Denn politisch kontroverse Positionen, Parteien oder soziale Gruppierungen aus dem demokratischen Streit auszuschließen, kann durchaus auch im Interesse des Machterhalts derer liegen, die sich für eine solche Grenzziehung einsetzen. Es kann nämlich den eigenen Einfluss stärken, konkurrierenden Standpunkten keine Gelegenheit für die politische Auseinandersetzung zu bieten.
So wie populistische Politikmuster eine Rhetorik von Ausschließungen (der Fremden, der Anderen, der Eliten) verwenden, kann demokratische Politik in der Versuchung stehen, ihrerseits mit Ausgrenzungen zu antworten und populistischen Positionen grundsätzlich die Auseinandersetzung zu verweigern. Diese Strategie ist allerdings kurzsichtig, wird nur erneut den Populismus stärken und auf jeden Fall der Demokratie schaden. Daher geht es einerseits darum, die Menschen für demokratische Politik zurückzugewinnen, die populistische Politikmuster für eine plausible Antwort auf ihre Sorgen und Fragen halten. Und es geht andererseits darum, dem Populismus mit Argumenten für bessere Politiken zu begegnen. Dies wird nur durch ein Mehr an Zuhören, Kommunikation und Begegnung gelingen. Die Sprache dieser politischen Auseinandersetzung muss bei aller Komplexität der Probleme verständlich sein und sie darf Emotionen als Quellen und Mittel des Politischen nicht scheuen. Es gilt, Menschen als politische Akteure ernst zu nehmen und es ihnen zu ermöglichen, am politischen Diskurs teilzunehmen. Das schließt zweifellos mit ein, die notwendigen Freiräume für Beteiligung bereitzustellen.