Konsens und Konflikt: Politik braucht Auseinandersetzung
Zehn Impulse der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD zu aktuellen Herausforderungen der Demokratie in Deutschland, August 2017
6. Demokratie geht alle an
Demokratie lebt von der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Sie geschieht ganz elementar in Wahlen, in der Übernahme politischer Verantwortung sowie im bürgerschaftlichen bzw. zivilgesellschaftlichen Engagement. Wenn sich Bürgerinnen und Bürger der politischen Beteiligung entziehen und nicht an Wahlen teilnehmen, ist die Legitimität demokratischer Entscheidungen grundsätzlich bedroht. Das gilt auch dann, wenn die Bereitschaft, ein politisches Amt und damit gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, in Misskredit gerät. Besonders besorgniserregend wird dies dort, wo parallel zu der abnehmenden Bindekraft der demokratischen Parteien auch das bürgerschaftliche Engagement nur schwach verankert ist und sich von der Polizei über die Feuerwehr bis hin zu den Sanitätsdiensten Misstrauen oder gar Gewalt gegen alle richtet, die als Vertreterinnen und Vertreter des Staates und der öffentlichen Versorgung gelten.
Demokratie ist angewiesen auf umfassende Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Beteiligung wird gefördert durch intensiven politischen Wettstreit und erkennbare programmatische Profile.
Es spricht einiges dafür, dass das Misstrauen gegenüber der Demokratie durch den Verweis auf Sachzwänge, die Fokussierung auf einen scheinbar zwangsläufig zu erlangenden Konsens und durch das Misstrauen gegenüber Konflikten selbst erzeugt oder zumindest verstärkt worden ist. Je pluraler eine Gesellschaft wird, umso größer ist die Gefahr, dass sich ein Konsens nur noch erreichen lässt, indem abweichende Auffassungen und Positionen aus der Debatte ausgeschlossen werden. Dies wiederum bildet den Nährboden, auf dem die Diskreditierung der Politik als ein Geschäft von Eliten gedeiht, die ausblenden, was ihrer Auffassung nicht entspricht. Vor diesem Hintergrund ist die seit einiger Zeit zu beobachtende verstärkte Profilierung politischer Positionen zu begrüßen. Denn sie führt zu einer Repolitisierung, zur Intensivierung des demokratischen Wettstreits und mittelfristig wohl auch zu einer höheren Beteiligung. Diese Entwicklung gilt es zu fördern. Dazu ist es wichtig, die Kontroverse nicht den politischen Rändern zu überlassen, sondern umgekehrt die verstärkte Auseinandersetzung auch mit diesen Positionen zu suchen. Die demokratischen Parteien stehen in der Pflicht, wo immer möglich den Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern zu suchen, programmatische Alternativen anzubieten und Menschen wieder verstärkt in die Entscheidungsfindungen einzubeziehen. Das ist auch in ihrem eigenen Interesse, denn mit der gestiegenen Beteiligung wird wahrscheinlich auch das Vertrauen in die Parteien wieder steigen.
Voraussetzung für einen derartigen demokratischen Prozess ist es, die politische Bildung zu intensivieren. Eine unverzichtbare Aufgabe kommt dabei den öffentlich-rechtlichen Medien zu. Sie können und müssen Informationen bereitstellen, die die avisierten Zielgruppen auch wirklich erreichen können. Freilich steht ergänzend dazu auch das Gemeinwesen in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Einzelnen über genügend materielle und immaterielle Mittel verfügen, um Angebote politischer Bildung annehmen zu können. Umgekehrt kann von den Bürgerinnen und Bürgern erwartet werden, diese Angebote auch tatsächlich anzunehmen. Dennoch: Der Appell an die Wahrnehmung von Bildungsangeboten darf die Zugangshürden zur politischen Meinungsbildung nicht zu hoch setzen. Demokratie ist eine Staatsform nicht nur für Gebildete.