Es ist normal, verschieden zu sein
Inklusion leben in Kirche und Gesellschaft. Eine Orientierungshilfe des Rates der EKD, Januar 2015
Schlusswort: Letztes und Vorletztes unterscheiden
Eine wichtige Orientierung auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft gibt die Unterscheidung von Letztem und Vorletztem, die Unterscheidung des verantwortlich Machbaren und der Vision, die dem Machbaren Richtung gibt. Sie hilft uns, jetzt das Rechte zu tun und zu wagen und zugleich den größeren Horizont des Reiches Gottes als Perspektive christlicher Hoffnung zu bekennen. Die verschiedenen Handlungsfelder der Inklusion haben gezeigt, dass Inklusion ein Prozess ist, der Zeit braucht. Zwischenschritte sind einzuplanen, um den Inklusionsanspruch umzusetzen.
Die Differenz von Letztem und Vorletztem befreit Christinnen und Christen, mit den Widersprüchlichkeiten des kirchlichen und gesellschaftlichen Alltags umzugehen. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft oft eine große Lücke. Damit werden wir an die Rechtfertigungsbotschaft erinnert: Wir sind Sünder und Gerechte zugleich. Auch die Inklusionsdebatte findet in dieser Perspektive statt.
Jede Ethik steht demnach unter dem eschatologischen Vorbehalt. Die kritisch-konstruktive Funktion dieses Vorbehalts besteht darin, die für den Glauben so wichtige Unterscheidung von Gott und Mensch für alle Lebensvollzüge festzuhalten. Sie öffnet den Blick für den ethischen Komparativ. Das verhindert eine ideologische Verabsolutierung des Inklusionsanspruchs.
Widerstände und die Begrenztheit von Inklusion können wahrgenommen und bearbeitet werden - ohne gleichzeitig von der Vision einer inklusiven Gesellschaft abzulassen.
Das entbindet nicht von der dringlichen Einleitung des notwendigen Paradigmenwechsels. Die Realisierung gleichberechtigter Teilhabe aller Menschen und insbesondere von Menschen mit Behinderungen duldet keinen Aufschub. Dabei hat das Umdenken schon begonnen. Es bietet Chancen für eine höhere Lebensqualität aller. Denn die Wahrnehmung und Berücksichtigung gesellschaftlicher Vielfalt fördert das Zusammenleben von sehr verschiedenen Menschen.
Inklusion ist nicht ein weiteres Thema, das sich auf die ohnehin schon volle Agenda drängt. Es geht um das Kirche-Sein der Kirche, es geht um eine Gesellschaft, die Partnerschaft und Gemeinschaft auf Augenhöhe verwirklicht. Gehören alle dazu, die in einer Gemeinde und einem Wohnviertel wohnen? Ist Vielfalt ein Schatz, der gehoben werden soll? Sind in der Kirche und im Sozialraum unterschiedliche Menschen miteinander verbunden und füreinander da? Können Barrieren in der Stadt und in den Köpfen abgebaut werden? Begegnen Menschen einander gleichberechtigt? Ist jeder und jede willkommen?
So viele Fragen! Die Orientierungshilfe möchte ermutigen, Antworten zu suchen und sich auf den Weg zu machen. Erstaunliche Entdeckungen sind hier nicht ausgeschlossen. Mit dem Thema Inklusion werden ja nicht nur Lebenslagen und Teilhaberechte von Menschen mit Behinderungen neu wahrgenommen. Vielmehr geht es im erweiterten Inklusionsbegriff ganz grundsätzlich um die Wertschätzung von Vielfalt, die ermöglicht, dass Menschen gut vernetzt zusammen leben, lernen, arbeiten und wohnen. Menschen sind unterschiedlich, haben verschiedene Bedürfnisse, Kompetenzen und Ressourcen. Dies gilt es, in Kirche und Gesellschaft zur Geltung zu bringen und so Inklusion zu leben.