Sterben hat seine Zeit
2. Sachstand
Am 13. September 2004 präsentierte die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ der Öffentlichkeit einen Zwischenbericht: „Patientenverfügungen“, der auch Vorschläge für die gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen enthält.
Anfang November 2004 legte das Bundesjustizministerium (BMJ) einen Entwurf für ein „3. Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts“ vor, der Regelungen zu Patientenverfügungen enthält. Der Entwurf basierte auf den Empfehlungen einer von der Bundesjustizministerin eingesetzten Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“, die unter Leitung des ehemaligen Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof, Klaus Kutzer, am 10. Juni 2004 einen Abschlussbericht vorgelegt hat. Auch wenn der Entwurf des BMJ Ende Februar 2005 zurückgezogen wurde, ist damit zu rechnen, dass seine Inhalte in den anstehenden parlamentarischen Beratungen eine Rolle spielen werden.
Beide Vorlagen setzen sich für eine rechtliche Stärkung der Patientenverfügung ein und unterstützen deren Verbindlichkeit, geben Vorschläge für die praktische Handhabung (Aufklärung, Aktualisierung, Hinterlegung, Widerruf) und empfehlen zusätzlich die Ausstellung einer Vorsorgevollmacht bzw. Betreuungsverfügung. Eine Änderung der strafrechtlichen Regelungen zur Tötung auf Verlangen bzw. zur aktiven Sterbehilfe wird von beiden Entwürfen abgelehnt.
Umstritten sind in den Entwürfen insbesondere die Schriftform einer Patientenverfügung, die Reichweite von Patientenverfügungen, mit denen auf lebenserhaltende Maßnahmen verzichtet wird, die Einbeziehung eines Konsils (5), Unterschiede bei der Beteiligung des Vormundschaftsgerichts bei Entscheidungen des Betreuers und Bevollmächtigten:
2.1 Formvorschriften
Der Gesetzentwurf des BMJ sieht keine Formvorschriften vor. Die Enquete-Kommission fordert die Schriftform als Voraussetzung für die Gültigkeit einer Patientenverfügung.
2.2 Reichweite
Der Gesetzentwurf sieht keine Begrenzung der Reichweite einer Patientenverfügung vor, d.h. er möchte sie auch für Erkrankungen anwenden, die noch keinen tödlichen Verlauf genommen haben. Er begründet dies mit dem verfassungsmäßig garantierten Recht auf Selbstbestimmung. Die Enquete-Kommission fordert eine Reichweitenbegrenzung von Patientenverfügungen, bei denen auf lebenserhaltende medizinische Maßnahmen verzichtet wird, auf tödlich verlaufende Erkrankungen, d.h. Erkrankungen, bei denen der Tod trotz medizinischer Behandlung nach ärztlicher Erkenntnis eintreten wird.
2.3 Einbeziehung eines Konsils
Die Enquete-Kommission schlägt vor, zu regeln, dass der Betreuer und Bevollmächtigte vor einer Entscheidung, die den Tod des Patienten zur Folge hat, die Beratung durch ein Konsil einzuholen hat, dem außer dem Arzt und Betreuer bzw. Bevollmächtigtem ein Vertreter der Pflege und eine andere, dem Patienten nahe stehende Person angehören sollen.
2.4 Stellung des Bevollmächtigten bzw. Betreuers und Einbeziehung des Vormundschaftsgerichts
Nach dem Gesetzentwurf entfällt die vormundschaftliche Kontrolle, wenn der Betreuer zu dem Ergebnis kommt, dass die Patientenverfügung bereits eine Entscheidung des Patienten enthält, die auf die konkrete Situation angewendet werden kann. In diesen Fällen setzt nach dem Gesetzentwurf der Betreuer nur die bereits getroffene Entscheidung des Patienten um, die nach dem Gesetzentwurf keiner gerichtlichen Kontrolle bedarf. Liegt keine Patientenverfügung vor oder ist diese nicht konkret genug auf die vorliegende Behandlungssituation anwendbar oder will der Betreuer den mutmaßlichen Willen des Betreuten umsetzen, bedarf seine Entscheidung, mit der ärztlich gebotene lebenserhaltende Therapiemaßnahmen abgelehnt werden, der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Dies gilt nicht, wenn sich der Betreuer mit dem behandelnden Arzt einig ist, dass die Ablehnung der Behandlung dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. Sieht der Betreuer sich nicht in der Lage, der Patientenverfügung zu folgen, muss gerichtlicherseits ein Ersatzbetreuer bestellt werden. Die Entscheidung eines vom Betroffenen selbst bestimmten Bevollmächtigten bedarf keiner gerichtlichen Genehmigung. Zur Missbrauchskontrolle soll es für Dritte jederzeit möglich sein, das Vormundschaftsgericht sowohl bei Entscheidungen des Betreuers als auch des Bevollmächtigten anzurufen.
Die Enquete-Kommission fordert dagegen für alle Entscheidungen, mit denen eine medizinisch indizierte lebenserhaltende Behandlung abgebrochen oder unterlassen werden soll, eine verpflichtende Einbeziehung des Vormundschaftsgerichts.
Fußnoten:
(5) Der Begriff bezeichnet hier weder die Heranziehung eines ärztlichen Fachkollegen noch eines klinischen Ethikkomitees, sondern, wie in Ziffer 2.3 beschrieben, ein Beratungsgremium.