Schritte auf dem Weg des Friedens

Vorwort

Die Überwindung der Ost-West-Konfrontation und die damit verbundenen Veränderungen in Europa und weltweit haben auch friedenspolitisch eine neue Situation geschaffen. Jahrzehntelang war die Sicherheitspolitik angesichts der Möglichkeit gegenseitiger Vernichtung von der Frage beherrscht, wie die Konfrontation so geregelt und ausgetragen werden kann, daß es nicht zum Einsatz des militärischen Gewaltpotentials kommt. Die nukleare Gefahr ist keineswegs gebannt. Auch sind unter uns die tiefgreifenden Unterschiede in der ethischen und politischen Beurteilung einer Abschreckung mit nuklearen Waffen keineswegs ausgeräumt. Aber die nukleare Gefahr ist in den Hintergrund getreten. Im Vordergrund stehen jetzt regionale Konflikte, die zu neuer Beunruhigung über die Zukunft des Friedens in der Welt Anlaß geben.

Das entsetzliche Leid ungezählter Menschen im ehemaligen Jugoslawien, in einigen Nachfolgestaaten der Sowjetunion, in Somalia, in Kambodscha und an vielen anderen Orten der Erde macht die Frage unausweichlich, was die Völkergemeinschaft unternehmen kann, um fortwährenden Friedensbrüchen und schweren Menschenrechtsverletzungen Einhalt zu gebieten. Darüber ist in Kirche und Gesellschaft eine neue, teilweise heftige Diskussion im Gange. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat seine Kammer für Öffentliche Verantwortung vor einem Jahr gebeten, sich des Themas anzunehmen und die Frage zu bearbeiten: "Was hat die evangelische Kirche an ethischer Orientierung beizutragen zur Aufgabe der internationalen Staaten- und Rechtsgemeinschaft, unter den gewandelten weltpolitischen Verhältnissen politischen Frieden zu bewahren, wiederherzustellen und zu fördern?"

Für diesen Auftrag gab es noch einen zweiten, innerkirchlichen Grund. In der (westlichen) Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und im Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) sind in den 70er und 80er Jahren unterschiedliche und zum Teil gegensätzliche friedensethische Positionsbestimmungen vorgenommen worden. Zum Zusammenwachsen der Kirchen gehört es, angesichts der tiefgreifend veränderten friedenspolitischen Situation nach einem neuen friedensethischen Konsens zu suchen.

Der Rat ist der Kammer für Öffentliche Verantwortung dankbar, daß sie den Auftrag zügig ausgeführt und das Ergebnis noch 1993 vorgelegt hat. Er hat die Ausarbeitung auf seiner Sitzung am 17. Dezember 1993 eingehend beraten und sich zu eigen gemacht. Er veröffentlicht sie als Beitrag des Rates zur gegenwärtigen friedenspolitischen und friedensethischen Diskussion.

In der vorliegenden Veröffentlichung ist neben dem von der Kammer für Öffentliche Verantwortung vorbereiteten Beitrag die Kundgebung zur Friedensverantwortung abgedruckt, die die Synode am 11. November 1993 verabschiedet hat. Ausarbeitungen, die in einem Kreis von Fachleuten in einem längeren, mehrstufigen Beratungsprozeß entstehen, und Beschlüsse, zu deren Verabschiedung der Synode nur ein kurzer Zeitraum zur Verfügung steht, haben einen unterschiedlichen Charakter. Die Bedeutung der beiden hier wiedergegebenen Texte liegt aber darin, daß sich Synode und Rat als die maßgeblichen Leitungsorgane der Evangelischen Kirche in Deutschland in den wesentlichen Punkten übereinstimmend äußern und sich darin ein neuer friedensethischer Konsens abzeichnet. Drei Punkte sind für diesen Konsens kennzeichnend:

  1. Die Bewahrung, Wiederherstellung und Förderung des Friedens muß nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation konsequent als eine Aufgabe der Völkergemeinschaft beschrieben und auf eine internationale Ordnung des Friedens unter der Herrschaft des Rechts bezogen werden.
  2. Vorrang bei der Erfüllung dieser Aufgabe haben Wege und Mittel, die auf den Einsatz von Gewalt und die Ausübung von Zwang so weit wie möglich verzichten. Darum ist es vordringlich, die Leistungsfähigkeit nicht-militärischer Instrumente zur Bewältigung von Konflikten und zur Sicherung des Friedens zu prüfen und politisch zu nutzen und diese Instrumente zugleich weiterzuentwickeln und zu stärken.
  3. Der Einsatz militärischer Gewalt zur Wahrung des Friedens und zur Durchsetzung des Rechts stellt eine äußerste Erwägung und Maßnahme (ultima ratio) dar. Es muß darüber gewacht werden, daß der Grenzfall wirklich Grenzfall bleibt.

Die Jahreslosung für 1994 lautet: "Christus ist unser Friede" (Epheser 2, 14). Das endgültige "Reich des Friedens" ist keine menschliche und geschichtliche Möglichkeit, sondern allein Gottes Werk. Friede auf der Welt bleibt immer bedrohter Friede. Aber es kann eine Welt mit mehr Frieden geben, als wir heute haben. Dafür friedenspolitisch einzutreten, d.h. politisch gegen die vielfältigen Konflikt- und Kriegsursachen anzugehen - das ist eine realistische Perspektive und allgemeine Verpflichtung.

Hannover, den 6. Januar 1994

Landesbischof Dr. Klaus Engelhardt
Vorsitzender des Rates der
Evangelischen Kirche in Deutschland


Vorwort zur 2. Auflage

Innerhalb weniger Wochen ist eine 2. Auflage notwendig geworden. Auch daran läßt sich ablesen, daß in der evangelischen Kirche intensiv nach friedensethischen Klärungen gesucht wird. Die 2. Auflage dieses Heftes ist in Anhang B um einige kurze Texte zur Einführung in den Beitrag des Rates "Schritte auf dem Weg des Friedens" erweitert. Sie akzentuieren je auf ihre Weise Inhalt und Absicht der Ausarbeitung und sind vermutlich für eine schnelle und kurze Information willkommen.

Hannover, im März 1994

Dr. Hermann Barth
Vizepräsident des Kirchenamtes der
Evangelischen Kirche in Deutschland

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