Handwerk als Chance
5. Zukunftsperspektiven für das Handwerk
(169) Wie ist den geschilderten Problemen und Herausforderungen zu begegnen? Was sind die grundlegenden Weichenstellungen, die auch von besonderer sozialethischer Relevanz sind? Was muß getan werden, damit das Handwerk zu einer Chance für die Gesellschaft werden kann und nicht in seinen Möglichkeiten beschnitten wird? Welche Haltung nimmt in diesen kontroversen Fragen die evangelische Kirche ein?
5.1 Stärken und Chancen nutzen
(170) Handwerkliche und mittelständische Betriebe haben, so wurde gezeigt, besondere Chancen zu einem humanen, gemeinwohlorientieren und nachhaltigen Wirtschaften im überschaubaren Raum, Chancen, die sie oft zu wenig sehen, geschweige denn ausreichend nutzen. Das Handwerk muß lernen und bereit sein, sich konsequent auf die eigenen Stärken zu besinnen. Dazu zählen u.a.: das Eingehen auf individuelle Kundenwünsche, die Zuwendung zu dem kulturell Wertvollen und Schönen, die Nutzung der Vorteile der Ganzheitlichkeit, das Erbringen echter Dienstleistungen für die Kunden, die Nutzung der Individualität und Nähe der Menschen in der Betriebsstruktur, um nur einige zu nennen. Im folgenden sollen einige Beispiele genannt werden, die deutlich machen, wie Stärken des Handwerks genutzt werden können.
5.1.1 Kooperation im Handwerk stärken
(171) Es muß künftig verstärkt darum gehen, die innere Organisation und Kultur der Zusammenarbeit im Bereich handwerklicher Betriebe weiterzuentwickeln, vom vorherrschenden patriarchalischen Führungsstil zu einer partnerschaftlichen Kooperation zu gelangen und Sinnfindung im handwerklichen Tun nicht nur zu erhalten, sondern nachhaltig auszubauen. Damit werden direkt auch betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten angesprochen, denn gerade im Handwerk entscheidet der einzelne Mensch über den Erfolg. Er fühlt sich nicht allein durch den Lohn motiviert, sondern durch attraktive Arbeitsbedingungen und die Möglichkeit zur Sinnerfahrung am Arbeitsplatz. Aus diesem Grund wird der Betrieb, der im weitesten Sinne kooperative Arbeitsformen bietet, gute Mitarbeiter er- und behalten. Erfolg und wirtschaftliche Gestaltung werden künftig verstärkt vor allem durch Bewußtseinsgestaltung geprägt, mehr noch als durch Maßnahmen der Rationalisierung.
(172) Nur dort, wo eine hohe Motivation und Selbstorganisation bei den Beschäftigten im Handwerk wirksam ist, kommt es zu einer entsprechenden Identifikation mit dem Betrieb. Das heißt, die vom Unternehmen verfolgten Ziele sind dann für jeden Mitarbeiter in hohem Maße wichtig und vermitteln ihm eine befriedigende Sinngebung. Durch Beteiligung der Mitarbeiter, durch Selbstmotivation und Engagement kann mehr und neue Energie für mehr Produktivität erreicht werden. Werte, Motivation und Sinnerfahrung sind die Kraft, die hinter dem Erfolg eines guten Unternehmens steckt, nämlich die soziale und persönliche Energie, die durch Freude, Gemeinschaftsgefühl und geistig anregende Atmosphäre wächst.
(173) Diese Anforderung an Gemeinsamkeit und Zusammenarbeit stellt das Handwerk vor große Herausforderungen. Dies erfordert in allererster Linie Information, Bildung und Beratung. Bislang haben sich die Handwerksorganisationen intensiv mit betriebswirtschaftlicher Aus- und Fortbildung sowie betriebswirtschaftlicher Beratung ihrer Mitglieder befaßt. Künftig werden sie sich ebenso intensiv der Schulung derartiger Fragen der Zusammenarbeit und der Führung sowie der Beratung in allen Bereichen der Personal- und Organisationsentwicklung widmen müssen. Es darf nicht nur um die Qualitätssicherung der Produkte und Dienstleistungen gehen, sondern es muß ein ganzheitliches Qualitätsmanagement verwirklicht werden, das über neue Formen der Führung und der Zusammenarbeit die Qualität und den betriebswirtschaftlichen Erfolg sichert.
(174) Vorhandene Kooperationsformen gilt es weiter auszubauen und durch neue zu ergänzen, wie z.B. zur Durchführung technischer oder organisatorischer Entwicklungs- und Forschungsvorhaben, zur Durchführung von technischen Neuentwicklungen bis hin zum Bau von Prototypen und Hilfen bei der Markterschließung, Entwicklung von Datenbanken, Übernahme technischer Prüf- und Beratungsaufgaben, Entwicklung von betrieblichen Diensten zur kooperativen Nutzung komplexer Techniken usw. Bei diesen neuen Kooperationsformen sind vor allem die Selbstverwaltungsorganisationen des Handwerks gefordert, Hilfestellungen zu leisten. Es geht dabei nicht nur um die innerbetriebliche Kooperation und um die Kooperation innerhalb des Handwerks, sondern auch um das Zusammenwirken mit der Industrie und anderen Wirtschaftsbereichen.
(175) Förderung von Kooperation im Handwerk heißt auch Förderung von echter Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie Förderung von Mitbestimmung und Arbeitnehmermitwirkung. Gerade hier hat der Gesetzgeber mit der Reform der Handwerksordnung 1994 Möglichkeiten geschaffen, die genutzt werden müssen.
(176) Handwerkliche Betriebe haben aufgrund ihrer Flexibilität und Anpassungsfähigkeit die Möglichkeit, den gegenwärtigen Entwicklungen und Herausforderungen mit innovativen Konzepten zu begegnen. Dabei können Kooperationen eine wichtige Rolle spielen, z.B. Kooperationen mit der Industrie, um zukunftsträchtige Produkte zu entwickeln, Kooperationen mit anderen Handwerksbetrieben, um Großaufträge übernehmen zu können oder eine Kostendegression in der Fertigung (z.B. bei der Maschinenauslastung) oder beim Einkauf zu erzielen. So ist in den vergangenen Jahren die Bedeutung des Handwerks als Zulieferer für die Industrie laufend gestiegen. Mit moderner Technik und perfekter Organisation übernehmen Handwerksbetriebe aber nicht nur Zulieferleistungen, sie werden auch zu Mitunternehmen im integrierten Fertigungsprozeß. Betriebe wie Werkzeugmacher, Maschinenbauer oder Modellbauer sind Beispiele dafür. Die Zusammenarbeit zwischen Handwerk und Industrie muß auf fairer Basis für beide Seiten erfolgen. Es muß sichergestellt sein, daß Abhängigkeiten nicht in unzulässiger Weise ausgenutzt werden.
(177) Bei der steigenden Vielfalt und Komplexität der Anforderungen, die heute auch an den Klein- und Mittelbetrieb gestellt werden, sind die kleineren und mittleren Betriebe auf Unterstützung von außen angewiesen. In zunehmendem Maße werden deshalb Dienstleistungen ausgegliedert und an Dritte vergeben, z.B. Buchführung, Inkasso und anderes. Steigende Bedeutung kommt aber vor allem organisationseigenen Beratungsdiensten zu. So unterhalten Handwerkskammern und Fachverbände betriebswirtschaftliche und technische Betriebsberatungsstellen. Bei vielen Handwerkskammern gibt es darüber hinaus spezielle Stellen zur EU- und Exportberatung, zur EDV-Beratung, zum Technologie-Transfer und zu Umweltfragen. Die Betriebe können diese Beratung kostenlos in Anspruch nehmen. Daneben gibt es organisationseigene Fördereinrichtungen, die gegen Entgelt bestimmte Spezialberatungen und -aufgaben übernehmen.
(178) Eine wichtige Aufgabe, der sich vor allem die Handwerksorganisation stellen muß, ist ein verbesserter Dialog Handwerk - Wissenschaft und Handwerk - Industrie. Die Organisationen müssen sich darum bemühen, das Handwerk mehr in Kontakt mit Fachleuten aus der Wissenschaft und der Industrie zu bringen und in den Betrieben das Interesse dafür zu wecken.
5.1.2 Kundenorientierung und Kundennähe verbessern
(179) Das Handwerk ist nahe beim Menschen und seinen physischen, psychischen, kulturellen und praktischen Bedürfnissen. Es kann diese Bedürfnisse neu entdecken und in Produktions- und Dienstleistungsstrategien umsetzen. Handwerkliche Betriebe haben gute Möglichkeiten, konsumnah und kundennah ihre Präsenz auf den Märkten durch neue Vertriebsformen zu erhöhen. Wichtig ist es für die Betriebe, daß sie auf eine veränderte Nachfragesituation frühzeitig reagieren können. Dazu bedarf es keiner aufwendigen Marktanalysen. Zumeist genügt es, den Kunden als Informationsquelle anzusehen und auf ihn einzugehen. Zugleich kann dabei auch auf ihn eingewirkt werden und ein Bewußtsein für die besonderen Möglichkeiten des Handwerks wie Service, Beratung, Flexibilität und Qualität geschaffen werden. Auf Kundenwünsche und Bedarf eingehen bedeutet, das Produkt- und Dienstleistungsangebot bedarfsgerecht zu gestalten. Im Mittelpunkt muß die kundenorientierte Qualitätssicherung stehen. Kriterien dafür sind z.B.: qualitativ hochwertige Leistung, korrekter Kostenvoranschlag und Abrechnung, Einhaltung der Zeitvorgaben, Zuverlässigkeit usw. Die Handwerksbetriebe müssen erkennen, daß ihre Stärke allein im Qualitätswettbewerb liegt.
(180) Wenn es darum geht, sich am Kunden als dem "König" zu orientieren, dann sollte der Kunde auch ethische Gesichtspunkte in sein Kaufverhalten integrieren können, d.h. er sollte sich beispielsweise auch umweltbewußt gegen umweltbelastende Angebote und für umweltgerechtere Alternativen entscheiden können. Ethisch begründete Kaufentscheidungen allerdings setzen insbesondere relevante Informationen über die angebotenen Waren und Dienstleistungen voraus. Die Information der Kunden zu erhöhen, ist deshalb von großer Wichtigkeit.
5.1.3 Attraktivität erhöhen
(181) Die Arbeitsplätze in den handwerklichen Betrieben müssen - gemäß den günstigen Möglichkeiten des Handwerks - attraktiver gestaltet werden, wenn der Fachkräftebedarf gesichert werden soll. Dazu ist es notwendig, den Mitarbeitern mehr Qualifikations- und Aufstiegschancen zu eröffnen und entsprechende finanzielle Anreize zu bieten. Die Vorteile einer Arbeit im Handwerk wie Vielseitigkeit, Kreativität, überschaubare Strukturen, vergleichsweise sichere Arbeitsplätze müssen besser herausgestellt und vermittelt werden.
(182) Eine breit angelegte Nachwuchswerbung ist im Handwerk das Gebot der Stunde. Voraussetzung dafür ist die Sicherung bzw. Steigerung der Qualität der Ausbildung im Handwerk ebenso wie die Bewahrung und Schaffung menschengerechter, den Werthaltungen der Jugend entsprechender Arbeitsformen und Arbeitsbedingungen. Es ist dabei generell davon auszugehen, daß die Anforderungen der Mitarbeiter an die Gestaltung der Arbeitsbedingungen gestiegen sind. Das Handwerk muß mehr denn je seine Vorzüge bewußt herausstellen, systematisch pflegen und weiter ausbauen. Nach wie vor sind vielen Jugendlichen die Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten im Handwerk nicht bewußt oder sie werden von ihnen unterschätzt.
5.1.4 Chancen umweltfreundlicher Produktion und Produktgestaltung nutzen
(183) Durch das wachsende Umweltbewußtsein werden Umweltschutz und Umweltverträglichkeit immer wichtiger. Auf diesem Gebiet spielen die kleineren und mittleren handwerklichen Betriebe eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, daß Energie eingespart wird, Emissionen vermieden werden, daß die installierten Geräte eine längere Lebensdauer erreichen und damit unsere natürlichen Vorräte geschont und der Anfall von Wohlstandsmüll eingeschränkt werden.
(184) Das große Ausmaß der eingetretenen Umweltschäden, das gestiegene Umweltbewußtsein in der Bevölkerung sowie die hohen Sozialkosten für die nachträgliche Reparatur von Umwelt- und Gesundheitsschäden verlangen künftig einen noch viel nachhaltigeren und noch kompromißloseren Umweltschutz - auch vom Handwerk. Ökologie und Ökonomie müssen kein Gegensatz sein. Gerade das Handwerk kann durch umweltschonende Produkte und Umwelttechnologie wirtschaftlichen Erfolg mit dem Beitrag zum Umweltschutz verbinden.
(185) Die kleinen und mittleren Betriebe müssen lernen, das ökonomische Prinzip, nämlich den wirtschaftlichen Umgang mit knappen Mitteln, systematisch auch auf die Umwelt zu übertragen. Zur Produktion gehören nicht nur Kapital und Arbeit, sondern als systematische Produktionsvoraussetzung auch die äußere Umwelt oder Natur. Die Natur ist ein wichtiger Produktionsfaktor, der nicht mehr länger wie in der Vergangenheit zum Nulltarif verbraucht werden kann.
(186) Handwerkliche Betriebe sollten versuchen, Eigeninitiative beim Umweltschutz zu zeigen und durch kluges und innovatives umweltgerechtes Verhalten Standards zu setzen, die es überflüssig machen, belastende Auflagen zu machen. Umweltgütegemeinschaften mit strikten Zertifizierungen und Kontrollen sind beispielsweise Wege, um Umweltschutz in wirtschaftlicher Selbstverwaltung zu verwirklichen und gleichzeitig mit entsprechenden Gütesiegeln wirkungsvolle Marketinginstrumente zu erhalten und einen höheren Absatz zu sichern. Die von den Handwerksorganisationen in den letzten Jahren aufgebauten Umweltzentren sind geeignete Einrichtungen, solche Gütegemeinschaften zu organisieren, Abfallwirtschaft kooperativ zu bewältigen sowie durch Fortbildung, Beratung und Unterstützung bei technischen und organisatorischen Neuentwicklungen Umweltschutz im Handwerk zu realisieren.
5.2 Verbesserungsbedarf aufgreifen, interne Probleme lösen
(187) Das Handwerk weist verschiedentlich gerade in den Bereichen, in denen es besondere Möglichkeiten hat, unverkennbare Schwächen und Defizite auf. Gerade die Überschaubarkeit der handwerklichen Betriebe und die große soziale Nähe müßte auf eine partnerschaftliche Struktur, auf einen hohen Gesundheitsschutz u.a. verweisen. Tatsächlich aber liegen gerade hier häufig Defizite und entsprechend ein deutlicher Verbesserungsbedarf.
5.2.1 Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz verbessern
(188) Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Trotz seiner Besonderheit und Chancen besteht auch künftig im Handwerk ein hoher Bedarf an humaner Gestaltung von Arbeitsplätzen. Selbstausbeutung, Vernachlässigung der gesundheitlichen Fürsorge für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und geringe Beachtung von Schutzbestimmungen sind keine Seltenheit. Bestehende Belastungen müssen abgebaut und Technikeinsatz menschengerecht gestaltet werden. Mehr denn je muß es künftig Ziel des Handwerksunternehmers sein, seine Mitarbeiter so lange und so gesund wie eben möglich im Betrieb zu behalten. Damit werden Sozialkosten und betriebliche Kosten gesenkt und insbesondere auch im starken Maße humane Arbeitsbedingungen, fruchtbares Betriebsklima, hohe Motivation und Identifikation mit dem Betrieb sowie Arbeitszufriedenheit gefördert. Präventiver Arbeits- und Gesundheitsschutz wird deshalb auch für alle Handwerksbetriebe zu einem vernüftigen und wichtigen Anliegen.
(189) Im innerbetrieblichen Bereich gleich welcher Betriebsgröße kommt es vor allem darauf an, die Einsicht in die Notwendigkeit des medizinischen Arbeitsschutzes und seine Akzeptanz zu fördern.
(190) Alle Aktivitäten und Maßnahmen des Arbeitsschutzes - und damit folglich auch die der betrieblichen Arbeitsmedizin - müssen zunächst schwergewichtig darauf gerichtet sein, die Arbeitnehmer vor gesundheitlichen Schäden durch die Arbeit/Arbeitsumwelt zu schützen. Das heißt, daß Unfallschutz, die Verhütung von Berufskrankheiten, die Einhaltung von sogenannten "MAK-Werten" (Grenzwerte der Liste der "medizinisch anerkannten Krankheiten") usw. zunächst Priorität besitzen müssen.
5.2.2 Frauen im Handwerk fördern
(191) Das Handwerk bietet Frauen im Prinzip gute Chancen. Kleinbetriebliche Strukturen, flexible Arbeitsabläufe und wohnungsnahe Arbeitsplätze des Handwerks erleichtern es, berufliche und familiäre Anforderungen miteinander zu vereinbaren. Um verstärkt Frauen eine gleichberechtigte Chance zu bieten und sie als Fach- und Führungskräfte im Handwerk zu gewinnen, wird das Handwerk künftig noch viel deutlicher Vorurteile überwinden und seine Integrationsbemühungen verstärken müssen. Noch immer werden in vielen Handwerkszweigen Männer bevorzugt. Noch immer bestimmen Männer im Handwerk die Bedingungen und sie zeigen wenig Bereitschaft, sich an den gemeinsamen Pflichten in Haushalt und Familie zu beteiligen. Im Handwerk gut ausgebildete Frauen wandern in andere Wirtschaftsbetriebe ab, weil Handwerksunternehmen zusätzliche Kosten, Mutterschaftsurlaub u.a. scheuen. Um die Situation von Frauen und Müttern im Handwerk zu verbessern, müssen kooperative Lösungen gesucht werden, bei denen sich eine größere Zahl von Handwerksbetrieben zu einem Verbund zusammenschließen, um Arbeitsplätze für Mutterschaftszeiten oder Familienphase zu sichern. Es müssen Kinderbetreuungsmöglichkeiten für Mütter und Väter geschaffen werden.
(192) Gestärkt werden muß die Stellung der Meisterfrau, die ursprünglich vielfach einen anderen Beruf erlernt hat, sich nach der Heirat jedoch ins Handwerk hineinfinden muß. Die Meisterfrau, die Tag für Tag den reibungslosen Ablauf im Büro und in der Werkstatt gewährleistet, hat eine zentrale Stellung im Betriebsgeschehen. Dies kennzeichnet die wachsende Bedeutung der Frauen im Handwerk. Bestehende Kurse und Seminare für Meisterfrauen sollten zu einem eigenständigen Aus- oder Fortbildungsberuf weiterentwickelt werden, damit die Frauen auch in ihrem neuen Tätigkeitsfeld einen Beruf erlernen, höhere Sicherheit, Mobilität und Unabhängigkeit erlangen können.
(193) Viele der Meisterfrauen verfügen über keine oder eine für ihre ausgeübte berufliche Tätigkeit nur unzureichende Ausbildung. Angesichts der bestehenden Mehrfachbelastungen durch Haushalt, Familie und Beruf und die gleichzeitig ständig steigenden Qualifikationsanforderungen in Betrieb und Büro ist es Aufgabe der Organisationen der Unternehmerfrauen im Handwerk, aber auch der Handwerksorganisationen, spezifische, auf die Bedürfnisse der Meisterfrauen abgestimmte Aus- und Fortbildungsmaßnahmen zu entwickeln und ständig den sich verändernden Anforderungen anzupassen. Die in weiten Bereichen der Handwerkorganisation hierzu entwickelten Formen der Zusammenarbeit sollten fortgesetzt und intensiviert werden. Wenn der Beruf der Meisterfrau im Handwerk weiterhin attraktiv bleiben soll, muß die Mehrfachbelastung reduziert, müssen Aus- und Fortbildungmöglichkeiten geboten und muß vor allem die soziale Absicherung verbessert werden.
5.2.3 Nachwuchsprobleme lösen
(194) Ein gravierendes Problem des Handwerks ist, wie gezeigt wurde, die Betriebsübergabe. Die hohe Überalterung im Handwerk hat zur Folge, daß in den nächsten Jahren verstärkt Probleme der Betriebsnachfolge eintreten. Hier entsteht die paradoxe Situation, daß das Handwerk mit seinen großen Möglichkeiten und der hohen Arbeitszufriedenheit zu wenig Nachwuchskräfte findet, die bereit sind, Betriebe zu übernehmen. Das Handwerk wird neben einer Intensivierung der Meisterausbildung verstärkt auch junge Akademiker mit einschlägigem Studium sowie aus Industriebetrieben freigesetzte Fach- und Führungskräfte mittleren Alters einbeziehen müssen. Die Lösung der gravierenden Nachfolgeprobleme verlangt darüber hinaus eine Intensivierung der Beratung, Informations- und Fortbildungsmaßnahmen, die den Ehepartner einbeziehen, sowie den systematischen Ausbau von Betriebsnachfolgebörsen und betreuende Dienste, die den gesamten Prozeß der Übergabe und die Zeit danach begleiten.
5.3 Beitrag für Wirtschaft und Gesellschaft ausweiten
(195) Das Handwerk leistet mit Versorgung, Ausbildung, Arbeitsplatzbeschaffung u.v.a.m. einen wichtigen Beitrag für das Gemeinwohl. Es ist eine wichtige Aufgabe, gerade an diesem Punkt die Initiativen zu verstärken.
5.3.1 Arbeitsplätze erhalten und neue schaffen
(196) Die Förderung der Beschäftigung ist ein unverzichtbarer Beitrag für die Gesellschaft und die von Arbeitslosigkeit Betroffenen. Gerade die kleineren und mittleren Betriebe haben besondere Chancen, verantwortungsbereite und unternehmerische junge Menschen in die Selbständigkeit zu führen. Diese Chancen müssen intensiver genutzt werden. Die Möglichkeiten zu Existenzgründungen im Handwerk sollten massiv gefördert werden. Existenzgründer leisten einen entscheidenden Beitrag zur Belebung der örtlichen Wirtschaft und zur laufenden Erneuerung des Handwerks. Die Sicherung bestehender, die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die damit ausgeprägte Funktion des Handwerks als Stabilisator auf dem Arbeitsmarkt werden in starkem Maße durch diese Existenzgründungen gewährleistet. Immer wieder waren es in der jüngsten Vergangenheit handwerkliche Betriebe, die sich vor allem auch für die Integration von Langzeitarbeitslosen bemüht haben und entsprechende staatliche Programme in Anspruch genommen haben.
(197) Es gibt zahlreiche Förderprogramme der Länder für Existenzgründungen im Handwerk, die verstärkt genutzt werden sollten. Auch das Arbeitsförderungsgesetz bietet hier besondere Möglichkeiten: Existenzgründer, die nicht mehr als 5 Mitarbeiter beschäftigt haben, bekommen für ein Jahr Lohnkostenzuschüsse in Höhe von 60 bis 70% des zu zahlenden Lohns, wenn sie bis zu zwei Arbeitslose in ihrem Betrieb beschäftigen. Damit soll gerade in der kritischen Phase von Existenzgründungen den Betriebsleitern Mut gemacht werden und finanzielle Engpässe, die sich gerade in dieser Zeit ergeben, abgemildert werden. (198) Wichtig sind vor allem auch verschiedene Ansätze zum Teilen der vorhandenen Arbeit und der Flexibilisierung der Arbeitszeit. In dem gemeinsamen Wort der Kirchen "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" (1997) heißt es dazu: "Arbeitszeitverringerungen ohne vollen Lohnausgleich können dazu beitragen, neue Arbeitsplätze zu schaffen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen zu erhöhen. Auch mehr Teilzeitarbeitsplätze und der Abbau von Überstunden sind geeignet, die vorhandene Arbeit breiter zu verteilen. Arbeitszeitflexibilisierung, die (bei Wahrung der Interessenlage von Arbeitgebern und Arbeitnehmern und der familiären Erfordernisse der Arbeitnehmer) sowohl kürzere als auch längere Arbeitszeiten ermöglicht, kann ebenfalls zur Minderung der Arbeitslosigkeit beitragen."
5.3.2 Investitionen in Bildung
(199) Die Evangelische Kirche in Deutschland hat 1991 in einer Stellungnahme zum evangelischen Bildungsverständnis festgestellt: "Der beruflichen Bildung muß ein zentraler Platz im Bildungssystem eingeräumt werden. Denn es geht in ihr in besonderer Weise um die Zukunfts- und Vernunftfähigkeit unserer Gesellschaft. Berufliche Bildung kann nicht nur Fachbildung sein, vielmehr kommen in ihr sozial-, berufs- und allgemeinpädagogische Aufgaben zusammen. Die Berufsschule muß - wie die Schule überhaupt - als Ort verstanden werden, in dem junge Menschen nicht nur gesellschaftsfähig, sondern auch lebensfähig werden." (Evangelisches Bildungsverständnis in einer sich wandelnden Arbeitsgesellschaft. Beitrag der Kammer der EKD für Bildung und Erziehung, 1991) Berufliche Bildung ist eine Investition in Zukunft. Sie ermöglicht im umfassenden Sinn Persönlichkeitsbildung, Lebenschancen sowie Chancen am Arbeitsmarkt und hält zu lebenslangem Lernen an. Eine wichtige Rolle hat in diesem Zusammenhang auch der Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen. Auf diesem Hintergrund hat die berufliche Bildung im Handwerk eine wichtige Aufgabe. Der Wert handwerklicher Ausbildung beruht auf den besonderen Ausbildungs- und Arbeitsformen, die das Handwerk auf Grund seiner Geschichte, seiner Marktfelder und Tätigkeitsbereiche und der besonderen, fast ausschließlich aus kleinen und mittleren Betrieben bestehenden Struktur entwickelt hat. Die quantitative und qualitative Ausbildungsleistung der handwerklichen Betriebe kommt der gesamten Volkswirtschaft zugute. Nicht von ungefähr greifen auch andere Wirtschaftsbereiche gerne auf Absolventen einer handwerklichen Ausbildung zurück.
(200) Zwar sind in den letzten Jahren in Bereich Industrie und Handel weiterhin die meisten Ausbildungsverträge abgeschlossen worden, doch reduzierte sich der Anteil bezogen auf das gesamte Bundesgebiet. Demgegenüber stieg der Anteil des Handwerks deutlich an. In den alten Ländern wurden nur im Handwerk mehr Lehrverträge abgeschlossen. In allen anderen Ausbildungsbereichen kam es zu Rückgängen. 1995 ist die Zahl der neuabgeschlossenen Ausbildungsverträge im Handwerk nochmals gestiegen.
(201) In diesem Zusammenhang kommt vor allem einer ausreichenden Bereitstellung von Lehrstellen zentrale Bedeutung zu. Zwar konnte die "Lehrstellennot" der 70er Jahre nicht zuletzt durch den Beitrag der handwerklichen Betriebe überwunden werden, gleichwohl fehlt heute wieder eine große Zahl von Lehrstellen. Hier sind nicht nur das Handwerk, sondern alle Ausbildungsbereiche gefordert, in der Ausbildungsbereitschaft nicht nachzulassen und zusätzliche Lehrstellen zur Verfügung zu stellen.
(202) Das Handwerk kann und soll dafür Sorge tragen, die einzelnen Jugendlichen entsprechend ihrer Vorbildung und ihren Fähigkeiten bestmöglich zu fordern und damit zu fördern. Es sollte möglich sein, daß kein Jugendlicher ohne Ausbildungsabschluß ins Erwerbsleben entlassen wird und damit langfristig in den Teufelskreis der Langzeitarbeitslosigkeit geraten muß. Es sollte deshalb verstärkt das Angebot "ausbildungsbegleitender Hilfen" ausgebaut werden, um Lehrlingen, die aufgrund schulischer Defizite (z.B. Hauptschüler ohne Abschluß, Sonderschüler, Lernbehinderte) oder sozialer Schwierigkeiten ins Abseits zu geraten drohen, den Weg ins berufliche Leben zu eröffnen.
5.3.3 Ausländer integrieren und fördern
(203) Die Fachkräftelücke ist im Handwerk nicht allein mit deutschen Nachwuchskräften zu schließen. Es liegt uneingeschränkt im Interesse der handwerklichen Betriebe, in Deutschland lebende ausländische Mitbürger zu integrieren. Vor allem die Integration junger Ausländer ist in den letzten Jahren im Handwerk deutlich vorangekommen. Viele ausländische Jugendliche, die schon lange in Deutschland leben oder gar hier geboren sind, werden eine volle Berufsausbildung im Handwerk absolvieren können. Darüber hinaus gibt es aber auch eine größere Zahl von jungen Ausländern, die einer spezifischen Förderung bedürfen. Deshalb sind mehr als bisher Förderungsmaßnahmen für jugendliche Ausländer einzurichten. Dazu gehören Sprachkurse, der Einsatz ausbildungsbegleitender Hilfen, spezielle Fördermaßnahmen in den überbetrieblichen Ausbildungsstätten des Handwerks und differenzierte Ausbildungskonzepte.
5.3.4 Einen Beitrag im Rahmen internationaler Hilfen leisten
(204) Das Handwerk ist in besonderer Weise prädestiniert, beim Aufbau mittelständischer Strukturen in den Ländern des ehemaligen Ostblocks und in den Ländern der Dritten Welt mitzuwirken. Mit der Abkehr von planwirtschaftlichen Modellen der ökonomischen Steuerung und der Hinwendung zur Marktwirtschaft kommt es darauf an, private Wirtschaftsinitiative zu fördern und staatliche sowie administrative Hemmnisse abzubauen.
(205) Das deutsche Handwerk hat mit der Unterstützung des Aufbaus mittelständischer Strukturen in den Ländern des ehemaligen Ostblocks eine wichtige Rolle bei der Bewältigung der schwierigen Reformprozesse übernommen. In Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und dem Bundesministerium für Wirtschaft geht es dem Handwerk um den Aufbau neuer wirtschaftlicher Ordnungssysteme vor allem um die Gewährleistung mittelstandsfreundlicher Rahmenbedingungen, die Privatisierung von Unternehmen und Leistungen und den Aus- und Aufbau von Selbstverwaltungseinrichtungen der Wirtschaft (Kammern und Verbände). Ein deutlicher Schwerpunkt liegt hier in Polen. 23 Partnerschaften binden 12 der 26 polnischen Handwerkskammern sowie den Verband des polnischen Handwerks ein. Dazu kommen 18 Partnerschaften in Ungarn, 8 in der Tschechischen Republik, 6 in Rußland, 3 in Bulgarien, je 2 in Rumänien und dem Baltikum sowie je eine in der Slowakischen Republik und in Slowenien. Die inhaltlichen Schwerpunkte bei diesen Partnerschaften liegen auf drei eng miteinander verzahnten Aufgabenfeldern, nämlich Berufsbildung, Gewerbeförderung und Auf- und Ausbau der wirtschaftlichen Selbstverwaltung.
(206) In der Berufsbildung bieten die deutschen Handwerksorganisationen Qualifizierungsmaßnahmen für Fach- und Führungskräfte sowie für Multiplikatoren an. Sie helfen aber auch beim Aufbau von Bildungsstätten, bei der Entwicklung von Lehr- und Lernmaterialien und Ausbildungsplänen sowie bei der Organisation von Prüfungen. Die Gewerbeförderung konzentriert sich im wesentlichen auf Betriebs- und Existenzgründungsberatung sowie Messeförderung. Sie dient auch der Stärkung der Institutionen, denn keine Kammer, kein Verband ist ohne leistungsfähige Gewerbeförderung für die Mitgliedsunternehmen attraktiv. Die Stärkung mittelständischer Selbstverwaltungsstrukturen und ihre Befähigung zum Politikdialog mit den verantwortlichen Stellen wird im engen Zusammenwirken mit politischen Stiftungen gefördert.
(207) Trotz des wachsenden Engagements des deutschen Handwerks in den mittel- und osteuropäischen Ländern wird der Einsatz in den klassischen Entwicklungsländern nicht vernachlässigt. Es bestehen acht Partnerschaften in Asien und jeweils sechs in Afrika und in Mittel- und Südamerika mit den gleichen inhaltlichen Schwerpunkten wie in Osteuropa. Darüber hinaus spielt das Handwerk im Rahmen zahlreicher privater und gemeinnütziger, auch kirchlicher Entwicklungshilfeprojekte eine wichtige Rolle. Hier liegt das Schwergewicht auf der beruflichen Qualifizierung, auf Existenzgründung und Existenzsicherung.
(208) Bei vielen Entwicklungsländern nimmt aufgrund schlechter Erfahrungen die Einsicht zu, daß eine Mittelstandspolitik, die auf Handwerk und Kleinunternehmen setzt, bessere Ansätze für eine eigenständige, erfolgreiche und sozialverträgliche Wirtschaftsentwicklung bietet als eine Industriepolitik, die kapitalintensive Großprojekte fördert. Insoweit dürfte dem Handwerk für die Entwicklungshilfe in der Dritten Welt künftig ein noch sehr viel stärkeres Gewicht zukommen.
5.4 Rahmenbedingungen verbessern
(209) Handwerkliche Betriebe können einen wertvollen Beitrag zu wirtschaftlichem Erfolg und Wohlstand sowie zum Nutzen des Gemeinwesens vor allem dann leisten, wenn sie günstige Ausgangsbedingungen haben und wenn sich die Belastungen für die handwerklichen Betriebe in verantwortbaren Grenzen halten. Zu den herausragenden Belastungen zählen die vergleichsweise hohen Personalnebenkosten.
5.4.1 Personalnebenkosten verringern
(210) Eine Senkung der Personalnebenkosten ist unerläßlich. Sie würde nicht nur zur Entlastung bzw. Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der handwerklichen und aller arbeitsintensiven Wirtschaftsbereiche beitragen, sondern sich auch durchschlagend positiv auf den Arbeitsmarkt auswirken. Beitragsminderungen zur Sozialversicherung hätten unmittelbare Auswirkungen auf die Nettolöhne und damit eine verteilungspolitische Bedeutung Allerdings kann es durch die steuerliche Gegenfinanzierung zu Belastungen kommen.
(211) Zur erforderlichen deutlichen und nachhaltigen Senkung der Personalnebenkosten müssen gleichzeitig verschiedene Wege beschritten werden:
- Mit Augenmaß muß auch auf der Leistungsseite eine Reform der Sozialversicherungen und die weitere Stärkung der Eigenverantwortung erreicht werden.
- Die Tarifpartner müssen eine deutliche Begrenzung der Personalnebenkosten in den von ihnen zu verantwortenden Bereichen verwirklichen. Die Einführung flexibler Arbeitszeitformen mit langen Ausgleichszeiträumen scheint beispielsweise im Baubereich ein erfolgversprechender Weg zu sein.
- Arbeitgeber wie Arbeitnehmer müssen durch ihr eigenes Handeln ebenfalls alles daransetzen, die Personalnebenkosten zu reduzieren. Ein sinnvoller präventiver Gesundheits- und Arbeitsschutz oder die menschengerechte Gestaltung der Arbeitswelt können beispielsweise dazu beitragen, nachhaltig Personalnebenkosten zu senken und gleichzeitig die Produktivität deutlich zu erhöhen.
- Entscheidend ist vor allem die Entlastung der Sozialversicherungen von versicherungsfremden Leistungen durch eine systemkonforme Finanzierung aus Steuern. In ihrer Wirtschaftsdenkschrift "Gemeinwohl und Eigennutz" (1991) hat die Evangelische Kirche in Deutschland darauf hingewiesen, daß sich der Staat im Rahmen der Konsolidierung der Staatsfinanzen bei der Finanzierung sozialer Leistungen entlastet hat. Die Denkschrift betont, daß sich der Staat aus seiner Verantwortung für die Mitfinanzierung sozialer Leistungen nicht zurückziehen darf. Dies gilt heute in besonderer Weise, da die vereinigungsbedingten Soziallasten in hohem Umfang auf die Beitragszahler der sozialen Sicherungssysteme abgewälzt worden sind.
- Schließlich ist zu prüfen, ob neben dem Faktor Arbeit und der Lohn- und Gehaltssumme zusätzliche Bemessungsgrundlagen für die Finanzierung der Sozialleistungen sinnvoll wären.
(212) Eine Umschichtung der Finanzierung der versicherungsfremden Leistungen auf eine Steuerfinanzierung ist nach Auffassung vieler Sachverständiger möglich. In der Diskussion befinden sich insbesondere folgende Vorschläge, die auf Einsparungen bzw. neue Finanzierungsquellen zielen: ein massiver Subventionsabbau, eine höhere Effizienz der Besteuerung durch eine starke Vereinfachung des Steuerrechts, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und umweltschützende Ressourcenabgaben (wie sie etwa im Weißbuch der Europäischen Union gefordert werden).
(213) Notwendig ist eine Neuorientierung des Steuerrechts, die den Gesichtspunkten der Ökologie und der Wertschöpfung stärkere Beachtung schenkt, d.h. eine relative und absolute Verteuerung von Energie und anderer erschöpfbarer Ressourcen im Verhältnis zur menschlichen Arbeit (z.B. zweckgebundene Energieabgabe zur Entlastung der Sozialversicherung). Die damit verbundenen Mehreinnahmen sollten ausschließlich zur Senkung der Lohnnebenkosten verwendet werden, so daß für die arbeitsintensiven Wirtschaftszweige insgesamt keine Mehrbelastung, sondern eher eine Entlastung wirksam wird.
(214) Insgesamt kommt es darauf an, Anreize zu Kostenersparnissen zu erhalten und Prozeß- wie Produktinnovationen in eine ausgeglichene Balance zu bringen, die Eigenverantwortung zu stärken sowie die einzelbetrieblichen und gesamtwirtschaftlichen Ziele miteinander zu harmonisieren. Die bestehenden größenbedingten Nachteile müssen deutlich abgebaut und vor allen Dingen die Personalnebenkosten durch die aufgeführten Maßnahmen einer spürbaren Umsteuerung gesenkt werden.
5.4.2 Schulische Allgemeinbildung und berufliche Bildung verbessern
(215) "Die Bedeutung der beruflichen Bildung wächst," betont die EKD-Stellungnahme "Evangelisches Bildungsverständnis in einer sich wandelnden Arbeitsgesellschaft" (1991) und fährt fort: "In ihr rücken Elemente der Allgemeinbildung mit denen der Fachausbildung immer enger zusammen ... Der Abstand zwischen akademischer und beruflicher Ausbildung für den Facharbeit wird immer kleiner." Diesem Trend muß auch im Blick auf die Bildungschancen Rechnung getragen werden. Schülern mit vergleichsweise niedrigen Bildungsabschlüssen müssen die gleichen Bildungschancen eingeräumt werden, wie den Schülern mit höheren Abschlüssen. Die bisher ergriffenen Maßnahmen des beruflichen Aufstiegs reichen nicht aus. Aus diesem Grunde wird die in der Zwischenzeit in mehreren Ländern erreichte bessere Durchlässigkeit des Bildungswesens durch die Gleichstellung von Bildungsabschlüssen der beruflichen Bildung mit schulischen Bildungsabschlüssen begrüßt. Dieser Weg sollte konsequent weiterverfolgt werden.
(216) Die schulische Allgemeinbildung dient der Persönlichkeitsbildung. Sie ist zugleich die Grundlage für den späteren Beruf. Abitur und abgeschlossenes Studium bedeuten für immer mehr Menschen einen Umweg zu einer Berufstätigkeit, die bereits viel früher mit einem anderen beruflichen Bildungsweg erreichbar gewesen wäre. Vor allem aber erfordert der gesellschaftliche, technische und wirtschaftliche Wandel laufend neue Kenntnisse und Fähigkeiten, die immer wieder neu erworben werden müssen. Bildung und Ausbildung erfordern immer stärker lebenslanges Lernen. Deshalb finden auch die meisten Lern- und Bildungsprozesse im engen Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz und damit berufsbezogen statt.
(217) Die Tatsache, daß im dualen System zur Zeit rund 10%-15% der Auszubildenden zu keinem Bildungsabschluß gelangen konnten, nötigt dazu, in Zukunft differenzierte Bildungsgänge zu schaffen, die auf die zunehmend unterschiedlichen Vorbildungen der Jugendlichen in den Ausbildungsgängen Rücksicht nehmen. Dem Handwerk würde sich damit die Chance eröffnen, die Attraktivität der beruflichen Bildung zu erhöhen und qualifizierte Nachwuchskräfte zu bekommen.
(218) Der Wandel sowohl in den technischen Anforderungen als auch im Blick auf anspruchsvolle Managementaufgaben haben in allen Bereichen des Handwerks - wie bereits dargelegt - erhebliche Veränderungsprozesse ausgelöst. Es ist deshalb erforderlich, die Arbeitsplatzgestaltung auf der einen Seite und die künftige Gestaltung der beruflichen Bildung auf der anderen Seite diesen Anforderungen entsprechend neu zu gestalten bzw. zu adjustieren. Diese beziehen sich nicht mehr nur auf den einzelnen Arbeitsplatz oder den einzelnen Betrieb, sondern gleichermaßen auch auf den Umgang mit dem betrieblichen Umfeld. Neben die geforderte Fach- und Sachkompetenz im technischen oder kaufmännischen Bereich treten weitere und zunehmend auch umfassendere Bildungsanforderungen, die in hohem Maße auch die Human- und Sozialkompetenz mit einbeziehen.
(219) Es geht darum, in der beruflichen Bildung die Rahmenbedingungen insgesamt zu verbessern. Diese sollten so gesetzt werden, daß sich Lernfreude und Lernbereitschaft entfalten können. Das bedeutet in erster Linie Konzentration auf das allgemeinbildende Schulwesen, um dort die Grundlage zur Bereitschaft für lebenslanges Lernen zu legen. Allein schon im Blick auf die Probleme am Arbeitsmarkt bedarf es einer Bildungsoffensive, die das Praktische und das Geistige sehr viel stärker zusammenführt. Das Bildungssystem muß knapper (kürzere Ausbildungszeiten) und nach verschiedenen Seiten hin elastischer sein. Eine sich rasch ändernde Welt erfordert es, das Bildungssystem flexibler zu gestalten. Um arbeitsmarktpolitischen Erfordernissen Rechnung zu tragen, sollten Zielgruppenberatungen (etwa für Ingenieure) und Einarbeitungszuschüsse geschaffen werden. Die raschen Veränderungen in Wirtschaft und Beruf stehen im Widerspruch zu den rechtlichen Vorgaben für die berufliche Aus- und Fortbildung. Berufsordnungsmittel, Rahmenlehrpläne und Prüfungsanforderungen werden immer rascher von der Entwicklung überholt. Die Anpassungszeiträume müssen deshalb verkürzt werden, die ständige Überprüfung und Weiterentwicklung muß flexibel geregelt werden.
(220) Es geht hierbei nicht einfach darum, ökonomischen und sozialstaatlichen Erfordernissen durch Verbesserungen des Bildungssystems Rechnung zu tragen, vielmehr sollen junge Menschen Lebenschancen erhalten und sich entfalten können. Die praktischen Begabungen sollten mehr Chancen bekommen und ihr Weg in eine sie befriedigende Berufstätigkeit sollte ihnen leichter gemacht werden. Zudem ist zu bedenken: Die freie, mündige, reflexive und verantwortungsbewußte Persönlichkeit entwickelt sich nicht einfach nur im Erwerbsberuf, sondern insgesamt in der kritischen, auf ein tieferes Selbst- und Weltverständnis zielenden Auseinandersetzung mit den Bereichen, die zweifellos auch außerhalb von Ökonomie und Beruf liegen.
(221) Eine wichtige Aufgabe liegt auch bei der Verbesserung der Übergänge vom Bildungssystem in das Beschäftigungssystem. Eine niedrigere Eingangsbesoldung kann hier ebenso eine wichtige Hilfe sein.
5.4.3 Fortbildung verbessern
(222) Von den Bedürfnissen der Praxis ausgehend haben Fortbildungsmaßnahmen aller Art immer größere Bedeutung bekommen. Dabei geht es vor allem um die Vermittlung berufsübergreifender neuer Technologien. So haben die Handwerksorganisationen das Angebot an beruflichen Fortbildungsmaßnahmen mit anerkannten Abschlüssen kontinuierlich ausgebaut. Die Berufsbildungs- und Technologiezentren des Handwerks sind darüber hinaus zu den wichtigsten Beratungsstellen für den praxisbezogenen Technologie-Transfer geworden. Es werden aber nicht nur neue Technologien vermittelt, sondern auch alte Handwerkstechniken gepflegt und weitergegeben. Von allen diesen Möglichkeiten wird in steigendem Maße Gebrauch gemacht. Darüber hinaus finden in enger Abstimmung mit der Arbeitsverwaltung Umschulungs- und Anpassungskurse aller Art statt. Eine enge Zusammenarbeit erfolgt auch mit zahlreichen anderen Institutionen. Im Blick auf die Bedeutung dieser innovativen Bildungs- und Informationseinrichtungen sollte auch die finanzielle Förderung dieser Einrichtungen angemessen weitergeführt werden.
(223) Für die Fortbildung ist in Zukunft ein Bildungssystem anzustreben, das sich durch Offenheit, Durchlässigkeit, Flexibilität und die Bereitschaft zu Veränderung und Innovation auszeichnet. Ziel der Fortbildung muß es sein, eine relativ breit angelegte selbständige berufliche Handlungsfähigkeit zu erreichen und die Persönlichkeitsentwicklung zu fördern. Dazu sollten am Arbeitsplatz zusätzliche Möglichkeiten zum Lernen geschaffen und mehr Zeit zur Betreuung der Nachwuchskräfte eingeplant werden. Der Lernplatz in der Schule sollte im Gegenzug mehr Praxisbezug haben. Schüler sollten beispielsweise vor konkrete und komplexe Aufgaben gestellt werden. Aktive Lern- und Arbeitsmethoden (Entdeckungslernen, Fallbeispiele, Projekte, Planspiele) sollten mehr in den Unterricht eingebunden werden.
5.4.4 Möglichkeiten zur Existenzgründung verbessern
(224) Von der Frage der Existenzgründungen war bereits im Zusammenhang mit den Beiträgen zum Abbau der Arbeitslosigkeit die Rede. Wichtige Elemente einer Förderung von Existenzgründungen sind ganzheitliche Dienste, die den potentiellen Existenzgründern sämtliche benötigten Hilfen und Informationen aus einer Hand liefern, sowie eine höhere Risikobereitschaft der Kreditinstitute bei der Bereitstellung des Gründungskapitals. Existenzgründer können der Kreditwirtschaft keine Sicherheiten in Form von erfolgreichen Bilanzen der Vergangenheit liefern. Ihre Sicherheit liegt vielmehr in ihrer eigenen Person und in ihrem Gründungskonzept. Eine intensive Zusammenarbeit zwischen Beratungseinrichtungen und Kreditwirtschaft kann helfen, den Banken und den Existenzgründern zugleich mehr Informationen und Sicherheiten zu geben.
(225) Notwendig ist hier vor allem die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Existenzgründungen. Sie sind für einen Handwerksmeister entscheidend, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen. Zu den persönlichen Voraussetzungen kommen die allgemeinen, gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen, unter denen ein Selbständiger oder eine Selbständige arbeiten muß. Ohne Zweifel sind im Zuge des fortschreitenden Konzentrationsprozesses und des vermehrten Eindringens von Großunternehmen in mittelständische Märkte in den letzten Jahren die kaufmännischen Anforderungen an Existenzgründer gestiegen. Der Rückgang der Selbständigen-Quote in der gesamten Wirtschaft spiegelt sicherlich auch diese wachsenden Anforderungen wider. Die Handwerksmeister und -meisterinnen müssen an dieser Stelle Unterstützung finden. Es gilt, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, daß die selbständige Ausübung eines Handwerks auch im Vergleich zur Angestelltentätigkeit attraktiv und lohnend ist. Wesentliche Momente sind dabei auch die Einbeziehung und die beruflichen Ausbildungsmöglichkeiten der Ehepartner, die entscheidend die Gründung und den Erfolg eines handwerklichen Familienbetriebes mitbestimmen.
(226) Vieles deutet darauf hin, daß die Gründungspotentiale längst nicht ausgeschöpft sind. Die Ausbildung zum Meister und das dichte organisationseigene Netz der Beratung und Förderung von Existenzgründungen sind wesentliche Argumente dafür, daß im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen Existenzgründungen im Handwerk sehr erfolgreich sind. Im Vollhandwerk, das die Meisterausbildung als Voraussetzung für eine Selbständigkeit voraussetzt und damit zugleich die jungen Meister in das dichte Beratungs- und Fortbildungsangebot der Handwerksorganisation einbezieht, ist die Konkursquote sehr viel niedriger als im handwerksähnlichen Gewerbe. Die vergleichsweise hohe Konkursquote handwerksähnlicher Existenzgründungen signalisiert, daß hier noch ein sehr hoher Qualifikations- und Beratungsbedarf besteht.
5.4.5 Für das gesellschaftliche Ansehen sorgen
(227) Zu den zentralen Aufgaben der Handwerksorganisation gehört es, das gesellschaftliche Ansehen des Handwerks nach außen zu verbessern und dementsprechend auch auf die eigenen Betriebe einzuwirken. Im politischen Bereich muß sie darauf hinwirken, daß Chancengleichheit auch für Handwerk und Mittelstand gewährleistet und damit eine ausgewogene Struktur von Klein-, Mittel- und Großbetrieben erhalten bleibt. In diesem Sinne ist Handwerkspolitik zugleich auch ein unverzichtbarer Bestandteil der Wirtschafts- und Sozialpolitik im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft.
5.4.6 Die Situation des Handwerks in Europa verbessern
(228) Nach dem derzeitigen Stand der Harmonisierungsbestrebungen hat die Europäische Union nicht die Absicht, sich in die Frage einzumischen, ob und ggf. wie eine bestimmte Berufstätigkeit bzw. der entsprechende Ausbildungsgang geregelt und organisiert werden soll. Das gleiche gilt für die "richtige" berufsständische Verfassung. Sichergestellt werden muß allerdings, daß die bestehenden Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten nicht die Inanspruchnahme der sogenannten Grundfreiheiten verhindern, also insbesondere die Niederlassung als selbständiger Handwerksbetrieb in einem anderen als dem Herkunftsland und die Erbringung handwerklicher Dienstleistungen europaweit.
(229) Zur Gestaltungsfreiheit der Mitgliedsstaaten, die nach dem derzeitigen Stand weiter bestehen wird, gehört die deutsche Handwerksordnung mit dem großen Befähigungsnachweis. Desweiteren hat der Europäische Rat im Vertrag von Maastricht im Dezember 1991 die ausschließliche Verantwortlichkeit der Mitgliedsstaaten für die Inhalte und die Organisation der beruflichen Bildung ausdrücklich festgeschrieben. Die EU-Kommission hat stets bekräftigt, daß sie das System der deutschen Meisterprüfung als Grundpfeiler der deutschen Handwerksordnung als unantastbar ansieht.
(230) Ausgeweitet werden sollten auch die Ansätze einer Kooperation des Handwerks auf Europaebene. So finden beispielsweise jetzt schon regelmäßige Treffen zwischen deutschen und französischen Handwerkern statt. Eine große Zahl von Partnerschaften zwischen deutschen und französischen Handwerkskammern haben die Zusammenarbeit zwischen Handwerkern z.B. auf dem Gebiet des Lehrlings- und Gesellenaustauschs erleichtert.
5.5 Die kirchliche Handwerkerarbeit intensivieren
(231) "Die Verbesserung und Vertiefung der Beziehung von Kirche und Handwerk, Kirchengemeinde und Handwerkern, darf nicht bei praktischen Beziehungen wie z.B. Baumaßnahmen aufhören," heißt es in der EKD-Stellungnahme "Chancengleichheit für das Handwerk" aus dem Jahre 1978 zum Verhältnis von Kirche und Handwerk. Die Stellungnahme fährt fort: Das Bemühen um eine intensive Beziehung zwischen Kirche und Handwerk "gehört zum Auftrag der Kirche, der auch dem Berufsleben gilt ... Eine Berufsseelsorge im Handwerk ist nur möglich, wenn sich die in der kirchlichen Gemeindearbeit Tätigen ein größeres Maß an Verständnis für die Probleme der gewerblichen Mittelschichten aneignen. Dies setzt voraus, daß sich kirchliche Werke und Einrichtungen mit diesem Bereich der Arbeitswelt befassen. Sie sollten ihre Hilfe vor allem in menschlicher Hinsicht wirkungsvoll anbieten und auf dem Gebiet der Mittelschichten Sachkenntnis auch innerhalb der kirchlichen Gemeindeseelsorge verbreiten. Es kommt darauf an, daß die Begegnung zwischen Kirche und Handwerk nicht nur eine Frage dieser Gruppen bleibt. Sie sollte sich auch auf Orts- und Gemeindeebene vollziehen, zumal das Handwerk zu den Berufsgruppen gehört, die in größerer Nähe zur Kirche geblieben sind als manche anderen Gruppen in der Gesellschaft."
(232) Viele Beispiele zeigen, wie erfolgreich kirchliche Handwerkerarbeit sein kann. Formen der Kontaktarbeit mit den Elementen Geselligkeit, Offenheit des Gesprächs, Traditionspflege, Pflege des solidarischen Miteinanders haben sich bewährt. Die kirchliche Handwerkerarbeit befindet sich gleichwohl in einer Umbruchssituation. Es gibt mittlerweile viele Versuche mit neuen Arbeitsformen, die von neuen Kooperationen geprägt sind (z.B. die Zusammenarbeit mit anderen "Nichtregierungsorganisationen" sowie mit staatlichen Stellen, die Zusammenarbeit mit anderen kirchlichen Arbeitszweigen wie dem Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt, der kirchlichen Familienarbeit, die Zusammenarbeit mit der Diakonie bzw. mit Diakonen und Diakoninnen, die Durchführung Runder Tische sozialer Verantwortung vor Ort, Ansätze gesellschaftspolitischer Arbeit und anderes mehr). In vielen Bereichen muß es deshalb zu neuen Ansätzen und Ergänzungen der bestehenden Arbeit kommen.
(233) Schwerpunkte der kirchlichen Handwerkerarbeit sollten sein:
- die Bearbeitung von wirtschaftsethischen und sozialethischen Grundfragen sowie aktuellen Lebensfragen des Handwerks im Sinne des Grundanliegens dieser Denkschrift. Im sozialethischen und gesellschaftspolitischen Gespräch der Kirche sollten die hier angesprochenen Fragen einen größeren Raum haben; es muß deutlich sein, daß es am Beispiel Handwerk um Kernfragen unserer sozial und ökologisch verpflichteten Marktwirtschaft und um die wirklich typischen Probleme des Menschen in der Arbeitswelt geht. Eine stärkere Öffnung gegenüber dem Handwerk und seinen Problemen kann eine Chance sein auch für die gelegentlich auf Akademikerschaft, gehobenen Mittelstand und Industrie ausgerichtete Kirche. Das Angebot kirchlicher Tagungs- und Kursarbeit zur Behandlung theologischer und sozialethischer Probleme des Handwerks sollte ausgeweitet und methodisch verbessert werden. Eine Aufarbeitung der Fragen, die mit der Berufs- und Arbeitsethik in der Industriegesellschaft zu tun haben, und eine Neubesinnung auf die christlichen Grundlagen sind erforderlich;
- eine Verbindung von kirchlicher Arbeit und offener Arbeit. Es kann durchaus ein Nebeneinander von kirchlichen Handwerkervereinen, Selbsthilfegruppen und Seniorengenossenschaften, informellen Gruppen und gelegentlichen Veranstaltungen (Ausflüge, Meditationsveranstaltungen, kirchliche Feste mit Handwerkern und Veranstaltungen mit geselligem Miteinander) mit wechselnder Zielgruppe des Handwerks geben;
- die Personalschulung für die kirchliche Arbeit (Handwerkspraktika für angehende Pfarrerinnen und Pfarrer, kirchliche Ergänzungsausbildung für Diakoninnen und Diakone mit gewerblicher Vorbildung, handwerksbezogene Studientage für kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in funktionalen Diensten bis hin zur kirchlichen Erwachsenenbildung);
- eine stärkere Ausrichtung der Arbeitsformen kirchlicher Arbeit auf Sprache und Kommunikationsformen der im Handwerk Beschäftigten (Bedeutung von Symbolen, Gemeinschaft, Geselligkeit);
- eine stärkere Betonung der Seelsorge an den im Handwerk Beschäftigten. Sie umfaßt das öffentliche seelsorgerliche Wort in Gottesdienst, Handwerkerkreis, Gemeindeabend und Berufsschule und die individuelle Seelsorge. Hier heißt es, nicht nur die Fragen, Nöte und Probleme von Handwerkern zu hören, sondern auch ihre Signale, ihre Überzeugungen und Bewertungen sowie die Fragen des Glaubens. Wichtig ist hier vor allem die seelsorgerliche Hilfe für das Familienleben. Ein intaktes Familienleben, in dem die Zusammenarbeit von Mann und Frau von gegenseitigem Verständnis und der Bereitschaft zur Vergebung von Fehlern getragen ist, ist die wichtigste Voraussetzung zur Bewältigung der großen menschlichen Aufgaben, die in jedem Handwerksbetrieb zu lösen sind;
- regelmäßige Gespräche zwischen sachkundigen Vertretern der Kirche und des Handwerks auf verschiedenen Ebenen. Hierzu gehört vor allem auch ein Kontakt mit den Ausbildern im Handwerk und den Auszubildenden. Der Kontakt sollte sich nicht nur auf den Religionsunterricht an den Berufsschulen konzentrieren. Besonders wichtig ist, daß Hilfen zum gegenseitigen Verständnis gegeben und die wechselseitigen Aufgaben diskutiert werden;
- die Durchführung von Gottesdiensten und Veranstaltungen mit dem Handwerk auf Gemeindeebene, die von Vertretern der betreffenden Berufsstände zusammen mit Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern vorbereitet und ausgestaltet werden.