Was kann ich gegen Antisemitismus tun?
Die wichtigsten Fragen, um selbst aktiv zu werden
Antisemitismus ist in unserem Alltag noch immer weit verbreitet, aber teilweise schwer zu erkennen. Oft verbirgt er sich in Andeutungen und beiläufigen Bemerkungen. Es gilt, die eigenen Sinne zu schärfen, antisemitischen Äußerungen entgegenzutreten und sich an geeigneter Stelle Hilfe und Unterstützung zu holen.
- Wie erkenne ich Antisemitismus?
- Was ist „verdeckter Antisemitismus“?
- Was kann ich gegen die Verbreitung von Antisemitismus tun?
- Wie kann ich reagieren, wenn jemand etwas Antisemitisches sagt?
- Ist Kritik an der Politik Israels Antisemitismus?
- Wie kann ich mich im jüdisch-christlichen Dialog engagieren?
- Was kann Kirche tun, um den eigenen Antijudaismus und Antisemitismus zu überwinden?
- Was kann christliche Theologie tun?
- Sollten antisemitische Darstellungen an und in Kirchen entfernt werden?
Wie erkenne ich Antisemitismus?
Antisemitismus zeigt sich unter anderem in Beleidigungen und abfälligen Bemerkungen und kann in Presseberichten und Posts in den sozialen Medien, in Äußerungen von Nachbarn, in Fotos und Videos auftreten. Antisemitismus zeigt sich auch in negativen Stereotypen – von der langen Nase, über „den“ Juden als reicher und mächtiger Weltverschwörer bis hin zu tätlichen Angriffen auf jüdische Menschen und in Vandalismus an jüdischen Einrichtungen .
Was ist „verdeckter Antisemitismus“?
Antisemitismus äußert sich nicht immer in offener Hassrede. Häufig werden Anspielungen, Metaphern und Codes verwendet, in denen Jüdinnen und Juden gar nicht explizit benannt werden. Wenn behauptet wird, dass die Welt von „bösen Mächten“ aus dem „Hintergrund“ gelenkt wird, werden die alten Stereotype und Verschwörungsmythen über Jüdinnen und Juden am Leben gehalten. Sie dienen hier als Chiffren, die von Menschen die antisemitischen Verschwörungsmythen anhängen, erkannt werden.
Was kann ich gegen die Verbreitung von Antisemitismus tun?
Gehen Sie mit geschärften Sinnen durch die Welt. Fragen Sie sich zunächst selbst, welche Negativbilder Sie von Jüdinnen und Juden haben könnten. Nehmen Sie die Erfahrungen von Betroffenen ernst. Informieren Sie sich und andere über Antisemitismus und seine Folgen.
Negativstereotypisierungen von Jüdinnen und Juden können an vielen Stellen auftreten, zum Beispiel durch sprachliche Verunglimpfungen, auch im kirchlichen Kontext. Seien Sie aufmerksam in Gottesdiensten, Predigten und medialen Äußerungen. Holen Sie sich Fachexpertise bei jüdisch-christlichen Beauftragten ein, schalten Sie einen Antisemitismusbeauftragten ein. Prüfen Sie immer wieder, ob sich in Ihre Glaubensbilder die Abwertung des Jüdischen einschleicht, etwa in der Gegenüberstellung von „Altem“ und „Neuem Testament“, Gewalt und Friede, Gesetz und Gnade, Rache und Liebe. Überprüfen Sie insbesondere Ihr Bild von Israel auch im Gespräch mit anderen.
Der Antisemitismus greift auf alte Stereotypen von „den Juden“ zurück und aktualisiert sie. Fallen Ihnen antisemitische Bilder und Motive auf, beziehen Sie dagegen Stellung. Erklären Sie, wie Vorurteile funktionieren. Fragen Sie konkret nach, wenn jemand verallgemeinernd von „den Juden“ spricht.
Teilen Sie Ihre Beobachtungen mit. Widersprechen Sie antisemitischen Äußerungen und Handlungen – so, dass allen Anwesenden klar wird, dass hier etwas Inakzeptables gesagt wurde oder geschehen ist. Solidarisieren Sie sich mit Betroffenen. Melden Sie antisemitische Vorfälle bei den zuständigen Behörden oder Organisationen. Es gibt verschiedene Institutionen, bei denen Sie Rat finden. OFEK e.V. ist die erste auf Antisemitismus spezialisierte Fachberatungsstelle.
Melden können Sie antisemitische Vorfälle auch bei der „Meldestelle Antisemitismus vor Ort und im Netz“. Eine Liste zu Anlaufstellen mit verschiedensten Schwerpunkten in ganz Deutschland gibt es auf der Website „Stopantisemitismus“.
Wie kann ich reagieren, wenn jemand etwas Antisemitisches sagt?
Folgende Ratschläge haben sich – je nach Situation – als wirksam erwiesen. Diese sind auch selbstkritisch auf christliche Gesprächskontexte anwendbar.
- Hören Sie nicht weg, schweigen Sie nicht. Reagieren Sie und benennen Sie, was sie inakzeptabel finden.
- Stellen Sie kritische Fragen: „Warum sagst du das?“ – „Was genau meinst du damit?“ – „Wie kommst du darauf?“
- Suchen Sie sich Verbündete unter den Anwesenden.
- Zeigen Sie Solidarität mit den Betroffenen.
- Bringen Sie sich nicht in Gefahr. Wird die Situation bedrohlich, verlassen Sie die Szene, rufen die Polizei und erstatten gegebenenfalls Anzeige.
Ist Kritik an der Politik Israels Antisemitismus?
Kritik an der Politik des Staates Israel ist nicht antisemitisch. Sie wird es erst, wenn der Staat Israel als Ganzes mit antisemitischen Stereotypen belegt wird („gierig“, „rachsüchtig“) oder wenn Israel das Existenzrecht als eigener Staat oder als Volkszugehörigkeit abgesprochen wird. Eine gute Möglichkeit, Kritik an der israelischen Regierungspolitik von israelbezogenem Antisemitismus zu unterscheiden, bietet der sogenannte 3-D-Test: Wird Israel mit anderen Standards gemessen als andere Staaten? (Doppelstandards). Wird Israel als Staat nicht anerkannt oder gibt es Zweifel an der Legitimität der Staatsgründung? (Delegitimierung). Wird der Staat Israel mit antisemitischen Bildern und Vorurteilen belegt? (Dämonisierung).
Wie kann ich mich im jüdisch-christlichen Dialog engagieren?
Der jüdisch-christliche Dialog soll dazu beitragen, das Verständnis und die Beziehungen zwischen Jüdinnen und Juden, Christinnen und Christen zu fördern. Ziel ist es, die religiösen Überzeugungen des jeweils anderen anzuerkennen und gemeinsame ethische und gesellschaftliche Anliegen zu unterstützen. An vielen Orten, auch in Kirchen und Synagogen, gibt es Gesprächsveranstaltungen und interreligiöse Projekte. Christlicherseits werden viele von landeskirchlichen Arbeitskreisen organisiert. Weitere Kontaktdaten finden Sie auf unserer Themenseite.
Was kann Kirche tun, um den eigenen Antijudaismus und Antisemitismus zu überwinden?
Judenfeindschaft hat durch alle Jahrhunderte Lehre und Praxis der Kirchen begleitet. Dass „die Kirche“ „der Synagoge“ überlegen sei und es außerhalb der Kirche kein Heil gebe, hat sich über Jahrhunderte im christlichen Denken festgesetzt. Diesen Nährboden an antijudaistischen Einstellungen gilt es durch gemeinsames selbstkritisches Nachdenken zu überwinden. Auch Predigten und Kirchenlieder müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Kirchengemeinden können in Gottesdiensten und anderen Gemeindeveranstaltungen dazu anregen, sich gegen Antisemitismus einzusetzen.
Was kann christliche Theologie tun?
Christliche Theologie sollte die eigene Mitschuld am jahrhundertelangen und gegenwärtigen Antijudaismus untersuchen und eingestehen. Es gilt, antijudaistische theologische Denkmuster zu erkennen und abzubauen, die den christlichen Glauben als dem jüdischen überlegen darstellen. „Wir können und müssen einen biblisch theologisch geerdeten Weg suchen, der antisemitischen Tradition immer wieder neu zu begegnen, zu widerstehen und umzukehren“, meint der EKD-Antisemitismusbeauftragte Christian Staffa. Es müssten die „verborgenen Schätze einer biblischen Theologie“ gehoben werden, „die das biblische wie das zeitgenössische Judentum nicht diskreditiert, sondern […] als Teil des eigenen Lebens, Lernens, Glaubens und der Praxis versteht.“
Sollten antisemitische Darstellungen an und in Kirchen entfernt werden?
An und in einigen Kirchen sind judenfeindliche Darstellungen zu sehen, die teils aus dem Mittelalter teils aus dem 19. Jahrhundert stammen. Es ist eine Kontroverse um die Frage entstanden, ob man sie entfernen oder am Ort belassen sollte und mit Hilfe von Hinweistafeln die historischen Hintergründe erklärt. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, plädiert für diese Lösung: „Die Geschichte des kirchlichen Antijudaismus muss sichtbar bleiben, wenn nicht sogar sichtbarer werden. Das werden wir nicht durch das simple Entfernen judenfeindlicher Schmähplastiken erreichen.“ Gegen das Entfernen der Schmähplastik hat sich auch Christian Staffa, der EKD-Antisemitismusbeauftragte ausgesprochen – allerdings mit dem Zusatz, dass diese verhüllt und mit zusätzlichen Bildungsanstrengungen vor Ort und in der EKD verbunden wird.
UB