Xenotransplantation
3. Reaktionen und Einschätzungen in der Bevölkerung
Die Reaktionen auf die Aussicht, daß Xenotransplantationen in absehbarer Zukunft möglich sein könnten, und die Einschätzungen in der Bevölkerung sind recht uneinheitlich. Sie unterscheiden sich je nach Lebenssituation, Alter und Betroffenheit der Person.
Bei den einen - potentiellen Organempfängerinnen und -empfängern - wird Hoffnung durch das Angebot geweckt, auf diese Weise ihre angespannte Lebenssituation zu einer Veränderung führen oder sogar den drohenden Tod vermeiden zu können. Schwerkranke Menschen und ihre Familien erhoffen für sich und andere in ähnlichen Situationen die Chance, daß der jetzt bestehende Mangel an verpflanzbaren menschlichen Organen beseitigt werden kann und sie durch ein verbessertes "Angebot" an Tierorganen ein lebenswertes Leben führen können.
Bei anderen löst die Vorstellung einer Übertragung tierischer Organe auf Menschen verschiedene Ängste und Befürchtungen aus. Gleichgültig, ob sich diese Ängste an realen Risiken festmachen lassen oder nicht, erwarten diese Menschen zu Recht, daß ihre Bedenken und Ängste ernst genommen werden. Diese beziehen sich beispielsweise auf die unberechenbare Wirkung tierischer Krankheitserreger auf den menschlichen Organismus, auf die mögliche Übertragbarkeit von Tierseuchen auf den Menschen oder die Entstehung bisher unbekannter bedrohlicher Krankheiten, bis hin zur Angst vor einer Veränderung menschlicher Identität durch die Integration von Tierorganen und Tierzellen. Würden solche Befürchtungen eintreffen, dann wären nicht nur Einzelpersonen betroffen, sondern möglicherweise sogar große Teile der Bevölkerung.
Die Informationen, die die in den betroffenen Fachwissenschaften in der Regel unkundigen Bürgerinnen und Bürger über die Chancen und Gefahren der Xenotransplantation erhalten, sind nicht nur bruchstückhaft, sondern auch häufig interessegeleitet. Da dies nicht immer offenkundig ist, kann für den "Normalbürger" bzw. die "Normalbürgerin" ein Szenario entstehen, das vom tatsächlichen Sachstand weit entfernt ist. Oft ist man in dieser meist undurchschaubaren Konstellation eher geneigt, den Vertretenden der Anti-Bewegungen ihre aus vermeintlich "uneigennütziger" Haltung erwachsenen Argumente zu glauben als der oft schwer verständlichen, weil differenzierten, manchmal auch mit einer gewissen Arroganz und die Ängste der Menschen ignorierenden Lebensferne vorgetragenen Argumentation der Fachleute.
In der jetzigen Phase des Forschungsstandes und der Diskussion um die Xenotransplantation bleibt für die Bevölkerung unklar, ob in dem Geflecht von Erwartungen wirklich die Verbesserungen für die potentiellen Patientinnen und Patienten im Vordergrund stehen oder ob eventuell die wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Aspekte die menschlichen Werte in den Hintergrund drängen. Es wächst das Unbehagen gegenüber der steigenden Macht der Chemiekonzerne und den medizinischen Forschungsprojekten. Damit zusammenhängend entsteht die Befürchtung, auch die zunächst positiv erscheinenden Seiten der Forschung könnten so stark kommerzialisiert werden, daß die Errungenschaften nicht einfach den Bedürftigen, sondern lediglich den Finanzkräftigen zukommen.
Menschen wie Tiere könnten zum Zwecke des Forschungsfortschritts instrumentalisiert werden. Es wird gewarnt, daß Tierschutzstandards reduziert und zurückgeschraubt werden könnten, weil die Behandlung schwerkranker Menschen Priorität hat. Auf diese Weise müßten dann bestimmte Tiere als "Ersatzteillager" für den Menschen herhalten.
Muß sich - so fragen manche voller Sorge - des Menschen Einstellung zu Krankheit und Tod nicht zwangsläufig dann verändern, wenn durch weitestmögliche Austauschbarkeit von lebenswichtigen Organen per Xenotransplantation heute noch geläufige Ursachen wie Herz-, Leber- und Nierenversagen nicht mehr unmittelbar zum Tod führen? Würde dies den Menschen gut tun oder ihr Verhältnis zur Endlichkeit und "Machbarkeit" ändern?