Xenotransplantation

6. Ethische Aspekte

6.1 Chancen und Risiken

Der Schweizer Wissenschaftsrat (Schweizerischer Wissenschaftsrat: Technologiefolgen-Abschätzung. Ausschreibungsunterlagen zum Projekt "Xenotransplantation": Ausgangslage. Argumentarium. Projektskizze. Raster für Projekteingabe. Literaturliste, Bern 1996, 4.) hat unter dem Gesichtspunkt der Technologiefolgenabschätzung ein Projekt "Xenotransplantation" 1996 ausgeschrieben und dabei den Ausschreibungsunterlagen ein "Argumentarium" beigefügt, in dem das Für und Wider nebeneinandergestellt wird. Die Xenotransplantation bzw. die im Vorfeld betriebene Forschung bietet danach folgende Chancen:

  • die Überwindung des Mangels an Spenderorganen, dadurch die Vermeidung des vorzeitigen Todes von Menschen sowie die Verbesserung der Lebensqualität betroffener Menschen;
  • der Wegfall der belastenden Frage der Organspende, etwa wenn die Angehörigen tödlich verunfallter Personen eine Entscheidung über die Freigabe von deren Organen für Transplantationen treffen müssen;
  • der Wegfall der belastenden Praxis, daß Organempfängerinnen und -empfänger innerhalb von Stunden nach Verfügbarwerden eines menschlichen Organs operiert werden müssen;
  • die Überwindung des ethisch verwerflichen Handels mit Spenderorganen und des "Transplantationstourismus";
  • die bessere Lebensqualität und Kostenersparnis durch Nierentransplantationen im Vergleich zu einer über Jahre praktizierten Dialyse
  • neue Erkenntnisse in der Immunabwehr, die auch für die allogene Transplantation von Mensch zu Mensch nützlich sein können;
  • das ökonomische Entwicklungspotential für Firmen, die im Bereich der medikamentösen Kontrolle bzw. Unterdrückung der Immunabwehr tätig sind, und
  • schließlich das Entwicklungspotential für Firmen, die transgene Tiere für die Xenotransplantation herstellen bzw. züchten.

Demgegenüber führt das Argumentarium folgende Risiken auf:

  • das Risiko, daß Krankheitserreger von Tieren auf den Menschen übertragen werden;
  • die Ungewißheit, ob das Tierorgan sich der Lebenserwartung des Menschen anpaßt oder die spezies-spezifische Lebenserwartung des Tieres aufweist;
  • die Ungewißheit, ob ein Tierorgan langfristig mit den biochemischen Abläufen im menschlichen Körper kompatibel ist;
  • das ethische Bedenken, bis zu welchem Grad wir Tiere nutzen und gentechnisch manipulieren und insbesondere - falls es zu dieser Option kommt - Primaten als Organquelle beanspruchen dürfen
  • die Auswahl der ersten Patienten bzw. Patientinnen, da die ersten klinischen Versuche am Menschen mit hoher Ungewißheit bezüglich der Überlebensdauer verbunden sind;
  • die möglichen Umverteilungen der Ressourcen im Forschungs- und Gesundheitswesen durch die Anstrengungen auf dem Gebiet der Xenotransplantation, die auf Kosten anderer Aktivitäten etwa im Bereich der Prävention gehen könnten;
  • die Akzeptanz der Xenotransplantation sowohl bei den Betroffenen selbst (Problem der "Chimären-Identität") und ihren Angehörigen und in der Bevölkerung allgemein sowie
  • schließlich die Frage, was aus der Bereitschaft von Menschen zur Organspende wird, wenn Tierorgane in schier unbegrenzter Zahl zur Verfügung stehen.

In dieser Liste dürften die wesentlichen Aspekte des Für und Wider aufgeführt sein. Sie werden im folgenden nicht weiter entfaltet, sondern dienen als Hintergrund für eine Urteilsbildung über die ethischen Konflikte im Zusammenhang mit der Xenotransplantation.

6.2 Ethische Konflikte

Die Art der ethischen Beurteilung der Xenotransplantation unterscheidet sich nicht prinzipiell von vergleichbaren Fällen innerhalb der Medizinethik. Allerdings bestehen hier nach derzeitigem Wissensstand offenbar nicht unerhebliche Risiken. Deshalb ist die Xenotransplantation am Menschen erst dann ethisch zulässig, wenn das Risiko von unabhängigen Instanzen (Ethikkommissionen) als vertretbar eingestuft wurde. Die Mitarbeit der Kirchen in solchen Ethikkommissionen kann zwar nicht in der fachlichen Prüfung der Risiken bestehen, wohl aber in der Prüfung der Verfahrensweisen zur Risikoabschätzung sowie in der Kontrolle ihrer Einhaltung. Außerdem ist besonders in der Einführungsphase eine ständige Begleitung und Kontrolle durch derartige Instanzen geboten, damit sich die Grenze zwischen Heilversuch und Versuch am Menschen nicht verwischt. Im übrigen gilt all das, was auch sonst in solchen Fällen aufgelistet wird, insbesondere die aufgeklärte Einwilligung ("informed consent") des Patienten bzw. der Patientin.

Vor dem Hintergrund der erwarteten Chancen und befürchteten Risiken der Xenotransplantation ergeben sich konkrete Probleme, die zu ethischen Konflikten führen können. Im Rahmen dieser Schrift geht es nicht darum, diese Konflikte zu lösen. Vielmehr will der Text Hilfestellung geben, um sich in diesen Konflikten zu orientieren und zu einer eigenen verantworteten Entscheidung zu kommen.

Folgende Konflikte können ausgemacht werden:

  • Der Konflikt zwischen dem Lebensrecht des Menschen und dem Lebensrecht von Tieren bzw. zwischen mitmenschlicher und mitgeschöpflicher Solidarität.

    Die für die Xenotransplantation notwendigen gentechnischen Manipulationen an Tieren sind ein weiterer Schritt in der technologischen Verfügbarmachung von Tieren, und dadurch ist eminent der Gedanke der Mitgeschöpflichkeit tangiert. In diesem Zusammenhang darf nicht die Problematik von Tierversuchen verschwiegen werden, die für die Entwicklung der Xenotransplantation unternommen werden müssen. Zwar unterscheiden sich diese nicht prinzipiell von anderen Tierversuchen für medizinische Zwecke, und der Nutzen von Tieren bei der Xenotransplantation ist unvergleichlich größer - nämlich u.U. lebensrettend - als beim weithin akzeptierten Fleischverzehr. Aber es darf nicht vergessen werden, daß die Xenotransplantation immer den Charakter einer Notlösung angesichts des Mangels an menschlichen Spenderorganen behalten muß. Der sich hierin ausdrückenden Haltung mitgeschöpflicher Solidarität sollte größte Wertschätzung beigemessen werden - trotz der im obenstehenden Argumentarium aufgeführten Vorzüge der Xenotransplantation.

  • Der Konflikt, der durch die Unterschiedlichkeit der Wahrnehmung von Betroffenen und Nicht-Betroffenen aufgeworfen wird.

    Gerade weil diese Wahrnehmungen weit auseinandergehen, wäre es wichtig, die Reichweite der eigenen Urteilsfähigkeit anzufragen und für ein genaueres Verständnis der Situation des anderen zu werben. Für eine betroffene Person können die mit einer Xenotransplantation verbundenen Hoffnungen leicht dazu führen, sowohl den größeren Problemzusammenhang außer acht zu lassen, als auch die Risiken gering zu bewerten. Demgegenüber besteht für eine nicht-betroffene Person die Gefahr, bei der Sichtung des größeren Problemzusammenhangs die existentielle Bedeutung einer Xenotransplantation für Betroffene und ihre Angehörigen nicht ausreichend zu berücksichtigen. Ein Ausgleich der unterschiedlichen Wahrnehmungen kann nur durch Gespräche erreicht werden.

  • Der Konflikt, der durch die Vorstellung eines Tierorgans im Leib eines Menschen ausgelöst wird.

    Die individuelle und soziale Identität eines Menschen ist nicht nur durch seine Leiblichkeit determiniert, sondern durch seine die Leiblichkeit einschließende Selbstauffassung und durch die Fremdwahrnehmung durch andere (auf dem tiefsten Grund: durch Gott). Die Implantierung eines Tierorgans kann den Menschen daher nicht seiner Identität als Mensch berauben, sondern sie kann im Prinzip in diese integriert werden. Daß hier freilich Probleme der individuellen und sozialen Akzeptanz auftreten können, sollte nicht wegdiskutiert werden. Für die betroffene Person wäre eine psychologische Beratung anzubieten und für Ärzte/Ärztinnen und medizinisches Personal sollte die Beteiligung an Xenotransplantationen auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruhen.

  • Der Konflikt zwischen der Annahme der eigenen Endlichkeit, wie sie durch die Leiblichkeit vorgezeichnet ist, und dem Hinausschieben der Grenzen um jeden Preis.

    Auch wenn die Xenotransplantation nicht pauschal mit dem Vorwurf des Nichtzurechtkommens des Menschen mit der eigenen Endlichkeit behaftet werden sollte, stellt sie doch vor die Frage nach den vom Menschen zu akzeptierenden Grenzen. Für den christlichen Glauben ist der Tod nicht einfach ein Herausfallen aus dem Leben, sondern auf verborgene Weise Teilhabe am Leben, nämlich am Leben des Gekreuzigten und Auferstandenen. Der Verzicht auf eine Lebensverlängerung durch Xenotransplantation kann eine aus dem Glauben heraus getroffene Entscheidung sein, in dem sich ein anderes, umfassenderes als nur medizinisches oder biologisches Lebensverständnis bezeugt. Andererseits kann die Entscheidung für die Lebensverlängerung durch eine Xenotransplantation eine in Verantwortung für andere Menschen - etwa nahe Angehörige - getroffene Entscheidung sein.

6.3 Das Ethos der Forschenden

Da der Forschung im jetzigen Stadium der Entwicklung der Xenotransplantation die größte Bedeutung zukommt, ist in besonderer Weise das Ethos der Forscherinnen und Forscher zu berücksichtigen. Für die Forschung im Bereich der Xenotransplantation gelten keine anderen Regeln als für jeden anderen Forschungsbereich. Da das Streben nach Erkenntnis in der menschlichen Natur liegt und zur menschlichen Kultur gehört, ist ein genereller Verzicht auf Forschung weder realistisch noch verantwortbar. Ein verantwortungsethischer Ansatz setzt bei der Verantwortung des einzelnen an und versteht Verantwortung als die Verpflichtung einer Person, für das ihr zurechenbare Wollen und Handeln vor anspruchsberechtigten Instanzen (z.B. Gewissen, Mitmenschen, Staat) Rechenschaft abzulegen. Das Maß der Verantwortung richtet sich nach dem Maß der persönlichen Freiheit und den daraus resultierenden Handlungs- und Wirkungsmöglichkeiten. Folgende Aspekte der Verantwortung von Forschenden sind zu unterscheiden:

  • Die Verantwortung von Forscherinnen und Forschern besteht in erster Linie darin, auf der Grundlage qualifizierter Forschung neue Erkenntnisse zu gewinnen, auf die die Gesellschaft angewiesen ist. Nicht zuletzt braucht die Menschheit den Erfindergeist der Forschenden zur Bewältigung ihrer Zukunftsprobleme.
  • Die Forschenden tragen die volle Verantwortung für die ethische Vertretbarkeit ihrer Methoden der Erkenntnisgewinnung. Ist der Erkenntnisvorgang (Forschungsmethode) nicht ethisch neutral, muß über die Zulässigkeit dieser Methode eine Entscheidung getroffen werden. Die Entscheidung kann je nach Sachlage in die ethische Verantwortung der Forschenden und der Standesgremien gestellt werden oder Gegenstand gesetzlicher Regelungen sein.
  • Die Verantwortung von Forschenden besteht aber auch darin, Folgen ihres Handelns mitzubedenken. Dieses Handeln ist am Ziel der Bewahrung menschlichen Lebens und seiner Würde auszurichten.

Es gehört zum Wesen neuer Erkenntnisse, daß ihre Folgen nicht immer vollständig abgeschätzt werden können. Forschung kann nicht allein deshalb eingeschränkt werden, weil die Folgen nicht überschaubar sind oder eine mißbräuchliche Anwendung nicht ausgeschlossen werden kann.

Die Forschenden sind verpflichtet, kritisch zu prüfen, ob ihre Erkenntnisse und deren für sie überschaubare Anwendungsmöglichkeiten schädliche Folgen haben können. Sie sind verpflichtet, auf ihnen bekannte Gefahren, aber auch auf die Folgen unterlassener Entwicklungen aufmerksam zu machen. Ihre Informationspflicht besteht gegenüber der allgemeinen und der wissenschaftlichen Öffentlichkeit und bezieht sich allgemein auf die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse und wissenschaftlicher Vernunft.

Die Unterscheidung von grundlagen- und anwendungsbezogener Forschung ist kein geeigneter Ansatz für eine unterschiedliche Zuweisung von Verantwortung. Ein Unterschied besteht insofern, als bei der anwendungsbezogenen Forschung schädliche Folgen eher voraussehbar sind als bei der Grundlagenforschung. Daher entstehen hier häufiger ethische Konflikte.

  • Da Forschungsergebnisse weitreichende Auswirkungen haben können und das Wissen um die Folgen sich primär den beteiligten Forschenden erschließt, tragen sie eine spezifische Erstverantwortung.
  • Die besondere Verantwortung von Forscherinnen und Forschern für ihr Tun besteht auch bei einer Mitwirkung in einer Arbeitsgruppe oder Institution fort. Die Forschenden tragen Verantwortung im Rahmen ihrer Handlungs- und Wirkungsmöglichkeiten persönlich mit.
  • Wer im Rahmen seiner Verantwortung handelt, ist für den Mißbrauch der Forschungsergebnisse durch andere nicht verantwortlich, sofern dieser ihm nicht zur Kenntnis gelangt.
  • Die Verantwortung von Forscherinnen und Forschern liegt auch in der Wahrhaftigkeit der Forschung - der zutreffenden Wiedergabe und Auswertung der Forschungsergebnisse, in der Aufklärung der Probanden und Patientinnen/Patienten, die an den Forschungen teilnehmen.
  • Die Verantwortung von Forscherinnen und Forschern schließt ebenfalls ein, sich für die Freiheit der Wissenschaft in der Lehre und Forschung gegenüber Staat und Öffentlichkeit einzusetzen.
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