Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist
Biopatente und Ernährungssicherung aus christlicher Perspektive. Eine Studie der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung. EKD-Text 115, 2012
1. Einführung
1.1 Die Entwicklung von Biopatenten in Europa
Seit Hunderten von Jahren gibt es Konzepte, um besondere innovative Leistungen von Einzelnen in der Gesellschaft zu honorieren und für einen definierten Zeitraum vor unberechtigter Nachahmung schützen zu lassen. Hierfür wurde der Begriff des geistigen Eigentums geprägt. Geistiges Eigentum kann in künstlerischen Produkten wie Literatur und Musik ausgedrückt sein. Bekannt ist die GEMA-Gebühr, die ein Komponist für sein musikalisches Werk erhält. Aber auch technische Erfindungen werden als geistiges Eigentum bezeichnet und können durch Patente geschützt werden. Patente wurden lange Zeit nur für technische Verfahren und Produkte gewährt. Erst seit den 1980er Jahren werden Patente auch auf Lebewesen sowie auf deren Bestandteile wie z. B. Gene erteilt.
Die gesellschaftliche Kontroverse entzündete sich in Deutschland an einem Patent, das eine gentechnisch veränderte Maus schützte. Die sog. Harvard-Krebsmaus war von der US-amerikanischen Harvard-Universität entwickelt worden und sollte als Tiermodell für die Krebsforschung dienen. In das Genom der Maus war ein menschliches Krebsgen eingefügt worden, so dass sie innerhalb kurzer Zeit an Krebs erkrankte. So konnte man die Mechanismen der Krebsentstehung und mögliche Therapien mit Hilfe dieser Maus erforschen. Das Patent wurde 1988 in den USA und 1992 auch in Europa erteilt.
Das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) [1], nach dem Patente in Europa erteilt wurden, erschien für die Prüfung von sog. Biopatenten, also Patenten auf biologisches Material und Lebewesen, nicht ausreichend geeignet. Daher wurde in einem mehrjährigen Prozess, der von heftigen gesellschaftlichen Kontroversen begleitet wurde, die "Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen" (sog. Europäische Biopatentrichtlinie) entwickelt, die 1998 in Kraft trat.
In der damaligen Auseinandersetzung wurde primär diskutiert, ob die gentechnische Veränderung eines Lebewesens dieses in Gänze zu einer technischen und damit patentierbaren Erfindung des Menschen macht. Dies wurde letztlich durch die Europäische Biopatentrichtlinie grundsätzlich bejaht. Gleichzeitig enthielt die Richtlinie aber – ebenso wie das EPÜ – mehrere Klauseln, die die Patentierbarkeit ausschlossen:
Zum einen sollten Erfindungen, die gegen die guten Sitten und die öffentliche Ordnung verstießen, nicht patentfähig sein. Zum anderen waren Pflanzensorten und Tierrassen von der Patentierung ausgeschlossen. Auch der Mensch und menschliche Embryonen, die durch die künstliche Befruchtung der Forschung zugänglich geworden waren, sollten nicht unter den Patentschutz fallen. Damit schienen der Mensch und die klassische Pflanzen- und Tierzucht weiterhin von der Patentierbarkeit ausgenommen zu sein.
Schon bald erfolgte jedoch eine Ausweitung des Patentwesens: Die Interpretation der Formulierungen in der Europäischen Biopatentrichtlinie durch das Europäische Patentamt (EPA) führte dazu, dass Patente auch auf herkömmlich gezüchtete Pflanzen und Tiere erteilt wurden, solange sich die Patentansprüche nicht dezidiert auf eine Pflanzensorte oder eine Tierrasse bezogen. Kleinste technische Verfahrensschritte wie die Analyse vorhandener Gene reichten aus, um Pflanzen und Tiere zu patentieren. Ein besonders plakatives Beispiel war das sog. Brokkoli-Patent. Das Patent wurde gewährt, obwohl es sich um einen Brokkoli handelte, der durch konventionelle Züchtung mit einem im Wesentlichen biologischen Verfahren entstanden war. Das Patent umfasste die Züchtung, die Pflanzen und die daraus gewonnenen Produkte. Obwohl in einem Einspruchsverfahren der Patentanspruch auf das Zuchtverfahren zurückgewiesen wurde, blieb das Patent auf die Pflanzen und die daraus gewonnenen Produkte weiter bestehen (vgl. Kasten 1 in Kap. 3.3).
Auch im Bereich der Pharmazie spielen Biopatente eine Schlüsselrolle. Neuartige patentgeschützte Medikamente sind häufig so kostspielig, dass sie in den Ländern des Südens nicht eingesetzt werden. Hier besteht die Kontroverse zwischen dem Innovationsschutz des Pharmaunternehmens und dem Bedarf an preiswerten Medikamenten für die Versorgung einer wenig finanzkräftigen Bevölkerung (beispielsweise mit Medikamenten gegen HIV/AIDS [2]). Dieser ebenfalls wichtige Bereich wird in der vorliegenden Studie jedoch bewusst nicht betrachtet; der Fokus dieses Textes liegt auf der Patentierung von Pflanzen und Tieren.
1.2 Theologische und ethische Anfragen an Patente auf Pflanzen und Tiere
Die Patentierung von Pflanzen und Tieren wirft eine Vielzahl von theologischen und ethischen Grundsatzfragen auf. Im Blick auf das Verhältnis von Gott, Mensch und nicht-menschlicher Natur und die Verantwortung des Menschen für die Schöpfung ist zu fragen: Darf Leben wie eine Sache oder eine technische Erfindung wahrgenommen und behandelt werden? Was folgt aus dem Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer allen Lebens für die Bewertung der Patentierung von Pflanzen und Tieren? Wie ist der Schöpfungsauftrag, die Erde "zu bebauen und zu bewahren" (Gen 2,15) zu verstehen und wie weit dürfen die Gestaltungsmöglichkeiten und die Verfügungsgewalt des Menschen gegenüber anderen Geschöpfen gehen?
Aber auch im Blick auf die gerechte Verteilung von Gottes guten Gaben, insbesondere den Grundlagen unserer Ernährung bzw. des gerechten Zugangs zu ihnen, stellen sich zentrale theologische und ethische Fragen: Werden durch Biopatente Monopole gefördert, die den Zugang zu Nahrung erschweren? In welchem Verhältnis stehen Einzelinteressen und die Interessen des Gemeinwohls? Was folgt aus der besonderen Verantwortung, die der Mensch als Ebenbild Gottes gegenüber seinem Schöpfer hat, für den Umgang der Menschen miteinander? Wird die Vielfalt der Schöpfung bedroht und traditionelles Wissen privatisiert?
Auf diese Grundsatzfragen gibt es in der Kirche nicht immer einfache und eindeutige Antworten. Eine Auseinandersetzung mit der Patentierung von Pflanzen und Tieren, die diesen ethischen Fragen jedoch ausweicht, greift zu kurz. Bereits 1989 hatte der Ökumenische Rat der Kirchen in seinem Bericht zur Biotechnologie festgestellt, "dass Tiere nicht patentiert werden sollten", und hatte "zu weiteren Untersuchungen über die tiefgreifenden ethischen und sozialen Implikationen der Patentierung von Lebensformen" [3] aufgefordert. Die vorliegende Studie greift diesen Impuls auf. Allerdings ist die Beteiligung der Evangelischen Kirche in Deutschland an der gesellschaftlichen Debatte zu Biopatenten nicht neu: 1997 erschien die 2. Auflage der Publikation "Einverständnis mit der Schöpfung. Ein Beitrag zur ethischen Urteilsbildung im Blick auf die Gentechnik", in der sich ein Kapitel mit der Frage auseinandersetzte, warum die Patentierbarkeit biotechnologischer Erfindungen ein ethisches Problem darstellt [4]. Auch die kirchlichen Umweltbeauftragten befassten sich ausführlich mit der Frage, ob Lebewesen patentierbar sein können und initiierten die Petition "Leben ist keine Ware!", die 1996 dem Präsidenten des Europäischen Parlaments übergeben wurde [5]. Seit Jahren fordern auch evangelische Fachorganisationen aus den Bereichen Landwirtschaft, Umwelt und Entwicklungspolitik ein eindeutiges Verbot der Patentierung von Pflanzen und Tieren [6]. Im Jahr 2003 erklärten Vertreterinnen und Vertreter von 17 Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt in dem Abschlussdokument eines internationalen Workshops in Hyderabad, Indien: "Patente auf Leben lehnen wir entschieden ab. Sie stellen eine Bedrohung für die biologische Vielfalt und das traditionelle Wissen dar. Anerkennend, das ein Patentsystem existiert, sind wir der Ansicht, dass einige Änderungen in der Patentgesetzgebung sofort eingeführt werden müssen." [7]
Für die vorliegende Studie ist das christliche Verständnis von Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung erkenntnis- und handlungsleitend. Alles Lebendige, das in diesem Sinne als Schöpfung Gottes gedeutet wird, ist anders zu behandeln als rein technische, vom Menschen erdachte und gemachte Verfahren und Produkte. Insofern werden insbesondere die Europäische Biopatentrichtlinie und ihre Auswirkungen auf die Patentierung von Pflanzen und Tieren kritisch betrachtet. Die Folgen von Biopatenten für den Zugang zu biologischen Ressourcen und die damit verbundenen gerechtigkeitsethischen Probleme für die Länder des Südens sowie schöpfungstheologische Überlegungen führen zu einer Ablehnung der Biopatentierung. Nicht alle werden diese Perspektive teilen. Diese Studie will mit ihrer Positionierung jedoch nicht den Diskurs mit anderen beenden, sondern ihn weiterhin konstruktiv gestalten. Daher werden zum Schluss Vorschläge für eine Reform des Patentrechtes entwickelt, die die Erteilung von Biopatenten unter demokratische Kontrolle stellt und an strengere ethische Kriterien bindet.