Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist
Biopatente und Ernährungssicherung aus christlicher Perspektive. Eine Studie der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung. EKD-Text 115, 2012
7. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Leitgedanke: In den abschließenden Empfehlungen kommt die Studie zu dem Schluss, dass aus Sicht der sozio-ökonomischen Folgenabschätzungen nur wenig für Biopatente bei Pflanzen und Tieren spricht. Auch aus schöpfungstheologischer Sicht ergeben sich grundlegende kritische Anfragen an die Erteilung von Biopatenten. Weil aber diese Perspektive nicht von allen geteilt wird, werden konkrete Empfehlungen für eine Reform des Patentwesens gegeben , um die derzeitigen negativen Auswirkungen des Patentwesens möglichst stark zu minimieren und die Erteilung von Biopatenten nur unter Einhaltung strengster Kriterien zu ermöglichen. Dies soll zu einem gerechteren Vorteilsausgleich zwischen Patentanmelder und Gesellschaft beitragen. Hierzu gehören strengere Maßstäbe an die Erteilung von Biopatenten und eine Begrenzung der Schutzrechtsansprüche. Von grundlegender Bedeutung ist die Definition des Begriffs eines "im Wesentlichen biologischen Verfahrens" als ein Zuchtverfahren, das technische Schritte enthalten kann, die nicht zu den klassischen Zuchtverfahren gehören. Tiere und Pflanzen aus derartigen Zuchtverfahren dürfen keinesfalls eine patentierbare Erfindung darstellen.
Die Institutionen des Europäischen Patentamtes (EPA) sind einer demokratischen Kontrolle zu unterwerfen. Da das EPA keine Kompetenz für eine ethische Beurteilung sowie für eine sozio-ökonomische Folgenabschätzung besitzt, sind ihm entsprechende unabhängige und kompetente Fachgremien zur Seite zu stellen. Das Einspruchsverfahren ist so zu reformieren, dass es zivilgesellschaftlichen Organisationen technisch und finanziell ermöglicht wird, Einsprüche gegen bedenkliche Biopatente einlegen zu können. Dies gilt insbesondere für indigene Völker aus den Ländern des Südens, die weder das juristische Know-how, noch die finanziellen Ressourcen besitzen, um ihr traditionelles Wissen vor dem Zugriff durch einen Patentrechteinhaber zu schützen.
Das klassische Sortenschutzrecht weist im Vergleich zum Patentrecht ein höheres Potenzial auf, den Interessen von Kleinbauern, der ländlichen Entwicklung und dem Erhalt der Agrobiodiversität zu dienen. Hierdurch wird der Schutz traditionellen Wissens gewährleistet und die Sicherung der Ernährung verbessert. Die Evangelische Kirche in Deutschland und ihre ökumenischen Partner im Süden treten dafür ein, dass die genetischen Ressourcen von Pflanzen und Tieren auch zukünftig als Gemeingut für die Zucht und damit für die Sicherung der Ernährung und für die Erhaltung der Agrobiodiversität in Gottes guter Schöpfung zur Verfügung stehen.
7.1 Biopatente als Schutzsystem für geistiges Eigentum an Pflanzen und Tieren?
Wägt man das Für und Wider im Blick auf die Anwendung des Patentrechts auf Pflanzen und Tiere gegeneinander ab, so spricht wenig für Biopatente. Es ist fraglich, ob sie ihr Versprechen, Innovationen zu befördern, einlösen können, und sie haben negative soziale und ökologische Auswirkungen. Für manche Menschen sind sie kategorisch abzulehnen. Die in Kapitel 6 ausgeführten Überlegungen zur philosophischen und theologischen Urteilsbildung können folgendermaßen zusammengefasst werden:
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Eine kategorische Ablehnung von Biopatenten kann auf drei Argumentationen aufgebaut werden, die jedoch in sich problematisch sind. Argument 1 besagt, dass Lebewesen keine Erfindungen sind, sondern in der Natur vorgefunden werden und somit nicht patentierbar sind. Argument 2 beschreibt, dass Lebewesen ein moralischer Selbstwert zukommt und ihnen deshalb ein besonderer Schutz gebührt, der eine Patentierung verbietet. Argument 3 zeigt auf, dass Biopatente gegen das Menschenrecht auf Nahrung verstoßen können (vgl. Kap. 6.1).
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Biopatente können aber auch mit dem Argument abgelehnt werden, dass sie eine negative Folgewirkung ausüben, die nicht tolerabel ist (konsequentialistische Argumentation). Hierzu wird zum einen auf das Menschenrecht auf Nahrung hingewiesen: Wenn Biopatente den Zugang zu Saatgut erschweren, so behindern sie den Zugang zu Nahrung und verletzen damit die Schutzpflicht von Staaten, ihren Bürgern eben diesen Zugang zu garantieren.
Zum anderen wird auf das menschenrechtlich verbriefte Recht auf Schutz des traditionellen Wissens als globales Gemeingut eingegangen. Biopatente privatisieren dieses Gemeingut und unterbrechen die Überlieferungskette des traditionellen Wissens. Gleichzeitig wird durch Biopatente eine geistige Urheberschaft verliehen, die vorherige traditionelle Kultivierungs-, Züchtungs- oder Schutzleistungen ausschließt (vgl. Kap. 6.2).
- Aus christlicher Sicht ist Gott der Ursprung allen Lebens und aller Lebensformen. Da durch Biopatente eine exklusive Verfügung über pflanzliches und tierisches Leben stattfindet und infolgedessen Artenvielfalt und Ernährungssicherung deutlich eingeschränkt werden, ergeben sich für die Kirche grundlegende kritische Anfragen an die Erteilung von Biopatenten. Zu fragen ist, wie Biopatente mit dem Schöpfungsauftrag zu vereinbaren sind, die Gaben der Schöpfung so zu bewahren und zu nutzen, dass sie allen zugutekommen (vgl. Kap. 6.3).
Unabhängig davon, ob man sich einer kategorischen Ablehnung oder aber einer konsequentialistischen Argumentation anschließt, ergibt sich aus pragmatischer Sicht ein großer Handlungsbedarf für eine Reform des bestehenden Patentsystems, um die beschriebenen negativen Konsequenzen und Ungleichgewichte zumindest teilweise zu korrigieren. Im Folgenden wird ein Beitrag zu dieser politischen Debatte entwickelt, der nicht nur auf Reformbedarf in Details abstellt, sondern auch die Vorzugswürdigkeit anderer Regulierungsoptionen geltend macht.
7.2 Biopatente als Innovationsanreiz für technischen Fortschritt?
Patente auf Pflanzen und Tiere stellen kein geeignetes Instrument dar, um wissenschaftlich-technische Innovationen zu fördern. Patentansprüche werden in der Praxis teilweise so weitreichend formuliert, dass sie – entgegen dem Ziel der Innovationsförderung – ein Hindernis für technischen Fortschritt darstellen. Patentansprüche begründen im Kern monopolartige Rechte, sie begünstigen die Bildung von marktbeherrschenden Stellungen und wirken sich daher abschreckend auf in kommerzieller Hinsicht konkurrierende Forschungs- und Entwicklungsprozesse aus.
Diese Monopolrechte bei Biopatenten haben im ökologischen und sozialen Bereich weitreichende negative Auswirkungen. Ein über das TRIPS-Abkommen der WTO, bilaterale Handelsverträge, Sortenschutzabkommen und Abkommen der WIPO den Globus immer enger umspannendes Netz von Mindeststandards sorgt praktisch dafür, dass in fast allen Teilen der Welt gleiche oder doch gleichartige Standards zum Schutz von Rechten an geistigem Eigentum angewendet werden. Diese globale Homogenisierung nutzt global agierenden Unternehmen, sie antwortet jedoch nicht auf die Interessen und Bedürfnisse von Kleinbauern und mittleren Betrieben, vor allem in eher prekären Anbausituationen in Entwicklungsländern. Aber auch mittelständische Landwirte und Züchtungsbetriebe in den Industrieländern sind davon betroffen.
In den Entwicklungsländern werden an die spezifischen ökologischen und sozialen Bedingungen angepasste Sorten benötigt. Dieser Bedarf wird von den lokal über Generationen hinweg gezüchteten Sorten, deren Handhabung, vermittelt über tradiertes Wissen, den Bauern geläufig ist, befriedigt. Hochgezüchtete Hybridsorten und gentechnisch veränderte Sorten erfüllen diese Bedingungen nicht – entweder, weil sie nicht an die gegebenen natürlichen Bedingungen angepasst sind, oder weil diese Sorten höhere Kosten (Ankauf des Saatguts, benötigte Betriebsmittel) verursachen. Biopatente und ähnliche Rechte an geistigem Eigentum erweisen sich zusammen mit der Liberalisierung des Welthandels in der Praxis als Katalysator für den Zugang von global agierenden Unternehmen auf bislang noch unerschlossene Märkte. Die kommerziellen Sorten verdrängen lokale und traditionelle Sorten vom Markt. Hierbei spielen auch staatliche Programme eine Rolle, die Unterstützungsleistungen wie Kredite anbieten und gleichzeitig die Abnahme moderner, kommerzieller Sorten vorschreiben [85].
Dieser Prozess hat auch Folgen für die Agrobiodiversität. Die Industrialisierung der Landwirtschaft in Verbindung mit Rechten an geistigem Eigentum hat in den Industrieländern zu einem massiven Verlust an Agrobiodiversität geführt. Eine ähnliche Entwicklung ist für die Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas zu befürchten bzw. findet dort bereits statt [86]. Hinzu kommt das Problem der Verunreinigung von Wildpflanzen und Landsorten durch gentechnisch veränderte Pflanzen. Auch dies trägt dazu bei, die für die Welternährung zur Verfügung stehende Vielfalt an genetischen Ressourcen zu verringern.
Betrachtet man die bisherige Praxis der Erteilung von Biopatenten, so ist zweifelhaft, ob die positiven Wirkungen die negativen Folgen übersteigen. Der im Patentrecht angelegte Gesellschaftsvertrag des Interessensausgleichs zwischen Patentinhaber und Gesellschaft wird bei Biopatenten häufig nicht hergestellt. Das liegt u. a. an der Reichweite von Monopolrechten auf Lebewesen und den unmittelbar betroffenen Bereichen wie der Landwirtschaft oder der Medizin [87], die für den Menschen von existentieller Bedeutung sind. Zwar sind Pflanzensorten und Tierrassen formal nicht patentierbar, aber faktisch werden sie mittelbar "durch die Hintertür" patentiert. Die
Biopatente höhlen allmählich alternative Institutionen wie das Sortenschutzrecht aus und treten an ihre Stelle.
Biopatente sind insofern das Musterbeispiel für einen Funktionswandel des Patentwesens weg von einer Institution, die technische Innovationen stimuliert, die später durch den Ablauf der Patente zu intellektuellem Gemeingut werden sollen, und hin zu einer Sicherung möglichst hoher "returns of investments" für Patentinhaber. Aus der Perspektive von Nutzenmaximierern ist es rational, das Patentwesen in diesem Sinne auszunutzen und, wenn möglich, durch politischen Lobbyismus auf die entsprechende Ausgestaltung des Patentrechts hinzuwirken. Aus der Perspektive von Gemeinwohlbelangen muss hingegen entweder a) das Patentwesen vor diesem Funktionswandel bewahrt oder, falls dies nicht möglich ist, müssen b) andere rechtliche Institutionen gestärkt werden. Die moralische Integrität des Patentwesens kann nur durch Reformen gewahrt bzw. erneuert werden.
Daher müssen strengere Maßstäbe an die Erteilung von Patenten und die Gewährung von Schutzrechtsansprüchen gelegt werden. Es gilt, durch einen intensiveren Prüfprozess bereits bei der Antragstellung zu verhindern, dass Patente mit überzogenen Ansprüchen bzw. Patente auf "im Wesentlichen biologische Verfahren" erteilt werden. So ist klarzustellen, dass ein im Wesentlichen biologisches Verfahren nur im Wesentlichen (und nicht vollständig) biologisch sein muss, um es von der Patentierung ausschließen zu können. Ein im Wesentlichen biologisches Verfahren kann mithin Schritte enthalten, die nicht zu den klassischen Zuchtmethoden gezählt werden. Ein derartiges Zuchtverfahren darf nicht länger patentfähig sein, die daraus entstehenden Pflanzen und Tiere dürfen ebenfalls keine patentierbaren Erfindungen darstellen. Bei der zukünftigen Vergabe von Biopatenten durch das EPA sollte darauf geachtet werden, ob die geänderte Ausführungsvorschrift auch tatsächlich konsequent umgesetzt wird (vgl. Kap. 5.2.1 Fußnote 52).
Die Kriterien der Erfindungshöhe bedürfen einer stärker restriktiven Analyse. Dies gilt grundsätzlich, vor allem aber auch mit Blick auf das sog. Evergreening. Das Evergreening, das der Idee und dem Sinn des Patentwesens widerspricht, ist ein deutlicher Ausdruck des besagten Funktionswandels. Es handelt sich im Grunde um einen Missbrauch des Patentwesens.
Ein besonderes Problem stellen die weitreichenden Schutzrechtsansprüche dar, die aus Patenten abgeleitet werden. So sieht das europäische Patentrecht vor, dass Pflanzensorten und Tierrassen nicht patentierbar sind. Diese Klausel dient dem Schutz von Innovationen im Bereich der Züchtung. Die Praxis der Patenterteilung oberhalb von Rassen und Sorten hebelt diesen vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehenen Schutz hingegen faktisch aus. Daher sollten die Schutzrechtsansprüche in derartigen Patenten auf die tatsächliche erfinderische Leistung begrenzt werden. Diese Forderung nach einer Begrenzung von Schutzrechtsansprüchen auf die tatsächliche Erfindung hat einen weiteren Grund. Die in Biopatenten beanspruchten Schutzrechtsansprüche führen zu extrem weitgefassten Monopolrechten, so dass sie einem "Patent auf Leben" häufig sehr nahe kommen oder es gar faktisch darstellen mögen. Durch eine Beschränkung von Verfahrenspatenten auf die tatsächlich erforschten bzw. entwickelten Innovationen bei denjenigen Pflanzen und Tieren, mit denen gearbeitet wurde, können derartige Auswüchse vermieden werden.
7.3 Reformbedarf im europäischen Patentrecht für Biopatente
7.3.1 Institutionelle Reformen
Mit Blick auf den Reformbedarf im europäischen Patentrecht für Biopatente geht es zunächst um einen besseren Interessenausgleich zwischen Schutzrechtsinhabern und öffentlichen Belangen. Das Problem ist jedoch, dass letztere im Prozess der Prüfung und Erteilung eines Patentes kaum eine Rolle spielen. Die Prüfung eines Patentantrages beschränkt sich im Kern darauf, ob es sich im gegebenen Fall um eine Erfindung handelt, die neu und gewerblich nutzbar ist. Die Bestimmung, wonach ein Patent nicht gegen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten verstoßen darf, greift zu kurz, sie lässt die Frage der sozialen und ökologischen Auswirkungen eines Patentes außen vor. Das Gemeinwohl spielt hier nur insofern eine Rolle, als unterstellt wird, dass Erfindungen per se zum Gemeinwohl beitragen. Eine Prüfung, inwieweit die aus dem Patentrecht erwachsenden Monopolrechte in Widerspruch zum Gemeinwohl oder öffentlichem Interesse stehen, findet nicht statt. Das EPA ist nach eigenen Angaben nicht dazu berechtigt, eine Technikfolgenabschätzung im Blick auf sozio-ökonomische oder ökologische Auswirkungen eines Patents vorzunehmen. Die Prüfung kann lediglich hinsichtlich der durch das EPÜ und die Europäische Biopatentrichtlinie vorgegebenen juristischen Kriterien erfolgen.
Das Europäische Patentamt hat mehrfach darauf hingewiesen, dass es keine Handhabe besitze, über ethische und sozialpolitische Fragen zu urteilen. Daraus erwächst die Frage, wie diesem Defizit zu begegnen ist. Da sowohl die Europäische Biopatentrichtlinie als auch das EPÜ eine entsprechende Ausschluss-Klausel enthalten, sollten Prüfungsmechanismen hinsichtlich der sozialen und ökologischen Folgen von Biopatenten möglich sein. Die bisherigen Erfahrungen mit Biopatenten und ihren weitreichenden Schutzrechtsansprüchen dokumentieren eindrucksvoll, dass im Inter esse des Gemeinwohls sozio-ökonomische und ökologische Aspekte nicht ignoriert werden dürfen. Aber das Gemeinwohl ist keine Sache, die einfach objektiv festgestellt werden könnte, sondern eine Art notwendige Unterstellung in politischen Debatten. Daher ist die Zurückhaltung des EPA in Wertfragen nicht unbegründet.
Ein wichtiger Schritt hin zu einer Transparenz des Patentvergabeverfahrens, das auch einen Zugang zu einer sozio-ökonomischen Folgenabschätzung eröffnet, wäre die Umsetzung der Forderung der Entwicklungsländer aus den Verhandlungen für das Nagoya-Protokoll, dass der korrekte Zugang zu einer genetischen Ressource Voraussetzung für die Patent-Erteilung ist. Das Nagoya-Protokoll schreibt dies nicht zwingend vor, es behindert eine solche Bestimmung im Patentrecht jedoch nicht. Vielmehr würde dadurch das Ziel des Nagoya-Protokolls, Biopiraterie zu verhindern, unterstützt.
Ein weiteres Element, um Belange des Gemeinwohls zu stärken, wäre eine Ethik-Kommission, die die sozio-ökonomischen und ökologischen Folgen von Patenten abschätzen und Prüfverfahren unter Beteiligung oder Federführung der vorhandenen Institutionen zur Technikfolgenabschätzung in Gang bringen könnte. Sie könnte unter Umständen auch mit einem Veto-Recht ausgestattet werden. Die Besetzung wäre in einer Weise vorzunehmen, die die Unabhängigkeit des Urteils von institutionellen Interessen der Patentämter und ökonomischen Interessen stärkt. Die Europäische Patentorganisation (EPO) hat im Januar 2012 ein Beratungsgremium für Patent-relevante ökonomische und soziale Belange eingesetzt [88]. Das "Economic and Scientific Advisory Board" besteht aus 11 Wissenschaftlern. Der Fokus der Gruppe soll auf die Wirkung des Patentsystems auf Innovation und ökonomisches Wachstum gerichtet sein. Ob dieses Gremium die notwendige sozio-ökonomische Folgenabschätzung von Biopatenten vornehmen wird, ist fraglich. Ein weiteres Instrument wäre die Einführung eines Petitionsverfahrens, das auch Nicht-Experten besser in die Lage versetzen würde, ihre Bürgerrechte wahrzunehmen.
Transparenz kann auch dadurch erreicht werden, dass man die Folgen und Nebenwirkungen besonders strittiger Patente von einer unabhängigen Instanz abschätzen lässt. Hierzu bieten sich die Institutionen der Technikfolgenabschätzung an (etwa das TAB). Ein unabhängiges Prüfverfahren wäre auch ein wichtiger Baustein, um Transparenz und demokratische Kontrolle in der Praxis der Patentvergabe zu stärken. Monopolrechte, die aus Patentrechten erwachsen, sind eben nicht ausschließlich Angelegenheit von Unternehmen, die miteinander im Wettbewerb stehen, sondern gleichzeitig auch Gegenstand öffentlichen Interesses. Dies gilt für klassische technische Erfindungen, dies gilt aber in besonderem Maße für Biopatente. Die im Europäischen Patentamt und seinem Genehmigungs- und Einspruchsverfahren fehlende öffentliche demokratische Kontrolle erscheint nicht mehr zeitgemäß, sie fällt wesentlich hinter den Beteiligungsverfahren etwa im Umweltrecht zurück.
Die Vertretung öffentlicher Interessen wird zusätzlich dadurch erschwert, dass Einspruchsverfahren gegen bereits erteilte Patente mit hohen Kosten verbunden sind, die selbst im Falle des Erfolgs von dem Einsprechenden aufgebracht werden müssen. Dieses mag bei Patentstreitigkeiten zwischen Unternehmen gerechtfertigt sein, es stellt jedoch eine bedeutsame Hürde für Nichtregierungsorganisationen dar, die im öffentlichen Interesse gegen ein Patent Einspruch erheben. Die Regelung der Kostenerstattung muss dahingehend verändert werden, dass die Kosten von Einsprüchen durch die Zivilgesellschaft, die die Rücknahme eines Patentes aufgrund eines öffentlichen Interesses zum Gegenstand haben, grundsätzlich durch das Patentamt zu tragen sind. Hierzu wäre möglicherweise ein Rechtshilfefonds einzurichten, über dessen Mittelvergabe ein Gremium zu entscheiden hätte, das sich wiederum durch größtmögliche Unabhängigkeit von institutionellen Interessen der Patentämter und ökonomischen Interessen auszeichnet. Gegebenenfalls wäre ein solcher Rechtshilfefonds durch eine Gebührenerhöhung zu finanzieren. Allerdings sollte die finanzielle Abhängigkeit des EPA von Patentgebühren einer grundsätzlichen, kritischen Analyse unterzogen werden. Denn dadurch ergibt sich fraglos ein gewisser Anreiz, möglichst viele Patente zu erteilen.
Dass eine stärkere Demokratisierung und Beteiligung der Öffentlichkeit unumgänglich ist, zeigt auch die Praxis. Dagegen spricht auch nicht der Hinweis, dass nur 28% aller biotechnischen Patentanträge tatsächlich bewilligt werden. Die Tatsache, dass die Mehrheit der Einsprüche gegen Biopatente erfolgreich ist, verweist darauf, dass die Prüfung von Patentanträgen nicht genügend kritisch erfolgt [89]. Allerdings kann es nicht der Zivilgesellschaft überlassen sein, durch aufwändige Patentrecherchen derartige Patente zu ermitteln und diese anzufechten.
Der Reformbedarf könnte folgendermaßen präzisiert werden:
- Demokratische Kontrolle des EPA durch ein Gremium mit hoher Legitimität, etwa des Europäischen Parlaments. So könnten Anhörungen durch das Europäische Parlament organisiert werden, bei denen auch Organisationen der Zivilgesellschaft vertreten sind. Das EPA könnte eine regelmäßige Berichterstattung an das Parlament einführen, bei der insbesondere auf besonders umstrittene Patente und deren Prüfung eingegangen wird.
- Überprüfung der Konsequenzen besonders problematischer Patente durch geeignete Organisationen der Technikfolgenabschätzung.
- Stärkung der zivilgesellschaftlichen Akteure, die Patente anfechten: Ein Teil der Patentgebühren könnte in einen Fonds zur Finanzierung von Einspruchsverfahren eingezahlt werden.
- Berufung einer EPA-internen Ethik-Kommission für Biopatente in Analogie zu klinischen Ethik-Kommissionen.
7.3.2 Sortenschutz statt Biopatentierung
In globaler Perspektive muss in erster Linie der Grundsatz gelten, dass jedes Land und jede Region ein den jeweiligen Erfordernissen angemessenes Schutzrechtssystem implementieren kann. Das Recht auf sui generis-Systeme ist anzuerkennen. Von daher ist die Politik der EU abzulehnen, den Entwicklungsländern ein Sortenschutzrecht nach UPOV 1991 aufzunötigen. Im Interesse der biologischen Vielfalt sollte die EU nicht länger darauf bestehen, in bilateralen Handelsabkommen die Entwicklungsländer zur Implementierung von UPOV 1991 zu verpflichten. Gleichfalls abzulehnen sind die wiederholten Vorstöße der EU, im TRIPS-Abkommen UPOV 1991 als einzige Alternative zum Patentschutz festzuschreiben. Im TRIPS-Abkommen heißt es, dass Sorten durch Patente oder ein wirksames System sui generis zu schützen sind. Weder hat die EU die Definitionsmacht, was genau ein wirksames System sui generis ist, noch darf ihr zugestanden werden, einseitig den Interessen der großen Saatgutkonzerne auf Kosten von Kleinbauern, Agrobiodiversität und ländlicher Entwicklung zu dienen.
Auch der Sonderberichterstatter des UN-Generalsekretärs für das Recht auf Nahrung, Olivier de Schutter, empfiehlt den Staaten, sowohl die bäuerlichen als auch die kommerziellen Systeme der Pflanzenzüchtung zu unterstützen. Der Schlüssel für eine Umsetzung des Rechts auf Nahrung liegt de Schutter zufolge darin, die Koexistenz beider Systeme zu organisieren. Die lineare Vorstellung von Fortschritt, wonach traditionelle Pflanzensorten durch Hochertragssorten zu ersetzen seien, so de Schutter, reduziere das Problem von Ernährungssicherung auf die Frage der Produktion von Nahrungsmitteln [90]. Einer solchen Sichtweise stehen die aus einem Patent erwachsenden weitgehenden Monopolrechte diametral entgegen. Biopatente sind ein Präjudiz in der Debatte um eine agrarökologisch und sozial nachhaltige Weltagrarpolitik.
Ein Blick in die deutsche und europäische Geschichte zeigt zudem, dass der Ruf nach einem Patentgesetz mit der nationalen ökonomischen und technologischen Entwicklung einherging. Dass die ökonomischen und sozialen Wirkungen von Rechten an geistigem Eigentum nicht losgelöst gesehen werden können von den allgemeinen ökonomischen und technologischen Rahmenbedingungen, gilt nach wie vor. Deshalb erweisen sich global angelegte one-size-fits-all-Ansätze, die die Bedürfnisse der Kleinbauern den Interessen der kommerziellen, global agierenden Züchter unterordnen, als wenig sinnvoll [91].
So sollten Subsistenz- und Kleinbauern grundsätzlich von allen Pflichten befreit werden, die sich aus Rechten an geistigem Eigentum ergeben. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob Sortenschutz nach UPOV 1978 nicht ein ausreichendes Schutzinstrument darstellt. Dies muss im Übrigen nicht mit dem Beitritt zu dem entsprechenden Abkommen geschehen, was rechtlich gar nicht mehr möglich ist. Es reicht die Umsetzung der Bestimmungen von UPOV 1978 oder bestimmter Elemente daraus. Damit sollte dann für WTO-Mitgliedsstaaten auch die Forderung nach einem wirksamen System sui generis zum Schutz von Pflanzensorten erfüllt sein.
Auch wenn mit UPOV 1991 eine starke Annäherung des Sortenschutzes an den Patentschutz vollzogen wurde, bietet der Sortenschutz grundsätzlich flexiblere und – unter Rückgriff auf frühere UPOV-Fassungen – regional besser angepasste Instrumente des Innovationsschutzes an, die den verschiedenen Akteuren in diesem Marktsegment gerecht werden. Die globale Landwirtschaft wird unterschiedliche Ansätze nutzen müssen, um den multiplen Herausforderungen des Klimawandels, des Bevölkerungswachstums und der sich ändernden Ernährungsgewohnheiten gewachsen zu sein [92]. Insbesondere gilt es, eine große Sorten- und Rassenvielfalt zu erhalten, um eine breite genetische Basis für zukünftige Züchtungen zu besitzen. Diese breite Basis droht verloren zu gehen, da sich Forschung und Entwicklung zunehmend aus der öffentlichen Hand in Großunternehmen verlagert hat, die durch Biopatente und Marktkonzentrationsprozesse ihre Produkte weltweit vermarkten. Dies geht mit einem Verlust an biologischer Vielfalt einher und schränkt auch die Anbaumethoden ein.
Seit der Publikation des Weltagrarberichtes 2008 mehren sich wissenschaftliche Studien, die sich für eine Stärkung partizipatorischer Konzepte der Pflanzenzucht in den Ländern des Südens aussprechen. Dabei geht es um eine Stärkung der Rechte der Bauern, eigenes, standortangepasstes Saatgut zu entwickeln und zu vermarkten. Diese geht einher mit der Forderung des UN-Sonderberichterstatters Olivier de Schutter, die im Internationalen Saatgutvertrag verankerten Rechte der Bauern, die sogenannten Farmer’s Rights, zu stärken und umzusetzen [93]. Damit verbunden ist die wichtige Aufgabe des Erhalts der Agrobiodiversität, aber auch die Fortentwicklung landwirtschaftlicher Anbaumethoden, die ohne kostenintensive Inputs einen akzeptablen Ertrag bringen und die Bodenfruchtbarkeit erhalten. Diese Konzepte werden durch eine Fortschreibung der bisherigen Praxis der Patenterteilung behindert. Instrumente wie die Erteilung von Freilizenzen (Beispiel Golden Rice), oder die Durchsetzung von Zwangslizenzen (wie zum Beispiel im Medikamentensektor) sind hier keineswegs ausreichend, weil sie nicht geeignet sind, die bäuerlichen Systeme von Zucht und Nutzung zu stärken. Unterstützenswert sind hingegen Initiativen, die die genetischen Ressourcen öffentlich zugänglich machen, wie dies mit der Entschlüsselung des Genoms der Kulturpflanze Kakao erfolgte (vgl. Kap. 4.2).
Über die Frage von Landwirtschaft hinaus ist an das Patentwesen die Anforderung zu stellen, zum Schutz traditionellen Wissens beizutragen. Dies geschieht am besten dadurch, dass traditionelles Wissen von der Patentierung ausgeschlossen wird. Konkret bedeutet dies, dass Innovationen, die, wie in Fällen von Neem [94] und Pelargonium [95], im Wesentlichen nichts anderes beinhalten als die Übertragung traditionellen Wissens auf eine industrielle Anwendung, nicht länger patentiert werden können.
Diese Forderung geht einher mit der allgemeinen Forderung nach strengeren Maßstäben an die Patenterteilung, insbesondere, was Fragen von Neuheit und Erfindungshöhe angeht. Darüber hinaus sollte das Patentrecht jedoch einen aktiven Beitrag zur Verhinderung von Biopiraterie leisten, anstatt, wie bislang, dieses Problem zu ignorieren und damit die nicht CBD-konforme Nutzung genetischer Ressourcen und traditionellen Wissens zu unterstützen. Kein Patent sollte ohne eine vorherige informierte Zustimmung indigener Völker bzw. der zuständigen Behörden der Länder, die diese Ressourcen zur Verfügung stellen, erteilt werden. Viele Entwicklungsländer fordern in der WTO seit langem eine entsprechende Veränderung des TRIPS-Abkommens [96].
Die Analyse zeigt, dass Forderungen nach einer Reform der Europäischen Biopatentrichtlinie in den globalen Kontext eingebettet werden müssten. Es geht darum, den Schutz von Innovationen im Bereich Pflanzenzüchtung (und auch in der darüber hinausgehenden Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen) sowie in der Tierzucht an die jeweiligen lokalen und regionalen Umstände anzupassen. Ein Patentrecht, das über internationale Handelsabkommen ein gleichförmiges Netz zum Schutz von Rechten an geistigem Eigentum spannt, dient diesem Ziel nicht. Reformen innerhalb des jetzigen Patentsystems sind sicherlich geeignet, diesem Ziel näher zu kommen. Erreichen wird man es dadurch jedoch nicht. Dazu wäre es erforderlich, Biopatente abzuschaffen und, wo notwendig, lokale und regionale Sorten- und Rassenschutzsysteme einzuführen. Diese sollten allerdings nicht einseitig auf eine Industrialisierung landwirtschaftlicher Produktion setzen, sondern, eingebettet in die lokale Ökonomie, die Entwicklung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und die Erhaltung der Agrobiodiversität unterstützen. Patente eignen sich für einen solch differenzierteren Ansatz nicht. Dies erklärte auch schon der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier de Schutter, im Jahr 2009 vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen: "Das gegenwärtige Regime für geistige Eigentumsrechte ist suboptimal, um die globale Ernährungssicherung sicherzustellen. Es ist nicht geeignet, die Art von Innovation zu fördern, die wir benötigen, um dem Klimawandel zu begegnen." [87] Dieser Befund unterstützt die ethische Haltung, wonach aus christlicher Sicht grundlegende kritische Anfragen an die Erteilung von Biopatenten zu stellen sind.