Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist
Biopatente und Ernährungssicherung aus christlicher Perspektive. Eine Studie der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung. EKD-Text 115, 2012
Leitgedanken der Studie
Die vorliegende Studie setzt sich im Kern mit den Auswirkungen von Patenten auf Pflanzen und Tiere auf die Ernährungssicherung auseinander. Dabei nimmt sie insbesondere schöpfungstheologische und gerechtigkeitsethische Aspekte in den Blick.
Patente als eine Form von geistigen Eigentumsrechten werden für technische Erfindungen erteilt. Ein Patent ist kein positives Besitz- oder Nutzungsrecht, sondern ein negatives Ausschließungsrecht: Es gewährt das Recht, über die kommerzielle Nutzung der patentierten Erfindung für einen Zeitraum von 20 Jahren zu bestimmen. Im Gegenzug profitiert die Gesellschaft ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Patentschrift: Die Information über die technische Innovation, die mit dem Patent verbunden ist, wird der Allgemeinheit zugänglich gemacht und kann weitere technischen Neuheiten initiieren. Nach Ablauf des Patentschutzes (nach 20 Jahren) geht die Erfindung in das Gemeingut der Gesellschaft über (Kap. 2).
Inzwischen werden Patente auch auf Lebewesen und deren Bestandteile erteilt. Die Patenterteilung beschränkt sich nicht auf gentechnisch veränderte Organismen, sondern erstreckt sich auch auf herkömmlich gezüchtete Pflanzen und Tiere. Allerdings sind Pflanzensorten und Tierrassen von der Patentierung ausgeschlossen. Zahlreiche Regelwerke befassen sich mit Biopatenten. In Europa sind dies das Europäische Patentübereinkommen EPÜ (Kap. 3.1), die Europäische Biopatentrichtlinie DIR 98/44 EG (Kap. 3.2) und in Deutschland das nationale Patentgesetz (Kap. 3.3). Im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO wurden handelsbezogene Aspekte von Rechten an geistigem Eigentum (TRIPS) festgelegt. TRIPS räumt die Möglichkeit ein, anstelle von Biopatenten alternative Schutzrechte für Pflanzen, sog. sui generis Rechte, zu vergeben (Kap. 3.4). Weitere internationale Abkommen und Konventionen können von Biopatenten berührt werden. Die Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) legt Regeln für den Zugang und den gerechten Vorteilsausgleich bei der Nutzung biologischer Ressourcen fest. Hier kann es zu Konflikten kommen, die durch das Nagoya-Protokoll nicht verhindert werden (Kap. 3.5). Auch der Internationale Saatgutvertrag beschäftigt sich mit Biopatenten (Kap. 3.7).
Biopatente wirken als Instrument der Marktkonzentration, das sich auf die gesamte Produktionskette der Landwirtschaft – vom Saatgut bis zum Lebensmittel – auswirken kann. Als Akteure dominieren dabei multinationale Großkonzerne (Kap. 4.1). Dies kann zu einer starken Verringerung der Agrobiodiversität beitragen. Zum einen werden lokale Sorten vom Markt verdrängt, zum anderen nimmt die Zahl der Zuchtbetriebe und Kleinzüchter rapide ab, so dass auch hierdurch die Vielfalt bei Saatgut sinkt. Hierzu trägt weiterhin bei, dass gleichzeitig gentechnisch veränderte Sorten massiv in den Markt gedrängt werden. Biopatente setzen einen Trend in der industrialisierten Landwirtschaft fort, der zu einer verstärkten Gefährdung der Artenvielfalt und der Ernährungssicherung führt. Dies wird von kirchlichen Agrar-, Umwelt- und Entwicklungsfachleuten mit Sorge beobachtet. Die Sicherung der Ernährung ist ein zentrales Anliegen der kirchlichen Projekt- und Lobbyarbeit (Kap. 4.2).
Biopiraterie bedroht das traditionelle Wissen sowie das in der Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) verankerte Konzept eines geregelten Zugangs zu biologischen Ressourcen, verbunden mit einem Vorteilsausgleich für die Bewahrer dieser Ressourcen. Daher verletzt Biopiraterie aus kirchlicher Sicht Aspekte der Gerechtigkeit im Kontext mit traditionellem Wissen (Kap. 4.3).
Viele Probleme im Kontext mit Biopatenten entstehen dadurch, dass sich das für unbelebte technische Erfindungen entwickelte Patentwesen nicht ohne weiteres auf Lebewesen übertragen lässt. So besteht eine Kontroverse darüber, wie eng der Begriff der Erfindung im Patentrecht auszulegen ist (Kap. 5.1.1). Die Fortpflanzungsfähigkeit und der Metabolismus von Lebewesen bedingen eine Vermehrung, die keine erfinderische Leistung darstellt. Eine exakte Beschreibung des biologischen Materials, wie sie vom Patentrecht gefordert wird, ist schlicht nicht möglich, so dass man sich mit einer Hinterlegung von Zellkulturen behilft (Kap. 5.1.2 und 5.1.3).
Bei Patenten, die die genetischen Informationen betreffen, besteht die Schwierigkeit, ein dynamisches System mit hoher Variabilität exakt zu reproduzieren. Gleichzeitig sind Analyseverfahren für genetische Informationen mittlerweile etabliert, so dass bei derartigen Biopatenten die Erfindungshöhe in Frage gestellt werden muss. Da Patente mit möglichst umfassenden Ansprüchen formuliert werden, ist die Reichweite von Biopatenten häufig besorgniserregend groß und kann vom Saatgut bis zum Fertiggericht reichen. Kirchliche Fachorganisationen kritisieren seit Jahren, dass hier eine Schieflage zwischen der erfinderischen Leistung und dem Gewinn aus der Reichweite des Patentschutzes auftritt (Kap. 5.2.1).
Das klassische Sortenschutzrecht sieht Privilegien für Landwirte, Züchter und Forscher vor, die dazu beitragen sollen, dass Innovationen im Bereich der Pflanzenzucht sowie der Zugang zu Saatgut nicht übermäßig behindert werden. Die Ausschließungsrechte des Patentrechts schränken diese Privilegien ein und führen im Extremfall zu Blockaden. Aus kirchlicher Sicht besteht hier kein ausgewogenes Verhältnis mehr zwischen dem Nutzen des Patentrechteinhabers und dem der Gesellschaft (Kap. 5.2.2 und 5.2.3).
Das Europäische Patentamt (EPA) ist eine Organisation, die Patente erteilt, über Einsprüche gegen Patente berät und entsprechende Einspruchsverfahren in ihren eigenen Beschwerdekammern durchführt. Das EPA finanziert sich durch die Gebühren für die Patenterteilung; eine demokratisch legitimierte Kontrolle findet nicht statt. Eine ethische Beurteilung oder sozio-ökonomische Folgenabschätzung ist bei der Patenterteilung nicht vorgesehen. Diese fehlende demokratische Kontrolle des Europäischen Patentamtes wird von der Evangelischen Kirche in Deutschland als bedenklich beurteilt. Auch mahnt sie an, dass Entscheidungen über Biopatente, die die Grundfragen des Lebens berühren, nicht ohne ethische Kriterien und eine sozioökonomische Folgenabschätzung getroffen werden sollten (Kap. 5.2.4).
Bei der ethischen Urteilsbildung kann eine kategorische Ablehnung von Biopatenten mit dem Argument begründet werden, dass Lebewesen keine Erfindungen darstellen. Auch kann angeführt werden, dass Biopatente gegen die guten Sitten oder gegen Menschenrechte verstoßen. Diese kategorischen Argumentationen weisen jedoch einige Schwierigkeiten auf. Sie werden im Folgenden nur genannt, weil oft so argumentiert wird. Sie sind aber alle nicht wirklich überzeugend (Kap. 6.1). Eine Ablehnung von Biopatenten kann aus den Konsequenzen abgeleitet werden, die sich aus der Wirkung von Patenten auf Pflanzen und Tiere ergeben. So berühren Biopatente auch Aspekte der Gerechtigkeit. Die Monopolisierung der Nahrungsgrundlagen kann zu einem Verstoß gegen das Menschenrecht auf Nahrung führen. Der Schutz traditionellen Wissens ist durch internationale Vereinbarungen und Erklärungen kodifiziert. Biopatente bewirken hier die Privatisierung der Nutzung von traditionellem Wissen als globales Gemeingut (Kap. 6.2).
Aus christlicher Sicht ist Gott der Ursprung allen Lebens und aller Lebensformen und ihrer dynamischen Entwicklung. Der Psalmist formulierte in Psalm 24,1: "Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist." Da durch Biopatente eine exklusive Verfügung über pflanzliches und tierisches Leben stattfindet und infolgedessen Artenvielfalt und Ernährungssicherung deutlich eingeschränkt werden, ergeben sich für die Kirche grundlegende kritische Anfragen an die Erteilung von Biopatenten. Zu fragen ist, wie Biopatente mit dem Schöpfungsauftrag zu vereinbaren sind, die Gaben der Schöpfung so zu bewahren und zu nutzen, dass sie allen zugutekommen. Aus christlicher Sicht wäre es angemessener, Innovationen im Bereich der Biologie als Gemeinbesitz freizugeben (Kap. 6.3.3).
In den abschließenden Empfehlungen kommt die Studie zu dem Schluss, dass aus Sicht der sozio-ökonomischen Folgenabschätzungen nur wenig für Biopatente bei Pflanzen und Tieren spricht. Auch aus schöpfungstheologischer Sicht ergeben sich grundlegende kritische Anfragen an die Erteilung von Biopatenten. Weil aber diese Perspektive nicht von allen geteilt wird, werden konkrete Empfehlungen für eine Reform des Patentwesens gegeben, um die derzeitigen negativen Auswirkungen des Patentwesens möglichst stark zu minimieren und die Erteilung von Biopatenten nur unter Einhaltung strengster Kriterien zu ermöglichen. Dies soll zu einem gerechteren Vorteilsausgleich zwischen Patentanmelder und Gesellschaft beitragen (Kap. 7.1). Hierzu gehören strengere Maßstäbe an die Erteilung von Biopatenten und eine Begrenzung der Schutzrechtsansprüche. Von grundlegender Bedeutung ist die Definition des Begriffs eines "im Wesentlichen biologischen Verfahrens" als ein Zuchtverfahren, das technische Schritte enthalten kann, die nicht zu den klassischen Zuchtverfahren gehören. Tiere und Pflanzen aus derartigen Zuchtverfahren dürfen keinesfalls eine patentierbare Erfindung darstellen (Kap. 7.2).
Die Institutionen des Europäischen Patentamtes (EPA) sind einer demokratischen Kontrolle zu unterwerfen. Da das EPA keine Kompetenz für eine ethische Beurteilung sowie für eine sozio-ökonomische Folgenabschätzung besitzt, sind ihm entsprechende unabhängige und kompetente Fachgremien zur Seite zu stellen. Das Einspruchsverfahren ist so zu reformieren, dass es zivilgesellschaftlichen Organisationen technisch und finanziell ermöglicht wird, Einsprüche gegen bedenkliche Biopatente einlegen zu können. Dies gilt insbesondere für indigene Völker aus den Ländern des Südens, die weder das juristische Know-how, noch die finanziellen Ressourcen besitzen, um ihr traditionelles Wissen vor dem Zugriff durch einen Patentrechteinhaber zu schützen.
Das klassische Sortenschutzrecht weist im Vergleich zum Patentrecht ein höheres Potenzial auf, den Interessen von Kleinbauern, der ländlichen Entwicklung und dem Erhalt der Agrobiodiversität zu dienen. Hierdurch wird der Schutz traditionellen Wissens gewährleistet und die Sicherung der Ernährung verbessert. Die Evangelische Kirche in Deutschland und ihre ökumenischen Partner im Süden treten dafür ein, dass die genetischen Ressourcen von Pflanzen und Tieren auch zukünftig als Gemeingut für die Zucht und damit für die Sicherung der Ernährung und für die Erhaltung der Agrobiodiversität in Gottes guter Schöpfung zur Verfügung stehen (Kap. 7.3).