Unser tägliches Brot gib uns heute
Neue Weichenstellung für Agrarentwicklung und Welternährung. Eine Studie der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung. Mai 2015
2. Herausforderungen für Agrarpolitik und Ernährungssicherung
2.1 Die Krise der Ernährung
Den Hunger in der Welt zu überwinden oder zumindest die Zahl der Hungernden zu reduzieren - das hatte sich die Staatengemeinschaft in den vergangenen Jahrzehnten vorgenommen. Doch von der Verwirklichung der gesetzten Ziele ist die Welt nach wie vor weit entfernt: Nach Angaben der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) litten im Jahr 2013 mehr als 805 Millionen Menschen Hunger, das sind 8,94 Prozent der Weltbevölkerung. Doch hinter diesen Zahlen bleibt das gesamte Ausmaß der wahren menschlichen Katastrophe der Unter- und Fehlernährung verborgen. Die FAO berechnet lediglich mit einer nicht unumstrittenen Methodik (siehe Kasten 1), wie viele Kalorien zur Versorgung der Bevölkerung zur Verfügung stehen. Eine ausreichende Ernährung, die alle Körperfunktionen aufrechterhält, erfordert aber nicht nur Proteine, Fette und Kohlenhydrate, sondern auch Vitamine, Spurenelemente, Ballast- und Mineralstoffe. Über die Defizite bei der Verteilung dieser Nährstoffe unter sozialen Gruppen auf der Welt gibt es nur vage Schätzungen. Der Ernährungswissenschaftler Konrad Biesalski vom Food Security Center an der Universität Hohenheim geht davon aus, dass weltweit rund 2,5 Milliarden Menschen armutsbedingt an einer chronischen Unterversorgung mit lebenswichtigen Mikronährstoffen leiden. Gesicherte Daten auf Grundlage empirischer Untersuchungen gibt es dazu aber nicht.
Chronischer Hunger ist auch psychisch verheerend, da bei den Betroffenen ein Grundgefühl des ständigen Überlebenskampfes entsteht. Der Planungshorizont des Lebens wird durch die tägliche Suche nach Nahrung für die eigene Familie dominiert. Lang andauernder Hunger führt zudem zu völliger Apathie. Die WHO schätzt die Anzahl der Menschen mit Vitamin- und Mineralstoffmangel auf zwei Milliarden. Auch die Zahl der Hungertoten lässt sich schwer ermitteln, da Unter- und Mangelernährung das Immunsystem schwächen und zu Krankheiten führen, die dann den Tod herbeiführen. Die Vereinten Nationen schätzen, dass jedes Jahr 8,8 Millionen Menschen an den Folgen von Mangel- und Unterernährung sterben - das sind 24.000 Menschen pro Tag.
Umstrittene Hungerzahlen
Der Kalorienbedarf eines Menschen ist je nach Geschlecht, Alter, Größe, Körpergewicht und körperlicher Aktivität sehr unterschiedlich. Der Grundumsatz von Erwachsenen liegt zwischen 1.300 — 1.700 Kcal pro Tag. Der Leistungsumsatz schwankt je nach körperlicher Aktivität individuell sehr viel weiter. Während die FAO von 1.800 Kalorien pro Kopf und Tag als Minimum ausgeht, rechnen Ernährungswissenschaftler der WHO mit einem Minimum von 2.100 Kalorien pro Tag und Kopf zur Aufrechterhaltung eines gesunden und aktiven Lebens.
Als Hungernde betrachtet die FAO Menschen, die nicht genug Nahrung zu sich nehmen, um das Minimum an täglicher Energiezufuhr sicherzustellen. In ihrem Bericht »The State of Food Insecurity in the World 2013« hat die FAO zur Berechnung des täglichen Kalorienbedarfs einen »bewegungsarmen Lebensstil« (wie z. B. bei Büroarbeit) zugrunde gelegt.
Dies kann kritisch gesehen werden, denn Menschen, die in den Entwicklungsländern in Armut leben, müssen überwiegend harte körperliche Arbeit verrichten, zum Beispiel bei der Feldarbeit oder dem Transport von Wasser und Brennholz zu Fuß. Dadurch haben sie einen weitaus höheren Kalorienbedarf. In einem Hintergrundpapier von Brot für die Welt und FIAN wurde deshalb vorgerechnet, dass bereits durch die Annahme eines »moderaten Lebensstils« (wie z. B. bei einer Servicekraft) die Zahl der Hungernden bei dieser Berechnungsmethode 2013 nicht bei 842 Millionen (gegenwärtige Schätzung der FAO), sondern bei rund 1,3 Milliarden gelegen hätte.
Die von der FAO 2012 neu eingeführte Methodik zur Erfassung der Anzahl der Hungernden ist auch aus weiteren Gründen umstritten. Die FAO hat in ihrem Bericht »The State of Food Insecurity in the World 2013« eine Neuberechnung der Hungerzahlen vorgenommen. Durch diese Neuberechnung sind die Zahlen der offiziell Hungernden von 923 Millionen (2011) statistisch auf 842 Millionen gesunken. Für den Zeitraum 2012 — 2014 gibt die FAO in ihrem Bericht »The State of Food Insecurity in the World 2014« sogar nur noch einen Durchschnittswert von 805 Millionen Hungernden an (s. http://www.fao.org/publications/sofi/2014/en/ [aufgerufen am 28.1.2015]).
Problematisch ist, dass nach der neuen FAO-Methodik Lebensmittelengpässe erst dann bedeutsam für die Errechnung der Hungerzahlen werden, wenn sie kontinuierlich mindestens ein Jahr lang angehalten haben. Menschen werden also erst dann als Hungernde gezählt, wenn sie mindestens ein Jahr lang ununterbrochen unterernährt waren. Gerade für Schwangere, Stillende und Kleinkinder kann jedoch schon eine drastische Unterversorgung, die »nur« einige Monate oder kürzer andauert, negative Gesundheitsfolgen haben.
Zudem wird kritisiert, dass nicht mehr die jährlichen Hungerzahlen, sondern der Durchschnittswert eines Drei-Jahre-Zeitraums von der FAO veröffentlicht wird. Durch diesen Methodenwechsel deuten die neuen Werte auf kontinuierliche Erfolge im Kampf gegen den Hunger. Bei Verwendung der alten FAO-Berechnungsmethode gab es jedoch vor allem im Zeitraum von 2005 bis 2009 einen drastischen Anstieg der Zahl der Hungernden auf deutlich mehr als eine Milliarde im Jahr 2009. Die Tatsache, dass es 2008 und 2009 in zahlreichen Ländern des Südens zu Hungerrevolten gekommen ist und einige Staaten mit Notstandsmaßnahmen und Exportrestriktionen reagierten, könnte als Indiz gewertet werden, dass die alte FAO-Berechnungsmethode der Realität näher kam als die neue.
Ein weiteres Defizit der neuen FAO-Methode besteht darin, dass Verteilungsfragen vernachlässigt werden. Oft ist für Hungersituationen weniger die Menge produzierter Nahrungsmittel ausschlaggebend als das Einkommen einer Familie (Haushaltsernährungssicherheit). Nur so ist zu erklären, dass in Indien als einem Land mit großen Getreideüberschüssen rund ein Viertel aller weltweit hungernden Menschen leben. Selbst innerhalb einer Familie ist der Zugang zu Nahrung oft ungleich verteilt: Mädchen und Frauen bekommen nicht selten einen geringeren Teil der Nahrungsmittel. Zudem werden Aspekte wie qualitative Mangelernährung und die damit verbundenen entsprechenden Gesundheitsrisiken bei der FAO-Statistik nicht ausreichend berücksichtigt.
Die FAO befindet sich zurzeit allerdings in einem Prozess, ihr Mess- und Monitoringsystem zu verbessern und zu erweitern. Die Erfassung von genauen und umfassenden Daten stößt dabei jedoch vor allem in Staaten mit geringen administrativen Kapazitäten auf große Schwierigkeiten. Und nicht jede Regierung ist daran interessiert, dass Ernährungsprobleme in ihrem Land, die zum Teil ja auch auf Politikversagen zurückzuführen sind, publik werden. Die 2014 im Rahmen einer FAO-Konferenz verabschiedeten »Freiwilligen Leitlinien zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung« sehen vor, dass jedes Land dieser Welt die Ernährungssituation und den Gesundheitszustand seiner Bevölkerung gründlich untersucht und ein Kataster erstellt, das genau darüber Auskunft gibt, welche Bevölkerungsgruppen in welcher Region zu welchem Zeitpunkt unter- bzw. mangelernährt sind. Erst auf der Grundlage solcher gesicherter Daten lassen sich das gesamte Ausmaß des Hungers in der Welt erfassen, zielgenaue Gegenstrategien entwickeln und Fortschritte messen.
Im Rahmen der Ausarbeitung der Post-2015-Entwicklungsagenda und neuer universeller Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) kommt deshalb der Verbesserung der Datenerhebung und des Monitoring eine sehr große Bedeutung zu. Der gegenwärtige Streit um die Hungerzahlen macht deutlich, wie wichtig es ist, auf nationaler und internationaler Ebene die Versorgungslage und den Gesundheitszustand aller Bevölkerungsgruppen genauer zu untersuchen.
Mit Hungerzahlen kann Politik gemacht werden — entweder indem sie künstlich aufgebauscht werden, um mehr Spenden und Hilfsgelder zu akquirieren, oder indem sie schöngerechnet werden, um Erfolge im Kampf gegen den Hunger vorzutäuschen.
In dieser Studie bleibt der Kammer für nachhaltige Entwicklung nichts anderes übrig, als auf die nicht unumstrittenen aktuellen Zahlen der FAO zurückzugreifen, da es ein besseres Zahlenmaterial zurzeit nicht gibt. Dabei ist der Kammer bewusst, dass unter Berücksichtigung von Verteilungs- und Gesundheitsfragen die Zahl der armutsbedingt bedrohlich chronisch Unter- und Mangelernährten weit über den von der FAO veröffentlichten Werten liegen dürfte.
Besonders kritisch ist die Mangel- und Unterernährung für schwangere Frauen zu Beginn der Schwangerschaft und für Babys und Kleinkinder bis zum Alter von 24 Monaten. Die bei diesen Kleinkindern ausgelösten Gesundheitsschäden sind im späteren Leben kaum noch revidierbar. Die Kinder sind ihr Leben lang gezeichnet. Ihr Wachstum kann gebremst (englisch »stunting«), ihre geistigen Fähigkeiten können unzulänglich ausgebildet und die Widerstandskraft und Leistungsfähigkeit stark behindert sein. Unter- und Mangelernährung tragen nach Schätzungen der Vereinten Nationen jährlich zum Tod von 2,6 Millionen Kindern unter fünf Jahren bei. Jedes vierte Kind unter fünf Jahren ist weltweit durch »stunting« beeinträchtigt (165 Millionen Kinder) [10]. »Stunting« ist der Indikator für chronische Unterernährung. Die Kinder sind zu klein für ihr Alter, da sie seit langem zu wenig Essen bekommen. Dieser Indikator wird unterschieden von akuter Unterernährung (englisch »wasting«), dann sind die Kinder zu leicht für ihre Größe. In Afrika soll jedes zweite Kind durch diesen »versteckten Hunger« (Mikronährstoffdefizite bzw. Mangelernährung) geschwächt sein.
Mädchen und Frauen sind überproportional stark von Hunger betroffen (siehe Kasten 2). Mindestens 60 Prozent der Hungernden sind weiblich. Ursachen dafür sind u. a. ein niedrigerer Sozial-, Bildungs- und Wirtschaftsstatus. Bei Krisen verzichten Frauen häufiger zugunsten der anderen Familienmitglieder auf Nahrung. Frauenförderung ist ein Schlüssel zur Hungerbekämpfung, da sie einen erheblichen Anteil der landwirtschaftlichen Tätigkeiten in Entwicklungsländern verrichten und sich oft mit großem Einsatz für die Verbesserung der Lebenssituation ihrer Kinder einsetzen [11]. Daher ist es nicht verwunderlich, dass ein sehr enger Zusammenhang zwischen der Gleichstellung der Geschlechter in den jeweiligen Staaten und der Hungerproblematik besteht. Bei Vergleichen des Global Gender Gap Index und des Global Hunger Index zeigen sich sehr starke Korrelationen zwischen den beiden Indices. Es wird geschätzt, dass bei Erreichung der Gleichstellung von Frauen und Männern in Südasien die Anzahl der mangelernährten Kinder um 13,4 Millionen reduziert würde [12].
Vor allem arme Bevölkerungsgruppen in Entwicklungs- und Schwellenländern sind besonders stark von Hunger betroffen. Ungefähr 80 Prozent der Hungernden leben in ländlichen Räumen. Rund die Hälfte der Hungernden sind Kleinbauern (siehe Kasten 3), 20 Prozent landlose Farmarbeiter und 10 Prozent Sammler und Hirten. Die restlichen 20 Prozent der Hungernden sind städtische Arme [13]. In den Industrieländern leiden fast 16 Millionen Menschen an Hunger.
Kasten 2
Ohne Stärkung der Frauen keine Ernährungssicherung
Frauen kommt in vielen Entwicklungsländern eine zentrale Rolle für die Ernährungssicherung ihrer Familien und Gemeinschaften zu. Das wird heute in der Entwicklungspolitik allgemein anerkannt. Frauen werden als Akteurinnen in Familie, Gemeinde und Projekten der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt. Trotzdem sind weltweit etwa 60 Prozent aller unterernährten Menschen Frauen und Mädchen. Strukturelle Ungerechtigkeiten, politische Krisen, bewaffnete Auseinandersetzungen und wirtschaftlicher Niedergang ebenso wie Traditionen und kulturell verankerte Praktiken, die Frauen diskriminieren, erschweren es ihnen, die Ernährung ihrer Familien zu sichern und ihr Recht auf Nahrung einzufordern.
Die aktuellen Krisen verstärken diese Tendenzen. Steigende Lebensmittelpreise treffen von Frauen geführte arme Haushalte am stärksten. Auf dem Land beeinflusst der Klimawandel direkt die Nahrungsmittelproduktion sowie die Verfügbarkeit von anderen lebenswichtigen Ressourcen wie Wasser und Feuerholz. Für Ernährung, Wasser und Holz sind in der Regel Frauen verantwortlich. Trockenheit oder Überschwemmungen gefährden die Produktion und erfordern den Kauf von teuren Lebensmitteln. Die Versorgung mit Wasser und Holz wird schwieriger und zeitintensiver, sodass es Frauen unmöglich ist, nach anderen Einkommensmöglichkeiten zu suchen. Oft bleibt nur die Prostitution als Ausweg.
Da Frauen häufig schlecht ausgebildet sind, haben sie kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Ihre Arbeit wird meist schlechter bezahlt als die von Männern. Im Exportsektor (Kleidung, Gemüse, Blumen) werden Frauen häufig zu sehr niedrigen Löhnen eingestellt. Sie sind die ersten, die entlassen werden. Sie sind deshalb stärker als Männer auf den unsicheren informellen Sektor angewiesen, um Geld zu verdienen. Ihr geringes Einkommen reicht in der Regel nicht aus, um höhere Preise für Lebensmittel zu zahlen. Um zu sparen, werden Kinder, besonders Mädchen, von der Schule genommen, sodass auch ihre Chancen auf eine bessere Zukunft gering bleiben.
Aufgrund dieser schwierigen Rahmenbedingungen werden Frauen als verletzliche Gruppe identifiziert, die besonderer Unterstützung bedarf. In der Projektarbeit von Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst gibt es aber auch zahlreiche Beispiele dafür, dass sich Frauen den besonderen Herausforderungen stellen und diese meistern. Frauen können jedoch noch wirkungsvoller unterstützt werden: Sie müssen ihre Rechte besser kennen lernen sowie Möglichkeiten, sie einzufordern. Starke Frauenorganisationen können die Anliegen und Forderungen von Frauen in Öffentlichkeit und Politik tragen. Entscheidend ist, dass es Frauen ermöglicht wird, auf allen Ebenen in Politikentwicklung und Entscheidungsfindung eingebunden zu werden. Politikfelder, die Fragen der Ernährungssicherheit berühren, müssen wahrgenommen und politisch aufgegriffen und Geschlechterdiskriminierung im Agrar- und Ernährungssektor muss abgebaut werden.
Die globale Hungersituation ist nach wie vor sehr ernst. Zwar ist nach Einschätzung der FAO die Erreichung des Millenniums-Entwicklungsziels Nr. 1, d. h. die Halbierung des Anteils der Hungernden an der Bevölkerung in den Entwicklungsländern, zumindest auf globaler Ebene in erreichbare Nähe gerückt. Allerdings gelang dies erst, nachdem die FAO für ihren Bericht zur Hungersituation 2013 die Berechnungsgrundlagen ihrer Daten erheblich verändert hatte (siehe Kasten 1).
Kasten 3
Landrechte und Gemeinschaftsgüter
Für Landwirte in Entwicklungsländern sind die zumeist ungesicherten Landrechte ein großes Problem, das sich auch auf die Umwelt auswirkt. Nur wenn die Bewirtschafter auch die Besitzer ihres Landes sind, deren Landrechte langfristig abgesichert sind, lohnt es sich für die Landwirte, zu investieren. Das gilt besonders für langfristig wirkende Investitionen in die Verbesserung des Standorts wie Bodenverbesserung und andere Maßnahmen wie etwa Bewässerung oder das Pflanzen von Hecken und Bäumen. Nur wenn sichergestellt ist, dass die Vorteile solcher Maßnahmen, die erst in ferner Zukunft anfallen, auch dem Investor zugutekommen, erfolgen solche umwelterhaltenden Investitionen. Die Landpolitik vieler Entwicklungsländer ist widersprüchlich und leistet speziell für marginalisierte Bevölkerungsgruppen (Indigene, Hirtenvölker, Kleinbauern und -bäuerinnen) diese Sicherheit nicht. Landvermessung, Aufbau von Katastern, verbindliche Landnutzungsplanungen mit ausgewiesenen Vorrangflächen etwa für die Nahrungsmittelproduktion, abgesichertes Eigentum von Gemeinde- und Stammesland, Schutzrechte vor Vertreibung etc. sind notwendige Voraussetzungen jedes agrarökologischen Programms.
Für den Zugang zu Gemeinschaftsgütern (Güter, die nicht marktwirtschaftlich gehandelt werden, wie die natürlichen Lebensgrundlagen Luft, Wasser, Boden) gibt es meist altangestammte kommunale Nutzungsrechte. Das gilt zum Beispiel für Weide-, Fisch- und Jagdgründe, das Recht, Früchte und Feuerholz des Waldes sammeln zu können und Materialien für den Hüttenbau zu entnehmen. Diese Landnutzungen müssen respektiert und geschützt werden. Landenteignungen, Vertreibung und Umsiedlungen stellen eine der größten Menschenrechtsverletzungen an Kleinbauern, Fischern, Hirten und Indigenen dar.* Mit wachsender Bevölkerungsdichte und steigender weltweiter Nachfrage muss es nationale und regionale Landnutzungsplanungen geben, die mit den Menschenrechten im Ein-lang sind. Außerdem braucht es Regeln, um die Gemeinschaftsgüter vor Übernutzung zu schützen.
Quelle: Final study of the Human Rights Council Advisory Committee on the advancement of the rights of peasants and other people working in rural areas, UN General Assembly 24 Feb 2012, S. 8.
Wenngleich einige Länder in den letzten Jahren in der Hungerbekämpfung erhebliche Fortschritte gemacht haben, so sind andere zurückgefallen. Eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Länder und zusätzliche nationale Referenzsysteme sind also nötig. Auch in Ländern mit guten durchschnittlichen Werten kann es Regionen oder Risiko-Bevölkerungsgruppen geben, die erheblich von Hunger betroffen sind.
In Afrika südlich der Sahara ist die Zahl der Hungernden nach Angaben der FAO von 173 Millionen Menschen in den Jahren 1990 - 1992 auf 223 Millionen im Zeitraum 2011 - 2013 sogar weiter angestiegen. Viele Länder Afrikas weisen einen sehr hohen Anteil an Unterernährten an ihrer Gesamtbevölkerung aus. Afrika südlich der Sahara hat - mit ungefähr einem Viertel - die proportional höchste Rate an unterernährten Menschen im weltweiten Vergleich.
In Ostasien sank die Anzahl der Hungernden von 278 Millionen in den Jahren 1990 - 1992 auf 166 Millionen in den Jahren 2011 - 2013. Der Anteil der Unterernährten an der Bevölkerung reduzierte sich in Ostasien von 22,2 Prozent auf 11,4 Prozent. Diese Erfolge beruhen vor allem auf China. Indien konnte im gleichen Zeitraum die Anzahl seiner Hungernden nur von 227 auf 213 Millionen Menschen vermindern (von 25,5 Prozent auf 17,0 Prozent der Bevölkerung) [14]. Auch weist Indien einen sehr großen Anteil an chronisch unterernährten Kindern auf. Große Erfolge bei der Hungerbekämpfung erzielten Vietnam, Thailand und Indonesien.
In Lateinamerika und der Karibik reduzierte sich die Zahl der Unterernährten von 1990 - 1992 von 65 auf 47 Millionen in den Jahren 2011 - 2013. Eindrucksvolle Erfolge in der Hungerbekämpfung erzielten dabei u. a. Peru und Brasilien, während in Guatemala und Paraguay der Anteil der Hungernden an der Gesamtbevölkerung erheblich zugenommen hat.
Rein rechnerisch könnten die verfügbaren Nahrungsmittel auf der Welt für eine ausreichende Kalorienzufuhr aller Erdenbewohner ausreichen: Es werden zurzeit für jeden der mehr als sieben Milliarden Menschen auf der Erde 2.700 Kilokalorien pro Kopf und Tag erzeugt. Wenn in der Realität Menschen hungern, liegt dies an dem ungleichen Zugang zu den vorhandenen Nahrungsmitteln, der Vergeudung, dem Verlust und der Verwendung der Nahrungsmittel für andere Zwecke als für die menschliche Ernährung. Vor allem aber fehlt vielen Armen ein ausreichendes Einkommen, d. h. der ökonomische Zugang zu ausreichenden Nahrungsmitteln oder zu den Möglichkeiten, sie zu erzeugen. Die FAO geht davon aus, dass die globale Landwirtschaft schon beim heutigen Stand der Technik zwölf Milliarden Menschen ausreichend ernähren könnte, wenn die Ernten möglichst effektiv als Lebensmittel eingesetzt würden.
Um der voraussichtlichen Nachfrage der Weltbevölkerung von 9,6 Milliarden Menschen im Jahre 2050 nachkommen zu können [15], muss laut FAO die Produktion um 70 Prozent zunehmen, größtenteils in den Entwicklungsländern selbst. Die Erzeugung von Getreide müsste um eine Milliarde Tonnen steigen und die Fleischerzeugung von 200 auf 470 Millionen Tonnen angehoben werden, davon 70 Prozent in den Entwicklungsländern. Diese Berechnung wurde auf einer Konferenz der FAO im Jahr 2009 vorgestellt [16]. Sie geht allerdings vor allem von reinen Trendverlängerungen aus, d. h. sie hinterfragt weder die gegenwärtigen Nachfragestrukturen - insbesondere den steigenden Fleischkonsum - noch die ungleiche Verteilung von Einkommen und Ernährungsansprüchen sowie die enormen Nachernteverluste und die Verluste durch das Wegwerfen von Nahrungsmitteln. In den Überlegungen der FAO wird allerdings auch deutlich, dass eine reine Produktionssteigerung allein nicht genügt, um Ernährungssicherung für alle Menschen im Jahr 2050 zu erreichen. Regierungen müssen auch Programme auflegen, um die Verteilung der Nahrungsmittel zu verbessern und den Zugang der Armen und Bedürftigen zu ausreichender Ernährung sicherzustellen, so z. B. Sozialtransferprogramme. Die FAO geht derzeit von einer möglichen Senkung des Anteils der chronisch Unterernährten von rund 12 Prozent auf 4,8 Prozent im Jahr 2050 aus, d. h. 370 Millionen Menschen werden 2050 noch unterernährt sein [17].
Gleichzeitig wird auch eine Veränderung der Ernährungsgewohnheiten prognostiziert, die nicht nur positiv zu bewerten ist. So wird der Verzehr von kalorienreicher Nahrung beständig zunehmen, besonders von Fetten und Zucker, und der Konsum von Mikronährstoffen abnehmen. Dies führt insbesondere unter Armutsbedingungen zu einer Zunahme von Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes und Fettleibigkeit sowie zu einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen.