Gelobtes Land?
Land und Staat Israel in der Diskussion. Eine Orientierungshilfe. Herausgegeben im Auftrag der EKD, der UEK und der VELKD, Gütersloh 2012, ISBN 978-3-579-05966-2, Preis 6,99 Euro. Bestellungen nur über den Buchhandel oder den Verlag.
7. Land und Staat Israel in der Diskussion
Der folgende Abschnitt benennt einige dogmatische Entwürfe der Neuzeit und der Gegenwart, die sich mit der Frage des Landes Israel und einer staatlichen Verfasstheit des Volkes Israel auseinandersetzen.
7.1 Stationen der Theologiegeschichte
7.1.1 In der Erweckungsbewegung
In der neueren protestantischen Dogmatik haben die Reflexion auf die Kategorie des Landes und die Frage nach der Wiederherstellung der Staatlichkeit Israels in Traditionen ihren Ort, die von der Erweckungsbewegung im Rahmen ihrer Eschatologie geprägt sind.
Hier wird etwa bei Johann Tobias Beck (1804-1878) unter wörtlicher Aufnahme der Verheißungen der Apokalypse die Errichtung einer 1000-jährigen Christokratie erwartet, in deren Zentrum das „bekehrte Israel“ unter dem wiederhergestellten Königtum das Zentralvolk bilden und das Land Israel in einer durch „klimatisch-tellurische“ Prozesse umgewandelten Landmasse das Zentrum der Erde darstellen wird.
Diese Position hat Seitenstränge in den von der Erweckungsbewegung geprägten Traditionen des Luthertums; sie setzt einen strikten Biblizismus voraus. Dieser steht verbunden mit eschatologischen Erwartungen im Hintergrund der Bemühungen um die Judenmission im erwecklichen und Teilen des pietistischen Flügels des Protestantismus.
7.1.2 In der liberalen Theologie
Allen Formen des liberalen Protestantismus zufolge ist das Christentum wesentlich durch die Universalität der Verkündigung Jesu geprägt. Zwar halten alle Vertreter dieser theologischen Richtung daran fest, dass die Verkündigung Jesu dem Gedankengut des zeitgenössischen Judentums verpflichtet sei. Das Besondere seiner Verkündigung bestehe jedoch darin, dass die Rede vom Reich Gottes von allen politisch-partikularen Begrenzungen losgelöst sei. Bei Jesus und in der Verkündigung der Kirche sei also die Zugehörigkeit zum Reich Gottes nicht länger an Voraussetzungen wie die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk oder die Bezugnahme auf ein bestimmtes Land gebunden.
Die natürlichen Gegebenheiten und die Kontexte, in denen Christen leben, hätten so für deren Christsein bzw. ihre Zugehörigkeit zum Reich Gottes keine grundlegende Bedeutung mehr. Solche natürlichen Gegebenheiten und Kontexte z.B. Familie, Ehe, Beruf, Nation, Staat stellten jeweils die besondere Gestalt dar, in denen Christinnen und Christen ihre Zugehörigkeit zum Reich Gottes leben. Als „Verpflichtungskontexte“ seien sie gleichwertig, keiner von ihnen sei dem Reich Gottes näher als ein anderer. Vor diesem Hintergrund kann weder das Land Israel noch ein jüdischer Staat einen heilsgeschichtlich höheren Rang beanspruchen als jener, der sich für Christen aus ihrer Zugehörigkeit zu anderen Staaten oder sonstigen sozialen und politischen Zusammenhängen ergebe.
7.1.3 Israeltheologien im 20. Jahrhundert
Mit der Gründung des Staates Israel 1948 stand die Theologie vor neuen Herausforderungen. Die traditionellen theologischen Deutungen des Landes, der Landverheißungen und des Exils des jüdischen Volkes mussten angesichts der neuen historischen Situation grundsätzlich bedacht werden. Zusätzlich stellte sich die neue Frage nach der theologischen Bedeutung von Israel als Staat.
Eine Israeltheologie im engeren Sinn, die sich ausdrücklich zur theologischen Sicht auf den Staat Israel äußert, formulieren Karl Barth (1886-1968) und einige seiner Schüler. Hatte Barth in der „Kirchlichen Dogmatik“ zunächst die Ansicht vertreten, die biblischen Verheißungen seien in Jesus Christus aufgehoben, so konnte er nach 1948 den Staat Israel als ein „Zeichen der Erwählung und providentieller Gnade und Treue Gottes zu dem Samen Abrahams“ und als ein „eschatologisches Zeichen“ deuten. Für Helmut Gollwitzer sind das auserwählte Volk und das verheißene Land wieder zusammengekommen. Der Staat Israel sei für Christen theologisch relevant, darum blieben Christen nicht neutral. Sie suchten das Gespräch mit beiden Seiten, Juden und Palästinensern. Messianische Bedeutung habe der Staat Israel jedoch nicht. Unter Berufung auf Martin Buber problematisiert Gollwitzer den Nationalstaat; unabdingbar sei allerdings Autonomie im Sinn jüdischer Selbstverwaltung. Schließlich warnt er vor einer religiösen Ideologisierung von Landansprüchen und spricht sich für eine Zweistaatenlösung aus, wobei vom palästinensischen Staat keine Bedrohung für Israel ausgehen dürfe.
Friedrich-Wilhelm Marquardt sieht in der Gründung des Staates Israel eine logische Konsequenz des Zusammenhangs von Volk und Land und würdigt den Staat als „Träger der Verheißung“. Freilich sei dieser lediglich eine Station auf dem Weg Israels, Licht der Völker zu sein, nicht schon das Ziel. Durch den Staat habe das Volk Israel die Chance, Recht und Frieden zu realisieren. Christen sollten auch politisch für den Staat Israel eintreten.
Rolf Rendtorff hebt die Kontinuität des jüdischen Volkes von der biblischen Zeit bis in die Gegenwart und die zentrale Bedeutung des Landes Israel und Jerusalems für das Judentum hervor, ohne weitere theologische Konsequenzen im Blick auf die Rückkehr der Juden und den Staat Israel zu ziehen.
Für Peter von der Osten-Sacken können Christen schwerlich einer messianischen Deutung der Staatsgründung folgen. Allerdings ebne Paulus mit seinem Verständnis Jesu Christi als Bekräftigung der Verheißungen Gottes (2. Kor 1,20) und mit der Verheißung der Rettung ganz Israels (Röm 11,26) den Weg, „Israel in seiner staatlichen Existenz als Ort der Bewahrung des Gottesvolkes im Zeichen der Verheißung und in diesem Sinne als Zeichen für die Treue Gottes zu verstehen“.
Für Bertold Klappert sind die Rückkehr der Juden in das Land Israel und der Staat Israel Zeichen von Gottes Treue und von der Gültigkeit der Verheißungen Gottes für Israel sowie „Zeichen der ausstehenden Entsprechungen zu dem im Messias Israels erfüllten Bund“.
7.1.4 Orientalische Kirchen
In den islamisch dominierten Gesellschaften des Nahen Ostens existiert eine Vielfalt von zum Teil sehr alten Kirchen und Traditionen. Ihr Verhältnis zum Staat Israel ist primär durch den Nahostkonflikt bestimmt. In ihrer traditionellen, an den Kirchenvätern orientierten, orthodoxen Theologie wird „Israel“ in der Regel metaphorisch gedeutet und die Verheißungen des Alten Testaments werden als in Jesus Christus erfüllt angesehen.
7.1.5 In der römisch-katholischen Kirche
Auch in der römisch-katholischen Kirche haben zunächst einzelne katholische Theologen die Sammlung der Juden im Land Israel und die Gründung des Staates Israel gewürdigt. So sprach Jacques Maritain vom Staat Israel als dem einzigen Territorium, von dem mit Sicherheit gesagt werden könne, dass ein Volk ein unbestreitbares Recht darauf habe. Für ihn war die Staatsgründung die Wiedererfüllung einer Verheißung. Johannes Oesterreicher sah im Staat Israel ein Fanal und einen Beweis der göttlichen Bundestreue; Gott wünsche immer die Rückkehr des Volkes ins „Land“. Beide Theologen fordern Christen zur Solidarität mit Israel auf. Kurt Hruby bezeichnete die Existenz Israels als empirische Tatsache, die keiner weiteren theologischen Anerkennung bedürfe. Alle historischen politischen Formen, die sich das jüdische Volk gegeben habe, seien legitim, auch die Rückkehr in eine Region, die biblisch gesprochen ganz gewiss sein Land sei. Auf die Unauflöslichkeit der Beziehung von Volk und Land Israel verwies Clemens Thoma. Er nannte den Staat Israel eine aus humanitären Gründen entstandene profane Realität, hinter der Gottes Führung stehe, und riet zur Solidarität mit allen Menschen im Nahen Osten. Ein sinnliches Zeichen göttlicher Gnade und hintergründiger göttlicher Führung sah Franz Mußner im Land Israel. Es sei weder zu bestätigen noch zu widerlegen, dass der Staat die Erfüllung prophetischer Verheißungen sei.
Die Haltung des Vatikan
Die offizielle Haltung der römisch-katholischen Kirche zum Zionismus war lange von schroffer Ablehnung geprägt. Theodor Herzl scheiterte bei dem Versuch, für seinen Plan, den Juden eine nationale Heimstätte im Land Israel zu schaffen, die politische Unterstützung des Heiligen Stuhls zu gewinnen. Papst Pius XII. erklärte dazu, die römisch-katholische Kirche könne das jüdische Volk und seine Bestrebungen in Palästina nicht anerkennen, da die Juden „unseren Heiland nicht anerkennen“.
Dem neu gegründeten Staat Israel verweigerte der Vatikan seine Anerkennung. Er sprach sich mehrfach für eine Internationalisierung Jerusalems aus. Über die Verwaltung der Heiligen Stätten, denen das Hauptinteresse der römisch-katholischen Kirche galt, wurden Verträge mit dem Staat Israel ausgehandelt, die aus römisch-katholischer Sicht eine „de facto“-Anerkennung Israels implizierten.
Erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) ermöglichte eine grundlegende theologische Neuorientierung ein Umdenken auch in der Israelpolitik. Die Erklärung „Nostra aetate“ (1965) betont gegenüber der traditionellen Enterbungslehre, dass die Juden nicht von Gott verworfen und verflucht, sondern nach wie vor erwählt und geliebt seien.
Die Reise ins „Heilige Land“, die Papst Paul VI. im Januar 1964 unternahm, markierte im Blick auf die Israelpolitik des Vatikan einen neuen Anfang. Zwar hielt er sich weiter an die vom Vatikan stets vertretene Haltung der Neutralität im israelisch-arabischen Konflikt, doch führte die Begegnung mit dem israelischen Staatsoberhaupt, die mit Rücksicht auf die arabische Seite nicht in ( West-) Jerusalem, sondern in Megiddo stattfand, in der Folge zu deutlich intensiveren diplomatischen Kontakten. Der Vatikan forderte nunmehr einen „international garantierten Sonderstatus“ für Jerusalem und die Heiligen Stätten statt deren Internationalisierung.
Im Jahr 1970 tauchte der Name des Staates Israel zum ersten Mal in einem offiziellen Schreiben des Vatikan auf. Im Jahr 1972 erwähnte Papst Paul VI. erstmals das „palästinensische Volk“ und mahnte die Anerkennung seiner legitimen Rechte an. In den Nahost-Friedensverhandlungen bemühte sich der Heilige Stuhl um Vermittlung zwischen den Konfliktparteien. Unmittelbar nach der Unterzeichnung des Oslo-Abkommens wurden 1993 volle diplomatische Beziehungen zwischen dem Vatikanstaat und Israel aufgenommen. Sieben Jahre später erfolgte die offizielle Anerkennung der PLO als Vertretung der Palästinenser durch den Vatikan. Die Pilgerreise des beliebten Papstes Johannes Paul II. im Jubiläumsjahr 2000 weckte in Israel die Hoffnung auf engere politisch-diplomatische Beziehungen mit dem Vatikan. Diese Hoffnung wurde durch den Ausbruch der zweiten „Intifada“ im September 2000 zerstört. Trotz einer gewissen Abkühlung in den diplomatischen Beziehungen standen die langjährigen Verhandlungen über steuerliche Fragen und den Umgang mit den heiligen Stätten im Jahr 2012 kurz vor dem Abschluss.
7.2 „Christlicher Zionismus“. Eine notwendige Kritik
Es existieren unterschiedliche Varianten des „christlichen Zionismus“, der seine Wurzeln meist in Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts hat. Im Hintergrund steht die Vorstellung, dass die Welt von Gott in Zeitalter gegliedert worden sei, die zur ewigen Gottesherrschaft hinführten. Heute wird die Auffassung vertreten, dass das gegenwärtige Zeitalter in der Rückkehr aller Juden aus der Zerstreuung in das Land Israel und der Wiederherstellung Israels kulminiert.
„Christliche Zionisten“ sehen in der Staatsgründung Israels und der Rückkehr der Juden im Jahr 1967 nach (Ost-)Jerusalem und nach „Judäa und Samaria“, also in die besetzten palästinensischen Gebiete, entscheidende apokalyptische Zeichen für den Beginn der Endzeit und das zweite Kommen Christi. Nach diesem Szenario folgen auf die gegenwärtige Bedrängnis der Kampf zwischen Gut und Böse, die Vernichtung der Ungläubigen und schließlich der endgültige Sieg Christi. Die Erwählten werden dann in seinem ewigen Reich leben. Diese eschatologisch-apokalyptische Haltung ist spezifisch „christlich-zionistisch“.
Mehrheitlich begrüßen die „christlichen Zionisten“ die Siedlungstätigkeit, teilweise befürworten sie sogar eine Umsiedlung der arabischen Bevölkerung und eine Groß-Israel-Politik. Damit stehen sie rechten Parteien und dem rechtsnationalen Spektrum in Israel nahe zumindest sofern diese keine Versöhnungspolitik betreiben und kein Land an Araber zurückgeben wollen. Viele „christliche Zionisten“ fördern mit politischer Lobbyarbeit und erheblichen finanziellen Mitteln die Einwanderung in das Land Israel und den Siedlungsbau in den besetzten Gebieten.
In Deutschland sind christliche Zionisten u.a. vertreten durch Christen für Israel und Christliche Freunde Israels, dem deutschen Arbeitszweig von Christian Friends of Israel in Jerusalem. Die Nachrichten aus Israel (NAI) verbreiten eine christlich-zionistische Einstellung publizistisch.
Weltweit wächst die Bewegung des „christlichen Zionismus“, sein Einfluss auf die Politik der USA nimmt zu, vom „nationalen Lager“ in Israel wird er in Anspruch genommen. An einem Ausgleich mit den Palästinensern orientierte Gruppen in Israel lehnen ihn ab; viele Palästinenser sehen in ihm neben dem Terrorismus und der anhaltenden Besatzungspolitik eine große Gefährdung eines möglichen Friedens zwischen Israel und den Palästinensern.
In Übereinstimmung mit der entsprechenden Erklärung der Evangelischen Mittelost-Kommission weisen wir die Positionen des „christlichen Zionismus“ aus folgenden theologischen Gründen als falsch zurück (Siehe: Israel Palästina. Eine Positionsbestimmung der Evangelischen Mittelost-Kommission [EMOK], München 2009):
- Judentum und Staat Israel sind für den „christlichen Zionismus“ nur Instrumente zur Herbeiführung eschatologischer Geschehnisse. Dem Judentum wird kein eigener Wert zugestanden. Das Recht einer jüdischen Existenz in der Diaspora wird bestritten. Dies ist im Kern judenfeindlich und widerspricht den Grundsätzen des christlich-jüdischen Dialogs, zu dem sich die EKD und ihre Gliedkirchen bekennen.
- Der „christliche Zionismus“ ist eine Engführung biblischer Aussagen. Er konstruiert endzeitliche Abläufe, die sich in dieser Weise nur bedingt in der Bibel finden. Jesus hat alle Vorhersagen des Zeitpunktes apokalyptischer Ereignisse verworfen.
- Nach dem „christlichen Zionismus“ haben Nichtjuden kein Lebensrecht im Land Israel oder dürfen nur als land- und rechtlose Beisassen dort wohnen. Das verletzt den biblischen Wert der Gerechtigkeit und grundlegende Menschenrechte.
- Damit negiert der „christliche Zionismus“ auch das Existenzrecht der Kirchen in dieser Region und ist nicht ökumenisch und geschwisterlich.
- Die Lehren und die Praxis des „christlichen Zionismus“ wirken konfliktverschärfend und widersprechen der biblischen Botschaft von Versöhnung und Feindesliebe.
7.3 Kontextuelle Theologie
In den letzten Jahrzehnten entstanden verschiedene Entwürfe kontextueller Theologien palästinensischer Christen, die nicht zuletzt die Differenz zu europäisch geprägten Israeltheologien deutlich werden lassen. Für sie hat oft das christlich-muslimische Gespräch in den jeweiligen nationalen Kontexten Priorität. In der Ökumene bringen sie ihre Differenz zur europäisch geprägten Israeltheologie zum Ausdruck und verweisen auf ihren eigenen Kontext.
Seit den 1980er Jahren entwickelten palästinensische Theologen eine kontextuelle Theologie, in der sich unterschiedliche Zugänge zu den Themen Erwählung Israels und biblische Landverheißung erkennen lassen:
Der anglikanische Pfarrer Naim Stifan Ateek aus Sabeel, einem ökumenischen theologischen Zentrum in Jerusalem, vertritt eine Position, die die Landverheißung primär als Paradigma für Gottes universales Handeln an allen Völkern versteht. Gott hat jedem Volk sein Land gegeben. In Jesus Christus weitet sich Gottes Zuwendung auf alle Völker aus. So wird die exklusive Erwählung Israels aufgehoben.
Mitri Raheb, ein lutherischer Pfarrer aus Bethlehem, deutet biblische Aussagen über die Erwählung und Landverheißung als kontingenten Zuspruch Gottes an die Schwachen. Sie dürften nicht als Dogma verstanden werden, sondern als subjektive Glaubensaussage derer, die sich auf sie berufen. Als solche sei sie dem Selbstverständnis anderer Völker, etwa dem der Palästinenser und ihrem Landverhältnis, gleichzustellen. Landverheißungen kämen fast ausschließlich in exilischen Texten vor, daher gälten sie primär Staatenlosen, und zwar allen, palästinensischen wie jüdischen.
Dem griechisch-katholischen Theologen Elias Chacour zufolge begründet die Erwählung ein Dienstverhältnis und die Landverheißung eine Verwalterschaft mit dem Auftrag, „Licht der Völker“ (Jes 42,6; 49,6) zu sein und Recht und Gerechtigkeit zu üben. Gott habe aus Treue zu seinen Verheißungen Israel immer wieder, zuletzt 1948, errettet. Die Landverheißung schließe die Palästinenser mit ein und sei für alle Bewohner des Landes an die Bedingungen eines sanftmütigen Verhaltens (Mt 5,5) gebunden.
Auch Michel Sabbah, ein römisch-katholischer Theologe und lateinischer Patriarch von Jerusalem (1988-2008), hält die Landverheißung für wirksam, solange Israel im Einklang mit dem „Gesetz des Bundes“ (5. Mose 12-16) lebe.
Die genannten Positionen fließen ein in die im Jahr 2009 von palästinensischen Christen veröffentlichte Erklärung „Die Stunde der Wahrheit: Ein Wort des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe aus der Mitte des Leidens der Palästinenser und Palästinenserinnen“.
Die als „Kairos-Palästina-Dokument“ bekannt gewordene Erklärung versteht die biblischen Begriffe Verheißung, Land, Erwählung und Volk Gottes als für die ganze Menschheit gültig. So heißt es unter Absatz 2-3 der Erklärung: „Wir glauben, dass unser Land einen universellen Auftrag hat. In dieser Universalität erweitert sich die Bedeutung der Verheißungen, des Landes, der Erwählung und des Volkes Gottes und schließt die ganze Menschheit ein angefangen bei allen Völkern, die in diesem Land wohnen.“ Zur Frage der „Heiligkeit“ des Landes heißt es: „Unser Land ist wie alle Länder auf der Welt Gottes Land. Es ist heilig, weil Gott darin gegenwärtig ist, denn Gott allein ist heilig und Gott allein heiligt“ (2-3-1).
7.4 Erklärungen der EKD und der GEKE
Das palästinensische Dokument „Die Stunde der Wahrheit“ universalisiert die biblischen Aussagen über das Land und stellt die Frage nach einer möglichen Bedeutung der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 für den christlichen Glauben oder deren theologische Reflexion nicht.
Einschlägige Studien der EKD und der „Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa“ (GEKE) [4] sowie entsprechende Erklärungen und Verlautbarungen der einzelnen Gliedkirchen haben einer solchen „Universalisierung aller biblischen Aussagen über das Land“ [5] widersprochen und dabei etwa auf die aufgrund des biblischen Zeugnisses gewonnene Erkenntnis hingewiesen,
„dass Gott sich selbst unauflöslich an das jüdische Volk gebunden hat, Bund und Land aber zusammengehören. Auch wo ausdrücklich das verheißene Heil für die ganze Welt in den Blick genommen ist, hält die Bibel an der Besonderheit der Erwählung Israels fest.“ (EKD-Studie „Christen und Juden III“, 2000) 6]
Vor dem Hintergrund der hier benannten Einsicht in die bleibende Erwählung Israels und auf der Grundlage des Bewusstseins einer nicht allein historischen, sondern auch theologischen Verbundenheit von Kirche und Israel, spüren die Studien und Verlautbarungen der aktuellen Bedeutung der Landverheißungen nach und erörtern die Frage nach der Bedeutung des Staates Israel auch für Christen.
Einen Auftakt und zugleich ersten Höhepunkt bildete hier der „Synodenbeschluss zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden“ der Evangelischen Kirche im Rheinland aus dem Jahr 1980 und die dort formulierte
„Einsicht, dass die fortdauernde Existenz des jüdischen Volkes, seine Heimkehr in das Land der Verheißung und auch die Errichtung des Staates Israel Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk sind“. [7]
Die Hauptversammlung des Reformierten Bundes formulierte in „Leitsätze[n] für die Begegnung von Christen und Juden“ (1990) noch weitergehend:
„Wir erkennen, dass untrennbar mit der Erwählung die Landverheißung verbunden ist. ... In unserer Zeit sehen wir in der Rückkehr von Juden ins Land Israel eine Bestätigung der Treue Gottes.“ [8]
Die beiden hier zitierten Positionen werden im Blick auf ihre theologischen Aussagen bis heute kontrovers diskutiert. Einmütig formulieren die Erklärungen der EKD und der GEKE jedoch den Konsens, dass das Existenzrecht des Staates Israel „völkerrechtlich unumstritten ist“ und dass dieser als solcher „keiner theologischen Legitimation bedarf“. Einmütig und wiederholt formuliert ist auch die Verpflichtung, „für das Lebensrecht des jüdischen Volkes im Lande der Väter“ einzutreten.
Dies geschieht der EKD-Studie II aus dem Jahr 1991 zufolge nicht zuletzt im Wissen darum, dass „das verheißene Land zur vollen Verwirklichung jüdischer Existenz notwendig ist“ [9], wie es die talmudische Diskussion beispielhaft festhält. Den hier zum Ausdruck gebrachten Respekt vor jüdischem Selbstverständnis bringt diese EKD-Studie zum Ausdruck, wenn sie formuliert: „Wenn Christen für das Lebensrecht des jüdischen Volkes im Land der Väter eintreten, respektieren sie, dass die Verbindung von Volk und Land für das Judentum unabdingbar ist.“ 10]
In der Studie „Christen und Juden III“ aus dem Jahr 2000 wird überdies festgehalten, dass die Existenz des Staates Israel es „Christen unmöglich“ macht, „von Israel so zu sprechen, als handle es sich dabei nur um eine Größe der Vergangenheit. Der moderne jüdische Staat fordert Christen dazu heraus, über ihr Verhältnis zum jüdischen Volk nachzudenken.“ [11]
Die wiederholt zugesicherte und von den Kirchen immer wieder auch eingeforderte Solidarität mit dem Staat Israel (vgl. schon EKD-Studie I) verbindet sich mit der beispielsweise von dem Lehrdokument der GEKE „Kirche und Israel“ ausdrücklich festgehaltenen Zusicherung:
„Die Kirchen treten allen Tendenzen entgegen, die zionistische Bewegung, die zur Gründung des Staates Israel führte, als rassistisch zu diffamieren. Die Kirchen unterstützen alle Bemühungen des Staates Israel und seiner Nachbarn, insbesondere des palästinensischen Volkes, in gegenseitiger Achtung einen sicheren, dauerhaften und gerechten Frieden zu finden und zu bewahren.“ [12]
Ob der Staat Israel theologisch gesprochen „aus christlicher Sicht einen besonderen Stellenwert“ habe, wird in den protestantischen Kirchen bis heute unterschiedlich beantwortet. Das Spektrum spannt sich von der Einschätzung Israels als eines normalen, säkularen Staates über die Kennzeichnung des Staates Israel als Ausdruck der Treue Gottes bis zur Deutung dieses Staates als Zeichen der beginnenden Endzeit.
Von den biblischen Texten her sind das hält die EKD-Studie III aus dem Jahr 2000 fest „weder die Grenzen des verheißenen Landes noch eine bestimmte Organisationsform für das Wohnen im Land eindeutig zu beschreiben“. Dem Lehrdokument „Kirche und Israel“ zufolge ist „jede direkte politische Inanspruchnahme der biblischen Landverheißungen zurückzuweisen“. Die EKD-Studie III betont: „Zwischen dem Land als Gnadengabe Gottes und dem säkularen Staat Israel ist in jedem Fall sorgfältig zu differenzieren“, und sie verweist darauf, dass dem „gerade religiöse Juden in der Mehrheit“ zustimmen. Eine „religiöse Überhöhung des Staates Israel“ lehnt die Studie als „theologisch unzulässig ab“.Die bleibende Herausforderung und Verpflichtung für Christen heute bringt das Lehrdokument „Kirche und Israel“ zum Ausdruck, wenn es formuliert:
„Die Kirche ist aus geschichtlichen und theologischen Gründen mit Israel in Solidarität verbunden. Dies gilt auch dann, wenn Kirchen zum arabisch-israelischen Konflikt und zu aktuellen politischen Entscheidungen der Regierung des Staates Israel kritisch Stellung nehmen.“ [13]