Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland - Gestaltung der christlichen Begegnung mit Muslimen

Eine Handreichung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Gütersloher Verlagshaus, 2000. ISBN 3-579-02373-X

III. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen des Islam in Deutschland

1. Das Religionsrecht des Grundgesetzes

Den in Deutschland lebenden Muslimen, unabhängig davon, ob sie überwiegend Ausländer sind oder nicht, steht die Religionsfreiheit nach Artikel 4 des Grundgesetzes (GG) als Grundrecht zu, sowohl den einzelnen Gläubigen wie der Religionsgemeinschaft. Art. 4 GG lautet:

»(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.«

1.1. Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

Die grundgesetzliche Garantie ist nicht an eine bestimmte Religion – etwa das Christentum – gebunden. Die Tatsache, dass es in verschiedenen islamisch geprägten Staaten für christliche Kirchen keine Religionsfreiheit gibt, ist für die Gewährleistung der Religionsfreiheit in Deutschland rechtlich ohne Belang. Die durch das Grundgesetz gegebene Garantie für Religionsfreiheit als Grundrecht gilt auch für Staatsangehörige solcher islamisch geprägter Staaten, die selbst keine Religionsfreiheit gewähren. Der Grundrechtsschutz ist nicht davon abhängig, dass die Grundrechtsfreiheit im Gegenseitigkeitsverhältnis verbürgt wird.

Die Religionsfreiheit schützt nicht nur religiöse Symbole und das kultische Handeln wie Riten, Gebete, Gottesdienste, Zelebrieren von Sakramenten, Prozessionen, Glockenläuten, Gebetsruf etc., sondern schließt das Recht ein, das gesamte Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und der inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln.

Als Zusammenschlüsse der einzelnen Gläubigen genießen auch die Religionsgemeinschaften das Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG.

Unter einer »Religionsgemeinschaft« ist ein dauerhafter Zusammenschluss von Menschen zu verstehen, die übereinstimmende Auffassungen in religiöser Hinsicht – einen religiösen Konsens – haben, den sie durch ihr Bekenntnis nach außen kundgeben und bezeugen. Dabei ist es unerheblich, ob sich der Zusammenschluss auf die Pflege des religiösen Bekenntnisses beschränkt oder sich darüber hinaus auch politisch und gesellschaftlich betätigt.

Die Religionsfreiheit als kollektives Grundrecht ist nicht auf die christlichen Kirchen beschränkt, sondern steht allen – und damit auch den unterschiedlichen islamischen – Religionsgemeinschaften zu.

1.2. Grenzen der Religionsfreiheit

Die Garantie der Religionsfreiheit als Grundrecht durch das Grundgesetz ist das Ergebnis eines jahrhundertelangen Ringens um ein friedliches Zusammenleben zwischen unterschiedlichen Religionen und Bekenntnissen. Der Formulierung in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nach scheint sie – anders als andere Grundrechte, die dies ausdrücklich vorsehen – keinen Beschränkungen auf Grund einfacher Gesetze zu unterliegen. Dennoch ist auch die Religionsfreiheit nicht unbegrenzt.

1.2.1. Das Toleranzgebot

Das Zusammenleben in einem Gemeinwesen verlangt, dass die elementaren Grundlagen, auf denen das demokratische Staatswesen beruht, von jedermann akzeptiert werden. Die Freiheit aller Religionen erfordert die Verpflichtung zu gegenseitiger Toleranz. Sie bildet in einer pluralistischen Gesellschaft im Verhältnis zur Religionsfreiheit ein verfassungsrechtliches Komplementärprinzip und stellt eine der Religionsfreiheit innewohnende immanente Schranke dar. Der Staat mit seiner religiös gemischten Bevölkerung muss um der Freiheit und Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger willen allgemeine Normen setzen können, für deren einheitliche Anwendung er einzustehen hat. Unbegrenzte Religionsfreiheit kann es in einer pluralistischen Gesellschaft nicht geben. Jede Religionsausübung muss vom Gesichtspunkt der Einheit der Verfassung her andere mit Verfassungsrang ausgestattete Gemeinschaftsinteressen oder die grundrechtliche Freiheit Dritter achten und wahren. Um dies zu gewährleisten, kann die Ausübung der Religion durch gesetzliche Bestimmungen eingeschränkt werden, so etwa durch Vorschriften des Baurechts. Man kann davon ausgehen, dass weit mehr als 2.000 Gebetsstätten für Muslime in Deutschland bestehen, denen man meist von außen diese Funktion nicht ansieht. Zunehmend aber wächst der Wunsch von islamischer Seite nach im klassischen Stil gebauten Moscheen mit Kuppel und Minarett. Solche Bauvorhaben stoßen vielfach auf Vorbehalte. Streitpunkte sind insbesondere die Höhe der Minarette und der lautsprechergestützte Ruf des Muezzins. Der Ruf des Muezzins kann im Rahmen einer Abwägung mit den Belangen betroffener Nachbarn beschränkt werden. Beim rituellen Schächten von Tieren ist das Tierschutzgesetz zu beachten. Die islamischen Speisegesetze sehen vor, dass nur Fleisch von Tieren verzehrt werden soll, das frei von Blut ist. Nach einer Stellungnahme der Kairoer Al-Azhar-Universität, die im Rahmen eines konkreten Rechtsstreits eingeholt wurde, kann dieser Bedingung jedoch auch so entsprochen werden, dass das Tier zunächst durch einen Elektroschock betäubt und danach geschlachtet wird. Damit kann ein Interessenkonflikt vermieden werden. Alle diese beispielhaft aufgeführten Rechtsvorschriften richten sich nicht gezielt gegen die Religionsfreiheit, sondern dienen einem Interessenausgleich um der Einheit der Verfassung willen.

1.2.2. Keine Übernahme des islamischen Rechts

Die Religionsfreiheit der Muslime erstreckt sich nicht auf die Anwendbarkeit islamischen Rechts (Scharia). Die Rechtsordnung des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates der Bundesrepublik Deutschland ist für die hier lebenden Muslime verbindlich. So kann nach deutschem Recht zum Beispiel eine Mehrehe nicht rechtswirksam eingegangen werden (§ 5 des Ehegesetzes). Art. 6 GG stellt die Ehe als Lebensgemeinschaft einer Frau mit einem Mann unter den Schutz der staatlichen Ordnung. Wohl aber werden die Mehrehen von Muslimen, die nach ausländischem Recht gültig sind, anerkannt. Umgekehrt bleibt eine von einer muslimischen Frau vor einem deutschen Standesamt geschlossene Ehe mit einem christlichen Mann nach deutschem Recht gültig, auch wenn nach dem Recht islamisch geprägter Staaten – wie etwa in Ägypten – eine solche Ehe ungültig ist.

1.3. Religionsfreiheit im öffentlichen Leben

Religionsausübung ist nach dem Willen des Grundgesetzes nicht bloße »Privatangelegenheit des Einzelnen«. Das Grundgesetz anerkennt vielmehr ausdrücklich die besondere Bedeutung der Religion für das öffentliche Leben.

Nach Art. 140 GG sind neben anderen die Art. 136 und 137 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 (WRV), die das Verhältnis des Staates zu den Religionsgemeinschaften regeln, Bestandteil des Grundgesetzes und damit geltendes Recht. In Art. 137 Abs. 1 WRV wird festgestellt, dass »keine Staatskirche« (mehr) besteht. Bis zum Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung übten die territorialen Landesherren in den evangelischen Kirchen die Kirchengewalt aus. Die Trennung von Staat und Kirche durch Art. 137 Abs. 1 WRV wurde allerdings nicht – wie etwa in Frankreich – radikal vollzogen. Eines der Ziele der bürgerlichen Französischen Revolution war es, den Staat von »der Religion« mit dem Ziel zu emanzipieren, die säkulare staatliche Gemeinschaft als »Ordnung der Freiheit« zu etablieren und das Religiöse völlig aus dem öffentlichen Bereich zu verdrängen. Staat und Kirche wurden konsequent getrennt und die Religionsausübung aus dem öffentlichen Leben verbannt und auf den rein privaten Bereich beschränkt.

Demgegenüber gestaltet das geltende Religionsrecht der Bundesrepublik Deutschland die Beziehungen des Staates zu den Religionsgemeinschaften partnerschaftlich und anerkennt die besondere Bedeutung von Religion für das öffentliche Leben im staatlichen Gemeinwesen, so beim Religionsunterricht in den Schulen, bei der Besetzung der theologischen Lehrstühle, bei der Militär- und Anstaltsseelsorge, im Kirchensteuerwesen, bei der Erfüllung sozialer Aufgaben und im Friedhofswesen.

In einer mehrkonfessionellen und multireligiösen Gesellschaft muss der Staat als Heimstatt aller Bürger zwar selbst religiös neutral sein. Religiöse Neutralität bedeutet aber keine absolute Trennung von Staat und Religion wie im französischen Laizismus. Die Freiheitsverbürgung des Art. 4 GG würde eines wesentlichen Gehaltes beraubt, wenn der Staat die Äußerung religiöser Überzeugungen seiner Bürgerinnen und Bürger im öffentlichen Leben nicht zuließe. »Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.« [20] Freiheitliche Demokratie verlangt, dass der Staat sich jeder weltanschaulichen oder religiösen Indoktrination enthält. Die moderne Demokratie ist aber auf die moralische Substanz der Einzelnen ebenso angewiesen wie auf die sittlich-kulturelle Gemeinschaftlichkeit der Gesellschaft insgesamt, um als Friedensordnung und sozialer Rechtsstaat existieren zu können. Das Grundgesetz hat in der Formulierung der Grundrechte und der Verpflichtung zum sozialen Rechtsstaat materielle Wertentscheidungen getroffen, deren Bestand von ethischen Grundüberzeugungen der Bevölkerung abhängt. Sie werden auch und gerade durch religiöse Prägung vermittelt. Das Grundgesetz hat sich daher bewusst für eine Zusammenarbeit des Staates mit den Religionsgemeinschaften entschieden und lässt den Bürgerinnen und Bürgern Raum, ihrer Religiosität im öffentlichen Leben Geltung zu verschaffen, so etwa in der schulischen Erziehung oder in der sozialen Betreuung.

Der Staat ist zur religiösen Neutralität verpflichtet, d.h., er darf keine Religionsgemeinschaft bevorzugen oder benachteiligen. Damit haben auch die islamischen Religionsgemeinschaften dieselben Teilhaberechte am öffentlichen Leben wie die christlichen Kirchen.

2. Rechtliche Organisationsform islamischer Religionsgemeinschaften

Bisher sind die islamischen Moscheevereine und Verbände als eingetragene Vereine nach bürgerlichem Recht gebildet. Es gibt aber Bestrebungen, den Status von Körperschaften des öffentlichen Rechts zu erlangen.

2.1. Bedeutung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts

Mit der Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist eine Reihe von Hoheitsrechten und besonderen rechtlichen Regelungen verbunden, die sonst nur dem Staat selbst zustehen: So kann die für die Mitglieder der Religionsgemeinschaft verbindliche Rechtssetzung einseitig durch Gesetze und Verordnungen erfolgen, die die Religionsgemeinschaft erlässt. Diese Normen erlangen damit allgemeine Verbindlichkeit, die auch von staatlichen Behörden und Gerichten zu beachten ist. Beschäftigungsverhältnisse können öffentlich-rechtlich in einem Beamtenstatus begründet werden, deren Ausgestaltung – in Besoldungs- und Versorgungs-, Laufbahn-, Beihilfe- und Disziplinarangelegenheiten – dem staatlichen Recht entsprechen kann. Nach Art. 137 Abs. 6 WRV können die als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfassten Religionsgemeinschaften Steuern erheben. Daneben genießen sie eine Vielzahl von Sonderrechten wie steuerliche Begünstigungen, Gebührenbefreiung, Freistellung von staatlichen Kontrollen, im Datenschutzrecht, Schutzbestimmungen für Titel, Würden, Amtsbezeichnungen, Amtskleidungen, Rücksichtnahmegebote auf religionsgemeinschaftliche Belange im Bauplanungs- und Raumordnungsrecht, Sonderregelungen im Sammlungsrecht, eine Vorrangstellung als freie Träger im Bereich der Sozialhilfe und Jugendwohlfahrt, Entsenderechte in Rundfunkräte, bei der freien Jugendhilfe, bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, u.a.m.

2.2. Voraussetzungen für die Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts

Nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 WRV haben die Religionsgemeinschaften, die – wie die evangelischen Landeskirchen und die katholische Kirche – im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Weimarer Reichsverfassung am 11.8.1919 Körperschaften des öffentlichen Rechts waren, diesen Rechtsstatus behalten. Damit anerkennt die Verfassung die besondere geschichtliche Bedeutung der Kirchen für das öffentliche Leben und weist ihnen einen Status zu, der sie vor den »bloß« privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften hervorhebt. Die Zuerkennung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts bedeutet dabei nicht, dass die Kirchen unter Staatsaufsicht gestellt wären, vielmehr ordnen sie nach Art. 137 Abs. 3 WRV ihre Angelegenheiten selbständig. Sie leben nicht nach dem öffentlichen Recht des Staates, sondern nach eigenem Kirchenrecht, das allerdings rechtssystematisch dem öffentlichen Recht zugeordnet ist. Der Status der Kirchen ist der von Körperschaften des öffentlichen Rechts eigener Art.

Nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV sind »anderen Religionsgesellschaften ... auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten.« Damit sollen alle Religionsgemeinschaften gleich behandelt werden. Der Staat unterbreitet insoweit ein Angebot, das die Religionsgemeinschaften annehmen können, aber nicht müssen. So gibt es christliche Freikirchen, die bewusst darauf verzichten. Religionsgemeinschaften vertreten im Gegensatz zu anderen gesellschaftlichen Kräften und Gruppen keine partiellen Interessen, sondern sprechen den Menschen in seiner ganzen Person an. Damit weisen sie Parallelen zum Staat auf, die es rechtfertigen, ihnen den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts zu verleihen und die sich daraus ergebenden öffentlich rechtlichen Befugnisse zuzuerkennen. Hierin kommt die besondere Wertschätzung des Staates für die von ihm anerkannten Religionsgemeinschaften zum Tragen und hebt diese um ihrer Bedeutung für die öffentliche Gesamtordnung willen gegenüber anderen Gemeinschaften, auch den privat-rechtlichen Religionsgemeinschaften, hervor. Zugleich kommt darin zum Ausdruck, dass es aufgrund der geschichtlichen Tradition in Deutschland keine strikte Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften gibt, sondern dieses Verhältnis durch Kooperation gekennzeichnet ist. Kooperation ist aber ohne ein Mindestmaß an gegenseitigem Respekt nicht vorstellbar. Ebenso wie der Staat sich mit der Gewährung des Korporationsstatus nicht in die Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften einmischt, sondern im Gegenteil ihre Eigenständigkeit schützt und fördert, kann umgekehrt von der Religionsgemeinschaft erwartet werden, dass sie die Grundlagen der staatlichen Existenz nicht prinzipiell in Frage stellt, sondern dem Staat loyal gegenübertritt und sich durch ihr Wirken dem Gemeinwohl verpflichtet weiß.

2.2.1. Eindeutige Bestimmung der Mitgliedschaft

Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV setzt in Bezug auf die Mitgliedergröße voraus, dass die Religionsgemeinschaft eine Mindestzahl von einem Promille [21] der Bevölkerung des Bundeslandes hat, in dem der Antrag gestellt werden soll. Dies ist bei den Muslimen im allgemeinen der Fall.

Zwar erfüllen die einzelnen Moscheevereine die Anforderung an die zahlenmäßige Größe nicht. Viele der in rechtlich selbständigen, eingetragenen Vereinen organisierten Moscheevereine haben überregionale Verbände gebildet. Über sie könnte der Nachweis der erforderlichen Mindestmitgliederzahl geführt werden.

Vier Fünftel der in Deutschland lebenden Muslime sind türkische Staatsangehörige. Sie gehören mehrheitlich der sunnitischen Richtung des Islam an. Die Zusammenschlüsse ihrer Moscheevereine wie zum Beispiel [22] der Verband der Islamischen Kulturzentren, die Islamische Gemeinschaft Milli Görüş und die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) weisen unterschiedliche Beziehungen zur Türkei auf. Zwar ist die Türkei ein laizistischer Staat. Die Religion wurde aber nicht vom Staat getrennt, sondern ihm untergeordnet, indem die Institutionen des Islam in die staatliche Verwaltung eingebunden wurden.

Aus den zahlreichen, nicht nur türkischen muslimischen Föderationen und Gruppen haben sich in den letzten Jahren durch Zusammenschlüsse zwei Dachverbände konstituiert: der »Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland« sowie der »Zentralrat der Muslime in Deutschland«. DITIB hat sich allerdings keinem dieser beiden Dachverbände angeschlossen.

Auch die Zusammenschlüsse und Dachverbände sind nicht in der Lage, über den Kreis der Vereinsmitglieder hinaus eindeutig Auskunft darüber zu geben, welche Muslime in Deutschland ihnen angehören. Der Islam kennt von seiner Tradition her keine mitgliedschaftsrechtliche Organisation für das religiöse Leben und hat sie bisher in Deutschland auch nicht realisiert. Dass es bisher zu keiner Verleihung des Körperschaftsstatus an eine islamische Religionsgemeinschaft gekommen ist, hängt schon formal mit dieser Tatsache zusammen. Es ist derzeit auch nicht möglich, eindeutig zu bestimmen, wer Mitglied welcher islamischen Denomination ist. Dies ist aber für die Verleihung des öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus erforderlich, da sonst die Gefahr besteht, dass sie staatlich gestützte Hoheitsrechte – wie etwa durch eigene Gesetzgebung oder Begründung einer Steuerpflicht – auch gegenüber Nichtmitgliedern ausüben könnten [23].

Durch die Vereinssatzungen der Moscheevereine und ihrer Verbände werden aber nur die Vereinsmitglieder erfasst, nicht jedoch die weitaus größere Zahl der im Einzugsbereich der Moscheen lebenden Muslime. Die Möglichkeiten der »Moscheegemeinde« stehen allen Muslimen offen, die hiervon Gebrauch machen wollen. Sie sind keine Personalverbände – wie die christlichen Gemeinden –, daher müssen auch nicht alle »Gemeindemitglieder« Vereinsmitglieder der Trägervereine sein. Der Rechtsstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts setzt aber gerade eine eindeutige personale Struktur voraus. Dennoch ist es möglich, dass islamische Religionsgemeinschaften die Voraussetzung für eine eindeutige Feststellung der Mitgliedschaft in ihren Moscheegemeinden schaffen. Dies setzt allerdings voraus, dass Muslime bereit sind, das religiöse Leben rechtlich entsprechend zu ordnen.

2.2.2. Anforderungen an die Organisationsstruktur

Die Verfassung der Religionsgemeinschaft, die die Verleihung des Rechtsstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts anstrebt, muss eine klare rechtlich fassbare Organisationsstruktur aufweisen. Dabei müssen vertretungsberechtigte Organe bestimmt werden, die im Hinblick auf Glaubenslehre und Ordnung verbindliche Aussagen machen und Rechtshandlungen vornehmen können. Dann müssten sich die oft zahlreichen und zum Teil miteinander konkurrierenden Vereine und Verbände gleicher »Konfession« zusammenschließen und entsprechende rechtlich bindende Absprachen treffen. Dies ist den islamischen Glaubensgemeinschaften in ihren Ursprungsgebieten fremd.

Nach traditionellem islamischen Religionsverständnis, das heute von vielen Muslimen nicht mehr geteilt wird, bestimmt die Scharia auch das private, soziale und politische Leben. Da sich unter diesen Voraussetzungen keine Trennung von Staat und Religion im Sinne der europäischen Tradition herausgebildet hat, entstand auch keine gesonderte Institution für das religiöse Leben. Dies schließt jedoch nicht aus, dass sich die islamischen Religionsgemeinschaften in Deutschland so organisieren, dass sie klar bestimmen können, wer zu ihrer Denomination gehört.

2.2.3. Garantie der Verfassungstreue

Neben den mehr formalen Kriterien wie der eindeutigen Bestimmtheit der Mitgliedschaft und einer Verfassung setzt die Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts voraus, dass die Religionsgemeinschaft in ihrem Wirken nicht die Grundrechte Dritter oder andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter beeinträchtigt. Ferner muss sie die Gewähr dafür bieten, dass sie neben der Verfassung auch die für sie verbindliche Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland einhält. Dies schließt z.B. die Forderung nach Übernahme des islamischen Rechts aus, insbesondere des Strafrechts und Frauen diskriminierende Bestimmungen. Weiter muss die Religionsgemeinschaft das Gebot religiöser Toleranz gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen in Deutschland beachten. Ferner muss sie auch die von der Verfassung her garantierte negative Religionsfreiheit – also die Möglichkeit des Austritts aus ihr – ebenso wie die des Übertritts zu einer anderen Religionsgemeinschaft anerkennen. Austritt oder Übertritt ist jedoch nach islamischen Recht nicht zulässig. Die Muslime in Deutschland müssten daher auf Grund ihrer Bindung an das deutsche Verfassungsrecht einen theologischen und juristischen Sonderweg gehen.

3. Kindergärten

Muslimische Kindergärten [24] gibt es nur in verschwindend geringer Zahl. Auf Grund des Fehlens derartiger Einrichtungen sind muslimische Eltern auf Plätze in Kindergärten angewiesen, die von Trägern der freien Wohlfahrtspflege oder den Kommunen getragen werden. Etwa zwei Drittel aller Kindergärten befinden sich zur Zeit in der Trägerschaft der beiden großen christlichen Kirchen. Die Bereitstellung von Kindergartenplätzen ist Ausdruck christlicher Liebestätigkeit und dem diakonischen Handeln der Kirchen zuzurechnen. Diese Bereitstellung ist zugleich eine Beteiligung von Kirche und Diakonie an der Realisierung des Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsauftrages, wie er in § 22 Sozialgesetzbuch Acht (SGB VIII) formuliert ist. Der hohe Anteil kirchlicher Kindertagesstätten hängt mit dem sogenannten Subsidiaritätsprinzip zusammen. Nach § 4 Abs. 2 SGB VIII und den entsprechenden landesgesetzlichen Regelungen sollen die Kommunen von der Errichtung eigener Kindergärten absehen, soweit geeignete Einrichtungen von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe – zu denen nach § 75 Abs. 3 SGB VIII die evangelischen Landeskirchen und ihre Diakonie gehören – unterhalten werden können. Dies bedeutet, dass die Kommunen solange keine eigenen Kindergärten errichten, wie in Kindergärten in freier Trägerschaft (einschließlich der kirchlichen Kindergärten) ausreichende Platzangebote vorhanden sind. Damit sind die Kirchen zwar in die kommunale Bedarfsplanung einbezogen und wirken bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben mit, werden aber deshalb nicht für den Staat oder im Auftrage des Staates tätig.

3.1. Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz

Nach § 24 SGB VIII hat jedes Kind vom vollendeten dritten Lebensjahr an bis zum Schuleintritt einen Rechtsanspruch auf den Besuch eines Kindergartens, dessen Erfüllung der Staat sicherzustellen hat. Eltern können kein Recht auf Aufnahme ihres Kindes in einen kirchlichen Kindergarten geltend machen. Über die Aufnahme entscheidet der kirchliche Träger in eigener Verantwortung.

3.2. Beschäftigung muslimischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in evangelischen Kindergärten

Ein besonderes Problem wirft die Frage auf, ob in evangelischen Kindergärten muslimische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt werden können. Die Verfassungsgarantie aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleistet den Kirchen die Festlegung kirchenrechtlicher Vorgaben für die Personalauswahl. Der kirchliche oder diakonische Arbeitgeber nimmt mit der Freiheit, mit wem er einen Arbeitsvertrag abschließt, nicht nur an der jedem Arbeitgeber zustehenden Vertragsfreiheit teil, sondern er macht zugleich auch von seinem verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrecht aus Art. 137 Abs. 3 WRV Gebrauch.

»Kirchlicher Dienst ist« – wie es die Präambel des Kirchengesetzes über die Mitarbeitervertretungen der EKD formuliert – »durch den Auftrag bestimmt, das Evangelium in Wort und Tat zu verkündigen. Alle Männer und Frauen, die beruflich in Kirche und Diakonie tätig sind, wirken als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Erfüllung dieses Auftrages mit. Die gemeinsame Verantwortung für den Dienst der Kirche und ihrer Diakonie verbindet Dienststellenleitungen und Mitarbeiter wie Mitarbeiterinnen zu einer Dienstgemeinschaft und verpflichtet sie zu vertrauensvoller Zusammenarbeit.« Damit ist grundsätzlich jeder Dienst in Kirche und Diakonie von der kirchlichen Aufgabenstellung her geprägt. Dies gilt natürlich auch für den Dienst als Erzieherin oder Erzieher in einem evangelischen Kindergarten. Daher kann das kirchliche Arbeitsrecht Regelungen darüber treffen, ob und für welche Aufgaben in diesen Kindergärten muslimische Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter eingestellt werden können. Die kirchenrechtlichen Festlegungen sind für die jeweiligen Einrichtungen verbindlich. Es kommt also nicht auf die Auffassung des jeweiligen Einrichtungsträgers noch darauf an, ob die Gemeindeglieder den kirchlichen Vorgaben zustimmen oder nicht. Die Einstellung muslimischer Kräfte bedarf der kirchenaufsichtlichen Genehmigung.

Durch Kirchengesetze, Dienstvertragsordnungen oder Tarifverträge haben die Landeskirchen die Zulässigkeit der Einstellung nichtchristlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und damit auch von Muslimen – geregelt. Dabei gibt es kein einheitliches Bild. Im Grundsatz darf in den kirchlichen Dienst nur eingestellt werden, wer Mitglied einer Gliedkirche der EKD ist. Davon gibt es Ausnahmen. Zum Beispiel können muslimische Küchen- und Raumpflegekräfte in Kindergärten eingestellt werden. Von dieser Frage losgelöst ist die Einstellung von muslimischen Beratungskräften für evangelische Erzieherinnen und Erzieher zu sehen.

In der Evangelischen Kirche im Rheinland ist durch ein Kirchengesetz vom 13. Januar 1999 die ausnahmsweise Einstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die nicht der evangelischen Kirche angehören, erlaubt. Nach § 4 dieses Gesetzes können in Kindergärten, in denen in einem erheblichen Umfang nichtchristliche Kinder betreut werden, auch muslimische Kräfte angestellt werden, wenn ein Gesamtkonzept vorliegt, das den Verkündigungsauftrag der Kirche gewährleistet. Muslime können aber nicht mit der Leitung der Einrichtung betraut werden. Nach den Empfehlungen der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland zu dieser Vorschrift heißt es u.a.:

  • Vor der Einstellung soll die Bereitschaft der Mitarbeiterinnen und der Mitarbeiter der Tageseinrichtung sowie der Eltern (z.B. Elternabend) erhoben werden, diese Entscheidung mitzutragen.
  • Im Bewerbungsgespräch mit der muslimischen Erzieherin soll die Bereitschaft angesprochen und geklärt werden, die christlichen Erziehungs- und Bildungsziele mitzutragen und an der Verwirklichung eines Konzeptes interreligiösen Lebens und Lernens in der Tageseinrichtung mitzuarbeiten.
  • Die muslimische Erzieherin soll genau wie eine evangelische Erzieherin eine qualifizierte deutsche Fachschulausbildung nachweisen. In der Dienstanweisung für die muslimische Erzieherin soll deutlich werden, dass sich ihr Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsauftrag nicht allein auf muslimische, sondern auf alle Kinder der Tageseinrichtung bezieht.

4. Islamischer Religionsunterricht an staatlichen Schulen]

Nach Art. 7 Abs. 3 GG ist »der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft erteilt.« Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG ist konfessionsgebunden; es gibt also keinen »christlichen Religionsunterricht«, sondern evangelischen oder römisch-katholischen. Deshalb ist auch für einen islamischen Religionsunterricht zu berücksichtigen, dass der Islam unterschiedliche Denominationen hat.

Konfessioneller Religionsunterricht ist mehr als die Vermittlung von Kenntnissen über Religion (Religionskunde). Aus der Perspektive der Garantie der Religionsfreiheit durch Art. 4 GG ist der Religionsunterricht Bestandteil der Grundrechtsausübung durch den einzelnen.

Kinder, Jugendliche und Erwachsene sollen sich frei und selbständig religiös orientieren können. Der Staat gewährleistet die Grundrechtsausübung der Schülerinnen und Schüler, ihrer Eltern und der Religionsgemeinschaften und erkennt seine eigene Säkularität an. Angesichts einer multireligiösen Gesellschaft in Deutschland »reicht pädagogische Distanz zu Religion und der stets anstehenden Wahrheitsfrage nicht aus... Eigene Überzeugungen bilden sich nicht im Niemandsland der Gleich-Gültigkeit, sondern dadurch, daß junge Menschen bestimmten Glaubensüberzeugungen und -vorstellungen begegnen. Das schließt den Dialog mit anderen Positionen ein. Wer aber nicht mit einer religiösen Lebenssicht wenigstens bis zu einem bestimmten Grad vertraut ist, kann Unterschiede und Gemeinsamkeiten weder angemessen erkennen noch sie sich für die Bildung der eigenen Identität begründet zu eigen machen. Verständigung und Identität sind wechselseitig aufeinander bezogen« [25].

4.1. Ausnahmen von der Verpflichtung, Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach einzurichten

Von dem Grundsatz des Art. 7 Abs. 3 GG macht Art. 141 GG für diejenigen Bundesländer eine Ausnahme, in denen »am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand«. Diese Länder müssen nicht – können aber – Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach anbieten:

  • In Bremen wird in den allgemeinbildenden Schulen an Stelle eines konfessionellen Religionsunterrichts ein bekenntnismäßig nicht gebundener Unterricht in »Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage« erteilt. Die möglichen Belange muslimischer Schülerinnen und Schüler werden von dieser Regelung nicht erfasst.
  • In Berlin sorgt die Schulverwaltung lediglich für die äußeren Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts (Bereitstellung von Unterrichtsräumen, Teilfinanzierung, etc.). Die Verantwortung für und die Aufsicht über den Religionsunterricht liegt hier allein bei denjenigen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die den Unterricht (oft außerhalb des regulären Stundenplans) veranstalten. Eine staatliche Kontrolle bzw. Einsichtnahme findet nicht statt, die Teilnahme an diesem Unterricht ist freigestellt. Daher würden sich für die Einrichtung von Religionsunterricht für muslimische Schülerinnen und Schüler wesentlich geringere Anforderungen ergeben als in den Bundesländern, in denen Religionsunterricht ordentliches Lehrfach nach Art. 7 Abs. 3 GG ist. So müssten die Lehrkräfte keine ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer sein. Es gäbe keine staatliche Schulaufsicht. Die Religionsgemeinschaft müsste lediglich nachweisen, dass sie in der Gestaltung ihres Unterrichts die für den allgemeinen Unterricht geltenden verfassungs- und schulrechtlichen Bestimmungen beachtet.
  • In einem Einzelfall ist umstritten, ob die Ausnahmeregelung von Art. 141 GG auf alle neuen Bundesländer angewendet werden kann. Nur vom Land Brandenburg wird der Anspruch erhoben, die Ausnahmeregelung anzuwenden und statt des Religionsunterrichts ein neues Pflichtfach einzurichten. Gegen die Benachteiligung des Religionsunterrichts durch das in Brandenburg installierte Pflichtfach »Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde « (LER) sind seit mehreren Jahren verschiedene Klagen – auch die der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche – vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig.

Die genannten Regelungen werden dem Bildungsauftrag der Schule in religiösen und ethischen Fragen nicht gerecht. Die Interessen des Staates und die freiheitlichen Rechte und Pflichten der Religionsgemeinschaften im Blick auf die Erteilung des Religionsunterrichts werden nur unzureichend ausgeglichen und zur Anwendung gebracht. Nach den Vorschlägen der Kirche soll Religionsunterricht in Berlin und Brandenburg Teil einer Fächergruppe werden, in der verschiedene ordentliche Lehrfächer der religiösen, philosophischethischen und weltanschaulichen Bildung einen kooperativen Verbund eingehen. Als ordentliches Unterrichtsfach einer solchen Fächergruppe könnte auch Religionsunterricht für muslimische Schülerinnen und Schüler seinen Ort in der Schule finden [26].

4.2. Religionsunterricht ist eine Aufgabe des Staates, die er nur in Kooperation mit den Religionsgemeinschaften erfüllen kann

Die Erteilung des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach ist staatliche Aufgabe und Angelegenheit. Der Staat ist »Unternehmer« des Religionsunterrichts nach Art. 7 Abs. 3 GG. Der Unterricht unterliegt nach Art. 7 Abs. 1 GG seiner Schulaufsicht.

Der zur religiösen Neutralität verpflichtete Staat kann aber die Inhalte des Religionsunterrichts nicht selbst festlegen. Er ist dabei notwendigerweise auf die Mitwirkung der Religionsgemeinschaften angewiesen. Sie haben daher auch darüber zu entscheiden, ob überhaupt Religionsunterricht an öffentlichen Schulen stattfinden soll oder nicht. Der Staat kann hier ebensowenig die notwendige Mitwirkung der Religionsgemeinschaft erzwingen, wie es dies die Eltern oder die Kinder unter Berufung auf ihr Recht zur Religionsausübung aus Art. 4 GG, zu dem auch das Recht auf religiöse Erziehung gehört, tun können.

Dennoch hat der Staat die Aufgabe, das Gemeinwesen so zu gestalten, dass die Freiheit des Glaubens und des Gewissens zu ihrem Recht und zu ihrer Entfaltung kommen kann. Verständnis und Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit sind in einer freiheitlichen Demokratie unerlässlich. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass religiöse Bildung auch zum Auftrag der staatlichen Schule gehört. Die Einrichtung des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach gemäß Art. 7 Abs. 3 GG ist für die Schulträger obligatorisch. Der Staat muss gewährleisten, dass der Religionsunterricht mit denselben Rahmenbedingungen erteilt wird wie die anderen ordentlichen Lehrfächer. Das individuelle Freiheitsrecht von Art. 7 Abs. 2 GG, wonach die Erziehungsberechtigten bzw. mit ihrer Religionsmündigkeit die Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst über eine Teilnahme am Religionsunterricht entscheiden können, hebt diese Verpflichtung nicht auf. Der Religionsunterricht ist keine beliebige Verfügungsmasse.

Religionsunterricht in der staatlichen Schule ist kein Vorrecht der beiden großen christlichen Kirchen und auch nicht daran gebunden, dass die betreffende Religionsgemeinschaft den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzt. Weder das Grundgesetz noch die Landesverfassungen legen den Kreis der berechtigten Religionsgemeinschaften fest. Vielmehr gibt die Verfassung allen Religionsgemeinschaften das Recht, vom Staat verlangen zu können, Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach einzurichten. Darin kommt der Tatbestand zum Ausdruck, dass zugleich von Verfassungs wegen ein Interesse an der Erteilung von Religionsunterricht und damit auch an einem islamischen Religionsunterricht besteht. Er würde einen wichtigen Beitrag zur Religionsfreiheit nach Art. 4 GG leisten und der kulturellen Vergewisserung und Verständigung in der Schule dienen. Seine Einführung entspräche einer alten Forderung der Kultusministerkonferenz aus dem Jahre 1984. Die organisierten Muslime haben sich ebenfalls mehrheitlich für einen islamischen Religionsunterricht an den staatlichen Regelschulen ausgesprochen. Auch die beiden Kirchen befürworten grundsätzlich die Einrichtung eines islamischen Religionsunterrichts gemäß Art. 7 Abs. 3 GG [27].

Das Mitwirkungsrecht aus Art. 7 Abs. 3 GG besteht nur zugunsten der in Deutschland organisierten Religionsgemeinschaften. Daher kann es nicht von ausländischen staatlichen – hier der türkischen Regierung – oder religiösen Autoritäten wahrgenommen werden. Bei der von einigen Bundesländern eingeführten, rechtlich nicht unproblematischen Praxis, im Rahmen des muttersprachlichen Unterrichts auch Islam zu lehren, handelt es sich der Sache nach nicht um einen Religionsunterricht im Sinne des Art. 7 Abs. 3 GG. Die Erteilung islamischen Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach hat als ordentliches – nicht zum fremdsprachlichen Fächerkanon gehörendes – Unterrichtsfach in deutscher Sprache und unter der Schulaufsicht der Bundesländer zu erfolgen. Islamischer Religionsunterricht müsste den pädagogischen Standards genügen, die auch der christlich-konfessionelle Religionsunterricht erfüllt. Die Empfehlungen und Lehrpläne müssten das normale Prüfungs- und Genehmigungsverfahren der Kultusbehörden durchlaufen. Der Religionsunterricht muss als staatlich verantwortete Veranstaltung die durch das Grundgesetz vermittelten Wertvorstellungen beachten. Dazu gehört unter anderem das Gebot zu religiöser Toleranz, das Art. 4 GG als ungeschriebene Grenze innewohnt. Der Unterricht sollte die muslimischen Schülerinnen und Schüler zu einer freien und selbständigen religiösen Orientierung befähigen und den interreligiösen Dialog fördern. Schließlich erfordert die staatliche Verantwortung für den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach Loyalität gegenüber den verfassungsrechtlichen Grundwerten der offenen, pluralistischen Gesellschaft.

4.3. Anforderungen an die Lehrkräfte

Da der Religionsunterricht eine staatliche Veranstaltung ist, ist er grundsätzlich von im Staatsdienst stehenden oder von den Religionsgemeinschaften gestellten Lehrkräften zu erteilen, die dem betreffenden Bekenntnis angehören. Weil »islamischer Religionsunterricht « als ordentliches Lehrfach versetzungserheblich wäre und den Lehrkräften Sitz und Stimme in den Schulkonferenzen vermitteln würde, setzt er eine entsprechende wissenschaftliche Ausbildung der Lehrkräfte voraus.

4.4. Voraussetzungen für die Einrichtung eines islamischen Religionsunterrichts an allgemeinbildenden staatlichen Schulen

Dass es bisher nicht zu der Einrichtung eines islamischen Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach an den allgemeinbildenden Schulen gekommen ist, hängt mit drei Faktoren zusammen:

  1. Es fehlt auf Seiten der Muslime an einer Organisationsform, die verbindlich für sie die Inhalte bestimmen könnte, die im Unterricht zu behandeln sind.
  2. Es gibt zur Zeit keine Möglichkeit einer universitären Ausbildung von Lehrkräften.
  3. Es ist unklar, wer am Unterricht teilzunehmen hätte bzw. teilnehmen dürfte.

4.4.1. Notwendige organisatorische Voraussetzung der islamischen Religionsgemeinschaften

Die nach Art. 7 Abs. 3 GG notwendige Mitwirkung der Religionsgemeinschaft setzt eine Autorität voraus, die die Kompetenz besitzt, für sie rechtlich und theologisch verbindlich handeln zu können. Die Religionsgemeinschaft, die die inhaltliche Verantwortung für den Religionsunterricht übernehmen will, muss daher zur Vertretung gegenüber den ihr angehörenden Muslimen berechtigt sein. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist dazu nicht erforderlich. Islamische Religionsgemeinschaften in Deutschland müssten aber so organisiert werden, dass mit Verbindlichkeit die für die Erteilung des Religionsunterrichts notwendigen Grundsätze formuliert werden können, die die staatliche Schulverwaltung in ihre Lehrpläne und Prüfungsanforderungen übernehmen kann. Dies setzt auch voraus, dass sich islamische Vereinigungen zusammenschließen, denn die Schulaufsichtsverwaltung dürfte kaum in der Lage sein, die Inhalte eines islamischen Religionsunterrichts mit einer Vielzahl von Moscheevereinen und Verbänden abzustimmen. Solange keine mitgliedschaftliche Organisationsstruktur und klare Absprachen unterschiedlicher islamischer Zusammenschlüsse gegeben sind, ist nicht deutlich, für welche Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern die jeweilige Religionsgemeinschaft sprechen kann. Erst die Bildung größerer Verbände eröffnet die Möglichkeit dafür, dass Staat und Religionsgemeinschaften im Zusammenwirken den Anforderungen des Art. 7 Abs. 3 GG genügen können.

Die Vertretungslegitimation setzt neben der rechtlichen Befugnis auch eine entsprechende theologische Kompetenz voraus. Dabei kann nicht auf Theologen im Ausland verwiesen werden, geht es doch darum, dass der Schulverwaltung allein die inländische Religionsgemeinschaft gegenübersteht.

Die Vertretungsbefugnis muss auch die innerislamischen konfessionellen Unterschiede berücksichtigen. Die Lehrinhalte der verschiedenen Gruppen unterscheiden sich voneinander. Ebensowenig wie es den »christlichen« Religionsunterricht gibt, ebensowenig ist zu erwarten, dass es einen einheitlichen islamischen Religionsunterricht geben wird. Es ist Angelegenheit der Muslime in Deutschland, sich über die Erfüllung der Voraussetzungen für einen Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG zu verständigen und als Religionsgemeinschaft dem Staat gegenüberzutreten.

4.4.2. Wissenschaftliche Ausbildung der Lehrkräfte

Für staatliche Lehrkräfte oder für Lehrkräfte, die das Fach »Islamischer Religionsunterricht« im Rahmen von Gestellungsverträgen mit islamischen Religionsgemeinschaften unterrichten könnten, gibt es zur Zeit keine Möglichkeit einer universitären Ausbildung. Der Bedarf wird bei ca. 700.000 – 800.000 Schülerinnen und Schülern auf etwa 4.500 Lehrkräfte geschätzt.

4.4.3. Mitgliedschaft der Schülerinnen und Schüler in der jeweiligen islamischen Religionsgemeinschaft

Die Teilnahme am islamischen Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach wäre für alle islamischen Schülerinnen und Schüler – soweit sie ihn nicht nach Art. 7 Abs. 2 GG abgewählt haben – verpflichtend. Damit muss für die Schulverwaltung ihre Mitgliedschaft eindeutig bestimmbar sein. Dies setzt eine entsprechende Mitgliedschaftsstruktur voraus, über die bisher weder die islamischen Moscheevereine noch die islamischen Zusammenschlüsse oder Dachverbände verfügen. Darauf wurde oben [28] bereits im Zusammenhang mit der Frage, ob islamischen Religionsgemeinschaften der Status von Körperschaften des öffentlichen Rechts verliehen werden kann, eingegangen.

Für die Einrichtung eines konfessionell gebundenen islamischen Religionsunterrichts könnte in Betracht gezogen werden, es für die verpflichtende Teilnahme als ausreichend anzusehen, dass die Erziehungsberechtigten oder ab dem 14. Lebensjahr die Schülerinnen und Schüler selbst erklären, dieser Denomination des Islam anzugehören, sofern die islamische Religionsgemeinschaft damit einverstanden ist.

4.5.Stellungnahme der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Einführung eines islamischen Religionsunterrichts

Der Weg zur Einführung eines islamischen Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach nach Art. 7 Abs. 3 GG setzt die Lösung der oben dargelegten Probleme voraus. Die Evangelische Kirche in Deutschland würde es begrüßen, wenn es zur Einführung eines islamischen Religionsunterrichts käme [29]. Im übrigen tritt die Evangelische Kirche in Deutschland bereits seit 1994 für eine Fächergruppe der religiös-ethischen Bildung in der Schule ein [30]. Im Sinne des schulischen Bildungs- und Erziehungsauftrages soll eine solche Fächergruppe das Zusammenwirken der ihr zugehörigen unterschiedlichen, ordentlichen Lehrfächer gewährleisten, denn ihnen allen ist die Aufgabe gemeinsam, die Verständigungsbereitschaft und -fähigkeit der jungen Generation in besonderer Weise zu fördern. Dazu gehört die Notwendigkeit des interreligiösen Lernens und des interreligiösen Dialogs.

5. Muslime in der Schule

Ein mit der Schule in Zusammenhang stehendes Thema ist, ob Lehrkräfte oder Schülerinnen und Schüler eine Kleidung tragen dürfen, die einen direkten Bezug zu der Religionsgemeinschaft herstellt.

5.1. Erteilung des Schulunterrichts in einer Kleidung, die einen besonderen Bezug zur Religionsgemeinschaft aufweist

Das Grundgesetz verpflichtet den Staat zu weltanschaulicher und religiöser Neutralität wie auch zur Achtung der negativen Religionsfreiheit von Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern und der Lehrerschaft. Daraus ergibt sich, dass grundsätzlich Lehrerinnen und Lehrer verpflichtet werden können, auf das Tragen solcher Kleidung zu verzichten, die für ihr religiöses Bekenntnis kennzeichnend ist. Es bestehen aber keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass im Rahmen eines möglichen islamischen Religionsunterrichts eine Kleidung getragen werden könnte, die die Lehrkraft als Muslim oder Muslima erkennbar macht.

5.2. Das Tragen einer Kleidung, die einen besonderen Bezug zur Religionsgemeinschaft aufweist, durch Schülerinnen und Schüler

Weiter ist es verfassungsrechtlich zulässig, dass Schüler und Schülerinnen als Ausdruck ihrer Religion Kleidungsstücke tragen, die einen besonderen Bezug zu ihrer Religion aufweisen, in dem hier zu behandelnden Zusammenhang also etwa, dass muslimische Schülerinnen ein Kopftuch tragen. Anders als in Frankreich, wo der strikt laizistische Staat das Religiöse konsequent aus dem öffentlichen Bereich verbannt hat und gegen muslimische Schülerinnen, die sich weigern, das Kopftuch in der Schule abzulegen, mit Zwangsmaßnahmen vorgeht, ist die im Tragen eines Kopftuches zum Ausdruck kommende religiöse Haltung in Deutschland zu respektieren. Ebenso hat der Staat das Grundrecht auf Religionsfreiheit muslimischer Schülerinnen, die aus religiöser Haltung die Teilnahme am Sportunterricht – insbesondere dem koedukativen Sportunterricht wegen der dabei zu tragenden Sportkleidung – oder am Sexualkundeunterricht verweigern, mit dem Verfassungsgut seines Erziehungsauftrages aus Art. 7 GG abzuwägen. So hat der Staat alle ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten organisatorischer Art zu prüfen, ob ein nach Geschlechtern getrennter Sportunterricht ermöglicht werden und inwieweit er auf das Schamgefühl Rücksicht nehmen kann.

6. Militärseelsorge, Seelsorge an Beamten des Bundesgrenzschutzes, der Polizei und der Zollverwaltung

6.1. Militärseelsorge

Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 141 WRV und § 36 Soldatengesetz gestattet es den Religionsgemeinschaften, Seelsorge an Soldaten der Bundeswehr als Beitrag zur Sicherung ihres Grundrechts auf freie religiöse Betätigung aus Art. 4 GG zu leisten.

Zur Erfüllung des Anspruchs der Soldaten wurde zwischen der EKD und der Bundesrepublik Deutschland der Vertrag über die Regelung der evangelischen Militärseelsorge vom 22. Februar 1957 und nach der deutschen Wiedervereinigung die Rahmenvereinbarung über die Seelsorge an Soldaten der Bundeswehr in den neuen Bundesländern vom 12. Juni 1996 geschlossen. Die Seelsorge an Soldaten ist Teil der kirchlichen Arbeit. Ihr Inhalt wird ausschließlich von den Kirchen bestimmt. Durch den Vertrag werden u.a. die Rechtsstellung der Militärgeistlichen, ihre Arbeitsmöglichkeiten und dabei insbesondere ihre Zutrittsrechte zu militärischen Einrichtungen und Anlagen geregelt.

Da es keine nennenswert große Zahl muslimischer Soldaten gibt, besteht zur Zeit kein praktisches Bedürfnis zu einer vertraglichen Regelung.

6.2. Seelsorge an Beamten des Bundesgrenzschutzes, der Polizei und der Zollverwaltung

Die Seelsorge an Beamten des Bundesgrenzschutzes, der Polizei und der Zollverwaltung als Teil der berufsethischen Erziehung – etwa nach § 7 des Bundesgrenzschutzgesetzes – ist ebenfalls zwischen den Gliedkirchen der EKD und der Bundesrepublik bzw. den Bundesländern geregelt. Auch hier gibt es wie für den Bereich der Bundeswehr mangels praktischen Bedürfnisses keine Verträge mit islamischen Glaubensgemeinschaften.

7. Krankenhausseelsorge

Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 141 WRV enthält die institutionelle Garantie der Seelsorge durch die Religionsgemeinschaften in Krankenhäusern, Altenheimen, Heimen für Behinderte und vergleichbaren Einrichtungen der Wohlfahrtspflege, die in öffentlicher Trägerschaft stehen. Art 141 WRV ist die Grundlage dafür, dass die Patienten bei ihrer Aufnahme nach der Konfessionszugehörigkeit gefragt werden können, sofern sie darauf hingewiesen werden, dass sie nach Art. 136 Abs. 3 WRV nicht verpflichtet sind, hierüber Angaben zu machen. Vielfach bestehen staatskirchenrechtliche Verträge zwischen den Bundesländern und den evangelischen Landeskirchen, durch die ihnen auch der Zugang zu vergleichbaren Einrichtungen in privater Trägerschaft gestattet wird. Derartige Verträge mit islamischen Religionsgemeinschaften bestehen nicht.

8. Seelsorge an Straf- und Untersuchungsgefangenen

Der Straf- und Untersuchungsgefangenen aus Art. 4 GG zustehende grundrechtliche Anspruch auf Religionsausübung hat in den §§ 53 und 54 des Strafvollzugsgesetzes und entsprechenden Vorschriften im Jugendgerichtsgesetz eine nähere gesetzliche Regelung erfahren. Danach darf Gefangenen religiöse Betreuung durch Seelsorger oder Seelsorgerinnen ihrer Religionsgemeinschaft nicht versagt werden. Sie können grundlegende religiöse Schriften und Gegenstände des religiösen Gebrauchs besitzen und haben das Recht, an Gottesdiensten und religiösen Veranstaltungen teilzunehmen. Der Gottesdienstbesuch und der Besuch religiöser Veranstaltungen kann nur im Einzelfall aus überwiegenden Gründen der Sicherheit in der Anstalt nach Anhörung des Seelsorgers oder der Seelsorgerin ausgeschlossen werden oder wenn dies für Untersuchungsgefangene ausdrücklich durch den die Untersuchungshaft anordnenden Richter verfügt worden ist, etwa weil die Gefahr besteht, dass der betreffende Untersuchungshäftling Zeugen unter Mithäftlingen beeinflusst oder mit Mittätern Aussagen abspricht.

Die Grundrechtsgewährleistungspflicht des Staates gebietet der Justizvollzugsverwaltung, Gefangenen auf ihren Wunsch hin zu helfen, mit einem Seelsorger ihrer Religionsgemeinschaft in Verbindung zu treten. Nach § 21 des Strafvollzugsgesetzes besteht weiter die Pflicht, die Befolgung religiöser Speisevorschriften zu ermöglichen. Neben dem Individualrecht der Gefangenen aus Art. 4 GG regelt Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 141 WRV, dass, »soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge in Strafanstalten besteht, die Religionsgemeinschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen sind, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.« Dementsprechend haben die von den Kirchen bestellten Anstaltsseelsorger auf der Grundlage von zwischen ihnen und der Landesjustizverwaltung getroffenen Vereinbarungen Anspruch auf freien Zugang zu den Inhaftierten und erhalten hierzu auch eigene Schlüssel. Die Abhaltung von Gottesdiensten und anderen religiösen Veranstaltungen obliegt ausschließlich den Seelsorgern und Seelsorgerinnen. Sie unterliegen insoweit keinen Weisungen der Justizvollzugsverwaltung. In den Anstalten sind entsprechende räumliche Voraussetzungen vorzuhalten und genügend Zeit zur Verfügung zu stellen. Mit Zustimmung des Anstaltsleiters dürfen zudem freie Seelsorgehelfer und Seelsorger von außen durch die Anstaltsseelsorger zugezogen werden.

Nach § 155 Abs. 2 und § 157 des Strafvollzugsgesetzes können Seelsorger und Seelsorgerinnen als Justizvollzugsbedienstete entweder im Einvernehmen mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft in ein Landesbeamtenverhältnis berufen oder vertraglich verpflichtet werden.

Von derzeit nahezu 300 evangelischen Gefängnisseelsorgern sind rd. 40% im Hauptamt bestellt. In der Mehrzahl werden die in den Haushaltsplänen der Landeskirchen ausgebrachten Personalstellen von den Ländern refinanziert. In einigen Bereichen gibt es Einzelgestellungsverträge, Anstellungen als Angestellte im Vollzugsdienst oder die Übernahme von Pfarrerinnen und Pfarrern in ein Landesbeamtenverhältnis.

Die Landesjustizverwaltungen haben keine »islamischen Seelsorger« bestellt oder vertraglich verpflichtet. Ursache dafür ist, dass einerseits dem Islam eine Seelsorge, wie sie für die christlichen Kirchen kennzeichnend ist, wesensfremd ist und andererseits dem Staat das Gegenüber einer mehr oder weniger einheitlich verfassten Religionsgemeinschaft für entsprechende vertragliche Vereinbarungen fehlt. Deshalb bleiben die muslimischen Strafgefangenen häufig sich selbst überlassen. Eine organisierte durchgängige Begleitung gibt es für sie nicht. Dabei ist davon auszugehen, dass bei einem Ausländeranteil von rd. 40% in einer Vielzahl von Straf- und Untersuchungshaftanstalten ein vergleichsweise hoher Anteil der Gefangenen muslimisch ist.

9. Friedhofsrecht

Ein wichtiges Problem für die islamischen Gemeinden in Deutschland stellt die Bestattung ihrer Toten dar. Es ist meist üblich, die Verstorbenen zur Bestattung in die Heimat zu überführen. Zunehmend ist aber der Wunsch gewachsen, die Toten in der Nähe der hierzulande lebenden Familien nach islamischen Vorschriften zu bestatten.

Die Vornahme von Bestattungen steht nicht im freien Belieben des Einzelnen. Eine würdige Totenbestattung ist eine öffentliche Aufgabe. Es besteht in Deutschland Bestattungszwang. Die Kompetenz zur Regelung des Bestattungs- und Friedhofswesens liegt nach Art. 70 GG bei den Bundesländern. Der Friedhof ist rechtlich eine unselbständige Anstalt des öffentlichen Rechts. Trägerinnen von Friedhöfen können daher grundsätzlich nur Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts sein. So treten hier neben den Kommunen die Kirchen oder Kirchengemeinden, soweit sie selbst Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, als Trägerinnen in Erscheinung. Von alters her haben die großen christlichen Kirchen eigene Friedhöfe unterhalten. Sie gehören zu ihren »eigenen Angelegenheiten« im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WRV. Die evangelischen Landeskirchen haben daher einen verfassungsrechtlich verbürgten Rechtsanspruch darauf, eigene Friedhöfe anlegen zu können. Aus dem Gleichbehandlungsgebot haben andere öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften ebenfalls das Recht der Anlage und Verwaltung eigener Friedhöfe. Dabei sind sie an die Normen des staatlichen Rechts, insbesondere die der Gefahrenabwehr (Gesundheitsvorsorge), des Bauplanungsrechts, des Landschaftsschutzes gebunden.

Es steht dem Landesgesetzgeber frei, auch juristische Personen des Privatrechts mit der Trägerschaft für Friedhöfe zu betrauen. Soweit die Bundesländer hiervon Gebrauch gemacht haben, steht damit auch den Moscheevereinen, die als rechtsfähig eingetragene Vereine des bürgerlichen Rechts verfasst sind, oder islamischen Verbänden in diesen Ländern die Möglichkeit offen, islamische Friedhöfe in eigener Trägerschaft anzulegen.

10.Zusammenfassung

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die vielfach vorgetragene These, das Verfassungsrecht benachteilige Muslime bei der Religionsausübung und privilegiere die großen christlichen Kirchen, nicht zutrifft. Das deutsche Religionsrecht ist für alle Religionsgemeinschaften offen und ermöglicht die Religionsausübung auch im öffentlichen Leben.

Die Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gewährt die am weitesten gehenden Rechtspositionen. Nach dem religiösen Verständnis und der geschichtlichen Entwicklung des Islam ist ihm zwar eine körperschaftliche Organisation fremd. Es sind aber keine Hinderungsgründe aus dem islamischen Recht erkennbar, die dem entgegenstünden. Unter den in Deutschland lebenden Muslimen gibt es seit Jahren Bemühungen, die darauf abzielen, sich so zu organisieren, dass sie die Voraussetzungen für die Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erfüllen. Damit würden sie mit den beiden großen christlichen Kirchen rechtlich gleichgestellt werden.

Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland

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