Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland - Gestaltung der christlichen Begegnung mit Muslimen

Eine Handreichung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Gütersloher Verlagshaus, 2000. ISBN 3-579-02373-X

Statt eines Nachwortes

»›Sein in der Begegnung‹, das ist ein solches Sein, in welchem der Eine dem Anderen in die Augen sieht. Wenn der Eine dem Anderen wirklich in die Augen sieht, dann geschieht automatisch auch das, daß er sich vom Anderen in die Augen sehen läßt. Die Redensart ›Das geht mich nichts an‹ oder ›Das geht dich nichts an‹ ist fast unter allen Umständen eine mißliche Redensart, weil sie fast unter allen Umständen meint: ich will weder ihn sehen, noch mich von ihm sehen lassen; meine Offenheit hat ihm gegenüber ihre Grenze. In dem Maß, als wir aus uns herausgehen, uns also nicht weigern, den Anderen zu erkennen, uns nicht fürchten davor, auch von ihm erkannt zu werden, existieren wir menschlich.

›Sein in der Begegnung‹ besteht darin, daß man miteinander redet, aufeinander hört. Die Sache klingt einfach und besteht doch in einer sehr vielfachen Aktion: gegenseitige Aussprache und gegenseitiges Vernehmen von Aussprache, gegenseitige Ansprache und gegenseitiges Vernehmen von Ansprache. Keines von diesen Elementen darf fehlen. Aus zwei Monologen kann kein Dialog werden. Es beginnt der Dialog erst dann, wenn das hinüber und herüber gesprochene Wort zum Mittel wird, je den Anderen zu suchen, dem Anderen zu helfen, das heißt: ihm in der Verlegenheit, die der Eine dem Anderen notwendig bereitet, zurecht zu helfen.

Das ›Sein in der Begegnung‹ besteht darin, daß man einander in der Tat seines Seins gegenseitig Beistand leistet. Beistand heißt: aktives Stehen bei dem Anderen. Beistand heißt also: ihn in seinem Sein und Handeln nicht sich selbst überlassen, sondern in und mit dem eigenen Sein und Handeln zugleich an der Frage, der Sorge, der Last, der Bedrängnis des seinigen teilnehmen, mit seinem eigenen Leben zugleich die Bemühung um das Leben des Anderen – obwohl es doch das seinige ist und bleiben muß, obwohl wir ihn nicht vertreten können – auf sich nehmen. Beistand heißt: mit dem Anderen leben.

›Sein in der Begegnung‹ besteht darin, daß das ganze Geschehen unter dem Zeichen steht, daß es hinüber und herüber gerne geschieht: daß man sich gegenseitig gerne sieht und gerne sich voneinander sehen läßt, gerne miteinander redet und gerne aufeinander hört, gerne Beistand empfängt und gerne Beistand leistet. Die Alternative, die in Frage kommt, ist nicht ›ungern‹ sondern: neutral, so also, daß an Stelle des ›gern‹ auch ein ›ungern‹ stehen könnte. Der wirkliche Mensch, wie Gott ihn geschaffen hat, hat diese Wahl nun gerade nicht. In seinem freien Herzen ist er das, was er ist, im Geheimnis der Begegnung mit dem Mitmenschen, in welcher ihm dieser willkommen, in welcher er gerne mit ihm zusammen ist.«

(Sätze Karl Barths, in: Kirchliche Dogmatik III/2, S. 299-329)

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